Das Krisenmanagement während der Corona-Pandemie war und ist eine der schwerwiegendsten Fehlleistungen, die jemals Entscheidungsträger in Deutschland zustande gebracht haben. Kritik? Unerwünscht. Wer nun Vorwürfe erhebt, gilt als negativ und als Nestbeschmutzer.
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Doch Tatsache ist: Tausende Menschenleben, hunderte Milliarden Euro, tausende Arbeitsplätze und vieles mehr sind in der Corona-Krise verspielt worden – und das auf dumme, arrogante und grob fahrlässige Art und Weise.
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Weiterhin müssen wir uns der Frage stellen, welchen Wert unser Rechtsstaat an sich überhaupt hat, wenn Recht und Wahrheit nach Belieben derer verdreht werden, die die größte Schuld an einer Krise tragen und wenn die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht über das Recht auf Leben und Gesundheit entscheidet. Diese Fragen dürfen nicht länger unterbunden werden. Die Demokratieform, in der freie Meinungsäußerung und Menschenrechte solange gewährt werden, solange es ohnehin keinen Widerspruch gibt, nun, diese Art der Demokratie gibt es auch in Nordkorea.
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Die Gesellschaft setzt währenddessen auf Humor zur Bekämpfung der Krise. Beim Düsseldorfer Karnevalsumzug können die Besucher einen Wagen bewundern, auf dem ein riesiges, wütendes, gelb-grünes Corona-Virus dargestellt ist, das von einem knallbunten „Karnevals-Virus“ die lange Nase gezeigt bekommt. Die Menschen lachen köstlich über diesen gelungenen Scherz. Zwei Tage später wird es umgekehrt sein. In den Folgewochen werden tausende Menschen in Deutschland sterben, ihren Job oder gleich die ganze Existenz verlieren. Dann wird es nicht mehr lustig sein. Obwohl – das war es sowieso nie, denn zu diesem Zeitpunkt waren schon rund 2.500 Menschen durch das Virus gestorben. Aber naja, die meisten waren ja Chinesen. Und wir fragen uns, ob wir im nächsten Jahr vielleicht einen Wagen sehen werden, auf dem ein Corona-Virus einem Karnevals-Virus mit Beatmungsgerät die lange Nase zeigt oder ob die Entdeckung des Gehirns noch rechtzeitig geschieht, um uns das zu ersparen.
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Am 26. Februar drei neue Fälle. Der Minister gibt den ARD „tagesthemen“ ein Interview. Die neuen Fälle hätten eine „neue Qualität“, da kein direkter Bezug zu China bestünde. Aber der Minister hat noch eine bemerkenswerte Ergänzung parat: Es könnte hunderte von Kontakten gegeben haben, da ja insbesondere im Rheinland Karneval gefeiert worden sei. Tatsächlich verkündet er dies so, als handele es sich um eine überraschende Information, die er gerade zugespielt bekommen hätte. Auch bemerkt er, es sei nun schwierig, die Kontakte nachzuvollziehen und möglicherweise könne dies auch fehlschlagen. Korrekt wäre gewesen: Es ist praktisch unmöglich und das war absehbar. 83 Millionen Menschen, keine Reisebeschränkungen – die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einige erkrankte Personen an Karnevalsveranstaltungen teilnahmen, lag – mit ein bisschen Nachdenken – bei rund 100 Prozent. Nun, der Minister sieht dies völlig anders. Auf Nachfrage des Interviewers antwortet er, es sei nicht absehbar gewesen. Auf erneute Nachfrage, ob man damit nicht hätte rechnen müssen und ob der Karneval nicht hätte abgesagt werden müssen, antwortet er beinahe schelmisch, mit dieser Begründung müsste man ja das gesamte öffentliche Leben in Deutschland und auf der ganzen Welt beenden. Wie wir mittlerweile wissen, wird genau das die Konsequenz der Inkonsequenz in diesen entscheidenden Tagen sein. Die ganze Nation wird einen hohen Preis dafür zahlen, dass unsere Regierung sich nicht dazu durchringen konnte, eine Party abzusagen, die man zu jedem beliebigen Zeitpunkt hätte nachholen können. Aber Herr Spahn ist noch nicht fertig mit seiner Expertise in diesem Interview. Im Austausch mit seinen Amtskollegen sei weiterhin klar geworden, dass der Reise-, Tourismus- und Geschäftsverkehr sowie auch die familiären Kontakte um die Region Norditalien herum so intensiv seien, dass eine Beschränkung mehr Schaden anrichten würde als der jetzige Umgang mit dem Virus. Diese Aussage ist bezeichnend. Rückschauend können wir uns dadurch ein gutes Bild von der Urteilsfähigkeit unseres Gesundheitsministers machen.
