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Science Fiction
Buch Leseprobe Genie und Wahnsinn, Franz Georg Haas
Franz Georg Haas

Genie und Wahnsinn



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PROLOG

Das Jahr des Vorfalls, 29. August, 1:01 Uhr - Stockton Missouri

Dunkel. Es war dunkel. Dunkel und still. Und kalt. Vor allem kalt. Greg fand keinen Schlaf. Lag es an der Kälte? Er wusste es nicht. Alle anderen im Zelt schlummerten ruhig, nur er war dazu verdammt, sich wach in seinem Schlafsack zu wälzen. Greg hasste es. Er hasste diesen Schlafsack, er hasste das Zelt, er hasst diese ganze Unternehmung. Und er hasste sich selbst. Er hatte nie verstanden, was sein Vater an Campingausflügen so besonders toll fand. Greg war unglücklich, er wusste, dass sein Vater sich schon lange auf diesen Ausflug gefreut hatte und er hatte nichts Besseres zu tun, als seine Bemühungen mit Unmut, Desinteresse und Abscheu zu begegnen. Und dafür hasste er sich. Dass er letztendlich seinem Vater den Urlaub vermiesen würde. Greg wollte dies nicht, bestimmt nicht, doch es lag nicht in seiner Natur sich zu verstellen. Und im Übrigen würde ihn sein Vater vermutlich ohnehin durchschauen. Also warum sich überhaupt Mühe geben? Warum konnte er nicht mehr so sein, wie sein Bruder? Das schien er sich wohl immer zu fragen, als er Greg wieder einmal mit einem seiner sorgenvollen Blicke ansah. Greg konnte ihm die Enttäuschung beinahe ansehen. Womöglich wollte er ja selbst mehr so sein, wie sein Bruder. Aufgeschlossen, fröhlich, keck. Doch er war nicht so er. Er war Greg. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein unheilvolles Grollen schallte plötzlich durch die Ferne. Donner. „Auch das noch!", murmelte er sichtlich genervt. Er hätte wissen sollen, dass es immer schlimmer kam, vor allem dann wenn man dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Er, im Wald, und vor dem bevorstehenden Schauer nur durch die Kunststoffhaut der behelfsmäßigen Behausung geschützt. Binnen weniger Sekunden begannen auch schon die ersten dicke Regentropfen auf die Zeltdecke zu prasseln.
Greg gab nun jede Hoffnung, doch noch Schlaf zu finden, gänzlich auf. Die Kälte, die stickige Luft und nun auch noch das unregelmäßige Trommeln waren eindeutig ungünstige Bedingungen für eine Ruhephase. Er konnte das nicht mehr aushalten. Sein Blick traf die Zelttür. Wetterleuchten schimmerte schaurig durch die halbtransparente Struktur. Es wirkte gespenstisch und doch irgendwie anziehend. Ohne länger zu zögern setzte er seinen Entschluss in die Tat um: Er quälte sich aus dem Stoffgefängnis seines Schlafsackes heraus, schlüpfte in seine Schuhe und ging hinaus in den Regen. Ihm war es völlig egal, dass seine blonden Haare nass wurden, oder dass ihm die Regentropfen auf seiner Brille die Sicht trübten. Er wusste selbst nicht, wieso er wirklich hinausging. Ja, er konnte es nicht mehr im Zelt aushalten, doch hier draußen war es doch nicht besser? Womöglich meinte er, ein Spaziergang würde helfen um besser einschlafen zu können. Oder war es aber das Licht der fernen Blitze gewesen, das zauberhaft der Zeltwand entlang getanzt war?
Er schlenderte durch den Wald in dem sich seine Familie niedergelassen hatte während dieses Sommergewitters, als er neuerlich das Wetterleuchten in der Ferne bemerkte. Diesmal war der Eindruck sogar stärker, als das Licht den gesamten Wald in einen bläulichen Schein tauchte. Es hatte etwas Magisches an sich, das ihn in seinen Bann zog. Kurz: er war fasziniert. Das Licht kam sozusagen von dem kleinen Hügel vor ihm herunter geflossen, wie ein silberner Bach. Eines war klar, von der Spitze der Erhebung musste die Aussicht fantastisch sein. Also wartete Greg nicht lange ab und erklomm den Hügel. Das Schauspiel, das ihm die Natur bot als er oben anlangte, war atemberaubend. Zumindest für Greg, der immer schon an der Naturwissenschaft interessiert war. Blitze in den unterschiedlichsten Variationen erleuchteten den schwarzen Nachthimmel. Für den Jungen hatte sich der kleine Ausflug in den Regen gelohnt, doch das Unwetter wurde ihm nun etwas unheimlich. So anmutend die silberblauen Fäden auch waren, die sich in feinen Linien über den pechschwarzen Himmel zogen, sie wurden immer dichter und größer. Auch das Donnern wurde lauter und der Zeitabstand zwischen Licht und Schall war kaum noch vorhanden. Er bekam es sogar langsam mit der Angst zu tun. Verständlich für einen Achtjährigen. Panik ergriff ihn beinahe, als er hastig, rückwärts stolpernd den Weg zurück zum Zelt suchte.
Da geschah es! Ein leuchtender Strahl elektrostatischer Energie fuhr auf ihn hernieder. Ein greller Schmerz durchfuhr seinen jungen Körper. Er spürte wie sein Blut zu kochen begann, und jede Faser seines Leibes unter den Qualen der unsagbaren Kraft der Naturgewalt erzitterte, doch da war ein weiteres Gefühl, das er nicht so richtig einordnen konnte. Es wirkte irgendwie als wäre er gerade noch blind gewesen und hätte das Augenlicht wiedererlangt. Doch es hielt nicht lange an. Sein noch relativ kurzes, aber gesamtes Leben, spielte sich vor seinem geistigen Auge ab. Der Strahl währte nur winzigste Bruchteile einer Sekunde und dennoch war ihm jeder Moment des Geschehens so klar, wie schon lange nichts mehr. Als hätte sich die Zeit entschlossen für ihn langsamer zu laufen. Er spürte noch wie die Energie des Blitzes nachließ und er zusammenbrach. Dann war alles schwarz.

