Schwarze Tiger
In meinem Hotel am Strand von Negombo genoss ich eine erstaunlich ruhige Phase. Weder Gedanken an meinen Job, den ich gerade aufgegeben hatte, noch akute Liebschaften störten meine Kreise. In den Jahren zuvor hatte ich im Tourismus gearbeitet, Urlauber in wechselnden Ländern betreut und mich mit ihren Reklamationen herumgeschlagen. Jetzt war ich frei und hatte meinen eigenen Rhythmus gefunden, den ich „aktives Nichtstun“ nannte. Ich war in Asien unterwegs, von Sri Lanka wollte ich irgendwann nach Indien übersetzen, den Subkontinent von Süden nach Norden durchqueren und danach weiter ziehen in Richtung Nepal oder Tibet. Aber ich hatte es nicht eilig und vermied bewusst, mir Zwänge aufzuerlegen, zu denen auch ein Zeitplan gezählt hätte.
Im Hotelrestaurant saß an einem Nebentisch zuweilen ein deutsches Paar, das ich mit meiner Gelassenheit zu provozieren schien. Anders konnte ich mir ihr Verhalten nicht erklären. Sie waren älter als ich, so um die Dreißig, und nicht verheiratet, vielleicht verlobt, doch mit Sicherheit nicht verliebt, wie ich aus dem Umstand schloss, dass sie sich ohne Unterbrechung angifteten. Ich bekam nicht mit und interessierte mich auch nicht dafür, worum es in ihren Streitigkeiten ging. Doch aus Erfahrung diagnostizierte ich, dass sie unter dem typischen Problem von Urlaubspaaren litten: Ferien sollten gefälligst ihre Romantik auffrischen, die in der Routine einer Partnerschaft untergegangen war. Und je krampfhafter beide um Harmonie kämpften (so als wollte man Entspannung erzwingen!), desto sicherer ging es in die Hose und endete im Rosenkrieg.
Ich hielt mich von den Leuten möglichst fern, suchte kein Gespräch, sondern grüßte und verabschiedete mich nur immer höflich und kümmerte mich um meinen eigenen Kram. Umso überraschter war ich, als eines Tages – ich lag nach einem Bad im Meer auf einer Liege – die Frau ihr Handtuch auf einer benachbarten Liege ausbreitete und diese zu mir drehte.
„Guten Morgen! Wie ist das Meer?“
Ich richtete mich auf und wirkte sicher verdutzt. „Das Meer ist prima.“ Dabei hielt ich nach ihrem Begleiter Ausschau.
„Ich heiße Monika, und Sie?“
Monika trug einen gelben Bikini und stand so, dass ich gegen die Sonne blinzeln musste. Ich sagte ihr meinen Vornamen, setzte die Sonnenbrille auf und suchte die Anlage mit schnellem Radar noch einmal nach ihrem Partner ab.
„Mein Freund schläft noch, oder er ist beim Frühstück, was weiß ich. Ich bin jedenfalls viel aktiver.“ Sie setzte sich mir gegenüber.
Monika war von kräftiger Statur, nicht schlank und auch nicht zu dick, mittelblondes langes Haar, große Brüste, aber leider mit herben, fast männlichen Gesichtszügen. Ich war jemand, der aus zahllosen beruflichen und privaten Spontan-Begegnungen darauf trainiert war, dem Eindruck der ersten Sekunde, den ein Fremder auf mich machte, bedingungslos zu vertrauen. Und so war mir von Anfang an klar, dass Monika mich nicht in Versuchung führte. Ihre burschikose Art und ein überstürzter Wechsel zum „Du“ schufen kumpelhafte Nähe, aber keine Erotik.
Wir führten ein belangloses Gespräch, ihrer zweiten Aufforderung gab ich schließlich nach, gemeinsam im Meer zu schwimmen, aber nur kurz. Irgendwann tauchte sogar ihr Begleiter auf, der im Vorbeigehen winkte und sich mit einer Zeitung in den Schatten setzte. Aus einer Laune heraus, ohne Rücksicht auf Diskretion fragte ich sie, wie es um ihre Beziehung stünde.
Monika räkelte sich, als freute sie sich über die Frage, und wie ein übermütiger Teenager ließ sie die Träger ihres Oberteils schnippen. „Wir sind schon ewig zusammen, inzwischen mehr aus Gewohnheit. Die Luft ist eigentlich raus, aber das Gute daran ist, jeder hat seine Freiheit. Verstehst du?“
Ich verstand. Aber genauso sicher war ich mir, nicht der zu sein, mit dem Monika ihre Freiheit ausleben würde. Irgendwie schien sie das bereits in meiner Körpersprache zu lesen. Nach erfolglosen Flirtversuchen und scheinbar zufälligen Berührungen beim Schwimmen, die ich nicht erwidert hatte, musste sie spüren, dass sie mich kalt ließ.
