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Belletristik
Buch Leseprobe Neues von Gut Birkenfeld, Martina Sein
Martina Sein

Neues von Gut Birkenfeld


Alles wird anders

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Mama setzte den Blinker und fuhr von der Autobahn ab. Jetzt war es nicht mehr weit. Das wusste Kerstin. Nicht mehr weit in ihr künftiges Leben. Was das wohl für sie bereithielt? Sie hatte keine Ahnung und war sich auch nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen wollte. Die ersten zwölf Jahre hatte sie in der Nähe von Koblenz verbracht. Sie hatte bei ihrer Mutter gewohnt. Die hatte nun allerdings einen neuen Mann kennengelernt. Ein Baby war ebenfalls bereits unterwegs. Nun war kein Platz mehr in ihrem Leben für Kerstin. Die sollte ab sofort bei ihrem leiblichen Vater bleiben. Dumm war nur, dass Kerstin diesen Mann noch nie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. „Ich bin so aufgeregt“, murmelte Kerstin. „Stell dich nicht so an!“, fuhr Mama sie an. „Schließlich ist er dein Vater. Ich habe mich die ganze Zeit um dich gekümmert. Jetzt kann er wenigstens die paar Jahre bis zu deinem achtzehnten Geburtstag übernehmen.“ Kerstin hatte nie das Gefühl gehabt, dass Mama sie so liebte, wie es bei ihren Klassenkameradinnen der Fall war. Einmal hatte sie sogar danach gefragt. Die Antwort hatte gelautet: „So ist das halt. Das Leben ist kein Wunschkonzert.“ Da tauchte das Ortsschild Schneverdingen auf. In Kerstins Magen ging es drunter und drüber. Etwas außerhalb lag das Gut Birkenfeld. Das hatte Mama ihr erklärt. Dort arbeitete ihr leiblicher Vater. „Warum bringst du mich eigentlich nicht zur Wohnung von meinem Vater?“, erkundigte Kerstin sich. „Keine Ahnung, wo die liegt“, gab Mama zurück. „Dass er noch auf Gut Birkenfeld arbeitet, weiß ich allerdings sicher.“ „Woher?“, hakte Kerstin nach. „Weil er da nie weggehen würde“, antwortete Mama. „Diese Pferde, die er dort hat, sind ihm wichtiger als alles andere im Leben. Das hat er mir wörtlich so gesagt.“ Kerstin schluckte. Das war das Einzige, auf das sie sich freute: die Pferde. Sie hatte an ihrem Wohnort bei einem Bauern auf dessen Haflingern reiten dürfen. Beigebracht hatte es ihr niemand. Sie hatte mit der Zeit einfach gelernt, wie sie auf dem Rücken der Pferde bleiben konnte. Bezahlen hatte sie auch nichts müssen. Es hatte gereicht, wenn sie nach dem Reiten immer den Stall ausgemistet hatte. Mit dieser Abmachung war sie sehr glücklich gewesen. Überhaupt hatte sie den Eindruck, in ihrem ganzen Leben nur dann schöne Momente gehabt zu haben, wenn sie bei diesen beiden Pferden gewesen war. Ausgerechnet die hatte sie nun natürlich auch verlassen müssen. Der Wagen fuhr jetzt durch eine von Birken gesäumte Allee. Die musste dem Gut seinen Namen gegeben haben. Mama hielt auf einem Parkplatz. Dort standen mehrere Autos nebst einigen Pferdeanhängern. Unsicher stieg Kerstin aus und sah sich um. Der vertraute Geruch von Pferden lag definitiv in der Luft. Zwischen den Bäumen auf der Zufahrt hatte sie auch einige dieser Tiere auf den Koppeln gesehen. Vor ihr lag ein u-förmiges Gebäude, in dessen Mitte sich einige Sandpaddocks befanden. „Komm!