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Science Fiction
Buch Leseprobe TERRA - Ende der Zivilisation, Joachim Hausen
Joachim Hausen

TERRA - Ende der Zivilisation



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1


 


Gegen zehn Uhr am 30. Juli 2035 nahm ein unbekanntes Raumschiff einen stationären Orbit 300 Kilometer über Brasilia ein. Allerdings brach weder in den Medien, der Bevölkerung noch in Regierung und Streitkräften Panik aus. Die Besatzung des Schiffes hatte sich zwei Tage zuvor bei Rod Mitchell, dem Sicherheitsberater des Präsidenten, angemeldet.


Es handelte sich um die G-234, einen umgebauten und modernisierten Flottenkreuzer der Shemurer. Das stumpfgraue Schiff glich einer Diskusscheibe in deren Mitte eine 300 Meter durchmessende Kugel steckte, die ober- und unterhalb der Scheibe 50 Meter herausragte. Der Diskus durchmaß 820 Meter. Die maximal 200 Meter dicke Scheibe verjüngte sich zum Rand auf 100 Meter. Der senkrechte Abschluss schimmerte goldfarben.


Noch vor elf Uhr senkte sich die knallrote Bordfähre der G-234 dem nördlich der Stadt gelegenen Stützpunkt der Unionsluftwaffe entgegen. Das Gefährt näherte sich rasch. Kein Motorengebrüll. Kein Donnern und Tosen. Summend wie Millionen Insekten und fauchend wie 100 Jaguare schwebte die eiförmige Bordfähre auf den Platzrand zu. Um den Rand ihrer abgeplatteten Unterseite lief ein drei Meter dicker Wulst, aus dem hellviolettes Flimmern strömte.


Vier kurze Teleskoplandebeine fuhren aus. Sie endeten in runden Landeplatten. Die 44 Meter lange Fähre, maximal 26 breit und 19 Meter hoch, setzte sanft auf. Fauchen und Summen erstarben. Ein kaum wahrnehmbares Brummen blieb zurück.


Eine erleuchtete Türöffnung erschien. Eine Treppe schob sich zum Boden. Sieben Tarsianer und vier Erdenmenschen, darunter ein fünfjähriges Mädchen, bestiegen einen blauen Regierungsbus, der ein paar Meter neben der Fähre stoppte. Zwei wartende Soldaten verstauten die Koffer der Ankömmlinge im Gepäckraum des Busses.


»Herzlich willkommen Frau Hausner, lange nicht gesehen«, begrüßte der Sicherheitsberater des Präsidenten, ein hoch aufgeschossener Australier mit schütterem braunen Haar, sichtlich erfreut die attraktive 37-jährige Deutsche.


Olivia Hausner warf das nachtschwarze Haar zurück und lächelte. »Ich – wir freuen uns, Sie zu sehen, Mister Mitchell. Sie leisten immer noch Fahrdienste?«


Lachen. »Wie gehabt – Mädchen für alles.«


Herzliche Begrüßungsszenen.


Jeder nahm Platz. Rod Mitchell erhob sich. »Meine Damen, meine Herren, ich bringe Sie zunächst ins Kasino des Regierungsgebäudes – ins Ministerkasino selbstverständlich.« Er grinste und fuhr fort: »Nach dem Mittagessen bringt mein Fahrer das Gepäck, die Eltern und die Tochter von Frau Hausner in das gleiche Hotel wie bei Ihrem letzten Besuch. Die Regierung bezahlt auch diesmal. Für die übrigen und für mich geht es an die Arbeit, soll heißen, wir treffen uns um 14:15 Uhr mit dem Präsidenten. Die Herrenmenschen nehmen ebenfalls an der Besprechung teil.« Er nickte, setzte sich und fuhr los.


Olivia Hausner hatte während des ersten Aufenthaltes der außerirdischen Menschen einen Tarsianer namens Arado geheiratet und war ihm in dessen Heimat gefolgt. Beim zweiten Besuch hatte sie die in ihrer neuen Heimat geborene Tochter Christa mitgebracht und ihre Eltern zu einer Auswanderung nach TARSIS bewegen können.


 


Pünktlich betraten der Sicherheitsberater, die Tarsianer und Olivia das Konferenzzimmer. Jaimal Singh und die sechs Herrenmenschen erwarteten sie bereits. Händeschütteln. Schulterklopfen. Allenthalben freudige Gesichter. Alle nahmen am runden Mahagonitisch Platz.


Der Präsident hielt eine kurze Begrüßungsrede. Er lächelte, trank zwei Schlucke Wasser und fuhr fort: »Geschätzte Gäste, Sie haben in Ihrem Funkspruch eine brisante Angelegenheit angedeutet, die Sie uns offenbaren wollen.«


Die Gäste nickten. Der 32-jährige muskulöse Nandor, den seine Landsleute im Verlauf ihrer Flucht stillschweigend als Anführer akzeptiert hatten, ergriff das Wort: »Vor knapp drei Jahren traten wir in die Dienste von Fhara Shemax, dem 5. Gaspor des Galaktischen Planetenbundes. Einzelheiten darüber kennen Sie und die Erdenmenschen ja. Sie überließ uns das fantastische Raumschiff, mit dem wir ankamen. Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Heimat, TERRA und GAIA vor den Zugriffen der Herrenmenschen und der Bestien zu schützen.«


»Donnerwetter!«, rief der Präsident anerkennend. »Eine verantwortungsvolle und eventuell gefährliche Tätigkeit. Ich werde zu gegebener Zeit der Regierung und der Öffentlichkeit berichten.«