Das hielt sie jedoch nicht davon ab, für den nächsten und übernächsten Tag gemeinsame Touren vorzuschlagen. Sie und ihr Freund hätten ein Auto gemietet, das aber kaum genutzt würde. Ihr Begleiter wäre zu faul für so etwas und bestimmt einverstanden, wenn wir damit durch Sri Lanka führen. Ich entschied, ihn abends lieber selbst zu fragen, und erhielt die Bestätigung. „Fahrt nur, amüsiert euch!“ Der Mann war angetrunken, aber definitiv nicht eifersüchtig.
Also fuhr ich mit Monika in einem kleinen roten Toyota über die Insel. Mir gefiel, wie sie ihr Kleid hoch raffte, wenn sie am Steuer saß. Sie war Angestellte einer Versicherung in Hamburg, bei der auch ihr Freund arbeitete. Die Eintönigkeit ihres Jobs und das Wetter in Norddeutschland ließen sie neidisch seufzen, als ich einen Abriss meiner bisherigen Stationen und der augenblicklichen Reise lieferte. Trotzdem brachte uns das nicht näher, weil ich einfach nicht wollte. Wir bummelten durch Colombo, wo Monika ein paar bunte Tücher, Souvenirs für ihre Familie und zwei Flaschen Rum kaufte. Am selben Tag fuhren wir sogar noch weiter bis nach Kandy, um den Bogambara Lake und den legendären Zahntempel wenigstens von außen zu sehen. Monika schoss Dutzende von Fotos in allen möglichen Situationen, auch von mir, was mir irgendwann auf die Nerven ging. Brav hörte sie damit auf.
In einem Café gab es im Schatten von Palmen, deren Blätter sich bis auf die Tische senkten, Eiscreme und Tee. Im Hintergrund spielten junge Mädchen einheimische Musik. Was nicht ins Bild passte, war Monikas Griff in ihre Tüte, um den Bacardi aufzuschrauben und einen tiefen Zug von ihrem lauwarmen Rum zu trinken. „Willst du? Tut gut!“
Ich lehnte dankend ab und durfte mitansehen, wie sie noch drei oder vier Mal große Schlucke direkt aus der Flasche nahm und in der feuchten Hitze schlagartig betrunken wurde. Einfach so, es gab weder etwas zu feiern noch Ärger runterzuspülen. Monika schoss sich ihre Lichter aus und lästerte immer lauter über die Musik, die stacheligen Palmblätter und die Kellner in ihrer traditionellen Kleidung. Gottlob kostete es mich kaum Mühe, sie zur Heimfahrt zu bewegen. Und sie protestierte auch nicht, als ich mich ans Steuer setzte. Mindestens eine Stunde unserer Rückfahrt verbrachte Monika im Tiefschlaf, bei Ankunft in Negombo war sie wieder erstaunlich fit.
Abends im Restaurant erzählte sie ihrem Freund begeistert und lautstark von unserem Trip. Und wenn ich es richtig mitbekam, leerten die beiden zum Essen mühelos noch zwei Flaschen Wein. In einem unbeobachteten Moment zog ich mich zurück und begab mich auf einen nächtlichen Streifzug durch die Nachbarhotels.
Am nächsten Morgen war ich froh, dass zum Frühstück nur Monikas Begleiter auftauchte und mir mit reichlich verquollenen Augen anvertraute: „Sie fühlt sich nicht wohl und muss leider den Ausflug für heute absagen. Aber Sie können den Wagen benutzen, wenn Sie allein herumfahren möchten.“ Er gab mir die Schlüssel. „Ach ja, Monika bat mich noch Ihnen auszurichten, dass wir heute Abend mit Ihnen essen möchten. Nicht im Hotel, sondern gegenüber in dem kleinen Gartenlokal. Einverstanden?“
Aus Höflichkeit und Dankbarkeit für den überlassenen Wagen musste ich zusagen, auch das würde ich noch überstehen. Hauptsache, ich konnte den ganzen Tag ohne die beiden verbringen. Schnell warf ich ein paar Sachen und einen Plan von Sri Lanka in den Toyota und fuhr los. An Colombo vorbei rollte ich gemütlich die Westküste hinunter und hielt zum ersten Mal in Beruwala, wo ich mich zufällig vor einer Moschee wiederfand, die hier genauso ins Bild passte wie ein goldener Buddha in Teheran. Auch sonst stieß ich auf Sri Lanka häufig auf Widersprüche, religiöse und gesellschaftliche, die ich nicht einordnen konnte ... was ich damals auch gar nicht erst versuchte.
Jemand hatte mir den Strand von Hikkaduwa empfohlen, zu dem ich schließlich weiterfuhr und der sich als echtes Paradies entpuppte. Kilometerlanger schneeweißer Sand, kaum Gebäude, ein paar Hippies und Surfer, kein Pauschaltourismus. Irgendwo am Narigama Beach kaufte ich eine Tauchermaske mit Schnorchel, fand ein schattiges Plätzchen und schwamm hinaus zum Korallenriff. Die Unterwasserwelt war wieder einmal schuld daran, dass ich mir einen neuen, aber nur leichten Sonnenbrand holte. Während ich im letzten Licht des Tages zum Ufer zurück schwamm, sah ich hinter Palmen einen endlosen Passagierzug auf der Bahnlinie Colombo-Galle. Was ich nicht wusste: Gut dreißig Jahre später, wenn Hikkaduwa längst eine boomenden Hotelstadt geworden war, würde an genau dieser Stelle ein Tsunami einen solchen Zug ins Meer reißen und 1.700 Menschen auf einmal töten.