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Zum Abschluss der ersten Phase beeindruckt uns unser Gesundheitsminister auf seinem Profil einmal mehr mit einem besonderen Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit: Am 14. März folgt eine wichtige Information des Gesundheitsministeriums – es sind schlimme Fake-News im Umlauf. Fälschlicherweise werde verbreitet, die Regierung plane, bald massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens anzukündigen: „Das stimmt nicht! Diese und ähnliche Falschinformationen verunsichern gerade viele Bürgerinnen und Bürger. Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen und sie richtig zu stellen. Lassen Sie uns gerade jetzt besonnen bleiben und einander auch unter Stress vertrauen.“ Ja, Vertrauen ist schon sehr wichtig. Apropos Fake-News: Die Verkündung der ersten Stufe des „Lockdowns“ erfolgte ganze zwei Tage später. Klar ist: Wer so vorgeht, der darf sich über das Aufkommen von Verschwörungstheorien später nicht wundern. Es entsteht der Eindruck, unsere Regierung versorge uns gezielt mit Fehlinformationen und fordere die Bevölkerung noch dazu auf, der Wahrheit entschlossen entgegenzutreten, während hinter den Kulissen eine elitäre Clique ganz andere Pläne verfolgt. Keine gute Strategie, wenn man auf das Vertrauen der Bevölkerung baut. Genau diese Verhaltensweisen geben Verschwörungstheorien den maximalen Schub. Sollte der Gesundheitsminister tatsächlich nichts über die bevorstehenden Maßnahmen gewusst haben, wäre auch das keine Verbesserung. Schlimmer noch, es würde bedeuten, dass selbst in höchsten Regierungskreisen die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Ob nun gelogen oder schlicht chaotisch - Souveränität geht jedenfalls anders. Weil es gerade gut passt, eine kleine Anekdote am Rande: Einen Tag vor besagtem Posting rief mich ein Freund an, der gerade am Monatsersten eine neue Stelle angetreten hatte. Er hatte – natürlich am Freitag dem 13. – einen Anruf seines Chefs bekommen. Dieser kündigte ihm den Zugang der Kündigung innerhalb der Probezeit an. Tatsächlich fand er diese am nächsten Tag in seinem Briefkasten. Der genannte Grund: In einer Telefonkonferenz mit den Top-Managern des Unternehmens erklärten diese unter Berufung auf ihre guten Kontakte zu hochrangigen politischen Kreisen, spätestens ab dem kommenden Dienstag würden tiefgreifende Einschränkungen des täglichen Lebens, darunter auch viele Geschäftsschließungen wirksam werden. Daher solle man sich von Mitarbeitern in der Probezeit schnellstmöglich trennen, da auch die eigenen Betriebsabläufe hierdurch in Mitleidenschaft gezogen würden. Und so geschah es. Die Zusage seines Chefs, ihn wieder einzustellen, wenn „der Spuk vorbei“ sei, tröstete ihn wenig. Ich bekam also von meinem Freund eine zuverlässigere Information als von unserem Gesundheitsministerium.
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Sie erkennen hier wunderbar die drei Phasen der Nutzlosigkeit: Verpennen, vergeigen, Verantwortung abstreiten. Abschließend kommen wir zu dem Ergebnis: Wir wuschen uns oft die Hände in dieser Zeit – und am liebsten in Unschuld.
