Kapitelauszug:
WIR SIND SCHWANGER
Ich würde nicht sagen, daß bei uns schon die sogenannte
„biologische Uhr" laut tickte, aber zumindest surrte sie leise
im Hintergrund. In unserem doch ziemlich großen Bekanntenkreis
hörte man immer öfter von - zumindest für uns -
überraschenden Schwangerschaften bzw. sah die Resultate
dann später auf den nächsten Feierlichkeiten, die immer öfter
anstatt abends bei einem schönen Cocktail am Nachmittag
bei einer Tasse Kaffee stattfanden. Irgendwie kam man sich
kinderlos so langsam wie der letzte Mohikaner vor. Ausnahmen
gab bzw. gibt es natürlich bis heute. Da wären die Paare,
die zwar unbedingt Nachwuchs haben möchten, aber bei denen
es leider nicht klappt. Dann wären da die Karrieretypen,
die für das Kinderzeugen und für Kinder angeblich einfach
keine Zeit finden. Und letztendlich gibt es dann noch die typischen
Singles in unserem Bekanntenkreis, die mit ihrem
„Junggesellendasein" offiziell völlig zufrieden sind und bei
denen schon eine etwas „längere" Beziehungsbindung über
vier Wochen schlimme Panikattacken auslöst.
Uns konnte man schätzungsweise irgendwo zwischen alldem
einstufen, obwohl wir mittlerweile kurz vor unserem
fünften Hochzeitstag standen.
Meine Oma sagt immer: „Kinder, wie die Zeit vergeht",
und recht hat sie. Hätte ich damals ein Resümee über die
vergangenen Jahre ziehen sollen, so hätte ich sagen können:
Wir führen ein unauffälliges, zufriedenes Leben. Beide haben
wir einen sicheren Arbeitsplatz, verdienen ausreichend,
um uns zumindest dreimal pro Jahr einen netten Urlaub zu
gönnen, und leben in einem abbezahlten Einfamilienhaus
ohne sonstige Schulden. Des weiteren haben wir einen großen,
netten Freundeskreis sowie beide unsere Hobbys und
immer was um die Ohren. Alles in allem leben wir relativ
sorgenfrei vor uns hin. Wenn man aber ehrlich zu sich selbst
ist, haben wir bisher lediglich von Urlaub zu Urlaub gelebt.
Das sind unbestritten unsere Lebens-Highlights, die sicherlich
irgendwann aufgrund der „Macht der Gewohnheit"
langweilig werden könnten.
Wir waren gerade wieder im Urlaub, diesmal in Griechenland
auf der schönen Insel Rhodos, als meine Frau Nicole
zu mir am Strand sagte: „Irgendwie gleicht ein Urlaub
dem anderen, findest du nicht? Egal, wohin wir fahren. Eigentlich
könnte sich doch etwas in unserem Leben ändern."
Sie sprach mir damit aus der Seele. Wie recht sie doch hatte.
Auch mich überkam in letzter Zeit immer öfter das Gefühl,
daß es neben meinen beruflichen Verpflichtungen meine
einzige Aufgabe war, den übernächsten Urlaub zu planen,
zumeist bevor der nächste Urlaub vor der Tür stand. Das
begann damit, daß wir beide im Dezember bei unserem
Arbeitgeber schon einmal vorab den Jahresurlaub für das
kommende Jahr benennen sollten. Äußerst mühsam, wenn
man sich im Dezember, inklusive der damit verbundenen
weihnachtlichen Gefühle, mit seinen Sommerurlauben,
zumeist für die Monate Juni und September, beschäftigen
soll.
„Ja, stimmt, sehe ich genauso", antwortete ich. Irgendwie
komisch, da arbeitet man Monat für Monat, um sich wieder
einen dieser regelmäßigen - nicht ganz günstigen - Urlaube
leisten zu können, und nun liegt man hier am schönen
Sandstrand von Rhodos, hat ein super Hotel mit Meerblick,
Sonne satt, „all inclusive", und ist trotzdem - nennen wir
es - leicht unzufrieden.
Bisher war es immer so, daß ich Pärchen mit Kindern im Urlaub
wirklich bemitleidet habe. Augenscheinlich waren sie
ständig leicht angespannt und damit beschäftigt, ihre Kinder
bei Laune zu halten, damit sie nicht quengelig wurden
oder irgend etwas anfaßten, was sie nicht anfassen sollten.
Toller Urlaub. Jetzt ertappte ich mich plötzlich dabei, wie ich
aufmerksam einen Vater beobachtete, der mit seinem kleinen
Sohn eine Sandburg baute und dabei völlig begeistert aussah.
„Komisch, du wirst alt", dachte ich, „und das mit deinen
‚noch jugendlichen‘ 38 Jahren."
Gut, heutzutage werden Paare immer später Eltern, aber
bisher kamen wir uns, ehrlich gesagt, immer noch „zu jung"
für das Projekt „Eltern" vor. Biologisch gesehen war meine
Frau 34 und ich 38, aber wir fühlten uns natürlich wie höchstens
Anfang 20. Klar, es gab immer wieder Situationen, in
denen man sich wunderte, daß zum Beispiel ein Jugendlicher
einen auf einmal „siezte", aber irgendwie verdrängte
man solche Vorkommnisse umgehend erfolgreich.
„Vielleicht sollten wir es einfach mit einem Baby versuchen",
sagte meine Frau. Vor noch gut ein paar Jahren,
hätte mich so ein Satz, überspitzt gesprochen, bestimmt in
die Sahara getrieben. Nun aber war ich ziemlich entspannt,
was mich selbst verblüffte. Die Vorstellung, vielleicht doch
irgendwann mit einem Kind, am besten noch dem eigenen,
ebenfalls am Strand zu sitzen und Sandburgen zu bauen,
gefiel mir ganz gut. „Klar, laß es uns versuchen, man weiß
ja auch nicht, ob es kurzfristig klappt oder ob wir das überhaupt
hinbekommen, ich bin gespannt", antwortete ich, ohne
meine plötzlich sehr positive Grundeinstellung völlig zu offenbaren.
In der gleichen Woche lernten wir im Hotel zwei miteinander
verwandte Ehepaare kennen, alle vier Anfang 50, somit älter
als wir und natürlich glückliche Eltern erwachsener Kinder.
Da sich bei „all inclusive" im Laufe eines Urlaubs, spätestens
nach dem zweiten Cocktail, das eine oder andere persönlichere
Gespräch ergibt, kamen wir zu später Stunde an der
Bar sitzend auch auf die sogenannte „K-Frage" zu sprechen.
„Wollt ihr gar keine Kinder haben? Sie sind so süß, wenn
sie klein sind", fragte Magda forsch, ganz passend zu ihrer
direkten Art, während ihr Mann die Augen verdrehte, was
eindeutig nicht am Alkohol lag. „Das Alter dafür hättet ihr
ja. Wir warten übrigens gerade darauf, Großeltern zu werden",
und ihr Mann verdrehte wieder seine Augen, diesmal
in die andere Richtung. Ich glaube, wir machten in dem Moment
sicherlich einen ziemlich erstaunten Gesichtsausdruck,
hatten wir uns bei dem sensiblen Thema doch gerade erst
auf eine Zielrichtung geeinigt. „Ja, generell sind wir nicht
abgeneigt, werden wir demnächst in Angriff nehmen", antwortete
ich relativ cool.