Nachdem ich mich im Hotel gründlich von Meersalz und Sand befreit und sogar rasiert hatte, betrat ich in frischen Sachen die Lobby und ließ mich in einen Sessel fallen. Von dort bot sich mir wenig später das Bild, wie Monika und ihr Partner aus der Hotelbar kamen, wobei diesmal der Mann merklich Schlagseite hatte und sich auf Monika stützte. Er redete vor sich hin, löste sich dann abrupt aus ihrem Griff und marschierte zu einem geöffneten Fahrstuhl. Monika hatte mich schon entdeckt, blieb stehen, bis sich die Fahrstuhltür schloss, und kam zu mir.
„Sorry, nichts zu machen. Mit dem ist nichts mehr anzufangen, wir müssen zu zweit ins Restaurant gehen, okay?“
Nun, so sollte es wohl sein. Beim Überqueren der Straße roch ich an Monika ihr Parfüm, das ich kannte, aber auch etwas anderes, das ich ebenfalls kannte und mir in die Nase stach: Bacardi. Nicht nur aus Monikas Mund, sondern aus allen Poren ihres Körpers drang der Gestank von Rum. Ihr tief ausgeschnittenes Kleid, aus dem mehr als nur der Ansatz ihres Busens ragte, konnte den ekelhaften Mief einer Hafenkneipe, den sie verströmte, auch nicht wettmachen. Wir fanden einen freien Tisch, bestellten und redeten aneinander vorbei, ohne dass es einen von uns gestört hätte. Mit heimlicher Freude verfolgte ich, wie Monika nach den ersten Drinks schläfrig und immer stiller wurde. Nach dem Essen beachtete ich sie überhaupt nicht mehr. Nur einmal noch fuhr sie hoch, als ihre brennende Zigarette ein Loch in ihr Kleid schmorte. Monika fluchte und kippte ein halbvolles Glas Wasser darüber, gleichzeitig zu Tode betrübt, dass das Kleid ruiniert war, und hysterisch darüber lachend, dass sie den Brand auf Anhieb gelöscht hatte. Danach sank sie auf ihren Stuhl zurück und schloss die Augen.
Ich checkte die übrigen Gäste im Restaurant, das eigentlich eine weite, überdachte Terrasse war. Kein billiger Laden, aber auch nicht übertrieben elegant, an den Tischen saßen viele Einheimische, Paare und Familien mit Geld und guten Manieren. Mein Blick kreuzte sich mit dem eines jungen Mannes, der allein am Tisch saß. Ein gepflegter, sehr hellhäutiger Ceylonese, der beinahe blass wirkte. Vielleicht waren es auch seine außergewöhnlich großen, rabenschwarzen Augen, die den Rest seines Gesichts schmal und bleich machten. Er trank Cola und schien sich zu bemühen, entspannt zu wirken, war es aber nicht. Sein Blick wanderte unruhig hin und her, und immer, wenn ich merkte, dass er zu mir hersah, schlug er sofort die Augen nieder, als hätte man ihn bei etwas erwischt.
„Du hörst mir ja gar nicht zu!“ fauchte mich Monika plötzlich an.
Das stimmte, ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie etwas gesagt hatte. Womöglich hatte sie das auch nicht, aber ich war mir nicht sicher. „Tut mir leid, ich war in Gedanken. Worum ging es?“
„Das gibt´s doch gar nicht!“ Sie versuchte, sich eine neue Zigarette anzuzünden, doch abwechselnd fielen ihr Feuerzeug und Zigarette immer wieder aus der Hand. „Scheiße!“
Leute blickten zu uns herüber, die (wie ich) sofort merkten, dass Monika hinüber war. Kellner räumten geflissentlich unsere Teller ab, fragten, ob wir noch Kaffee oder Tee oder Dessert wollten. Ich verneinte höflich, doch Monika wurde schon wieder laut: „Was du willst oder nicht willst, ist mir doch egal! Ich will noch einen Bacardi!“ Und an den schmächtigen Kellner gewandt: „Auf Eis! Na los!“
Der Kleine huschte davon, doch kurz darauf erschien der breitschultrige Chef des Ladens. „Entschuldigen Sie, Lady, aber wir möchten Sie bitten, das Lokal zu verlassen.“ Sein ruhiger Ton und seine Statur hätten sogar mich davon überzeugt, dass dies nicht der Moment für Protest wäre.
