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Krimis & Thriller
Buch Leseprobe Tödliche Passage, R.E. McDermott
R.E. McDermott

Tödliche Passage


Buch 1 der Tom Dugan-Thriller

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„Kein Problem, Alex, aber ich wollte noch etwas mit dir besprechen. Ich glaube, ich bin bereit dein Angebot anzunehmen und Vollzeit für dich zu arbeiten.”


Alex saß wie versteinert da. Thomas durfte nicht kommen. Nicht jetzt. Falls er spürte, dass etwas nicht stimmte, und er sich an die Behörden werden würde …


„Alex, bist du noch dran?”


„Ja, ja, Thomas. Ich bin einfach …  überrascht. Warum der Sinneswandel nach all diesen Jahren? Meinst du es ernst? Was ist mit deiner Beraterfirma?”


„So ernst wie eine Herzattacke”, scherzte Dugan. „Ich denke, du hast mich endlich davon überzeugt, dass ich mehr Zeit hinter dem Schreibtisch verbringen sollte. Und da ich dir sowieso siebzig Prozent meiner Rechnungen zuschicke, mache ich mir um die Beratungsfirma keine Sorgen. Falls es nicht funktionieren sollte, machen wir eben einfach so weiter wie bisher. Du weißt ja, dass Geld, dank Katys finanzieller Zauberei, für mich kein Thema mehr ist.”


„Was ist mit Katy?”, fragte Alex nach. „Wird sie nicht verletzt sein, wenn du nach London ziehst?”


Dugan lachte. „Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht, Alex, ich bin sowieso die meiste Zeit unterwegs, und nur weil meine kleine Schwester mich zwischen meinen Reisen in ihrem Poolhaus übernachten lässt, bedeutet das nicht, dass mich jemand arg vermissen wird. Zu den Feiertagen komme ich ja weiter heim, was ungefähr so oft ist, wie sie mich auch jetzt sehen.” Dugan hielt inne. „Wieso all diese Einwände? Versuchst du mir nun das auszureden, wovon du mich die letzten zehn Jahre überzeugen wolltest?”


„Nein, nein, keineswegs. Es kam nur unerwartet, und der Zeitpunkt ist etwas … ungünstig. Ich habe gerade jemanden als Produktionsleiter eingestellt, mit der Abmachung, dass er früher oder später in eine neue Geschäftsführerposition aufsteigen wird“, log Alex spontan. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du es dir doch noch überlegen wirst, aber wenn ich dich jetzt als Geschäftsführer einbringe, wird er es als Vertrauensbruch verstehen.”


„Das kann ich verstehen, Alex. Wie wäre es damit? Es macht mir nichts aus, um die Geschäftsführerposition zu konkurrieren. Warum stellst du mich nicht zur Probe in einer gleichwertigen Position ein, sagen wir, als Leiter der Ingenieurabteilung. Und nach einer Weile entscheidest du dann, wer von uns beiden der Geeignetere ist. Falls ich mich später entschließen sollte, wieder zu gehen, bleibt dir immer noch der Neue. Falls wir uns entscheiden, dass ich weitermachen soll, hast du die Wahl. Eine Kündigung wird mir später keine Probleme bereiten, sollte sie notwendig werden.”


Diese Logik war unantastbar. Alex hielt ihn weiter hin.


„Du hast mich wirklich überrascht, Thomas. Kann ich dich zurückrufen?”


„Sicher, Alex”, antwortete Dugan, „lass dir Zeit.”


„Gut, Thomas. Bis bald.”


Alex Kairouz legte auf und vergrub das Gesicht in seinen Händen.


***


“Captain Braun, Mr Kairouz darf nicht gestört werden”, rief ihm Mrs Coutts hinterher.


Braun stand in der Tür zu Alex’ Büro, die Hand am Griff, und starrte sie verärgert über die Schulter hinweg an.


Mrs Coutts warf Alex einen Blick hilfloser Entschuldigung zu.


„Schon in Ordnung, Mrs Coutts”, beruhigte Alex sie.


Sie nickte und kehrte wieder an ihren Schreibtisch zurück.


Braun schloss die Tür und machte es sich in Alex’ Lieblingssessel bequem.


