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Belletristik
Buch Leseprobe Mein Mariinsky, Anna Fenzl
Anna Fenzl

Mein Mariinsky


Die Reisen mit dem russischen Orchester

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Rotterdam, den 16.10. Meine Güte, was für ein Konzertsaal! Die Holländer haben ihr Bestes getan: überall hängen Porträts von russischen Komponisten mit kurzen Bio-graphien. Im Erdgeschoss befindet sich das Porträt von Gergiev, es werden die Aufnahmen von Mariinsky-Aufführungen gespielt.
Am ersten Abend gehe ich zum Maestro. Ich bin natürlich sehr aufgeregt: wie wird er mich empfangen?
Er hat mich aber gar nicht empfangen. Der Maestro hat sich in die Garderobe zurück-gezogen, als hätte er mich gar nicht be-merkt.
Was soll das? Normalerweise freut sich Valery Abissalovich über jedes Publikum, und ein sympathisches weibliches Gesicht würde er nicht verpassen wollen. Wahr-scheinlich hat er mich erkannt und braucht Zeit, um sich zu überlegen, was er mit mir tun soll. Oder er weiß nicht genau, wer ich bin. Kein Wunder: er hat so viele Leute um sich herum.
Macht nichts, ich komme am nächsten Tag wieder. Da sitzt der Maestro in seinem Di-rigentenzimmer, Hände an den Hüften:
„Na los!“
„Valery Abissalovich, Grüß Sie, erkennen Sie mich nicht?“
„Ihr Gesicht ist mir bekannt. Sind Sie die Tochter von jemandem?“
Damit ist eigentlich alles gesagt: nur Ver-bindungen zählen in der russischen Mu-sikwelt. Ich muss wohl die Tochter zumin-dest von einem Ölmagnat sein, wenn ich mich traue, mit dem Maestro zu sprechen.
„Nein, ich bin von keinem die Tochter.“
„Was spielen Sie?“
Er ist vorbereitet, dass ich jetzt um etwas bitten werde. Alle bitten ihn um etwas.
„Ich spiele nichts (Mein Spielen kann man kaum Spielen nennen, vor allem in der An-wesenheit von Gergiev).
Pause…
„Ich habe Ihnen meine Vorschläge aufgelis-tet.“
Damit gebe ich ihm einen Umschlag mit meinem Lebenslauf.
Der Maestro reißt mir den Umschlag aus den Händen und erklärt allen Umstehen-den, dass das eine geschäftliche Angele-genheit ist.
Uff, geschafft.
Dieses Gespräch hat mich so viel Kraft gekostet, dass ich mich nur noch hinsetzen konnte, nachdem ich das Künstlerzimmer verlassen hatte.
Am Anfang dachte ich, dass nur ich so empfindlich bin. Dem war aber nicht so. Jeder erzählte mir später, dass er sehr nervös gewesen sei, bevor der Maestro ihn empfangen hatte. Mir kam es jedenfalls immer so vor, als würde ich einen Berg im Kaukasus besteigen. Letztendlich sind die berühmten Dirigenten auch nur Menschen, und auch sie müssen mit anderen Leuten kommunizieren. Wie viel einfacher war es aber in Deutschland, wo wir unseren Chef duzen durften!

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