Doch Monika fuhr aufgebracht herum, starrte erst den Mann und dann mich wütend an. „Ihr Männer! Alles Arschlöcher, kein Benehmen!“ Ihr Wasserglas fiel von Tisch und zerbrach.
Der Inhaber raunte mir zu: „Sie brauchen nichts zu bezahlen, nur bitte gehen Sie jetzt – sofort!“
Aber bevor ich antworten oder irgendetwas tun konnte, war Monika schon aufgesprungen, wobei sie ihren Stuhl umwarf. Sie stürzte wie ein Raubtier aus dem Restaurant, rannte über die Straße und verschwand gegenüber im Hotel. Mehrere Augenpaare hatten sie ungläubig, aber erleichtert dabei verfolgt. Auch ich atmete auf und fragte den Muskelmann, ob ich bleiben und noch einen Kaffee haben könnte.
„Selbstverständlich! Und Ihre Rechnung bekommen Sie auch, wann immer Sie danach verlangen.“ Er hatte keine Veranlassung mehr jemanden einzuladen.
Nachdem das Chaos an meinem Tisch behoben war, stand irgendwann der bestellte Kaffee darauf. Gerade hob ich den Blick, als der blasse junge Mann mit seiner Cola zu mir kam und direkt fragte: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Im ersten Moment dachte ich, er wäre schwul. So schmal und zerbrechlich, mit diesen Rehaugen und seinen schwarzen Locken. Er trug ein weißes Hemd mit lässig aufgekrempelten Manschetten über sehr feingliedrigen Händen. Ich zögerte, hatte keine Lust auf noch mehr Trouble an diesem Abend. Aber etwas sagte mir, dass der Bursche interessant war und nicht wirklich homosexuell. Für den Fall, dass ich mich irrte, konnte ich ihn jederzeit abschütteln. „Okay!“
Er dankte, gab mir höflich die Hand (für Ceylonesen sehr untypisch) und setzte sich steif wie eine Schaufensterpuppe. „Ich heiße James. Meinen ceylonesischen Namen mag ich nicht, auch nicht Jim oder Jimmy, also nennen Sie mich bitte James!“ Ähnlich hölzern begann unsere Unterhaltung, wir sprachen über Negombo, die bevorstehende Regenzeit, Hotelpreise und im Grunde über nichts. Mit keinem Wort erwähnte er die Szene mit Monika, und ich fragte mich, wieso James an meinen Tisch gekommen war.
Ich erzählte ungefragt von meinem letzten Job, von ein paar Reisen und – damit es keine Missverständnisse gab – weiblichen Flirts auf der anderen Seite der Welt. Meist gelang es mir auf diese Weise, mein Gegenüber anzuregen, auch seine Story zu erzählen, Gemeinsamkeiten auszuloten und im Idealfall ein Terrain zu finden, auf dem es Interessantes auszutauschen gab. Ich wollte wissen, womit dieser Kerl seinen Lebensunterhalt verdiente, was ihn in dieses Lokal und ausgerechnet an meinen Tisch geführt hatte.
Doch James verweigerte die Aussage, würden Juristen sagen. Er wich aus und flüchtete in Gegenfragen, ob ich den Norden von Sri Lanka kannte, den Namen des Präsidenten, die Unterdrückungspolitik der Regierung, den Unterschied zwischen Buddhismus und Hinduismus usw.. Die meisten Fragen musste ich verneinen und auch meine Unwissenheit darüber eingestehen, warum vor zehn Jahren aus Ceylon der Name Sri Lanka geworden war und ob die singhalesische Schrift die der Tamilen dominierte. Kurzum: Ich hatte eine ungefähre Ahnung, dass es zwischen Hindus und Singhalesen Ärger gab, irgendwo im Norden des Inselstaates, mehr auch nicht. Dass Tamilen die Unabhängigkeit ihrer Region forderten und erste Anschläge verübten, hatte ich gehört und als den gleichen Schwachsinn abgetan wie Berichte von gewalttätigen Kurden, Basken oder den Kämpfern der IRA. Mit der Erbfeindschaft zwischen Singhalesen und Tamilen hatte ich mich nie befasst. Und um ehrlich zu sein, fehlte mir jegliches Interesse, es jemals zu tun.
Kaum hatte ich James das wissen lassen, ging mit ihm eine Verwandlung vor. Als hätte man plötzlich den Strom eingeschaltet, der durch unsichtbare Elektroden in seinen Körper schoss, spannten sich seine Muskeln an. Aus seinem braven, fast kindlichen Gesicht wurde eine wilde Grimasse, die verriet, wie sehr er (vergeblich) um Beherrschung rang. „Wir kämpfen gegen unsere Unterdrückung! Mein Volk wird gequält, vertrieben und getötet, und dir ist das gleichgültig!“
Mir wurde klar, dass ich einen dieser radikalen Tamilen vor mir hatte. Doch was sollte ich tun? Oder anders gefragt: Was wollte der von mir?