Waren es Minuten, Stunden oder gar Tage gewesen? Greg wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht mehr im Wald war, als er seine Augen aufschlug. Alles war so hell. Es war ein Zimmer, ein Zimmer in dem die Farbe ‚Weiß' zu dominieren schien. Stimmen begannen an sein Ohr zu dringen, vertraute Stimmen.
Greg sah zu ihnen hinüber. Sein Blick fand drei Gestalten, die sich mit ihm im Raum befanden: zwei Frauen und ein Mann. Der Mann hatte ebenso blondes Haar wie er selbst. Eine der Frauen hatte schwarzes Haar und trug einen weißen Kittel. Die zweite war wieder durch langes, blondes Haar geprägt. Alles wirkte verschwommen, doch er erkannte die zwei, die ihm am nächsten waren, als seinen Vater und seine Mutter.

„Oh, mein Gott, Schwester! Er ist aufgewacht!"
Die Frau in weißer Kleidung stürmte plötzlich aus dem Zimmer. Greg richtete sich auf und sah seine Eltern an. Dabei fiel ihm etwas auf. Etwas, das ihn irritierte: Er hörte die Stimme seiner Mutter, aber ihre Lippen bewegten sich nicht: Oh mein Gott, danke! Danke, hörte er sie sagen. Er wandte seinen Blick ab von ihr um nun seinem Vater in die Augen zu sehen. Nun war es dessen Stimme, die er vernahm: Er lebt! Gott sei dank!