Nandor, mit markanten Gesichtszügen und pechschwarzem Haar, auch in den Augen der Erdenmenschen ein attraktiver Mann, trank zwei Schlucke Fruchtsaft und fuhr fort: »Der Nachrichtendienst der Shemurer setzte vor 800 Jahren innerhalb der Galaktischen Union Spionagesonden aus, die seither sämtliche Überlicht-Funknachrichten empfangen und entschlüsseln. Ein Computer analysiert diese und sortiert die uninteressanten Meldungen aus. Im Gegensatz zu den Ihnen bekannten ÜL-Funkanlagen, die ja, wie Sie wissen, ebenfalls von den Shemurern stammen, überbrückt dieses System weit über 3.000 Lichtjahre ohne Relaisstationen. Das Funksignal benötigt für diese Strecke nur 13 Stunden. Der 5. Gaspor kennt daher zeitnah die geplanten Aktivitäten der Herrenmenschen.«


Präsident und Sicherheitsberater wechselten erstaunte Blicke.


 


Die sogenannten Herrenmenschen verdankten den Großteil ihrer technischen Errungenschaften einem Raumschiff der Shemurer. Eine Expedition hatte Jahre nach dem Siedlungsbeginn auf EERDUR 2 in einem Tal eines unwirtlichen Gebirges ein 250 Meter durchmessende Diskusschiff, das offenkundig eine Notlandung hingelegt hatte, entdeckt. Fachleute hatten das Alter des Raumfahrzeugs auf 1000 Jahre geschätzt. Zwölf Jahre danach hatte die Expansion der Herrenmenschen in die Galaxis begonnen.


 


Nandor strich durchs kurze Haar, heftete die wassergrünen Augen auf Jaimal Singh und setzte seine Erläuterung fort: »Vor neun Monaten erhielt der 5. Gaspor die Meldung, dass ein Raumschiff der Herrenmenschen vom Planeten LAAMAR, rund 3.000 Lichtjahre von hier, nach TERRA aufgebrochen war.«


»Scheiße!«, knurrte Singh. »Diese Idioten geben einfach nicht auf und schicken ein weiteres Robotschiff zur Erde, obwohl … «


Nandor hob eine Hand. »Kein Robotschiff, Herr Präsident. Die Menschenhändler bauten die UNION 4 um, ein Schwesterschiff unserer FREIHEIT, der ehemaligen UNION 5. Sie ersetzten das Südpolgeschütz, welches wie das Geschütz unter der Nordpolkuppel dem eines Zerstörers entspricht, durch ein DI-Geschütz eines Großen Kreuzers, bedeutet also ein Drittel mehr Reichweite. Daneben kann man den Energiestrahl auf fast 500 Meter auffächern. Ein Schuss genügt, um einen Transporter komplett zu vernichten.«


Kopfschütteln. Erstaunt klingendes Murmeln der Regierungsmitglieder.


Nandor nickte und referierte weiter: »Das Hohe Oberkommando ließ 24 zusätzliche Neeki an Bord bringen, sodass 42 Torpedos zur Verfügung stehen. Da das Kreuzergeschütz mehr Energie konsumiert, und um die Leistung des EDAS zu steigern, ersetzte man den Sekundärreaktor durch einen Fusionsreaktor neuester Bauart. Er leistet, bei nur geringfügig größeren Abmessungen, 30 Prozent mehr. Doch diese Maßnahmen beunruhigten uns nicht. Wie wir alle wissen, kann es kein Kampfschiff der Herrenmenschen mit einem Schiff der Shemurer aufnehmen.«


Nicken.


Der Tarsianer trank drei Schlucke Saft, presste die Zähne zusammen, sodass sich die hohen Wangenknochen deutlich unter der olivenfarbenen Haut abzeichneten. »Uns versetzte der Missionsauftrag der UNION 4 in Empörung. Diese elenden Menschenhändler planen nicht nur, die Erde auszuspähen, sondern …« Er schnaufte.


Der Präsident beugte sich vor. »Sondern?


Nandor reckte das ausgeprägte Kinn vor. »Der Hohe Rat schickte dem Oberbefehlshaber der Raumflotte, der sich auf LAAMAR aufhielt, einen Geheimbefehl und beauftragte ihn, die Herrschaft auf der Erde zu übernehmen. Die Vorgehensweise und Einzelheiten überließ der Rat dem Hohen Commodore.«


Tausend den Raum stürmende Roptare hätten keine größere Verblüffung, kein größeres Entsetzen auslösen können. Der Sicherheitsberater raufte das spärliche Haar. Der Präsident schlug auf den Tisch und grunzte. Auf den bleichen Gesichtern der Herrenmenschen erschienen rosa Flecken.


Grabesstille.


Heer veen Cuustur, ein ehemaliger Hoher Ingenieur der Coondorwerke auf EESRA 4, hieb ebenfalls auf den Tisch, sodass die Getränkeflaschen klirrten. »Viele unserer Artgenossen haben zwar nicht alle Tassen im Schrank, wie die Menschen hier zu sagen pflegen, aber dass sie derart bescheuert und skrupellos agieren, vermutete ich nicht!«


Er schüttelte sich. Seine Landsleute pflichteten ihm bei.


Rod Mitchell hob eine Hand. »Wie wollen diese Arschlöcher das anstellen? Und … und bringen sie Reptilien mit?«


Der Tarsianer zuckte mit den Schultern. »Einzelheiten kennt Fhara Shemax nicht. Bestien befinden sich keine an Bord, das steht fest.«


Aufatmen.


Nandor leerte sein Glas.