James gewann einen Teil seiner Fassung zurück und holte zu einer ungestümen Rede aus, in der er von der historischen Misshandlung seiner Glaubensbrüder auf Sri Lanka berichtete. Ich erfuhr von politischen Säuberungen zu Kolonialzeiten, im alten Ceylon bis in die Neuzeit, ständig unterfüttert von grausamen Details, die einfach nur eklig waren. „Aber wir werden kämpfen, wir schlagen zurück! Die Schwarzen Tiger werden siegen!“
Ich hörte kommentarlos zu und übte mich in der Kunst, so interessiert wie möglich zu wirken. Wobei ich mich immer eindringlicher fragte, wieso er mir das alles erzählte. Er schien dem Missionszwang verfallen, Fremde, Besucher seines Landes aufzuklären, und ich war zufällig sein Opfer geworden. Doch statt mich von seinem Eifer anstecken zu lassen, setzte ich auf Entspannung und bot an, ein paar Drinks zu spendieren.
In seinen Augen die falsche Reaktion, denn sofort ging James wieder in die Offensive: „Ihr Europäer mit euren ständigen Drinks und dieser geheuchelten Lässigkeit! Pure Ignoranz, bis zum Umfallen, wie deine betrunkene Freundin! Wann öffnet ihr endlich die Augen?“ Das ging noch eine Weile so weiter, steigerte sich zu blanker Angriffslust, die sich mit Phasen wütender Resignation abwechselte. Auf einmal wusste ich, woran mich James die ganze Zeit erinnerte: In einem Horrorfilm den ich kürzlich gesehen hatte, war das Böse in ein Kinderspielzeug gefahren, in eine Puppe, die nachts zum Leben erwachte und zum blutrünstigen Monster mutierte. Eine solche Metamorphose hatte ich hier vor mir, aus einem ehemals liebenswürdigen Gesicht sprühten Hass und Mordlust. (Wer auf so etwas steht, sollte auch „Lunar Park“ von Bret Easton Ellis lesen.)
Irgendwann muss meine Tarnung aufgeflogen sein. James schien zu merken, dass mein Interesse an seinen Parolen restlos erloschen war. Seine Frage, ob ich müde wäre, beantwortete ich wahrheitsgemäß, zahlte die Rechnung und wollte Lebewohl sagen.
Doch schon verwandelte er sich zurück in einen netten, gut erzogenen Jungen aus dem Land des Lächelns, der mir herzlich die Hand schüttelte. „Bitte entschuldige, dass ich dich so heftig mit meinen Problemen bestürmt habe! Es tut mir wirklich leid, kannst du mir verzeihen? Was musst du nur denken, in deinem Urlaub von einem Irren wie mir gestört zu werden. Ich schäme mich!“ Er schlug die Augen nieder und schmollte, ich vergab ihm. „Falls du morgen Abend Zeit hast, lade ich dich zum Dinner ein, zur Versöhnung, genau hier auf dieser Terrasse.“
Ich versprach nichts, war eher skeptisch, dass mir etwas an der Fortsetzung unserer Bekanntschaft lag. Beim Überqueren der Straße sah ich aus den Augenwinkeln, wie James ein kleines Moped bestieg und in die Nacht knatterte. Im Hotel sortierte ich meinen Papierkram und checkte das nächste Flugticket. In Kürze würde es nach Madurai weiter gehen.
Am darauffolgenden Tag gelang es mir, Monika und ihrem Freund aus dem Weg zu gehen. Ich hatte beide im Hotel gesehen, zur Abwechslung anscheinend mal nüchtern, doch ich zog es vor, unsichtbar zu bleiben. Auch abends spürte ich kein Bedürfnis, denen im Hotelrestaurant zu begegnen. Ich trat auf die Straße, unschlüssig, ob ich James noch einmal treffen oder lieber woanders essen wollte. Doch im selben Moment wurde ich schon entdeckt und von gegenüber gerufen: James in seinem weißen Hemd ruderte mit den Armen, ich konnte nicht mehr entkommen.
Beim Überqueren der Straße sah ich bereits einen weiteren Typ an seinem Tisch sitzen. Ein mürrisch blickender Kerl, muskulös, in einem schwarzen T-Shirt, der bei der Begrüßung kaum den Blick hob und einen Namen nannte, den ich nicht verstand. Umso aufgekratzter war James, übertrieben erfreut darüber, dass ich gekommen war. Er drängte mir die Speisekarte auf und wiederholte zwei Mal, dass ich eingeladen wäre. Auf meine Zurückhaltung reagierte er mit der Erklärung, dass sein Freund kaum Englisch verstünde und ich deshalb seine Verschlossenheit entschuldigen möge. Obwohl ich das mit den Sprachkenntnissen bezweifelte, war es mir letztlich egal. Wir aßen eine Kleinigkeit mit Chicken Wings und Reis und tranken Bitter Lemon, und ich schöpfte schon Hoffnung, einen harmonischen Abend zu verbringen. Doch langsam aber sicher braute sich das Gegenteil zusammen.
James zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor. „Erinnerst du dich, worüber wir gestern sprachen?“ Natürlich erinnerte ich mich, obwohl ich selbst kaum etwas gesagt, sondern nur seine Propaganda ertragen hatte. Mir schwante, dass es gleich damit weiter ginge. Aber James hielt die Luft an, entfaltete das Papier und schob es mir hin. „Lies!“ Es war ein Flugblatt, in fetter Schrift rief es zum Kampf auf. An den Rändern waren Gewehre und andere Waffen abgebildet, die Sprachen waren Englisch und Tamil, und es wimmelte nur so von Ausrufezeichen. Ein Aufruf zur Revolte, alle Hindus sollten sich vereinen, organisieren, gemeinsam mit den „Schwarzen Tigern“ gegen ihre Unterdrücker kämpfen und den neuen Staat „Tamil Eelam“ gründen. Eine in meinen Augen ziemlich primitive, böse Hetze und Kampfansage, mit der ich nichts zu tun haben wollte. James schien das an meiner Mimik abzulesen. „Nun, was meinst du?“
„Nichts. Geht mich absolut nichts an!“
Statt einen erneuten Wutausbruch zu bekommen, der fraglos in ihm aufkeimte, säuselte James in einem künstlichen Tonfall, den er garantiert geübt hatte: „Du hast recht, mein Freund. Was geht dich schließlich unsere Notlage an? Du bist ein Besucher, auf der Durchreise, keineswegs verpflichtet, dich mit unseren Problemen zu belasten.“
Er sprach mir aus der Seele, und ich hatte deswegen nie weniger Gewissensbisse als in diesem Moment. Obwohl mir Fanatiker wie er auch immer irgendwie leidtaten. Was sollte ich tun? Immerhin hörte ich weiter zu.
„Ich dachte nur, vielleicht könntest du uns wenigstens einen kleinen Gefallen tun, rein menschlich ... aus Freundschaft.“ Dabei setzte er wieder sein Unschuldslächeln auf, mit dem er zum beliebtesten Schüler jeder High School gewählt worden wäre. Sogar sein Begleiter, der bisher keinen Ton gesagt hatte, blickte erschrocken auf. James fuhr unbeirrt fort. „Wir glauben, dass wir dir vertrauen können, eine Kleinigkeit für unsere Sache zu erledigen, eine gute Tat, wie Pfadfinder zu sagen pflegen.“
Ich horchte instinktiv auf, als ich zwei Mal das Wort „wir“ hörte. Wer waren „wir“?
„Wir sind die Unterdrückten, die Guten, die Minderheit. Die Singhalesen beleidigen und verdrängen uns. Wenn wir uns nicht endlich wehren, vernichten uns die Buddhisten. Im Norden müssen wir uns täglich vor Übergriffen schützen!“
Fest überzeugt, mich keinesfalls, auch nicht mit der kleinsten Gefälligkeit in diesen Konflikt einzumischen, fragte ich dennoch, was ich seiner Meinung nach tun könnte.
„Ganz einfach, nur eine Kleinigkeit, wie ich schon sagte. Im Rathaus von Colombo gibt es einen Kontaktmann, einen Tamilen, der diese Flugblätter (er tippte auf sein Pamphlet) in allen Büros und öffentlichen Bereichen verteilen und aufhängen wird. Er arbeitet dort in der Putzkolonne. James zwinkerte mir zu.
„Na schön, und was hat das mit mir zu tun?“
„Du bist ein unauffälliger Tourist, du kannst ein Paket mit diesen Flugblättern beim Besuch der Cinnamon Gardens problemlos ins Rathaus schmuggeln, wenn eine Reisegruppe das „kleine Capitol“ besichtigt.
Das Rathaus von Colombo war baulich dem Capitol in Washington nachempfunden, wie ich schon gesehen hatte, nur eben viel kleiner. Aber warum sollte ich Flugblätter dort hinein schmuggeln, die ein Angestellter selbst mitbringen konnte?
„Kann er eben nicht! Alle, die dort arbeiten, werden bei Betreten des Gebäudes gründlich gefilzt. Nicht ein einziges Flugblatt könnte unser Mann ungehindert dort einschleusen, geschweige denn einen ganzen Packen. Aber du in einer Besuchergruppe mit Rucksäcken und Tüten, die kein Mensch kontrolliert, kannst die Flugblätter mitnehmen ... und dort auf einer Toilette verstecken. Ganz einfach, oder?“
Ich war nicht sicher, ob mir die Vorstellung gefiel. In der Regel mochte ich ungewisse Situationen. Doch hierbei fehlte es mir einfach an Enthusiasmus oder Anreiz, warum ich mich darauf einlassen sollte. Auch wusste ich nicht, wann und wie das konkret ablaufen sollte.