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Dem Bürger wurde konkret geraten, die wichtigsten Sicherheitsvorkehrungen nicht zu treffen. Sie finden diese Darstellung übertrieben? Hier ein paar ganz konkrete Beispiele. Betrachten wir dazu eine unter anderem auf dem Facebook-Profil von Jens Spahn verbreitete Videobotschaft des Bundesministeriums für Gesundheit vom 03. März. Zu Wort kommt Frau Prof. Dr. Petra Gastmeier, Direktorin am Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité in Berlin zum Thema: „Wie kann ich mich vor dem Coronavirus schützen?“ In dieser Position sollte man eine zuverlässige Expertise zum Thema Schutzmasken bzw. Mund-Nasen-Schutz abgeben können, sollte man meinen. Und so lautet auch eine der eingeblendeten Fragen: „Brauche ich jetzt einen Mundschutz?“ Zitat aus der Videobotschaft: „Einen Mundschutz zu tragen macht nur Sinn für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, weil die haben ja den engen Kontakt zu den Patienten und müssen sich schützen und es macht auch Sinn, dass ein Patient, der selbst erkrankt ist, eine Maske trägt, wenn er zum Beispiel vom Ort A zum Ort B laufen muss. Es macht keinen Sinn für nicht infizierte Patienten oder Personen in der Bevölkerung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Da hat sich keinerlei Vorteil in Studien für gezeigt.“ Überhaupt darf man an dieser Stelle die Frage aufwerfen, weshalb beim Thema Schutzmasken immer wieder erklärt wurde, deren Wirksamkeit sei nicht erwiesen. Wir sprechen hier wohlgemerkt nicht von der Mondlandung, sondern von einem Hilfsmittel, das Ärzte und medizinisches Personal seit über hundert Jahren verwenden. Gravitationswellen haben wir also durch eine Längenänderung von einem Tausendstel Protonenradius nachgewiesen, aber die Wirkung eines Tuchs vor dem Mund ist nach wie vor ungeklärt. Wir müssen anerkennen, dass wir über Schwarze Löcher scheinbar mehr wissen als über einen Mundschutz für 99 Cent. Es stellt sich die Frage, was wir in den letzten 17 Jahren seit SARS eigentlich getrieben haben. Einige Wochen später erreicht uns die Nachricht, Professor Yuen Kwok-yung aus Hongkong habe die Wirksamkeit von Masken durch einen Versuch mit Hamstern nachgewiesen. Nun, wir hamstern stattdessen Toilettenpapier, so hat eben jeder unterschiedliche Prioritäten. Das Video enthält auch eine Empfehlung zum Thema Großveranstaltungen. Eingeblendete Frage: „Sollte ich Menschenmengen meiden?“ Die Professorin antwortet wie folgt: „Ich denke, es hängt davon ab, um was es für eine Art Veranstaltung geht und wie die Veranstaltung organisiert ist, welche Personen da sind, wie eng die Personen sozusagen auf dem – auf dem Raum dort sind und dann muss man sich natürlich anschauen: Gehör\\\\\\\\\\\\\\\' ich zur Risikogruppe oder gehör\\\\\\\\\\\\\\\' ich nicht zur Risikogruppe. Patienten die älter sind, Patienten die Lungenerkrankungen haben, sollten eher große Veranstaltungen meiden, vor allen Dingen, wenn die Menschen dort sehr eng gedrängt sind.“ Unser gesunder Menschenverstand fragt sich zunächst einmal, was die Formulierung „welche Personen da sind“ eigentlich zu bedeuten hat. Vermutlich sollte man zunächst anrufen und sich erkundigen, ob es sich um eine Veranstaltung handelt, an der infizierte Menschen teilnehmen. Wie auch immer, Risikopatienten sollten eher vorsichtig sein und fernbleiben. Nun, diesen Tipp hätten Sie von jedem bekommen können. Aber abgesehen davon, dass hier etliche Risikogruppen gar nicht erwähnt werden, ist es doch äußerst erstaunlich, dass eine Expertin hier offenbar keinen Millimeter über den Tellerrand hinaus denkt. Die Pandemie breitet sich selbstverständlich nicht vorwiegend durch Risikopatienten aus. Die Ausbreitung bekommt den größten Schub durch diejenigen, die nicht einmal Symptome bekommen. Davon ist jedoch überhaupt keine Rede. Wohlgemerkt, es ist das Gesundheitsministerium, das diese Botschaft verbreitet. Am Tage vor dieser Message verzeichnete die WHO in Deutschland 158 nachgewiesene Infektionen. Drei Tage nach dem Datum des Videos waren es 639, also mehr als vier mal so viele, 14 Tage nach der Videobotschaft mehr als siebentausend Fälle. Zufall? Höhere Gewalt? Wohl eher nicht. Unser Verstand sagt uns, dass dies bei dieser Qualität von Sicherheitshinweisen nicht einmal überraschend ist. Zwanzig Tage später – die WHO verzeichnet knapp 25.000 Fälle in Deutschland – wird es bei empfindlichen Bußgeldern verboten sein, dass sich mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit zusammenfinden. Eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung.