Verwirrung stand in seinem Gesicht. Was war mit ihm geschehen? Warum konnte er etwas hören, was gar nicht da war. Und je länger er seine Eltern mit seinem irritierten Blick anstarrte, desto mehr schien die neu gewonnene Freude aus ihren Gesichtern zu verschwinden.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Greg blickte instinktiv die hereinkommende Person an. Es war ein großer Mann im weißen Kittel, schütterem Haar und einer Lesebrille auf der Nase. Allem Anschein nach ein Arzt. Eine neue Stimme drängte sich in seinen Kopf: Ach, das Blitzopfer!
Der Doktor trat an Gregs Bett heran und richtete das Wort an ihn.

„Nun, wie geht es uns denn heute?"
Gregs Verwirrung erhöhte sich. Der Arzt hatte mit der Stimme gesprochen, die er zuvor gehört hatte.
„Hast du meine Frage verstanden?"
„Ja Doktor. Mir... mir geht es gut!"
„Sag mal, wie heißt du mein Junge?"
„Greg! Gregory Evergreen!"




EINS

Das siebte Jahr nach dem Vorfall, 12. Juli - Harrisburg, Pennsylvania
Harrisburg. Pennsylvania. Pennsylvania konnte er sich ja noch vorstellen, aber warum ausgerechnet Harrisburg? In Springfield war doch alles in bester Ordnung gewesen. Doch die liebe Familie wollte unbedingt näher bei der noch viel lieberen Verwandtschaft sein. Tolle Verwandtschaft. Greg hatte noch nie etwas von diesem Bruder seiner Mutter gehört. Rein theoretisch hätte er ein Hochstapler sein können, aus seiner Sicht. Und potentiellen Hochstaplern hatte man, vor allem in seiner Position, sehr vorsichtig zu begegnen.
Wie dem auch sei. Das war nicht sein Hauptproblem, denn der Schularzt seiner neuen Schule hatte nach seiner Anwesenheit verlangt. Einen Tag nach ihrem Umzug, mitten in den Ferien. Greg hatte ein ungutes Gefühl. Diese Umstände, der Anlass... sie waren irgendwie verdächtig und schließlich konnte so ein Arzt so manches herausfinden.
Greg, der in den letzten sechs Jahren kaum Lust gefunden hatte um zu wachsen, schlenderte durch den Schulkorridor. Ein eher trüber Ort, der von Langeweile zeugte. Eine identische Tür schien die nächste zu jagen. Irgendwann war einer von ihnen wohl in den Sinn gekommen, den Titel ‚Schularzt' zu tragen. Nun würde sich zeigen, ob seine Sorge berechtigt, oder ob er seiner Paranoia erlegen war. Greg wischte sich schließlich die längeren Haare aus dem Gesicht und trat ein.

„Ah Mr. Evergreen! Wie geht es Ihnen?"
Der etwas euphorisch wirkende Arzt war relativ groß, etwas stärker gebaut und trug eine bereits ergraute Haarpracht. Im Grunde machte er einen recht sympathischen Eindruck. Fröhlichkeit und Wohlwollen schienen die Signale zu sein, als er Greg seine Hand zum Gruß reichte. Doch irgendetwas stimmte mit ihm nicht.
„Greg! Greg reicht! Ich kann nicht klagen Doktor W..."
Greg war schon dabei den Namen des Mediziners zu nennen, als ihm einfiel, dass er ihn offiziell noch gar nicht kennen konnte. Also verstummte er.

„Warren! Dr. Christopher Warren! Ich werde Ihnen nicht den Vornamen anbieten, wenn es recht ist!?"
„Ich werde mich am besten auf Doktor beschränken."

Greg bemerkte, dass sich Warrens Gesichtsausdruck für einen kurzen Augenblick, kaum merklich veränderte. Hatte sein Gegenüber etwas bemerkt, oder hatte er sich das nur eingebildet? Greg versuchte es zu erkennen, doch es klappte nicht. Dieser Arzt war wirklich nicht so, wie er erwartet hatte.