„Morgen, mein Freund, startet die nächste Tour nach Colombo mit Stadtrundfahrt. Du kannst den Trip direkt in deinem Hotel buchen, auch morgen früh noch. Wir zahlen das Ticket, kein Problem. Du nimmst unser Päckchen mit, das du vor der Fahrt bekommst, und im Rathaus lässt du es auf der Besuchertoilette. Details sage ich dir noch, okay?“
„Wie groß ist das Paket?“
„Nicht groß, etwa so.“ James zeigte ein handliches Maß. „Auch nicht schwer. Passt in jeden Rucksack.“
„Kann ich das mal sehen?“
„Nein, wir geben es dir erst morgen.“
„Ich meine, kann ich das Paket aufmachen, bevor ich es mitnehme?“ Erst als ich dies aussprach, wurde mir bewusst, was ich sagte. Wie bei einem Zeitzünder (kein zufälliger Vergleich!) realisierte ich mit Verzögerung, was ich NICHT gesagt ... und dadurch erst angedeutet hatte!
James gefror augenblicklich zu einer Statue, aus seinem Gesicht wich der letzte Rest Farbe. Nur seine Augen waren noch lebendig und suchten die seines Begleiters. Der schien plötzlich aufzuwachen und beherrschte ebenso plötzlich die englische Sprache: „Nein! Das Paket bleibt verschnürt.“ Sein Versuch, trotz Entschlossenheit freundlich zu wirken, misslang. „Wir vertrauen dir, du vertraust uns, alles klar?“
Meine Gedanken kreisten noch um das Wort „Zeitzünder“, während sämtliche Alarmglocken meines verdorbenen Charakters schrillten. „Nichts ist klar, meine Freunde!“ Ich warf ihnen abwechselnd irre Blicke zu. „Wir vertrauen einander, okay?“ Dabei musste ich unwillkürlich kichern, wie über meinen eigenen Wahnsinn. „Also ich beweise euch mein Vertrauen: Wenn ich das Paket öffnen kann und darin wirklich nur Flugblätter sind, bringe ich die ins Rathaus, versprochen!“
Die beiden unterhielten sich auf einmal lebhaft auf Tamil, ich verstand kein Wort. Doch ihre Gestik und ihr Ton verrieten, dass sie stritten. James schien den anderen Burschen beruhigen zu wollen, doch der sprang immer wieder auf und wurde lauter. Ihr Streit eskalierte, und der Inhaber des Ladens, der am Vortag schon Monika an die Luft gesetzt hatte, näherte sich unserem Tisch. Die beiden bekamen das mit, beruhigten sich schließlich und hoben entschuldigend die Hände.
Unterdessen tickte in mir (schon wieder so eine Assoziation!) mein angeborener Warnmechanismus, der gewöhnlich vom „worst case“ ausging: Falls ich es hier wirklich mit Terroristen und Bombenlegern zu tun hätte, läge es nicht in der Natur der Sache, dass sie mich als Mitwisser und möglichen Verräter auf der Stelle beseitigten? Oder bei nächster Gelegenheit, zumindest bevor ich mit anderen sprach? Ich musste mich kooperativ zeigen. „Okay, noch einmal ganz ruhig: Ich werde euer Paket morgen mitnehmen, wenn da nur Flugblätter drin sind. Versprecht ihr das?“ Es fiel mir schwer, so viel Naivität zu simulieren. Doch es funktionierte.
James lächelte wieder und drückte meinen Arm. „Ich wusste vom ersten Moment an, dass du unser Freund bist! Natürlich verspreche ich dir, dass es hier nur um Flugblätter geht. Wir danken dir für dein Vertrauen!“ Sogar der andere Typ zwang sich zu einem schiefen Lächeln, das ich instinktiv als Grinsen eines Mannes einstufte, der schon getötet hatte.
Wir vereinbarten Ort und Zeit der Übergabe am nächsten Morgen und schlüpften unauffällig aus dem Restaurant. Ein neurales Rumoren verfolgte mich indessen noch bis tief in die Nacht. Vielleicht hatten auch die beiden ihre Loyalität nur gespielt und berieten sich gerade, wann und wo sie mich umlegen würden. Oder falls nicht: Wie würde das Treffen ablaufen? Wäre im Paket wirklich nur Papier, würde man es mir zeigen – aber darauf vertraute ich nicht. Man würde verlangen, dass ich dem Versprechen glaubte. Und dann? Wenn ich das Ding einmal bei mir hatte, konnte ich nicht mehr aussteigen, es nicht einfach irgendwo in die Natur werfen. Womöglich sprengte ich mich bei dem Versuch selbst in die Luft. Gab es einen Zeitzünder? Wann würde das Ding hochgehen? Vielleicht gar nicht. Und falls doch, warum sollte man mich nachträglich nicht einfach beseitigen? Musste man das nicht sogar? Sollte ich vielleicht mitten in der Nacht meinen Kram packen und aus dem Hotel verschwinden? Oder erst einmal mitspielen und auf eine bessere Chance hoffen? Das Karussell in meinem Kopf raste immer schneller und raubte mir den Schlaf.
