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Bücher Zeitzeugen
Buch Leseprobe Kamenz in Schlesien, Manuel Magiera
Manuel Magiera

Kamenz in Schlesien


Kindheit und Jugend während der NS Diktatur

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Dieses Buch ist meinen Eltern Wanda und Wilhelm gewidmet, die den Geburtsjahrgängen 1924 und 1927 angehörten. Mein Vater wuchs in Kamenz/Niederschlesien auf. Er wurde durch die Ereignisse und Erlebnisse während der Kriegszeit nachhaltig geprägt. Der folgende Lebensbericht ist wahr und seinen Erzählungen entsprechend aufgeschrieben. Wir Nachgeborenen (ich bin Jahrgang 1956) durften, wie alle uns nachfolgenden Generationen, in Frieden und wirtschaftlicher Sicherheit aufwachsen. Dafür müssen wir dankbar sein. Die zwei Weltkriege und das durch sie verursachte Leid dürfen nie in Vergessenheit geraten, damit sich Ähnliches nicht wiederholen kann.


 „Willi, komm, der Zug fährt gleich ein. Wir wollen doch den Führer sehen!“ Aufgeregt winkte mir meine hübsche sechzehnjährige Tante Elisabeth zu. Ich sah noch einmal auf die friedlich dahinfließende Glatzer Neiße. Dann drehte ich mich um und rannte, so schnell mich meine elfjährigen Beine tragen konnten, zum Bahnhof. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen. Die Leute beeilten sich, einen Platz mit Blick auf die Bahngleise zu erhaschen.  SS Männer in Uniform marschierten an mir vorbei. An den Gebäuden hingen die Fahnen mit den Hakenkreuzen.


Ich lief wie üblich zum Bahnhofsschuppen und kletterte flink auf die alte knorrige Eiche. Von hier oben hatte man den besten Ausblick. Meine Freunde aus dem Jungvolk waren schon da. Einer rückte etwas zur Seite und zeigte plötzlich in die Richtung, aus der sich langsam schnaufend die Lokomotive näherte.


Wie elektrisiert rissen die Menschen ihre Arme hoch. Aus tausend Kehlen riefen sie dem Führer zu. Auch wir Kinder wurden von der Begeisterung angesteckt. Wir streckten unsere Arme so weit es nur möglich war nach vorne und schrieen mit Leibeskräften seinen Namen. Das Erlebnis ist nun zwölf Jahre her. Zwölf Jahre Albtraum, die meine heile Kinderwelt völlig veränderten. Ich sitze am Tisch, schaue meine alten Bilder an und blicke dann auf die Lebensmittelmarken für Januar und Februar 1950. Meine Gedanken wandern zurück und ich sehe alles vor mir, als wenn es gestern gewesen wäre.


Ich wurde am 06. Mai 1927 in Kamenz in Niederschlesien geboren. Meine Mutter war eine von sieben Schwestern einer Ofensetzers Familie. Großvater Gustav war nach Urgroßvater Rudolf bereits in zweiter Generation Ofensetzer-Meister gewesen und starb im Oktober 1930. Meine beiden Onkel fielen in sinnlosen Kriegen. Vater war Schlosser von Beruf, aber ich habe ihn leider nie richtig kennengelernt. Warum meine Eltern trotz der katholischen Familie nicht heirateten, hing mit persönlichen Differenzen zwischen meinem Vater und meinen Großeltern zusammen. Doch als kleiner Junge merkte ich davon nicht viel. Nach den sieben Töchtern war ich der erste männliche Nachkomme und wurde entsprechend verhätschelt. Über meine Kindheit im Riesengebirge konnte ich mich nicht beklagen. Meine einige Jahre ältere Tante beschwerte sich dann auch später, ich hätte von Schlittschuhen über Skier alles bekommen, was sie sich ein Leben lang sehnlichst gewünscht hatte. Ich wurde im Jahr der Machtergreifung eingeschult und konnte an diesem Tag eine riesige Schultüte mein eigen nennen. Am Führergeburtstag, dem 20. 04. 1933, gab es in der Schule Würstchen. Natürlich nahm ich unkritisch alles hin, was man uns bei brachte. Ich war ein kleines Kind und wer konnte ahnen, dass wir für eine Ideologie missbraucht wurden, die uns nur zwölf Jahre später den Untergang des ganzen Landes bescheren würde!