Jaimal Singh schaute ihn an. »Was wollen Sie unternehmen, um die drohende Gefahr von der Erde abzuwenden?«


»Verläuft die Reise der UNION 4 planmäßig, trifft sie in ungefähr zwei Wochen hier ein. Wir erfuhren erst vor drei Monaten von den Plänen der Menschenhändler. Wir checkten die G-234 durch, beratschlagten und brachten anschließend Nahrungsmittel für 100 Tage an Bord.«


Der Sicherheitsberater riss die Augen auf. »Das verstehe ich jetzt nicht! Ich dachte, Sie benötigen von TARSIS bis zur Erde mindestens 140 Tage?«


Die 30-jährige Irisia, Nandors Schwester und Ingenieurin für Über-lichtantriebe, kicherte und schüttelte das kinnlange tiefschwarze Haar. »Unser Shemurerschiff überbrückte die knapp 2.300 Lichtjahre in 65 Tagen und 13 Stunden, und zwar in nur zwei Etappen. Während der Unterbrechungen mussten wir uns nur acht Stunden im Normalraum aufhalten.«


»Traumhafte Technik«, meinten Singh und Mitchell unisono.


 


Die Tarsianer beherrschten Englisch. Sie hatten die Sprache im Verlauf ihrer ersten Reise erlernt. Ihr Landsmann Fassar hatte vom Missionscomputer der EXPLORER, einem Robotschiff der Herrenmenschen, das die Erde vor neun Jahren entdeckte, die entsprechende Lernsoftware kopieren können. - (Die aufregenden Erlebnisse dieses Ingenieurs erzähle ich in meinem Roman TERRA-Verlust einer Unschuld).


Zum Erlernen der Sprache hatten die Tarsianer und die sechs Herrenmenschen den LernCom ihres Raumschiffes benutzt. Jeder musste sich dazu einen ComHelm auf den Kopf setzen, aus dem sich Nanodrähte in die gewünschten Hirnregionen absenkten. Der Computer übertrug per Funk von der Lernsoftware modulierte elektrische Impulse und verankerte den Lernstoff in den betreffenden Gehirnregionen. Auf diese Art und Weise hatten sie innerhalb von fünf Wochen Englisch gelernt. Normalerweise diente der LernCom zur Schulung und Weiterbildung der Offiziere, Ingenieure und Techniker.


 


Nandor erläuterte das geplante Vorgehen. Abschließend meinte er: »Um den Unterschied der technischen Errungenschaften der Shemurer mit denen der Herrenmenschen zu verdeutlichen, nenne ich Ihnen einen Vergleich. Die Waffen, die Ortungs- und Abwehrsysteme der UNION 4 verhalten sich zu denen unserer G-234 wie ein mit Lanze, Pfeil und Bogen bewaffneter Reiter Ihres Mittelalters zu einem Ihrer Kampfpanzer.«


Aufgerissene Augen. Erstauntes Gemurmel. Freudestrahlende Gesichter.


»Nach dem Abschluss Ihrer tollkühnen Aktion halten Sie vor der Regierung, den Senatoren und Abgeordneten einen Vortrag«, verkündete der Präsident. »Anschließend stellen Sie sich den Haien der Medien.« Er grinste. »Danach lasse ich ein rauschendes Fest veranstalten.«


Heiterkeitsausbrüche.


Der Sicherheitsberater hob eine Hand. »Was ich Sie noch fragen wollte … besteht die Besatzung Ihres gigantischen Raumschiffs nur aus sieben Personen? Scheint mir herzlich wenig!«


Irisias Partner Endur, ehemals Techniker 1. Klasse für Fusions-kraftwerke, blickte mit seinen ungewöhnlichen Augen – eines leuchtete wasser-, das andere rauchblau – Mitchell an und übernahm die Antwort: »An Bord halten sich noch vier Ingenieure auf. Fhara Shemax bezeichnet sie mit Technokraten. Sie checken in den nächsten Tagen die G-234 durch. Es sind shemurische Männer. Sie überwachen und bedienen die TecComp, die technischen Computer, und unterstützen bei Bedarf die TecRob, die Wartungs- und Reparaturroboter.«


Seine Partnerin heftete die Blicke der wasserblauen Augen auf die Regierungsmitglieder und lächelte. »Wir wollen die Männer erst nach Abschluss unseres Einsatzes herunterbringen. Die Shemurer mit ihren halblangen, gelockten Haaren und den Engelsflügeln hätten sonst vermutlich etwas Aufruhr in der Öffentlichkeit hervorgerufen.« Sie grinste.


»Klug gehandelt«, stellte der Präsident fest. Er beendete die Besprechung.


Die Herrenmenschen und Rod Mitchell begleiteten die Tarsianer und Olivia zum Bus, einem Modell mit Elektroantrieb. »Der Fahrer bringt Sie ins Hotel. Der Bus steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.« Er überreichte der Deutschen ein ViFon. »Mich erreichen Sie unter 222«, beschied er ihr, »und den Fahrer unter 227.«


Der Sicherheitsberater übergab Nandor zwei Geldchipkarten. »Für Ihre Einkäufe und Restaurantbesuche. Auf jedem Chip sind 5.000 Globo gespeichert.« Er grinste. »Gehen die Mäuse zur Neige, rufen Sie mich an.«


Die Tarsianer sahen sich mit Unverständnis in den Augen an. »Äh … Mister Mitchell«, meinte Irisia. »Wo befinden sich diese Tiere und was haben sie mit dem Geld zu tun?«


Olivia kicherte. Rod Mitchell bekam einen Lachanfall. Er klärte die Außerirdischen über die hiesige Redensart auf. Die Tarsianer lachten ebenfalls.


»Sie dürfen hemmungslos diese Mäuse verprassen«, meinte er zum Abschied. »Der Präsident zahlt.« Grinsend und winkend stürmte er ins Gebäude.