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Das oben genannte Beispiel war nicht das einzige und auch nicht das erste Mal, dass das Tragen von Masken von offizieller Seite aktiv für unnütz erklärt wurde. Bereits im Rahmen einer Bundespressekonferenz am 02.03.2020 tätigte Jens Spahn die Aussage: „Es braucht nicht jeder eine Maske zu Hause.“ Und verwies in dieser Frage auch auf Frau Prof. Gastmeier, die sich im Verlauf dieser PK wie folgt äußerte: „Was die Maske betrifft: Mitarbeiter im Gesundheitswesen brauchen eine Maske, um sich zu schützen im Kontakt zu den Patienten. Aber es macht keinen Sinn, dass wir alle hier mit Masken rumlaufen. Das hilft nicht, das hat sich ja auch in Japan oder in China, wo das ja weit verbreitet ist, gezeigt, dass das nicht der richtige Weg ist.“ Unter anderem an dieser PK beteiligt: Gesundheitsminister Jens Spahn, RKI-Präsident Prof. Lothar Wieler, Prof. Christian Drosten und Prof. Petra Gastmeier. In einer Pressekonferenz vom am 11.03.2020 erklärt der Bundesgesundheitsminister erneut: „...und auch der klassische OP-Mundschutz, den viele tragen, schützt sehr überschaubar, um es so zu formulieren, ist auch gar nicht notwendig, wenn man sich an die Regeln hält, die ich vorhin mit Blick auf Atemwegserkrankungen beschrieben habe.“ Neben Herrn Spahn bei dieser Pressekonferenz anwesend: Kanzlerin Angela Merkel und RKI-Präsident Wieler. Klar wird: Unser Bundesgesundheitsminister persönlich und die allermeisten der von staatlicher Seite vorgestellten Experten gaben ganz konkret falsche Handlungsanweisungen und verhinderten aktiv die Bekämpfung der Krise. Dafür erhielten diese Personen in dieser Zeit Gehälter, von denen ein Normalbürger keine Vorstellung hat – was vielleicht auch besser ist. Wenn später gebetsmühlenartig auf die Lebensgefährlichkeit von Verschwörungstheorien verwiesen wurde, weil diese Menschen zu falschen und fahrlässigen Handlungen motivieren würden, kommt man um die Feststellung nicht umhin, dass selbiges auch für die offiziellen Verlautbarungen dieser Tage galt.
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Japan ist der beste Beweis dafür, dass sich ein angeordneter Lockdown möglicherweise vollständig hätte vermeiden lassen, wenn nur frühzeitig die Verhaltensregeln umgesetzt worden wären, die in Japan ohnehin zum Alltag gehören. Es ist der ultimative Beweis für die höchst effektive Wirkung von Abstand und Maskennutzung. Und so erschließt es sich, dass Deutschland in allen Bereichen ca. 10 mal schlechter abschneidet als Japan, obwohl die Japaner im Grunde ein wesentlich größeres Risiko trugen als wir. Keine wissenschaftliche Studie der Welt wird jemals so fundierte Erkenntnisse über diese Zusammenhänge liefern wie die Erfahrungswerte aus diesen Ländern. Und diese Erfahrungswerte gibt es nicht erst seit der Corona-Krise, sondern bereits seit beinahe zwanzig Jahren. Doch unsere Politiker, etliche Virologen und andere Mediziner preschten vor, gaben sich als seriöse Quelle aus und erklärten unserer Bevölkerung, all diese einfachen, fast kostenneutralen Maßnahmen seien purer Aberglaube. Selbst das RKI hatte hier keine wirklich verwertbaren Erkenntnisse über das, was in halb Asien als Allgemeinwissen eines Schulkindes betrachtet wird. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich in diesem Zusammenhang hin und wieder wiederhole, ich halte es da mit Albert Einstein, der 1916 formulierte: „Im Interesse der Deutlichkeit erschien es mir unvermeidlich, mich oft zu wiederholen, ohne auf die Eleganz der Darstellung die geringste Rücksicht zu nehmen“. Dass staatlich finanzierte Institute, Spezialisten und Experten, ja selbst der gigantische Apparat des Gesundheitsministeriums mit dieser Betrachtung überfordert waren, wirft die Frage auf, was in den gesamten letzten knapp 20 Jahren so wichtig gewesen sein kann, dass man nicht einmal zur Kenntnis genommen hat, was ein Viertel der Weltbevölkerung in der Grundschule beigebracht bekommt.