“, forderte Mama Kerstin auf. „Wir gehen den Hauptmann suchen.“ „Warum nennst du ihn eigentlich immer den Hauptmann?“, wollte Kerstin wissen. „Wie soll ich ihn denn sonst nennen?“, gab Mama zurück. „Bei seinem Namen?“, versuchte Kerstin es. „Ich glaube, den kennt keiner. Vermutlich hat er ihn selbst vergessen“, erklärte Mama. „Und jetzt frag weniger und lauf dafür schneller! Ich will so bald wie möglich wieder nach Hause fahren. Du weißt, dass morgen das Haus ausgeräumt wird.“ Zielstrebig marschierte Mama auf eine Türe in einem Nebengebäude zu. Das beherbergte definitiv keinen Stall. Im Vorbeigehen sah Kerstin eine Küche und einen großen Besprechungsraum. Dann blieb Mama stehen und klopfte an eine Türe. „Ja bitte!“, antwortete eine weibliche Stimme. Mama drückte die Klinke und trat ein. Kerstin folgte ihr. Eine Frau saß hinter einem Schreibtisch und blickte nun auf. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie höflich, aber distanziert. „Bestimmt“, gab Mama zurück. „Ich suche den Hauptmann. Der arbeitet nach meiner Kenntnis hier.“ „Das ist richtig“, entgegnete die Frau. „Und wer sind Sie?“ „Anneliese Kohlhamp“, antwortete Mama. „Ich denke, dass er mit dem Namen noch etwas anfangen kann.“ „Nehmen Sie doch im Besprechungsraum Platz! Ich gehe ihn suchen.“ In Kerstins Bauch krabbelten tausend Ameisen. Wie dieser Hauptmann wohl aussah? Hatte sie vielleicht seine Augen geerbt? Die von Mama waren braun, ihre eigenen grau. Es dauerte eine Weile, ehe die Frau zurückkehrte. Ihr folgte ein Mann mit markantem Gesicht und einem abweisenden Ausdruck darauf. Seine Augen waren stahlgrau, viel farbintensiver als die von Kerstin. Was ihr jedoch am meisten auffiel, war seine Haltung. Dieser Mann ging unnatürlich aufrecht und steif. Auf jeden Fall machte er im ersten Moment nicht den Eindruck, als wäre gut Kirschen mit ihm essen. „Was willst du hier?“, fragte der Hauptmann ohne eine Begrüßungsfloskel. Er hatte Kerstin offensichtlich noch gar nicht gesehen. Seine Augen schienen Mama regelrecht zu durchbohren. Diese antwortete: „Ich bringe dir unsere Tochter Kerstin. Zwei Drittel auf dem Weg zur Volljährigkeit hab ich sie schon gebracht. Jetzt bist du dran.“ „So so. Das stellst du dir reichlich einfach vor“, brummte der Hauptmann. „Was glaubst du denn, wie das gehen soll?“ „Das ist nicht mehr mein Problem. Kerstins Sachen habe ich mit allen nötigen Papieren im Auto. Sag mir, wo ich sie hintun soll! Ansonsten stelle ich sie auf dem Parkplatz ab. Ich muss nämlich zurück. Mein künftiger Mann und ich gehen morgen ins Ausland.“ Der Blick des Hauptmanns wanderte an Mama herunter. „Scheinst eine neue Familie gegründet zu haben. Warum nimmst du das Mädchen nicht mit?“ „Das würde nicht gutgehen. Außerdem hab ich meine Schuldigkeit getan. Wie schon gesagt, jetzt bist du dran.“ Da trat die Frau von vorhin heran und forderte Kerstin auf: „Komm doch du erst einmal mit mir, bis die beiden alles besprochen haben.“ Nun klang sie nicht mehr distanziert, sondern sehr freundlich. Sie führte Kerstin in die Küche. „Magst du etwas trinken? Wir haben auch noch Reste vom gemeinsamen Frühstück. Das macht die Belegschaft immer nach der Morgenfütterung zusammen, weißt du.