»Netter Kerl«, brummte Heer veen Cuustur. »Er hat uns Herrenmenschen nie herablassend behandelt und uns immer tatkräftig zur Seite gestanden.« Er reckte seine 2,16 Meter, breitete die Arme aus und rief: »Ich lade euch, und auch die Eltern von Olivia, am frühen Abend in unser Haus ein. Wir werden ein opulentes Grillfest veranstalten – und uns einen ansaufen, vor Freude natürlich.«


»Prima«, kommentierte Arado, strich durchs pechschwarze Lockenhaar und heftete seine meergrünen Augen auf den Herrenmenschen. »Besorgen Sie genügend deutsches Weißbier, und zwar aus Bayern. Sie wissen, dass meine Frau aus München kommt und dieses Bier liebt, ich natürlich auch! In unserer Heimat brauten wir letztes Jahr zum ersten Mal Bier. Es gelang jedoch nicht 100-prozentig, wir müssen wohl noch etwas üben.«


Gelächter. Schulterklopfen.


Die Herrenmenschen bestiegen ihren Elektro-Van. Bevor sich Heer veen Puusos, der ehemalige Oberingenieur des Coondorwerkes auf EESRA 4 hinters Steuer setzte, drehte er sich um und winkte.


Der 2,12 Meter aufragende Mann stellte einen typischen Vertreter der Herrenmenschen dar. Auf dem lang gestreckten Kopf wuchs schneeweißes Haar, allerdings nicht mehr wie früher schulterlang, sondern der hiesigen Mode angepasst nur fingerlang. Durch diese Frisur bedingt, erschienen seine abstehenden, neun Zentimeter durchmessenden, Ohren riesig. Der ausgezehrt wirkende Körper wies dünne Arme und Beine auf. Die schmalen Hände endeten in feingliedrigen Fingern. Im alabasterfarbenen Gesicht mit der langen und platten Nase zeichneten sich deutlich die Wangenknochen ab. Blassblaue Lippen bedeckten geradeso zwei Reihen breiter weißer Zähne, künstliche Keemarikzähne. Unter den kaum wahrnehmbaren Augenbrauen schimmerten die Augen in einem blassen Braun.


»Der Kerl hat sich inzwischen äußerst positiv entwickelt«, meinte Irisia. »Überhaupt nicht mehr arrogant und überheblich, erst recht, nachdem er mit dieser Massaifrau zusammenlebt. Erstaunliche Entwicklung, auch der vier Offiziere.«


Ihr Bruder nickte. »Zeigt eindeutig, dass viele Herrenmenschen nicht nur negative Charaktereigenschaften besitzen. Ihre Erziehung trägt die Hauptschuld an ihrem schändlichen Verhalten anderen Menschenrassen gegenüber. Heer veen Cuustur stellte eine der wenigen Ausnahmen dar. Er behandelte uns immer anständig und fair.«


Die Herrenmenschen hatten vor über 1.300 Jahren die Galaktische Union, die GU, gegründet. Deren Heimatplanet EERDUR lag im geografischen Zentrum der Union und bildete mit EERDUR 2 und zwei unbelebten Sonnensystemen den sogenannten Innersten Zentralgau, die Keimzelle der Galaktischen Union. Um diesen gruppierten sich sechs Zentralgaue, umgeben von 46 Innengauen. 139 Außengaue vervollständigten das Gebilde, das grob die Form einer Kugel von ungefähr 1.600 Lichtjahren Durchmesser besaß. Größe und Form der einzelnen Gaue variierten stark. In jedem Gau musste ein bewohnter Planet liegen, von denen 30 eine Urbevölkerung aufwiesen. Diese Menschenrassen standen zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung auf einem weitaus niedrigeren Zivilisationsniveau als die Herrenmenschen. Sie hatten diese Tatsache skrupellos ausgenutzt und die bedauernswerten Eingeborenen unterdrückt und ausgebeutet.


Der erste Planet, den die Herrenmenschen besiedelt hatten, stand nur elf Lichtmonate von ihrem Heimatplaneten entfernt und besaß eine Urbevölkerung. Die Entwicklungsstufe dieser Menschen ähnelte damals derjenigen in Mitteleuropa nach dem Niedergang des Römischen Reiches. Die Eroberer nannten den Planeten EERDUR 2 und beuteten die Einheimischen gnadenlos aus.


In den Anfangsjahren der Besiedlung bezeichnete irgendjemand in irgendeiner Nachricht die dortigen Eingeborenen als Untermenschen. Die Verantwortlichen definierten diese Menschen flugs als eigene Art, die nichts mit der Hohen Rasse der Herrenmenschen gemeinsam habe. Diese heuchlerische Maßnahme sollte ihr Gewissen beruhigen.


Mit dieser geringschätzigen Bezeichnung belegte man später jede neu entdeckte Menschenrasse.


 


2


 


Im Hotelzimmer, treffender mit Suite bezeichnet, nahm Arado, 1,74 Meter messend und muskulös, seine Frau in die Arme und küsste sie lange und innig. Er strich ihr übers schulterlange Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, blickte in ihre schwarzbraunen Augen und streichelte über ihren üppigen Busen und den leicht gewölbten Bauch.


»Wie geht es dir und unserem Baby?«, flüsterte er und zeigte lächelnd entsetzlich perfekte weiße Zähne.


Olivia strahlte. »Linda meinte vor der Abreise, die Schwangerschaft verlaufe normal. Auch jetzt fühle ich mich bestens, keine morgendliche Übelkeit mehr. Der Geburtstermin ist in fünf Monaten, also hier am Jahresende.«


 


Linda Silba, eine deutschstämmige Brasilianerin, Frauenärztin und Allgemeinmedizinerin, hatte sich nach dem ersten Besuch den Tarsianern angeschlossen und in Eisendorf, Olivias jetziger Heimat, eine Praxis eröffnet.