„Schön: Greg Evergreen, Alter fünfzehn, geboren in Springfield, Missouri am elften März..."

„Doktor, verzeihen Sie bitte, doch ich glaube, sie wollten etwas Bestimmtes mit mir besprechen."

Warren sah Greg zunächst etwas verdutzt an, schien dann jedoch einverstanden zu sein und legte die Akte beiseite..
„Sie wollen wissen warum ich Sie hergerufen habe? Mir ist etwas Seltsames aufgefallen in Ihrer Krankenakte! Sie wurden nicht ganz sieben Jahren von einem Blitz getroffen und haben diesen Unfall sichtlich überlebt."
„Sechzig Prozent aller Blitzopfer überleben Doktor, aber das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen!"
„Ja, ja, aber bis jetzt haben alle diese Blitzopfer eine gewisse Veränderung erfahren, eine Verhaltensänderung, beziehungsweise irgendwelche Schäden, physischer oder psychischer Natur. Zum Beispiel eine verringerte Effektivität des Kurzzeitgedächtnisses. Sie allerdings weisen keine derartige Veränderung auf. Auch den Ärzten, die Sie behandelt haben ist es aufgefallen. Sie registrierten eine Steigerung Ihrer Hirnaktivität, doch dann stellte es sich heraus, dass es ein technischer Fehler war."
„Tatsächlich? Ich verstehe nur wenig von solchen Dingen.", Greg stellte sich dumm
„Dass Sie keinen Schaden davongetragen haben, liegt an einer angeboren Resistenz gegen elektrische Schocks. Diese Resistenz ist unter anderem ihrer seltenen Blutgruppe zu verdanken. Das sagten wenigstens die Ärzte, die Sie untersucht haben."
Der werte Doktor hatte einen ziemliche kalte Miene aufgesetzt.
Greg lächelte: „Ich hatte wohl Glück."
„Ich habe das mit der Blutgruppe aus der Akte entnommen, aber ich halte es für absurd, absolut blödsinnig!"
„Hör'n Sie Doc! Ich bin weder Arzt noch Hellseher! Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich keinen Funken von Medizin verstehe. Ich war noch nicht mal in einem Erste-Hilfe-Kurs! Ich weiß nicht warum das die Ärzte geschrieben haben, wenn Sie also etwas erfahren wollen, setzen Sie sich mit denen in Verbindung!"
„Keine Sorge, das werde ich! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Es geht mir um Ihr Wohlergehen. Wenn die Kollegen damals irgendwie gepfuscht haben sollten, kann dies für Sie schwerwiegende Folgen gehabt haben und noch haben werden."
„Mir geht es gut Doktor. Wenn Sie doch noch irgendetwas wissen wollen, wissen Sie ja wo Sie mich erreichen! Auf Wiedersehen Doktor!"
„Auf Wiedersehen Greg! Und nebenbei: Jeder sollte einen Erste-Hilfe-Kurs machen. Ich könnte Ihnen vielleicht ein paar Anlaufstellen nennen, falls Sie sich überlegen einen zu besuchen."
Warren lächelte, doch Greg erkannte, dass der Arzt etwas im Schilde führte. Seine Absichten waren undeutlich, doch es waren nicht die jenen, die er vorgegeben hatte. Nachdem er dem Arzt neuerlich die Hand gegeben hatte und durch die Tür getreten war, überprüfte er kurz außerhalb den Flur. Er war weiterhin so leer wie zuvor. Es war sicher. Greg schloss die Augen und kurz darauf durchströmte ihn ein kühles Prickeln, wie von einer kalten Dusche. Die Tür zum Büro stand noch weit offen, da Greg vergessen hatte, sie zu schließen. Ohne sich länger mit Zögern aufzuhalten betrat er erneut den Raum des Arztes. Dieser saß unverändert in seinem Sessel und betrachtete neuerlich die Krankenakte des Jungen nachdenklich. Greg stellte sich direkt vor den Tisch, doch Warren schien ihn nicht zu sehen. Warrens Blick fiel auf die sperrangelweit offene Tür. Unter Kopfschütteln und ärgerlichem Murmeln quälte er sich aus seinem Sessel und schloss die Tür ab. Anschließend griff der Arzt zu seinem Telefon und begann zu wählen.
„Hallo Tom! Hier ist Chris! Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun? Würdest du möglicherweise für mich ein paar Wanzen installieren? - Nun ja es geht um diesen Jungen. Ich habe da so ein Gefühl. - Natürlich wirst du entschädigt. - Ja wir sind dann jetzt quitt wegen,... Du-weißt-schon-was. - Ja, Evergreen, Sunsetdrive, Hausnummer 32, und Tom: Wäre gut, wenn du die Wanzen im Zimmer des Jungen platzieren könntest! - O.K. wir sehen uns!"
Nun war es ihm klar. Er musste also ab sofort noch vorsichtiger sein.