„Sie sollten die alte Kuh loswerden, Kairouz, und jemanden anheuern, der sich sehen lassen kann”, sagte er und zeigte auf die Couch. „Aber setzten Sie sich. Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.”


Alex stand auf, starr vor Zorn. „Ich kooperiere, Braun, also lassen Sie meine Angestellten in Ruhe. Verstanden?”


„Das ist Captain Braun für Sie, und Sie kooperieren nicht, sonst würde die alte Zicke sich nicht einmischen. Wenn sie nicht vorsichtig ist, wird sie einen Unfall haben. Haben Sie das verstanden? Und jetzt setzen Sie sich endlich.” Braun zeigte erneut auf das Sofa.


Geschlagen folgte Alex der Anweisung.


„Okay”, erkundigte sich Braun, „wer ist dieser Amerikaner?”


„Thomas Dugan, ein Berater und Freund von mir. Ich werde ihn abwimmeln.”


„Wird ihn das nach seinem recht logischen Vorschlag nicht skeptisch machen?”


„Vielleicht”, gab Alex zu, „aber ich kann ihn solange hinhalten, bis sie, was immer sie planen, erledigt haben und wieder verschwunden sind.”


Braun schüttelte den Kopf. „ Nein. Ich will nicht, dass ein neugieriger Yankee anfängt, Fragen zu stellen. Besser, ihn in der Nähe zu haben und ihn zu beobachten. Außerdem könnte er sich vielleicht als hilfreich erweisen.”


„Ich werde ihn abwimmeln”, wiederholte Alex.


„Ganz im Gegenteil”, wies ihn Braun mit harter Stimme an, „bieten Sie ihm einen Job an. Mit sofortiger Wirkung.”


„Nein. Es ist am besten, ihn fernzuhalten.”


Braun seufzte. „Wie ermüdend.”


Er stand vom Stuhl auf, griff sich Cassies Foto vom Schreibtisch und warf es Alex in den Schoß. Alex stellte das Foto auf den Ecktisch und starrte vor sich hin.


„Zeit, Ihre Erinnerung aufzufrischen, Kairouz? Sollen wir uns die Videos noch mal ansehen?” Braun hielt inne. „Sie sieht wirklich wie Ihre tote Frau aus. Vielleicht haben Sie ja schon mit ihrer Erziehung begonnen? Sich den Spasti ins Bett geholt, was, Kairouz? Ich könnte Ihnen behilflich sein. Sie von einem Dutzend stattlicher Männer einreiten lassen, während Sie zusehen. Klingt das gut?” Braun lachte und wartete auf die vorhersehbare Reaktion.


Alex stürzte auf ihn zu, aber Braun war jünger, fitter und besser trainiert. Innerhalb weniger Sekunden lag Alex auf dem Boden, der rechte Arm hinter seinem Rücken verdreht, sein Gesicht ins den Teppich gepresst.


„Diese Lektionen fangen an, mich zu nerven, Kairouz. Sobald Sie sich das nächste Mal querstellen, wird Farley den Spasti vor ihren Augen vergewaltigen, als eine Art Vorschuss. Verstanden?”


Alex nickte und Braun ließ von ihm ab. „Gut. Und jetzt rufen Sie Dugan an.” Er lachte höhnisch. „Aber erst, nachdem Sie sich wieder unter Kontrolle haben, Sie Jammerlappen.”


Alex hörte bewegungslos zu, wie Braun den Raum verließ. Tränen impotenten Zorns nässten den Teppich.


 


US Botschaft


Singapur


 


„Großartig, Alex”, sagte Dugan. „Ich werde Mrs Coutts meine Fluginformationen zukommen lassen. Kann ich wie gewöhnlich bei dir bleiben, bis ich eine eigene Bleibe gefunden habe?”


„Natürlich, Thomas. Cassie wird sich freuen.”


„Ich freue mich auch darauf, euch alle wiederzusehen. Bis bald”, verabschiedete sich Dugan.


Es saß so lange schweigend da, bis Ward ihn endlich ansprach.


„Was halten Sie von der Sache, Tom?”


„Ich weiß es nicht. Er … in letzter Zeit verhielt er sich schon etwas merkwürdig, und ganz offensichtlich ist er weniger enthusiastisch, als ich es erwartet hatte.”


„Genau, irgendetwas stimmt da nicht, das ist sicher”, bestätigte Ward.