In der Schule kam ich recht gut mit. Das war wichtig, denn die Lehrer hatten wesentlich mehr Freiheiten als heute. Der Rohrstock gehörte obligatorisch zur Ausstattung eines Klassenzimmers dazu. Man musste die Hände flach nach vorn ausstrecken und der Stock sauste darauf. Es war eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit und wohl dem, der davon verschont blieb. Mit zehn Jahren fing ich wie alle anderen im Jungvolk an. An den Nachmittagen hatten wir unsere Gruppentreffen. Sport wurde natürlich sehr groß geschrieben. Bälle und Keulen zum Werfen hatten bereits exakt das Gewicht und auch die Größe von Handgranaten sowie Panzerfäusten. Wir wurden also gezielt auf unseren Einsatz als Soldaten ausgebildet. Es gab nur den Führer und die Nationale Gesinnung. Bevor ich allerdings Jungvolkjunge wurde, musste  ich die „Pimpfen“ Probe bestehen.


Sie bestand aus einem Sechzig-Meter-Lauf, Weitsprung und Schlagballweitwurf. Zusätzlich nahm man an einer eintägigen Fahrt teil und sollte den Aufbau des Fähnleins (so hieß der Aufbau der gesamten Organisation aller Gruppen und Züge) kennen. Das Wissen um den Lebenslauf des Führers gehörte selbstverständlich genauso dazu, wie das Singen des Horst-Wessel-Liedes, des Deutschlandliedes und unseres HJ Fahnenliedes. Ich erinnere mich auch noch an das Motto:


Jungvolkjungen sind hart, schweigsam und treu.


Jungvolkjungen sind Kameraden.


Des Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre.


Den Sinn verstanden die Wenigsten, gelernt haben wir es alle. Es war auch gar nichts anderes möglich. Keiner konnte sich ausschließen. Die Teilnahme war Pflicht und unsere Eltern riskierten eine Menge Ärger, wenn sie uns Kinder nicht ins Jungvolk schickten. Wir waren zu Hause seit jeher katholisch gewesen und so blieb meine Erziehung immer christlich geprägt.


Die späteren Leistungsabzeichen und Prüfungen habe ich nicht mitgemacht, weil die Schule Vorrang hatte. Darauf legte meine Mutter großen Wert. Da ich zum Besuch der Handelsschule mit dem Zug nach Glatz und ins Aufbaugymnasium nach Münsterberg fahren musste, wurde ich durch diese langen Schulwege der HJ-Organisation etwas entrissen. Ich nahm allerdings an Freizeiten teil, fuhr ins Skilager, welches von der SS geleitet wurde und erlebte eine herbe Enttäuschung.


Durch mein eigentliches Hobby, dem Segelfliegen, mit Kameradschaft und Unterbringung verwöhnt, dachte ich, so eine Skifreizeit wäre mal eine kleine Abwechslung in den Ferien. Weit gefehlt!


Es ging sogleich mit militärischem Drill zur Sache. Morgens um halb sechs Uhr hieß es, erst einmal alle in Unterhosen raus zur Schneeballschlacht. Ich dachte, was mich nicht umbringt, macht mich vielleicht härter und sah zu, dass ich diese Freizeit so schnell es ging, überstand. Es war das erste und letzte Mal, dass ich mich für so etwas anmeldete. Zukünftig blieb ich bei der Fliegerei. Dort war die Unterbringung nicht nur besser, auch der harte Drill fehlte. Flieger sind eine Spezies für sich und das vermittelten uns auch die Ausbilder. Natürlich mussten wir viel lernen.