 


Die werdende Mutter lächelte. »Morgen informiere ich Mister Mitchell, damit er uns eine Ärztin und eine Wohnung sucht.« Sie schritt zum Kühlschrank, packte eine Flasche Wasser und trank drei Schlucke. »Er soll den Präsidenten bitten, uns hier einen Monat über den Geburtstermin hinaus wohnen zu lassen. Ich möchte nicht hochschwanger nach Hause fliegen und auch nicht unser Kind auf der Heimreise zur Welt bringen, sondern in Brasilia, genau wie Irisia, Lirani und Nadira damals.«


Arado strahlte. »Kein Problem, Liebes, mir gefällt es hier.« Er küsste sie auf die Nasenspitze.


 


Anderntags trafen sich abends die Neuankömmlinge, einschließlich Christa, mit den Herrenmenschen in einem Restaurant zum Abendessen. Der Sicherheitsberater stieß hinzu.


Sie aßen und tranken, scherzten und lachten. Vor der Nachspeise schilderte die werdende Mutter dem neben ihr sitzenden Rod Mitchell ihren Zustand und Wunsch.


Er nickte. »Meine Mitarbeiter kümmern sich darum. Innerhalb der nächsten drei Tage nenne ich Ihnen eine fähige Ärztin. Im regierungseigenen Wohnviertel, in dem Sie ja bereits einmal wohnten, gibt es ständig freie und möblierte Wohnungen. Ich lasse eine anmieten und unterrichte Sie.«


Er leerte sein Glas mit australischem Bier und fuhr fort: »Der Präsident zahlt alles aus seinem persönlichen Haushaltstitel, auch für Ihre Eltern und die Crew.« Er beugte sich vor. »Nach der Aktion gegen dieses Scheißschiff wird er die aufgelaufenen Kosten und die noch folgenden bis zu Ihrer Abreise dem Militärministerium unterjubeln.«


Die Kellnerin brachte ein weiteres Bier. Er trank zwei Schlucke und grinste. »Der Präsident vertritt die Ansicht, dass die Tarsianer schließlich einen gefährlichen Einsatz zur Verteidigung der Erde leisten. Und egal wie viel Geld Sie alle ausgeben, es kommt den Steuerzahler wesentlich günstiger als die Einsätze des Militärs – vom Erfolg will ich gar nicht erst reden!«


Drei Tage später flogen die Eltern von Olivia Hausner nach Berlin zu deren Schwester. Anschließend sahen die Reisepläne vor, bis Ende Oktober Verwandte und Bekannte im süddeutschen Raum zu besuchen. Die Regierung übernahm die Flugkosten. Das Ehepaar hatte vor der Auswanderung nach TARSIS sein Haus in Freising mitsamt Inventar verkauft und 90 Prozent des Erlöses auf einem Regierungskonto in Brasilia deponiert.


 


3


 


Am 6. August brachte eine Mitarbeiterin des Sicherheitsberaters Olivia und Arado zu einer Frauenärztin. Nach 25 Minuten verließ das intergalaktische Ehepaar freudestrahlend die Praxis, keine Probleme bei Mutter und wachsendem Kind.


Zwei Tage später zog Familie Hausner in die von Mitchell avisierte Wohnung. Es handelte sich um ein möbliertes Appartement von 90 Quadratmeter im Erdgeschoss eines vierstöckigen Mehrfamilienhauses. Schiebetüren führten auf eine überdachte Terrasse mit angeschlossener Grünanlage.


Tags darauf brachten die Eltern ihre Tochter kurz vor acht Uhr in eine Vorschule innerhalb des Wohnviertels.


 


Um 18 Uhr am 10. August stieg die Bordfähre der G-234 mit den sieben Tarsianern und Heer veen Cuustur in das Blau des winterlichen Himmels. An Bord lagerten frische Lebensmittel und Getränke.


Zwei Stunden später jagte das Raumschiff mit Geschwindigkeit 220 – 220.000 km/h – in Entfernung 160 um die Erde.


Die Ortungssysteme arbeiteten. Der EDAS, der energetisch-dynamische Abwehrschirm, umhüllte die G-234 gleich einer gigantischen Tarnkappe. Der Schirm absorbierte sämtliche Arten von Ortungs- und Suchstrahlen, sodass ein derart geschütztes Schiff für die Ortungseinrichtungen der Herrenmenschen fast unsichtbar blieb. Darüber hinaus verhinderte der Tarnschirm die Reflexion der Lichtwellen.


Routine kehrte auf der kreisrunden Kommandobrücke ein. Sie lag mittig in der Kugel. Um die 20 Meter durchmessende Brücke gruppierten sich Kabinen, Küche, Messe, Aufenthaltsräume, ein Sportstudio, ein 4-D-Kino, zwei topp ausgestattete Krankenzimmer und die Sanitäreinrichtungen.


In der Mitte der Brücke thronte der Life-Kontursessel des Schiffsführers auf einem 30 Zentimeter hohen Sockel. Gegenüber einer zweiteiligen Panzertür bildeten die Schiffscomputer, natürlich nicht alle, nahezu einen Halbkreis. Links außen stand der Hauptcomputer, auch ChefComp genannt. Es folgten TecComp, Waffen-, Steuer-, Ortungs-, Navigations- und Nachrichtencomputer. Die himmelblaue Brückendecke stieg von drei Metern über der Tür bis auf vier Meter hinter den Computerkonsolen an. Rechts der Brückentür standen ein grüner Wandschrank mit elektronischen Innereien und daneben der dunkelblaue Notvorratsschrank. Ein weiterer Elektronikschrank hing links der Tür an der Wand. Der knallrote Notfallschrank und der dunkelrote Klotz des Waffenschrankes schlossen sich an.