ZWEI

Es gibt viele Personen mit denen man sich in die Haare kriegen kann. Freunde, Bekannte, Kollegen,... Feinde,...
doch mit einer Kategorie von Menschen sollte man behutsam umgehen: Verwandte und Familie. Psychologisch gesehen kann Familie etwas Grausames sein. Man muss sich mit Menschen abgeben, die man sich nie aussuchen konnte. Besonders schwerwiegend scheint die Sachlage bei den Eltern und Geschwistern, denn mit diesen verbringt man einen entscheidenden Teil seines Lebens.
Unterm Strich heißt das jetzt: Sich nicht mit der Familie anlegen! Das führt nur zu Problemen. Und damit sah sich Greg nun konfrontiert. Mit der Familie.
Er war da. Der Scheinonkel. Der Bruder von dem noch niemand etwas gehört hatte. Und natürlich in Begleitung seiner ach so reizenden Sippe. Onkel George und Tante Sarah mit Anhang Bob, Paul und Lois, die alle etwa in Gregs Alter waren. Gregs Mutter war auf den wahnwitzigen Gedanken gekommen, ein kleines Familientreffen zu veranstalten, sozusagen als Einweihung des Hauses. Greg konnte nicht wirklich von sich behaupten, dass er zufrieden mit dieser Entscheidung war. Gerade jetzt, wo er kaum Zeit hatte. Doch trotzdem sah er es als notwendig an, anwesend zu sein. Schließlich konnte man nie wissen...

„George", begrüßte Gregs Vater den eintreffenden Besuch.
Onkel George war ein großer Mann mit einem Schnauzer der ebenso wie sein Haar von schwarzer Farbe war. Greg erkannte ihn von den alten Bildern, die seine Mutter ihnen gezeigt hatte. Nun wirkte er ein paar Jahre älter. Wahrscheinlich war er etwa in der Mitte seiner Dreißiger. Greg begann zu überlegen, warum er diese Bilder zuvor niemals gesehen hatte.
„Cent! Wie geht es dir, du altes Ross?"
„Hallo Sarah! Du siehst blendend aus!"
Tante Sarah war kleiner und schlanker als ihr Gatte und hatte braune Haare.
„Du hast dich kein bisschen verändert. Es freut mich dich zu sehen! Claire! Mein Gott! Hast du abgenommen?"
„Soll das nun eine Beleidigung, oder ein Kompliment sein?"

Die beiden Frauen kicherten vergnügt, während Sarah die übrigen Anwesenden in Augenschein genommen hatte.
„Und das ist wohl Gerard mein Gott bist du groß geworden, aber ich habe dich ja schließlich erst einmal gesehen. Du wirst dich wahrscheinlich nicht mehr erinnern können. Es war bei deiner Taufe."
Gerard war Gregs Bruder, der ziemlich genau ein Jahr jünger war. Er hatte genau wie Greg strohblonde allerdings kürzere Haare. Und er war tatsächlich groß, beinahe einen Kopf größer als sein Bruder, wobei dies eigentlich weniger an Gerard lag.
„Greg! Dich habe ich schon zweimal gesehen. Bei deiner Taufe und bei der deines Bruders. Aber keine Sorge wir werden uns ab sofort sicher öfter sehen."