“ Kerstin schüttelte den Kopf. Die Frau versuchte es anders: „Ich heiße übrigens Ariadne Anders. Ich bin hier eine der Leiterinnen des Guts.“ „Kerstin“, antwortete das Mädchen. „Vielleicht bist du ja in Zukunft öfter bei uns. Magst du Pferde?“, erkundigte Frau Anders sich. Da nickte Kerstin. „Sehr sogar.“ „Dann bist du doch hier schon gar nicht so verkehrt. Lass dich von unserem Hauptmann nicht ins Boxhorn jagen! Der hat eine etwas gewöhnungsbedürftige Art, ist aber ganz in Ordnung.“ Kerstin ließ sich nun doch eine Apfelschorle geben und hielt sich an ihrem Glas fest. Was sollte denn aus ihr werden, wenn dieser Hauptmann sich weigerte, sie aufzunehmen? In ein Heim wollte sie auf gar keinen Fall. Da kam ein junger Mann zur Türe herein. Frau Anders sprach ihn an: „Ah Herr Krasnic, das hier ist Kerstin. Herr Krasnic macht bei uns eine Ausbildung zum Pferdewirt in der Fachrichtung klassisches Reiten.“ Der junge Mann kam heran und streckte Kerstin die Hand entgegen. „Hi, ich bin der Zoltan. Wo kommst du her?“ Ehe Kerstin antworten konnte, kamen Mama und der Hauptmann herein. „Ich fahre jetzt“, teilte Mama mit. „Mach’s gut, Kerstin! Ich melde mich, wenn wir in Frankreich angekommen sind.“ Frau Anders schlug dem Hauptmann vor: „Ich denke, Herr Krasnic und ich lassen Sie mit Kerstin allein.“ Damit verließ sie den Raum. Zoltan folgte ihr auf dem Fuß. Der Hauptmann setzte sich auf den nächsten freien Stuhl. Auch hier war seine Körperhaltung unnatürlich gerade. „Deine Mutter hat mir mitgeteilt, dass ich die Wahl habe: Ich kann mich um dich kümmern oder dich in ein Heim schicken. Ganz ehrlich? Ich habe keinerlei Erfahrung in Sachen Kindererziehung. Erwarte von mir nicht, dass ich dir ein guter Vater sein kann. Am besten rufe ich jetzt meine Schwester an. Die wird eher wissen, was zu tun ist.“ Eine viertel Stunde später, in der beide nicht recht wussten, was sie miteinander sprechen sollten, kam eine rundliche Frau in die Küche des Guts. „Ja sag mal!“, rief sie aus. „Hauptmann, was hat das denn zu bedeuten?“ „Das ist Kerstin“, stellte der Hauptmann vor. „Ihre Mutter will, dass sie jetzt bei uns wohnt.“ Die Frau ging nun auf Kerstin zu und streckte ihr die Hand entgegen. „Hallo, mein Mädchen. Wir hatten ja keine Ahnung, dass es dich gibt. Ich bin dann wohl deine Tante Frieda.“ „Hallo“, antwortete Kerstin unsicher. „Ich hoffe, Sie hatten jetzt keinen weiten Weg.“ „Das Sie lässt du ganz schnell bleiben! Schließlich bin ich deine Tante. Nenn mich einfach Frieda oder wie du auch immer möchtest. Entschuldige bitte, ich wusste gar nicht, dass ich eine Nichte habe. Magst du vielleicht erst einmal mit zu uns nach Hause kommen? Dann plaudern wir beide und kochen uns etwas Gutes. Vielleicht können wir dem alten Sturschädel dann schon einen Vorschlag machen, wie wir uns arrangieren können, wenn er nach Hause kommt.“ Kerstin nickte. Sie hätte sich zu gern erst hier auf dem Gut umgesehen. Allerdings machte Tante Frieda nicht den Eindruck, als wollte sie Kerstin sofort in ein Heim abschieben. Also bestand ja die Hoffnung, bald wieder nach Birkenfeld kommen zu können. Tante Frieda legte den Arm um die Schultern von Kerstin und führte sie zum Parkplatz. Dort hatte Mama tatsächlich ihr ganzes Hab und Gut abgestellt. „Das sind meine Sachen“, meinte Kerstin leise. „Die nehmen wir natürlich gleich mit“, gab Tante Frieda zurück und begann sofort, alles in den Kofferraum ihres silberblauen Kleinwagens zu laden. Rasch packte Kerstin mit an. „Bist du sicher, dass das alles ist?