Dugan antwortete nicht.


„Haben Sie es sich anders überlegt?”


„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich schaffe, Jesse. Ich habe zwar einige Fotos für Sie gemacht und ein wenig für Sie rumgeschnüffelt, aber ich bin kein Spion, und in den werde ich mich auch garantiert in vierundzwanzig Stunden nicht verwandeln.”


„Keine Sorge. Die Briten werden Sie unterstützen. MI5 stellt gerade ein Team zusammen.”


„Ich hoffe nur, Sie wissen, wovon Sie reden, mein Freund”, seufzte Dugan.


 


Die Büros der Phoenix Schifffahrtsgesellschaft


London


 


Karl Enrique Braun, freiberuflicher “Problemlöser”, ehemaliger Mitarbeiter des ostdeutschen Staatssicherheitsministeriums, auch Stasi genannt, kehrte in sein großzügiges, neues Büro zurück, dem ehemaligen Arbeitsplatz dreier verärgerter Schiffsinspektoren, die sich im Großraumbüro wiedergefunden hatten. Dank seiner neuen, auf die Phoenix Schifffahrtsgesellschaft ausgestellten Kreditkarte gerade von einem ausgezeichneten Mittagessen zurück, lächelte er beim Anblick des Schildes an seiner Tür: Captain Braun — Produktionsleiter. Der „Captain”-Zusatz machte sich gut und war, genau wie sein Name, frei erfunden.


Im Dienst des ostdeutschen Staates hatte er viele Identitäten angenommen. Und als das Ende bevorstand, hatte er es klarer als seine ehemaligen Kollegen vorhergesehen und war nur Stunden nach dem Fall der Mauer in Havanna eingetroffen. Das kubanische Ministerium des Inneren (MININT) war ein Zwilling des Stasi und immer auf der Suche nach Talenten, insbesondere nach Talenten, die fließend Spanisch sprachen oder einen kubanischen Hintergrund hatten. Er berührte sein Gesicht. Die Kubaner verfügten über ausgezeichnete Schönheitschirurgen.


Sein nordisch gutes Aussehen und seine beinahe muttersprachliche Beherrschung von einem halben Dutzend Sprachen stellten für die Kubaner einen unkalkulierbaren Wert dar, den er zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen wusste. Er begann als „Berater” und verdingte sich später unter dem Schutz der Kubaner als Freiberufler, im Austausch gegen die Weitergabe geheimdienstlicher Informationen.


Mittlerweile ein überzeugter Kapitalist, arbeitete er für jeden der sich seinen Preis leisten konnte, von Drogenzaren bis hin zu afrikanischen Diktatoren.


Seine bislang besten Klienten waren lateinamerikanische Demagogen, Verfechter eines gescheiterten Modells, die die Stimmen der Armen mit Versprechungen kauften, die keine Wirtschaft realisieren konnte, insbesondere nicht die verpfuschte Wirtschaft des Neo-Sozialismus.


Braun lächelte erneut. Aber kein Klient war so nachgiebig und blind dem Honorar gegenüber wie dieser Idiot Rodriguez in Venezuela. Es wäre zu schade, diesen Goldesel zu verlieren, falls es nötig werden sollte, ihn aus Schadenskontrollgründen zu opfern. Andererseits hatten sich die Iraner mehr als großzügig erwiesen und verdienten seinen Feuerschutz. Braun sah einem äußerst angenehmen Ruhestand entgegen. 


Er machte es sich hinter seinem Schreibtisch bequem und überdachte die neuesten Entwicklungen. Es gefiel ihm nicht, dass dieser Amerikaner sich bei Kairouz einnistete, aber das war offensichtlich ein seit langem bestehendes Arrangement; diese Routine sollte beibehalten werden. Außerdem war  Kairouz vollkommen eingeschüchtert und dieser Dugan war ein weiterer Amerikaner, den er ins Spiel bringen konnte, um die ganze Sache noch glaubhafter zu machen.   


Er wartete nur darauf, zum Schlachter geführt zu werden. Braun konnte sein Glück kaum fassen.