Greg versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen.
Nachdem das Ritual der Begrüßung vollzogen war und Gregs Vater die Erwachsenen ins Wohnzimmer gebeten hatte gesellte sich Gerard sofort zu seinen Cousins. Nur Greg stand nach wie vor an der Wand.
„Hi! Ich bin Gerard und der Zombie da drüben ist Greg. Hey, ihr seid Zwillinge!"
„Wie bist du denn da drauf gekommen? Ich bin Bob und meine Kopie hier heißt Paul"
„Hey willst du damit sagen, dass ich nur ein Abklatsch von dir bin?"
„Jetzt geht das schon wieder los! Jungs", erwiderte das Mädchen neben den Zwillingen. Diese hatten die Haarfarbe ihres Vaters geerbt. Sie waren recht groß und schienen von der Statur her recht viel Sport zu betreiben. Ihre Schwester hingegen hatte die Haare ihrer Mutter und ihrer eine ganz ähnliche Figur...
„Du bist Lois, stimmt's? Hat mir Mom gerade vorher verklickert!"
„Sicher, war ich schon immer, aber sag mal, was ist den mit deinem Bruder? Er starrt schon die ganze Zeit auf seine Uhr."
„Ach wisst ihr, Greg ist ein Freak! Bei ihm weiß man nie was gerade in ihm vorgeht. Das Beste ist einfach ihn machen zu lassen."

Lois begutachtete ihn. Er war wirklich klein. Kaum größer als sie selbst. Dann dieses zerknitterte, verwaschene, rote Hemd, welches er offen trug, das ebenfalls abgenutzt wirkende weiße T-Shirt darunter, die Jeans, die mehr weiß als blau waren und schließlich die blonden Haare, die ungeordnet teilweise in sein Gesicht hingen. All das machte auf Lois einen unbeholfenen Eindruck. Jedenfalls schien er nicht besonders oft raus zu kommen. Offenbar lag Gerard mit seiner Kritik nicht ganz falsch. Und dann tat er auch noch so, als wäre niemand sonst hier. Er schien nervös zu sein, als ob er auf etwas warten würde... Er stand einfach nur da und schien zu versuchen möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erwecken. Sie wagte einen Versuch:

„Hi ich bin Lois!"
„Wie? Was? Oh ja klar ich weiß", sagte Greg gedankenversunken. Er hatte es gerade eine Sekunde lang gewagt von seiner Uhr aufzublicken.
„Lois Angela Morgen", murmelte er kaum hörbar, während er sich weiter auf die Ziffern in seiner digitalen Uhr konzentrierte. Lois brach ihre Frage, ob er einen Rekord im Sekundenzählen aufstellen wollte, ab, denn etwas hatte sie erneut stutzig gemacht:
„Woher weißt du das?"
„Ähm..., Was weiß ich?"
„Meinen zweiten Vornamen. Ich meine wir haben uns jetzt gerade vorgestellt."
„Ähm... - von meinen Eltern? Meiner Mutter! Sie hat es uns gesagt. Ist schon eine Ewigkeit her, als wir noch in Springfield waren!"
Gregs Sprache war ungewöhnlich knapp und abgehakt, so als würde er nach jedem Satzteil versuchen zu überlegen, was er denn als nächstes sagen sollte. Lois sah ihn weiter überrascht an. Greg schien daraufhin nicht recht zu wissen, was er sagen sollte. Dann endlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben:
„Ähm, Warum gehen wir nicht hinauf?"