“, vergewisserte Tante Frieda sich. Kerstin nickte. „Meine Möbel konnte ich ja nicht mitnehmen. Mama hat mein Zimmer komplett verkauft.“ „Armes Mädchen“, seufzte Tante Frieda. „Jetzt steig ein! Wir fahren zu mir. Dann brechen hoffentlich bessere Zeiten für dich an.“ Das Haus, in dem Tante Frieda und der Hauptmann lebten, machte von außen einen gemütlichen Eindruck. Es war ganz typisch für die Gegend hier: Die Wände waren rot verklinkert, und es besaß ein sogenanntes Krüppelwalmdach. Dabei sind die Giebel sozusagen abgeschrägt. Drei Stufen führten zur Eingangstüre hoch. „Herein spaziert!“, forderte Tante Frieda Kerstin auf. „Deine Sachen können wir ja nachher aus dem Auto holen, oder ist da etwas dabei, das du gleich brauchst?“ Kerstin schüttelte den Kopf. „Dann geh dir doch rasch die Hände waschen! Die kleine Toilette ist die zweite Türe links. Ich schau schon einmal in den Kühlschrank, was wir uns Feines kochen können.“ Als Kerstin zurückkam, fand sie Tante Frieda in der Küche vor. Die hatte inzwischen einen Schwung Kartoffeln, Zwiebeln und Fleisch auf den Tisch gelegt. „Ah, da bist du ja wieder. Was hältst du von Schaschlik mit Bratkartoffeln?“ „Klingt gut“, antwortete Kerstin. „Magst du lieber das Fleisch schneiden oder Kartoffeln schälen?“, wollte Tante Frieda wissen. Kerstin entschied sich für die Kartoffeln. Während Tante Frieda mit geübten Handgriffen die Schaschlikspieße vorbereitete, fragte sie Kerstin über deren Mutter und ihr bisheriges Leben aus. Schließlich stellte sie fest: „Da hast du ja nicht gerade die Sonnenseite des Lebens kennengelernt. Das soll sich jetzt aber ändern. Lass dich von meinem Bruder nicht einschüchtern! Das ist alles nur Fassade. Du bleibst bei uns, und zumindest wir zwei Frauen machen uns zusammen ein schönes Leben. Ich weiß auch schon, welches Zimmer wir für dich herrichten können. Die ersten Tage wirst du vielleicht mit einer ausziehbaren Couch Vorlieb nehmen müssen.“ „Das ist kein Problem“, sagte Kerstin schnell. Sie war bodenlos erleichtert, dass Tante Frieda sie so herzlich aufnahm. Damit hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Diese Frau sah jedoch genauso aus, wie man sich eine liebevolle Mutter von zehn Kindern vorstellt. „Auf welche Schule bist du denn bis jetzt gegangen?“, erkundigte Tante Frieda sich. „Auf die Hauptschule bei uns zu Hause. Mama hat gesagt, dass sie keine Lust hat, mich dreizehn Jahre durch die Schule zu ziehen.“ „Und deine Noten?“, hakte Tante Frieda nach. „Die hätten sogar für das Gymnasium gereicht“, erzählte Kerstin stolz. Tante Frieda versprach: „Wir setzen uns zusammen hin und überlegen, welche Schulform hier für dich am besten geeignet ist. Dort melden wir dich dann an.“ Nach allem, wie es seit der Abfahrt von Gut Birkenfeld gelaufen war, konnte Kerstin ihr Glück kaum fassen.


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