 


Kapitel Sechs


Das Haus des Islamischen Wissens


Dearborn, Michigan


27. Mai


 


Mohammad Borqei stand auf und streckte sich, um die Steifheit seiner alten Granatsplitterwunde zu lockern. Amerikanische Granatsplitter, da der Große Satan Saddam großzügig mit Hilfe unterstützt hatte, während dieser Irre Iraner umbrachte. Borqei schluckte seinen Zorn. Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und sah sich die Nachricht aus Teheran erneut an.


Beim Gedanken an den Iran überflog sein bärtiges Gesicht ein wehmütiges Lächeln, seine Heimat, die er nie wiedersehen würde. Es hatte Jahre gedauert, seine „Legende” als moderater Muslim zu kreieren, Meinungen, die er verabscheute, in Moscheen in ganz Teheran von sich zu geben, und dabei die Feindschaft seiner Kollegen zu ertragen, um schließlich wegen aufwieglerischer Tätigkeiten eingekerkert zu werden. Dann war er über Kanada in die USA „entkommen”, und die einfältigen Amerikaner hatten das Trojanische Pferd durchs Tor gezogen.


Aufgrund der dort ansässigen großen muslimischen Gemeinde hatte er sich in Dearborn niedergelassen, war in interreligiösen Gruppen tätig und predigte Toleranz. Als der Imam des Haus’ des Islamischen Wissens bei einem Autounfall ums Leben kam, fiel die Wahl der Führung der wichtigsten Moschee der Gemeinschaft logischerweise auf ihn. Der lokale Kongressabgeordnete, der islamische Wählerstimmen zählen konnte, beschleunigte die Genehmigung von Borqeis Antrag auf Staatsbürgerschaft und stand lächelnd neben ihm, als er den Eid leistete. Tatsächlich war Borqeis öffentliche „Eingliederung” so überzeugend, dass sie seine Mission unterminierte. Der innere Kreis seiner Getreuen war klein und widersetzte sich allen Bemühungen der Erweiterung.


Denn trotz des Zynismus hinsichtlich der amerikanischen Ideale in Predigt und Praxis, waren die Muslime von Dearborn optimistisch. Konflikte mit ihren „echten” amerikanischen Nachbarn gab es häufig, die wurden aber mit Worten gelöst und nicht durch steinwerfende, unkontrollierbare Meuten oder durch Selbstmordattentäter. Jeder widerwillige Kompromiss stellte einen kleinen Sieg dar. Ihre Söhne spielten amerikanischen Football und aßen Halal-Pizza, während sich ihre Eltern ein neues Leben aufbauten, viel besser als das, das sie zurückgelassen hatten.


Borqei war dieser Widerspruch bewusst. Sein Bedarf an „angepassten” Amerikanern konnte von auf amerikanischem Boden aufgewachsenen Muslimen nie erfüllt werden. Die waren rettungslos korrumpiert. Die Hezbollah war ihm zur Hilfe gekommen und hatte für ihn Flüchtlingslager nach Waisen durchforstet. Während die im Iran trainierten, bereitete Borqei den Boden vor, half den Anhängern seines inneren Kreises ihre Staatsbürgerschaft zu erlangen, die ihnen mittels des Kindereinbürgerungsgesetzes wiederum erlaubte, „im Ausland geborene Kinder” zu adoptieren, ohne Ausnahme alles Absolventen des Hezbollahtraining. Diese Kinder erschienen dann, verpflichtet dem Islam zu dienen, indem sie ihr Äußeres mehr und mehr amerikanisierten. Er hatte nun bereits ein Dutzend, und der erste war der beste von allen.


Yousif Nassir Hamad, oder „Joe” Hamad, stand kurz vor seinem Universitätsabschluss mit Auszeichnung, finanziert über ein US Navy ROTC Stipendium. Dank seiner Arabischkenntnisse war er heißbegehrt, und gemeinsam mit Borqei hatte er analysiert, wo er innerhalb der Navy dem Islam am besten dienen konnte. Diese Entscheidung war nun für sie getroffen worden. Missfallend sah Borqei sich die Nachricht an. 


 


Die Kairouz Residenz


London


28. Mai


 


„Nein!”, schrie Cassie widerspenstig und warf die Haarschleife auf den Tisch. „Diese idiotische Uniform ist schon schlimm genug. Bitte Papa, sag ihr, dass ich die nicht tragen muss.”