In den Schulungsräumen paukten wir stundenlang theoretische Grundlagen und Wetterkunde. Am Anfang ging es dann im offenen Gleiter über die Wiese. Es gab den A, B, und C-Schein. Ich hab sie alle gemacht und ein Hakenkreuz ziert heute meine alten Prüfungszeugnisse. Die Segelflugschule in Grunau bei Hirschberg wurde mein zweites zu Hause. Ich verbrachte dort jede freie Minute. Nach den ersten erfolgreichen Starts und Landungen ging es dann natürlich auch bald in die „richtige“ Maschine und man wurde mit der Winde nach oben gezogen. Zunächst flog noch ein Ausbilder mit. Später kam dann der große Moment, als wir auf uns allein gestellt, im wahrsten Sinne des Wortes über den Wolken schweben durften. Schnitzer konnten wir uns allerdings keine erlauben! Einer der Jungen schaffte es nicht rechtzeitig die Winde wieder auszuklinken, so dass er im Flugzeug mit der Nase vorne über abgestürzt wäre, hätte der Ausbilder diese nicht gekappt. Der arme Bursche konnte sogleich seine Sachen packen und nach Hause fahren. Hirschberg war natürlich auch die Heimat unserer großen Fliegerin Hanna Reitsch. Wir Jungen vergötterten sie und schlugen uns fast um die Plätze an ihrer Maschine, wenn es darum ging, ihr Flugzeug wieder in den Hangar zurück zu schieben. Dass sie vor hatte, uns zu Kamikaze-Fliegern auszubilden, treibt mir noch heute eine Gänsehaut über die Arme. Ich wollte ja eigentlich auch gern zur Fliegerstaffel. Doch für diese Ausbildung kam der Krieg zu schnell. Ich war sechzehn Jahre alt, als ich zum Reichsarbeitsdienst ging und als Siebzehnjähriger meldete ich mich dann freiwillig an die Front. Mein Vorgesetzter wollte mich nicht gehen lasen. Durch  Handelsschule und Aufbaugymnasium konnte er mich in seiner Schreibstube gut gebrauchen. Er bot mir einen gesonderten Lehrgang an, wenn ich bliebe. Ich war aber genauso verblendet wie alle anderen und lehnte ab. Erst wollte ich für den Führer und das Vaterland kämpfen. Mir wäre sicher vieles erspart geblieben, wenn ich sein Angebot angenommen hätte. Er sah mich sehr merkwürdig an, als ich ablehnte. Heute weiß ich, warum. Aber damals ahnten wir noch nichts von Tod, Leiden und Entbehrung. Auch ich dachte nur an Heldentum und an die Ehre des Vaterlandes, die es zu verteidigen galt. So hatte man es uns beigebracht. An etwas anderes zu denken, kam mir gar nicht in den Sinn. Wie auch! Wir waren hundertfünfzig junge Männer zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren, die ihre Grundausbildung in der Kaserne ‚Hermann Göring‘ zu Berlin erhielten. Den imposanten Reichsadler am Eingang werde ich nie vergessen. Wir hatten alles. Warme Kleidung, gutes, reichliches Essen und jede Menge Spaß in unserer Kameradschaft.


Die Front war weit weg und kaum einer wusste, was wir dort vorfinden würden. In der Wochenschau wurde von den Eroberungen und von den Siegeszügen der Deutschen Wehrmacht berichtet. Die Propaganda gestaltete sich genauso effektiv, wie der schon an Größenwahn grenzende Enthusiasmus, der uns als Kinder in Jungvolk und HJ beigebracht wurde. Wir genossen unsere Grundausbildung und fühlten uns wie erwachsene Männer und zukünftige Helden, die das Deutsche Vaterland erretten und wieder zu höchstem Glanze führen würden. Manch einer träumte schon laut vom Eisernen Kreuz und der feierlichen Zeremonie, wenn es vom Führer persönlich überreicht wird. Eines Tages dann war unser Glück fast perfekt.


Hermann Göring kam mit seinem Gefolge in die Kaserne und aß mit uns einfachen Soldaten in der Kantine. Er saß nur wenige Meter vor mir am Tisch. Ich konnte es kaum fassen, dem Reichsmarschall des Großdeutschen Reichs so nahe gegenüber zu sitzen. Meine Begeisterung damals war grenzenlos! Zumal ich  auch später einmal Förster werden wollte und Göring als Reichsforstmeister und Reichsjägermeister natürlich eine zentrale Figur für diesen Berufswunsch darstellte. Dass es hinter den Kulissen für ihn nicht zum Besten stand, ahnte ich natürlich nicht.



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