Die Nacht und die zwei Tage darauf verliefen ohne nennenswerte Vorkommnisse. DI-Strahlen der automatischen Fremdkörperabwehr lösten insgesamt neun kleine Meteoriten und vier etwa handgroße Stücke Weltraumschrott auf.


 


Nach dem Frühstück am 13. August betrat die Crew die Kommandobrücke. Die Borduhr zeigte 08:43. Nandor, den die Herrenmenschen zum Ingenieur für Waffen- und Ortungssysteme ausgebildet hatten, warf sich in den Kontursessel vor dem Waffencomputer. Seine Partnerin, die 31-jährige Lirani, Technikerin für Normaltriebwerke, setzte sich vor den OrtComp, den Ortungscomputer. Die attraktive Frau, mit der Hautfarbe von Milchkaffee, maß 1,69 Meter. Das nachtschwarze Haar trug sie im praktischen Pagenschnitt. Der ausgeprägte Busen und die typisch breiten Hüften der tarsianischen Frauen kennzeichneten ihre schlanke Figur.


Irisia nahm vor dem NavComp und der 34 Jahre alte Fassar vor dem NachComp Platz. Der Computeringenieur stammte, wie sein, vor dem TecComp sitzender Kollege Erdok, aus Eisendorf. Aus diesem Dorf hatten vor rund 22 Jahren Roptare auf Befehl der Herrenmenschen nicht nur die beiden Freunde mit ihren Müttern, sondern auch über 300 junge Menschen und Kinder entführt. Das gleiche Schicksal hatten die übrigen Tarsianer der Crew und Tausende Bewohner aus verschiedenen Dörfern erlitten. – (Die Geschichte der entsetzlichen Entführungen erzähle ich in meinem Roman TARSIS – Verlust eines Paradieses.)


Der 35-jährige Arado, wie stets blendender Laune, dehnte die Gliedmaßen und warf sich in den Sessel vor dem ChefComp. Er stützte die Arme auf der dunkelroten, von cremefarbener Maserung durchzogenen, Holzarbeitsfläche ab und legte den Kopf in die Hände. »Gestern Abend ein Weißbier zu viel getrunken«, murmelte er. »Das muss ich jetzt büßen!«


»He, Arado!«, rief Endur vom Steuercomputer herüber. »Du wirst doch trotz dreier Tassen Kaffee nicht einschlafen wollen? Wir sind hier einen gefährlichen Einsatz. Ich hoffe, der Kommandant staucht dich zusammen.«


Gelächter.


»Bisher dermaßen langweilig, sodass ein normaler Mensch einschlafen muss«, entgegnete der Gerügte.


Nandor lachte und schnarrte gespielt vorwurfsvoll: »Überlichttechniker 1. Klasse Arado … falls Sie nicht augenblicklich ein korrektes militärisches Verhalten an den Tag legen, lasse ich Sie …«


Was er Arado tun lassen wollte, sollte niemand erfahren.


Die sinnliche Frauenstimme des OrtComp ließ jeden wie elektrisiert zusammenzucken. »Kontakt in Rot Elf. Raumschiff der GU. Aktiver EDAS. Kennung UNION 4. Entfernung 705. 80 hoch. Geschwindigkeit 70. Kurs Kreisbahn um den Planeten TERRA.«


Eine Software im ChefComp übersetzte die Sprache der Shemurer in die der Herrenmenschen, die Unionssprache.


Die Brückencrew starrte auf den türgroßen und nahtlos in der leicht geneigten Brückenwand eingepassten Flachbildschirm. Die Schirme über NavComp und Waffencomputer zeigten das gleiche computeraufbereitete Bild der grauen UNION 4. Je ein gleichgroßer Bildschirm schloss sich darüber und darunter an. Die Oberfläche der Schirme bestand aus millimeterdünnem, blendfreiem Glasset, ähnlich unserem Glas, aber leichter und bruchfest.


»Aha, da sind ja unsere Freunde«, brummte Endur an der Steuerkonsole.


»Langeweile beendet!«, rief Arado und grinste.


»Genau«, meinte Nandor, erhob sich und eilte zu Irisia. »Schwesterherz«, sagte er mit aufgeregt wirkender Stimme, »berechne bitte einen Kurs, der unser Schiffchen hinter diesen Kahn bringt.«


»Jawoll, Herr Kommandant!« Sie schaute ihn grinsend an und bearbeitete Sensotastatur und Trackball.


Die shemurischen Besatzungsmitglieder bedienten mit ihren Stimmen die Computer. Diese verstanden weder die Unionssprache noch Englisch. Daher mussten die Tarsianer mit Tastatur und Trackball arbeiten. Im Verlauf der nächsten Inspektion in der Werft würden die Technokraten eine Englisch verstehende und sprechende Sprachsoftware installieren.


»Kurs an Steuercomputer übergeben, Schatz«, rief Irisia.


Ihr Partner nickte. »Danke, mein Liebling, werde dir nachher einen dicken Kuss geben.«


Nandor gab sich entrüstet. »Was ist denn das für ein Gesäusel während eines lebensgefährlichen Kampfeinsatzes? Bemächtigt euch gefälligst einer anständigen militärischen Ausdrucksweise, sonst lasse ich euch nachher die Toiletten schrubben!«


Die Schwester kicherte. »Das müssen wir sowieso noch erledigen.«


Heiterkeitsausbrüche.


»Herr Kommandant, mit welcher Geschwindigkeit wollen Sie sich dem Gegnerschiff nähern?«, fragte Endur militärisch korrekt.