Alex sah über seine Tasse hinweg die Haarschleife an. Er erinnerte sich an Cassies Entzücken, als Mrs Farnsworth sie ihr damals gemacht hatte. Seit Cassie mit ihren fünfzehn Jahren zwischen ihrem physischen und ihrem mentalen Alter rang, hatten sich die Auseinandersetzungen gehäuft — schwer für Cassie, aber noch weit schwieriger für Mrs Farnsworth.


„Cassie, die Schleife macht dich noch hübscher”, argumentierte er.


„Ich hasse sie, ich hasse sie”, murmelte Cassie in ihr Müsli.


„Cassie”, tadelte Mrs Farnsworth, „eine gut erzogene junge Dame murrt nicht. Die Menschen reagieren auf Höflichkeit, nicht auf Launenhaftigkeit oder zornige Forderungen. Möchtest du mich noch einmal um etwas bitten, junge Dame?”


Alex versteifte sich. Die gut-erzogene-junge-Dame Kampagne fiel ihm schwer, aber Mrs Farnsworth bestand darauf, dass wiederholte Herausforderungen Cassies Fähigkeiten verbessern konnten. Theoretisch hatte er dies akzeptiert, aber es war ihm unmöglich, zu Cassie Unbehagen beizutragen. Er hielt seine Zunge im Zaum und überließ Mrs Farnsworth die Korrektur. Glücklicherweise war sie aus härterem Holz als er geschnitzt.


Mrs Farnsworth, muss ich sie tragen?”, erkundigte sich Cassie kaum hörbar.


„Nicht, wenn du das nicht möchtest”, erwiderte ihr Mrs Farnsworth. „Und jetzt geh nach oben, um dich zu kämmen. Es ist beinahe Zeit zu gehen.”


„Oh danke, danke”, rief Cassie aus und stürzte aus der Tür. Mitten im Lauf hielt sie inne und drehte sich um.  „Ach ja. Beinahe hätte ich es vergessen. Wann kommt Onkel Thomas an, Papa?”


Alex lächelte. „Heute Abend, Cassie. Er wird mit uns zu Abend essen.”


„Cool”, freute sich Cassie und schoss durch die Tür.


„Kein wildes …”, rief Mrs Farnsworth hinter Cassies davoneilendem Rücken her.  „… Rennen!”


Alex schmunzelte. „Ein wenig zu spät, fürchte ich.”


Mrs Farnsworth lächelte. „Sie entwickelt sich sehr gut.”


„Sie hatten diesen Ausbruch erwartet?”


Die Haushälterin nickte. „Selbstbehauptung. Ist Ihnen aufgefallen, wie sie versucht hat, uns gegeneinander auszuspielen? Ein gutes Zeichen.”


Alex akzeptierte ihre Einschätzung. Sie kümmerte sich schon seit Cassies Kleinkindertagen um seine Tochter. Die Regale in ihrem Schlafzimmer waren überladen mit Büchern über Kindesentwicklung, besonderen Förderbedarf und Techniken der Heilpädagogik. Oft sah er sie durch ihre offene Zimmertür geheimnisvolle Schwarten wälzen.


Er seufzte. „Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Sache ist, Unschuld durch Manipulation zu ersetzen.”


„Im Streben nach ihrer Unabhängigkeit ist der Verlust der Unschuld unvermeidlich, Sir. Wir werden nicht ewig für sie da sein können.”


Alex nickte, und beide nippten schweigend an ihrem Kaffee. Mrs Farnsworth schien etwas auf dem Herzen zu haben, setzte mehrere Male zum Sprechen an, sah dann aber weiter in ihre Tasse.


„Der Kaffee ist wirklich nicht so interessant. Sprechen Sie sich aus, Mrs Farnsworth. Wenn es um Thomas geht …”


Mrs Farnsworth schüttelte den Kopf. „Mit ihrer Freundschaft mit dem flegelhaften Mr Dugan habe ich mich schon vor einer Weile abgefunden. Nein, dieser Farley macht mir Sorgen. Er passt nicht hierher, Sir.”


Alex versteifte sich. „Sprechen Sie weiter.”


