...
Eine junge Frau von überirdischer Schönheit betritt die Bühne.
„Meine Assistentin Ramona!“ Der Showmaster präsentiert sie dem Publikum und küsst ihr die Hand.
Jubelnder Applaus.
Frau Kögler fühlt den Kuss geradezu auf ihrem rechten Handrücken. Ach, einmal ...
„Ramona, Sie bringen mir die erste Quizfrage? Wissen Sie schon, was unsere Gäste erwartet?“
Ramona schüttelt anmutig den Kopf und lächelt bezaubernd.
Erneuter Handkuss.
„Applaus für Ramona!“
Ramona verlässt strahlend die Bühne. Die drei Männer folgen ihr im Geiste.
„Ähem, meine Herren, fühlen Sie sich in der Lage, über eine Frage nachzudenken?“ Der Showmaster holt sie unsanft in die Wirklichkeit zurück. Er öffnet den Umschlag, zieht eine Karte heraus, blickt erst ins Publikum und dann in die erwartungsvollen Gesichter seiner Gäste.
„Erste Frage: Wie heißt das Gerät, mit dem während der Französischen Revolution Verbrecher geköpft wurden?
Beil?
Guillotine?
Kettensäge?“
Herr Zweikorn, obwohl der älteste, ist der schnellste: „Guillotine!!!“
„Richtig! Bravo! Applaus für ‑ Carlo Zweikorn!“
Seine Mitstreiter lächeln etwas säuerlich.
Der Showmaster tritt an den Bühnenrand. „Wir wollen es Ihnen doch spannend machen, meine Damen und Herren hier im Sendesaal, und auch Ihnen zu Hause!“ Blick in die Kamera. „Und Sie sollen natürlich auch wissen, wer uns diese Show und diesen Kampf für Gerechtigkeit ermöglicht.“
Raunen.
„Es bittet um Ihre Aufmerksamkeit die Firma Hieb und Stich! Ohne die Errungenschaften dieser Firma wäre vieles auf unserer Welt anders!“
Applaus.
Der Raum verdunkelt sich.
Hieb und Stich!
Präzisionsinstrumente für
alle Gelegenheiten!
Überall erstrahlen diese Worte. Eine tiefe, vertrauenerweckende Männerstimme spricht sie, einmal, zweimal, dreimal, die Worte überlagern sich, bis zum Schluss Hieb und Stich im Raum schwebt.
Licht.
Der Showmaster steht lächelnd im Scheinwerferkegel. „Passend dazu haben wir Musik von Khachaturian ausgewählt. Entspannen Sie sich und genießen Sie jetzt den Säbeltanz!“
Gelegenheit für ein weiteres Glas Wein ‑ Frau Kögler hat bereits rote Ohren ‑, ein weiteres Glas Cola und eine weitere Flasche Bier.
„Desiree, du gehörst eigentlich längst ins Bett!“
„Lass sie doch; es ist doch Samstag.“
Desiree kuschelt sich an ihren Papa.
Ramona schwebt herein mit einem weiteren Umschlag.
Der Showmaster lenkt ‑ nach Handkuss und anhimmelnden Blicken ‑ die gesamte Aufmerksamkeit wieder auf die drei Gäste.
„Zweite Frage: Wie heißt die Hinrichtungsart, der Jesus zum Opfer fiel:
Kreuzzug?
Bekreuzigen?
Kreuzigung?“
Wieder ist Herr Zweikorn der schnellste! „Kreuzigung!“, ruft er und kann seine Genugtuung kaum verbergen.
Höflicher Beifall.
Seine Familie reißt es auf die Füße.
„Macht sich da die gute alte Schulbildung bemerkbar?“
Gelächter, verlegenes Grinsen bei den unterlegenen Gästen.
„Werbung und Musik!“
„Hättest du das gewusst, Sören?“
Herr Kögler nimmt einen Schluck Bier, wischt sich den Schaum von der Oberlippe, dann nickt er.
Frau Kögler blickt ihren Mann voller Stolz an. „Was haben wir für einen klugen Papi, was Desiree?“
Desiree drückt ihrem Papi ihren verschmierten Mund auf die Wange. Dann muss sie unbedingt aufs Klo.
Sie verpasst die Werbung, aber die Musik und die Bilder kriegt sie mit: Filmaufnahmen aus Spartacus, die Via Appia mit einer Allee von Gekreuzigten.
„Waren die alle böse?“, fragt sie.
„Schsch. Guck lieber, wie das aussieht – und sei immer schön lieb!“
...