Der Gefragte lachte. »Gib Gas, wie die Terraner sagen, und bring die Kiste auf 350 und genau dahinter.«


»Jawoll, Herr Kommandant.«


Violett leuchtende Energielohen schossen aus einem Drittel des golden schimmernden Randes der Diskusscheibe, dehnten sich aber nicht über den Wirkungsbereich des EDAS aus.


»Was bezwecken die Herrenmenschen mit dieser weit von der Erde entfernten Kreisbahn?«, wollte Erdok wissen.


»Ganz einfach«, antwortete Nandor. »Sie schleusen Sonden aus, sammeln und studieren deren Daten und werden Englisch lernen. Wann der Kommandant den Angriffsbefehl geben will, weiß niemand; dürfte sich um Monate handeln, spielt für ihn keine Rolle. Dank des EDAS können die Erdenmenschen sein Schiff nicht entdecken.«


»Aber unser Wunderschiff«, riefen alle im Chor und lachten.


92 Minuten verstrichen.


»UNION 4 in Rot/Grün Null. Entfernung 268. Geschwindigkeit 70. Kurs 0/0/0«, meldete die Frau im Ortungscomputer.


Arado grinste und meinte mit Schalk in den Augen: »Diese Shemurerfrauen mit ihren erotisierenden Stimmen … die fahren einem richtiggehend unter die Haut!«


»Auf alle Fälle angenehmer, als herrische Männerstimmen«, riefen Irisia und Lirani wie aus einem Mund.


Gelächter.


»Wir liegen nun genau dahinter«, bestätigte Endur die Angaben der Computerfrau und sah sich mit Beifall heischender Miene um.


»Tadellose Arbeit, Herr Steueroffizier«, lobte Nandor. »Der Dank gilt auch dem Nav-Off Irisia.«


»Danke, Herr Kommandant«, riefen die Gelobten.


Der Herr Kommandant grinste und wandte sich an Endur. »Vorwärts mein Freund, bring das Schiffchen mit 40.000 km/h Fahrtüberschuss auf Entfernung 210 heran. Bremse behutsam ab, sodass die Energieentfaltung der Triebwerke innerhalb der Tarnkappe bleibt.«


»Jawoll, Herr Kommandant!«


Nandor erklärte: »Ich programmiere das variable Betäubungsgeschütz und werde in Entfernung 190 feuern. Dieses Geschütz ist fantastisch. Der Computer besitzt eine Datenbank mit den Raumschiffstypen der Herrenmenschen und der Anordnung der Quartiere. Er weiß daher, wo sich die einzelnen Besatzungsgruppen aufhalten und passt Dauer und Intensität der Bestrahlung der jeweiligen Rasse an. Die Typen auf der UNION 4 sollen drei Stunden Schlaf genießen. Die anderen Menschenrassen verschone ich.«


»Tadellos, Brüderchen«, meinte seine Schwester, lächelte und zeigte weiß blitzende Zähne hinter den vollen Lippen.


»Fassar«, rief Nandor, »bei Entfernung 205 klinkst du dich in die BordCom der UNION 4. Wir wissen ja inzwischen, wie das funktioniert. Wir wollen hören, wie die Herrenmenschen auf unser plötzliches Auftauchen reagieren.«


»Jawoll, Herr Kommandant!«


Nandor verdrehte die Augen. »Und unterlasst endlich dieses blöde Kommandanten Gerede!«


Gelächter.


Lirani beobachtete einen der drei 31-Zoll-Monitore hinter der Arbeitsplatte, die vor den Computerarbeitsplätzen im Halbrund verlief.


»Leg los, Fassar«, rief die Technikerin.


Dieser hatte seine Vorbereitungen bereits getroffen. Er berührte eine Sensotaste. Rauschen, Knistern und Knacken drangen aus den Brückenlautsprechern.


Jeder hob den Kopf.


»So ... das sollte genügen«, ertönte eine Männerstimme.


Stille.


»Bei allen Raumgöttern, was ist denn das?«, rief eine aufgeregt klingende Stimme, offenbar die des Ortungsoffiziers. »So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Herr Kommandant, sehen Sie sich das selbst an. In Entfernung 200 tauchte urplötzlich dieses komische Gebilde auf. Kaum zu erkennen.«


Gemurmel aus den Lautsprechern.


»Sehr merkwürdig«, knurrte die erste Stimme, offenkundig die des Kommandanten. »Ich kann mich nicht erinnern, dass einem unserer Schiffe jemals solch ein Ding begegnet ist.«


Räuspern.


»Ein diffuser dunkelgrauer Nebel mit zerfaserten Rändern. Durchmesser über 4.000 Meter.«


»Vielleicht ein kosmischer Mininebel«, erklang die Stimme eines weiteren Besatzungsmitglieds. »Wir befinden uns rund 2.500 Lichtjahre von der Unionsgrenze entfernt, wer weiß …«


Keuchen, Stöhnen, unverständliche Ausrufe drangen aus den Lautsprechern.


Nandor hatte den EDAS der G-234 deaktiviert.


Die wohlklingende Frauenstimme des Ortungscomputers der UNION 4 meldete einen unbekannten Kontakt und gab Entfernung, Geschwindigkeit, Kurs und Maße bekannt.


»Verdammte Scheiße!«, krächzte die Kommandantenstimme. »Ein Diskusraumschiff! Unser aller Albtraum verwirklicht sich hier und heute. Jetzt bewahrheiten sich die Gerüchte, die ich in den letzten Jahren hörte.«


Der Waffencomputer hüllte die G-234 in einen zartgrünen Schleier, den sichtbaren Beweis der DAE, der Desintegrator-Abwehr und Energierückführung. Auftreffende DI-Strahlen lenkte dieser Schirm zu 40 Prozent in alle Richtungen ab und leitete die Restenergie in die Energiespeicherbänke des Abwehrsystems, um dieses zu verstärken und eigene Energie zu sparen.