„Ich verstehe nicht, wie Sie ihn ohne Vorankündigung als Fahrer einstellen und Daniel nach Jahren loyalen Dienstes ersetzen konnten. Bislang konnte ich Daniel mit anderen Aufgaben beschäftigen, aber er fühlt sich falsch behandelt. Er könnte uns verlassen.”


„Sie haben Recht, Mrs Farnsworth. Ich muss mich entschuldigen. Die Notwendigkeit tauchte überraschend auf und aus Gründen, die ich nicht darlegen kann. Aber ich habe es falsch angefangen.”


„Eine Notwendigkeit, Sir? Welche Notwendigkeit? Farley ist extrem rücksichtslos und widerwärtig, hält sich in der Küche auf, beleidigt Mrs Hogan mit seinem primitiven Humor und beschimpft   David ins Gesicht als „alten Juden” Sie senkte die Stimme. „Und er beäugt Cassie mit offener Lust. Der Rüpel muss verschwinden.”


Alex musste mehrere Male zum Sprechen ansetzen.


„Er wird bald gehen”, versicherte er ihr. „Bis dahin stellen Sie bitte sicher, dass Cassie nie mit ihm allein ist.”


„Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe, Sir?”


„Absolut”, brachte Alex mit zusammengepressten Zähnen hervor, „aber ich kann ihn noch nicht entlassen. Er ist ein Leibwächter. Es hat … Entführungsdrohungen gegen Cassie gegeben.”


„Du lieber Himmel. Von wem? Haben Sie die Polizei informiert?”


„Anonyme E-Mail-Drohungen”, rezitierte Alex die Geschichte, die Braun erfunden hatte. „Die Polizei ermittelt. Ich stellte Farley auf ihre Empfehlung hin ein.”


Mrs Farnsworth verdaute die Neuigkeiten aber konzentrierte sich auf die unmittelbare Bedrohung.


„Verstanden, Sir. Aber ich traue Farley trotzdem nicht. Wir müssen ihn ersetzen.”


„Unmöglich”, verneinte Alex.


„Die Agentur, über die sie in einstellten, hat doch sicher …“


„Verdammt noch mal, Frau!”, brachte er mit rotem Gesicht hervor. „Mischen Sie sich gefälligst nicht ein, sondern tun Sie, was Ihnen gesagt wird!”


Er starrte sie an und schien dann in sich zusammenzufallen. Die Ellbogen auf dem Tisch und sein Gesicht in den Händen vergraben, sah er aus, als wollte er sich nach seinem Ausbruch verstecken.  


Mrs Farnsworth saß schockiert da, bis Alex erneut unter Vermeidung von Augenkontakt sprach.


„Das war unverzeihlich. Bitte vergeben Sie mir, Mrs Farnsworth. Ich bin einfach von der Sorge um Cassie überwältigt.”


Stocksteif antwortete sie. „So wie ich, Sir. Ist das alles?”


„Ich werde einen weiteren Wagen mieten und Daniel damit beauftragen, Dinge im Büro für mich zu erledigen. Das wird seine Ehre retten und ihm den Kontakt mit Farley ersparen.”


Sie erhob sich. „Was immer Sie entscheiden, Sir. Ich muss nach Cassie sehen.”


Bevor sie die Tür erreichte, rief Alex sie beim Namen und sie wandte sich um.


„Hinsichtlich ihres … Verdachts. Bitte passen Sie gut auf Cassie auf.”


„Das tue ich immer, Sir. Das tue ich immer”, versicherte sie ihm sanft.


***


Alex lächelte, als Dugan sich in scheinbarer Verzweiflung den Bauch rieb.


„Ich muss wirklich schnell meine eigene Wohnung finden, Mrs Hogan”, verkündete Dugan der Köchin. „Zu lang hier, und ich werde eine neue Garderobe brauchen.”


Die Köchin strahlte, während sie den Kaffee einschenkte. „Sicher, aber das war doch nichts besonderes, Mr Dugan.”


Noch eine Dugan-Eroberung, dachte Alex. Heute Abend war es Thomas sogar gelungen, Mrs Farnsworth etwas aufzutauen. Ihm war der wohlwollende Blick der Haushälterin aufgefallen, als Cassie sich glücklich mit ihrem Hausgast unterhielt. 


„Cassie, du musst noch Hausaufgaben machen, also sag bitte Gute Nacht”, forderte Mrs Farnsworth sie nun auf.