Entsprechend zerschlagen war ich morgens beim Frühstück, das einerseits meine Henkersmahlzeit sein konnte, andererseits – oder gerade deshalb - neue Kräfte in mir weckte. Immerhin lebte ich noch. Auch hatte ich mich entschieden, die Dinge auf mich zu kommen zu lassen und erst zu agieren, wenn der Moment günstig war. Ich hatte in der Nacht viele gefährliche Situationen, die ich schon überstanden hatte, Revue passieren lassen und erkannt, dass ich mit dieser Einstellung immer am besten gefahren war. Abwarten, wachsam sein, blitzschnell anderen zuvor kommen!
Ich war sogar pünktlich am Treffpunkt, aber nichts passierte. Niemand tauchte auf, weder Tamilen noch Päckchen. Urlauber stiegen in den Bus nach Colombo, ich blieb in der Hotelhalle und nahm mir eine Zeitung, um die Lage noch ein Weilchen zu beobachten. Aber es geschah nichts, ich wurde nie wieder kontaktiert und sollte auch James oder seinen dunklen Spießgesellen nie wieder sehen.
In den nächsten Tagen, die ich noch in Negombo verbrachte, hatte ich manchmal das Gefühl, beobachtet oder verfolgt zu werden. Obwohl es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gab und ich, anders als in vergleichbaren Situationen, niemanden identifizierte, der mir „zufällig“ wiederholt begegnete. Irgendwann tat ich das Gefühl erfolgreich als Hirngespinst ab. Monika und ihr Partner waren von der Bildfläche verschwunden, vermutlich abgereist, was ich sehr begrüßte. Und da ich genauso wenig erpicht auf ein Wiedersehen mit James war, mied ich tunlichst das Gartenrestaurant auf der anderen Straßenseite. Bis zu meiner Abreise unternahm ich überhaupt nur noch wenig auf Sri Lanka, bei Flaute lag ich am Pool, bei Wind surfte ich vor der Küste auf und ab. Im Shop des Hotels kaufte ich mir ein Buch über Indien, das ich aber noch nicht zu lesen begann. Die Lektüre der Tageszeitungen wurde zunehmend spannender: Täglich berichteten sie über die sich ausweitenden Unruhen in den nördlichen Regionen. Guerillas der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) verbreiteten Angst und Schrecken. Genauso brutal schlugen Regierungstruppen zurück und statuierten Exempel an Kämpfern und ganzen Dörfern der Hindu-Minderheit. Ich war froh, den drohenden Auseinandersetzungen rechtzeitig zu entkommen.
(Ein Jahr später hatten sich die Unruhen über die gesamte Insel ausgebreitet. 1983 brach offiziell der Bürgerkrieg aus, begleitet von schweren Kämpfen und Attentaten. Singhalesen und Tamilen zerfleischten sich in blinder Wut. Autobomben töteten immer wieder Soldaten, irgendwann den Staatspräsidenten und einmal sogar mit über 50 Opfern die gesamte Spitze der Oppositionspartei UNP.)
Als ich nach Indien flog, folgten 25 Jahre Terror auf Sri Lanka, die erst 2009 vorüber waren. Ich landete in Madurai und durchkreuzte, bevor es mich in den Norden und weiter nach Nepal trieb, zunächst die Südspitze des Subkontinents. Trotz schreiender Armut war mir das Riesenland sofort sympathischer als Sri Lanka. Warum? Weil ich keine Gewalt spürte, weder offen noch unterschwellig. Es gab ein Kastensystem, das alles regelte, es gab die täglichen kleinen Gaunereien, aber ich fühlte mich sicher und musste mich nicht ständig umsehen, ob von irgendwem Gefahr drohte.
In Mysore glaubte ich, das Paradies zu betreten. In der Dämmerung erreichte ich Brindavan Gardens und wurde kurz vor Hereinbrechen der Dunkelheit vom Ausmaß dieser gigantischen Terrassenanlage überwältigt. Gesäumt von Bougainvillea und Hängen voller Blumen-Ornamente lagen vor mir, so weit das Auge reichte, ein Meer von Blüten, dazwischen sattgrüne Rasenflächen und zahllose kleine Labyrinthe aus kunstvoll gestutzten Hecken. Alles auf weiten, sanft abfallenden Terrassen, die von breiten und schmalen Kanälen mit Fontänen und fröhlichen Wasserfällen durchzogen wurden: Der Wirklichkeit gewordene Traum eines Maharadschas, der einst hier regierte. Kaum legte sich die Nacht über dieses Wunder, wurde es magisch von Millionen bunter Lichter erfüllt. Entlang aller Pfade und Blumenbeete, aller Wasserläufe und Kaskaden und Fontänen erstrahlten kleine, farbige Lichtquellen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Ich durfte teilhaben an Indiens wahrer Wunderwelt.
Hier war es, wo ich am nächsten Tag in meinem Hotel die Zeitung aufschlug und auf dem Foto der Titelseite ein Gebäude wiedererkannte: Das Rathaus von Colombo, das dem US-Capitol so ähnlich sah. Darüber prangte die Schlagzeile „Bombenanschlag!“