Aus den Lautsprechern drangen erstaunt klingende Ausrufe.


»Bei allen Göttern und Geistern des Universums«, vernahm die Besatzung der G-234 die Stimme eines weiteren Herrenmenschen. »Ein Energieabwehrschirm. Die Wissenschaftler unseres HOK arbeiten bereits jahrelang an solch einem Verteidigungssystem, bisher allerdings ohne Ergebnisse. Ich kann mir nicht erklären, wie und wo diese Fremden die notwendige Energiemenge erzeugen. Ihr Schiff bietet überhaupt nicht genügend Platz, um die benötigten Fusionsreaktoren aufzunehmen.«


Grunzen und Brummen der Brückenlautsprecher. Eine ängstlich klingende Stimme ertönte. »Was unternehmen Sie jetzt, Herr Kommandant?«


»Waffenoffizier«, bellte die Kommandantenstimme, »feuern Sie jeweils einen Neeki in die obere und untere Kugelhälfte und zwei in den uns zugekehrten Teil der Scheibe. Der grüne Energieschirm kann nur DI-Strahlen abwehren, keine Festkörper. Wir werden dem Spuk ein jähes Ende bereiten.«


»Jawohl, Herr Kommandant.«


Eine Minute später zuckte ein grell weißer Blitz dicht über dem Äquator aus dem 332 Meter durchmessenden Kugelraumschiff. In 15 Sekundentakten folgten drei weitere Blitze.


»UNION 4 startete vier Neeki. Laufzeit 25 Minuten. Abwehr eingeleitet«, meldete die liebliche Frauenstimme des Waffencomputers.


Ein Raumtorpedo setzte sich aus dem zwölf Meter langen und sieben Meter durchmessenden Waffenkopf mit der Elektronik, Steuerdüsen, der anschließenden 16-Meter-Kugel des HLF-Reaktors und dem gleich langen Triebwerkblock mit zehn Metern Durchmesser zusammen. Die Hülle des Kampfkopfes bestand aus speziell behandeltem Tantalcarbid, einem äußerst harten und dichten Werkstoff, dessen Schmelztemperatur bei 4.300 Grad lag.


Die Kunststoffverkleidung eines Neeki-Torpedos besaß eine besondere Oberflächengestaltung, die eine Beschichtung mit winzigen Kristallen unterschiedlicher Formen aufwies. Die Stealth-Eigenschaft dieses Materials stellte die neueste Errungenschaft der Wissenschaftler des Hohen Oberkommandos dar. Im Gegensatz zum EDAS benötigte diese Technik keine Energie, diese hätte der Reaktor des Neeki auch nicht bereitstellen können.


Die Oberflächengestaltung, in Verbindung mit der Beschichtung, zerstreute Ortungs- und Suchstrahlen zu 98 Prozent. Die restlichen zwei Prozent erzeugten nur ein diffuses und schwaches Signal in den Computern der Herrenmenschen und überließen den schlauen Offizieren die Identifikation. Zu diesem Zeitpunkt raste der Waffenkopf nur 2.000 Kilometer entfernt heran. Die Entfernungsmessung versagte meistens. Daher konnten Abwehreinrichtungen der Herrenmenschen den Kampfkopf praktisch nicht zerstören.


Die Torpedos schlugen unvorhersehbare Haken in alle Richtungen, um eine Abwehr zu erschweren. Nach Erreichen ihrer Höchstgeschwindigkeit von 400.000 km/h trennten sich die Waffenköpfe von den Torpedokörpern und setzten die unberechenbaren Kurse fort. Die Waffenträger rasten Richtung Sonne.


Die Brückenlautsprecher übermittelten Raunen und Stöhnen.


Aus dem unteren Scheibenrand der G-234, der zu den heranfegenden Neeki zeigte, erhob sich eine violett schimmernde Walze, vergrößerte und verlängerte sich, bewegte sich vom Rand weg. Nach 300 Meter drückte sich der Riesenschlauch zusammen, verbreiterte sich nach oben und unten, dabei sich abflachend und immer weiter ausdehnend. Die von der Abwehrautomatik der G-234 erzeugte, zart violett flimmernde, Energiewand stand rund drei Kilometer vor dem Schiff den heranjagenden Neeki im Weg. Ein violetter Energiefinger verband den Abwehrschirm mit dem Raumschiff.


»Was präsentieren uns diese Fremden denn jetzt?«, fragte eine knurrende Stimme aus den Lautsprechern.


Grelle Blitze zuckten über die Großmonitore der G-234. Die ersten beiden Waffenköpfe vergingen in der Energiewand. Grinsend beobachteten Nandor und seine Mitstreiter das Verglühen des letzten Neeki.


»Verdammte Scheiße!«, rief die Kommandantenstimme. »Keine Chance, dem Diskusschiff auch nur einen Kratzer zuzufügen.«


Die violette Wand schrumpfte zu einer Kugel. Der Energiefinger blähte sich auf. Die Energie floss in die Speicherbänke des Raumschiffs zurück.


Beifall auf der Brücke der G-234. »Fantastische Technik dieser Shemurer«, kommentierte Heer veen Cuustur.


Auf dem linken Großschirm legte sich ein grünes Fadenkreuz mittig auf die UNION 4. Nandor drückte die blaue Feuertaste. Zu sehen gab es nichts. Die Energiestrahlen des B-Geschützes konnte man optisch nicht erkennen.


 


»Aktion erfolgreich abgeschlossen«, meldete die Frau im Waffencomputer.


 


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