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Sicherlich möchten wir alle schnell wieder in die Normalität zurück. Wenn wir es jedoch übertreiben, kann das genaue Gegenteil dabei herauskommen. Wenn Sie ein Haus bauen, dann beginnen Sie üblicherweise mit dem Fundament, bevor Sie anfangen können, Wände in die Höhe zu ziehen. Das mag langweilig aussehen, ist jedoch Bedingung dafür, dass Ihr Häuschen nicht irgendwann im Boden versinkt oder plump umfällt. Wenn Sie jetzt aus blindem Aktionismus und weil Sie es einfach nicht abwarten mögen, beginnen, Wände hochzuziehen, bevor Ihr Fundament fertig ist, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass Ihr Haus einen Totalschaden erleidet. Das aber ist es, was viele nun einfordern. Der genannte Grund – die angeblich beseitigte Gefahr – ist eine Illusion. Die Gefahr ist sogar wesentlich größer als zu Beginn der ersten Infektionswelle. Nun, so heißt es oft, wir hätten gelernt, diese Gefahr zu kontrollieren. Das stimmt. Und zwar durch die Maßnahmen, die eben jene wieder abschaffen möchten, die es nicht abwarten wollen, bis die Zeit dafür gekommen ist. Sie behaupten, die Kontrolle zu haben, plädieren aber gleichzeitig dafür, genau die Mechanismen, die diese Kontrolle ermöglichen, abzuschaffen. Worin dann noch die Kontrolle bestehen soll, bleibt ihr Geheimnis. Die Wahrheit ist: Dann geben wir jegliche Kontrolle wieder aus der Hand. Es wird dann zur Glückssache, über deren Ausgang wir nur spekulieren können. Geht der Versuch gut, werden diejenigen, die dafür plädierten, die Lorbeeren einheimsen – für pures Glück. Haben wir in dieser Lotterie Pech und hat das Vorgehen die nächsten 8.000 Todesfälle zur Folge, werden diese Personen jedoch jegliche Verantwortung von sich weisen und behaupten, das alles hätte niemand ahnen können – selbst diejenigen, die sich gegen die Aufhebung von Einschränkungen aussprachen, hätten ja nur Mutmaßungen angestellt. Und wir erinnern uns wieder an unsere Feststellung aus dem Vorwort: Mut zu Kollateralschäden ist salonfähig geworden. Die Wahrheit ist, es handelt sich um ein pures Glücksspiel. Geht dieses Experiment schief, war das enorme Risiko schon im Vorfeld eindeutig bekannt. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher – ich glaube, es war Prof. Hans-Peter Dürr, Physiker und einer der mit Abstand größten Denker der jüngeren Vergangenheit, der einmal sinngemäß erklärte, ein Risiko sei etwas, was eine Zukunft beschreibe, die wir nicht haben wollen. Ich glaube, treffender kann man es nicht zum Ausdruck bringen.
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Derzeit bekommen wir die Quittung für das Versagen unseres Krisenmanagements und das lässt sich weder wegdiskutieren noch wegignorieren. Dieselben Fehler nun kurze Zeit später erneut zu machen, spricht nicht für einen Lerneffekt. Fassen wir also nochmals kurz zusammen, was wir nun wissen: Wir wissen, dass es im Grunde die drei einfachsten Maßnahmen im Zusammenspiel sind, die flächendeckend erfolgreich waren, nämlich Kontaktbeschränkungen, Schutzmasken und Abstandsregelungen. Wir wissen, mit diesen Maßnahmen haben wir eine rückläufige Entwicklung der Pandemie, ohne sie eine exponentiell ansteigende. Und wir wissen, dass die derzeitige Anzahl von Infektionsfällen in unserem Land sehr viel höher liegt als in der Situation, von der die erste Infektionswelle ausging. Die Entspannung, die wir mit einem Billionen-Euro-Betrag bezahlten, nun aus purer Ungeduld aufs Spiel zu setzen, ist eine Wette auf Bestehen oder Untergang unserer gesamten Wirtschaft. Nur um ein paar Tage früher starten zu können, die spätestens in einem Jahr niemandem mehr einen merklichen Vorteil bringen, setzen wir den gesamten Erfolg wieder auf eine Karte, Chance: 50/50. Wenn diese Wette schiefgeht, werden wir alle lange Zeit dafür bezahlen müssen.