„Kann ich die bitte, bitte morgen früh machen?”, bettelte Cassie.


„Nein, meine Liebe. Ich bin sicher, dass dein Vater und Mr Dugan etwas zu besprechen haben.”


„Also gut”, sagte Cassie und umarmte Dugan. „Schön, dass du hier bist, Onkel Thomas.”


„Ich freue mich auch, Cassie. Wir sehen uns morgen nach der Schule. Daniel wird dich wieder nach Hause bringen, bevor du es bemerkst.”


„Nicht Daniel, Farley”, verbesserte Cassie ihn.


„Wir haben einen neuen Fahrer”, erklärte Mrs Farnsworth, ihre Abneigung offensichtlich.


„Und er ist wirklich unheimlich, Onkel Thomas”, fügte Cassie hinzu. „Aber Papa sagt, er wird bald verschwinden.”


Verwirrt sah Dugan Alex an.


„Das erkläre ich dir später, Thomas”, versprach Alex. „Und nun Cassie, wo bleibt mein Kuss?”


Cassie umarmte Alex und küsste ihn auf die Wange. Mrs Farnsworth erhob sich.


„Ist das für heute alles, Sir?” erkundigte sich die Haushälterin.


Alex lächelte und nickte in der Hoffnung, die plötzliche Spannung im Raum überspielen zu können, aber der Ausdruck auf Dugans Gesicht signalisierte, dass ihm das nicht gelungen war. 


„Also, worum geht es hier?”, hakte Dugan nach, nachdem Cassie und Mrs Farnsworth gegangen waren.


Alex zögerte und senkte dann die Stimme. „Es hat Entführungsdrohungen gegen prominente Familien gegeben.”


„Du wurdest bedroht?”


„Nicht direkt”, log Alex, „aber ich war besorgt. Deshalb engagierte ich Farley als Leibwächter. Stellte sich heraus, dass er nicht der umgänglichste Mensch ist.”


„Aber warum regt sich Mrs Farnsworth so darüber auf?”


Alex seufzte. „Ich habe sie nicht zu Rate gezogen. Du weißt ja, wie besitzergreifend sie hinsichtlich Cassie ist. Und da Farley sich als Flegel entpuppt hat, machte es das nur noch schlimmer.”


„Ich verstehe.” Dugans Gesichtsausdruck drückte das Gegenteil aus. Taktvoll wechselte er das Thema.


„Erklär mir die Arbeitssituation”, forderte Dugan ihn auf. „Wer ist der andere? Wie stellst du dir die Arbeitsteilung vor?”


„Sein Name ist Braun, Captain Karl Braun”, berichtete Alex. „Er ist Produktionsleiter — Terminplanung, Crewbesetzung, Treibstoffankauf, Gehaltsabrechnung, all das. Du wirst der technische Direktor — Instandhaltung, Werftreparaturen, dieser Bereich. Bei Überschneidungen entscheiden wir von Fall zu Fall.”


„Klingt gut”, stimmte Dugan zu. „Ich kann es kaum erwarten.”


Alex zögerte. „Kein Grund zur Eile, Thomas. Warum arbeitest du nicht einige Wochen halbtags, lebst dich ein, suchst dir eine Wohnung und findest dich zurecht?”


„Ich will mir mein Brot verdienen.”


„Natürlich, natürlich”, beschwichtigte Alex ihn, „aber dies ist ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf.”


„OK … da hast du wohl Recht”, lenkte Dugan ein. Es „vorsichtig angehen zu lassen” war noch nie Alex Kairouz’ Stil gewesen.


„Also abgemacht.” Alex erhob sich. „Wie wäre es mit einem Schlaftrunk?”


Dugan gähnte. „Nein, danke. Der Jet-Lag setzt mir zu. Ich sehe dich morgen früh.”


***


Zwei Stunden später lag Dugan noch immer wach und grübelte über Alex’ merkwürdiges Verhalten nach. Seines Wissens nach war Alex’ Versäumnis, Mrs Farnsworth in allem was Cassie betraf zu konsultieren, einfach undenkbar.


Und selbst wenn, hielt Dugan Mrs Farnsworth für unfähig, einen Groll zu hegen, sobald Cassies Sicherheit auf dem Spiel stand. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht.


 



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