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Ausgerechnet der Shooting Star der Medien sprang dem Minister hier zur Seite. In Folge 14 des NDR „Coronavirusupdate“ erklärt Prof. Drosten, Schuldzuweisungen aufgrund der nicht erfolgten Karnevalsabsage seien verfehlt. Es habe ja zu jenem Zeitpunkt gar keine Fälle gegeben. Deshalb sei diese Logik ihm zu einfach. Eine spannende Sichtweise, wenn ein renommierter Wissenschaftler offensichtliche Kausalität als „zu einfach“ bezeichnet. Tatsächlich wäre den Verantwortlichen jetzt mit ein bisschen Verkomplizierung und Komplexität geholfen. Bedauerlicherweise lässt sich diese nicht einmal mutwillig konstruieren. Wenn derart offensichtliche Fehlentscheidungen getroffen und bereits zwei Tage später erkennbar werden, dann ist die Lösung eben einfach. Sehr einfach. Vielleicht kennen Sie diese Verteidigungsstrategie daher, wenn Sie einen Fünfjährigen eine Minute allein im Wohnzimmer lassen. Sie hören ein Klirren, ein Scheppern, Sie schauen um die Ecke und vor Ihnen steht ein Kind mit einem Scherbenhaufen vor seinen Füßen, der vor einer Minute noch eine recht teure Vase war und spricht voller Überzeugung die Worte: „Das war ich nicht!“ Da bleibt nur eine logische Erklärung: Wir müssen es mit einem paranormalen Phänomen zu tun haben. Ebenso interessant ist es, dass der Virologe sich hier schützend vor die Entscheidungen der Politik stellt, hatte er doch stets beteuert, die Wissenschaft könne nur die Grundlagen für politische Entscheidungen bereitstellen, die Entscheidungen daraus abzuleiten, sei rein Angelegenheit der politisch Verantwortlichen, nicht die der Virologen. Nun möge jeder seinen gesunden Menschenverstand befragen und sich selbst überlegen, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, bei einer Bevölkerung von rund 83 Millionen Menschen, die in Ermangelung von Reisebeschränkungen jederzeit unkontrolliert an Corona-Hotspots und wieder zurück reisen konnten, tatsächlich „gar keine Fälle“ zu haben. Tatsächlich spricht Prof. Drosten auch das Vorhandensein einer Dunkelziffer an, entkräftet dies jedoch gleich mit dem Einwand, es sei gleichgültig, womit man null multipliziere, das Ergebnis sei immer null. Wie wir wissen, entsprach die Null nicht der Realität. Und wie uns unser gesunder Menschenverstand sagt, konnte man das durchaus wissen, selbst wenn die Fälle nicht offiziell bekannt waren. Wenn Sie von der Existenz einer Dunkelziffer ausgehen und die Gleichung auf Ihrem Papier vorsieht, die tatsächlich ermittelte Zahl mit einem bestimmten Faktor zu multiplizieren, um die Dunkelziffer zu ermitteln, dann erhalten Sie tatsächlich in diesem Fall immer das Resultat null. Hier sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass bei dieser Datenlage die Zahl der Dunkelziffer in absoluten Zahlen geschätzt und zur Null addiert werden muss. Natürlich bringt es nichts, wenn Sie beispielsweise in Ihr Portemonnaie schauen und überhaupt kein Geld darin finden, sich vorzustellen, wenn Sie nun bei Ebay ein paar Dinge verkaufen würden, könnten Sie morgen das Dreifache besitzen. Wenn Sie so rechnen, werden Sie, einmal bei null angekommen, nie wieder etwas besitzen. Eine solche Rechnung ist vollständig sinnfrei. Doch die Entscheidungen wurden ohne gesunden Menschenverstand gefällt. So fällt mir ein Zitat eines Professors für die Ausbildung von Bauingenieuren ein, der seine Studenten ermahnte, ihre Berechnungen immer auch mit dem gesunden Menschenverstand zu überprüfen, denn: „Man kann sich niemals so verschätzen, wie man sich verrechnen kann.“
Deutschland in der Corona-Krise: Corona Helau! - Juni 2020