Greg führte die Clique in sein Zimmer. Es war vollgestopft mit Kartons. Der einzige, nicht eingepackte Einrichtungsgegenstand war ein Bett. Doch an der Wand hingen bereits Unmengen an Postern von ‚Star Trek' und ähnlichen TV-Serien. Greg war offensichtlich ein Science Fiction Fan.

„Ähm... Die Sitzmöglichkeiten... sind beschränkt", begann Greg zu erklären.

„Ich meine... das Bett... bildet eine Option... Allerdings..."

„Greg, weißt du was", unterbrach ihn Paul „wir setzen uns ganz einfach auf den Boden."

Gesagt getan. Die Jugendlichen ließen sich auf dem Parkett nieder.

„Redet der eigentlich immer so", flüsterte Bob zu Gerard zu.

„Ich sagte ja, er ist ein Freak", war die trockene Antwort.

Bob, Paul und Gerard begannen sofort sich über Baseball zu unterhalten. Greg beteiligte sich nicht daran, sondern starrte - nachdem er sich sehr viel Zeit genommen hatte sich ebenfalls auf den Boden zu setzen - nur weiterhin in die Leere und schien mehr oder weniger den anderen zuzuhören. Lois wirkte misstrauisch. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Und zwar etwas anderes als sein exzentrisches Verhalten. Der Junge sah ihr zufällig in die Augen und auf einmal wurde er leicht nervös.

„Nun, ähm... ihr wohnt schon lang in Harrisburg", schien er zwanghaft ein Gespräch beginnen zu wollen.
„Nun ja, seit wir denken können", erklärte Bob.
„Was in deinem Fall nichts heißen muss", neckte ihn sein Bruder worauf er dadurch einen Seitenhieb erntete.
„Und ihr, wie war es denn so in Springfield?"
„Ja, habt ihr schon mal Homer Simpson getroffen?"
Die Zwillinge und Gerard lachten. Lois verdrehte verächtlich ihre Augen. Greg hingegen wirkte verdutzt: „Homer Simpson...? Einer der Polizisten hieß Simpson, aber Jack glaub ich. Ist es ein Bekannter von euch?"
„Mann Greg, sag mal wo lebst du denn? Auf dem Mond? Mal ehrlich Leute. Der Typ hier kennt Homer Simpson nicht!"

Greg wirkte zunächst überrascht.:„Ist es ein Prominenter", fragte er beinahe wissbegierig.

„Ein Prominenter?! Ja, Homer Simpson ist der Gouverneur von Missouri Greg. Sag mal interessierst du dich überhaupt für irgendetwas in der Welt dort draußen, was nicht mit Raumschiffen und Aliens zu tun hat? Und dann ist er manchmal für Stunden weggetreten, als wäre er in einer anderen Welt. Wäre wahrscheinlich besser so. Also ist der Kerl ein Freak oder nicht?"

Gregs Miene hatte sich leicht verfinstert. Offenbar hatte Gerard einen Nerv getroffen.
„Ich denke nur nach, wenn ich ‚weggetreten' bin, wie du es sagst!"
„Ach so, er denkt nach! Stellt euch das mal vor!"
„Hey ich...ich...ich lasse wenigstens meine Sachen nicht überall am Boden herumliegen!"
„Oh mein Gott! Fünfzehn und einen Sinn für Ordnung! Jetzt wird's langsam unheimlich."
„Im... Gegensatz zu dir werde ich nicht in meiner schmutzigen Wäsche ersticken!"
„Ach Greg, rede doch mit meiner Hand!"
„Sehr gerne, denn da sind sicher mehr Gehirnzellen drin, als in deinem Großhirn!"
„Das nimmst du sofort zurück du...!"
„Hey, hört auf! Mann, immer dasselbe mit euch Jungs!"
Greg öffnete den Mund als wollte er dem widersprechen, doch dann verstummt er. Es wirkte beinahe so, als würde er etwas hören. Aber bis auf das Gekicher von Bob und Paul und der fernen Stimmen ihrer Eltern war es absolut still. Lois Misstrauen war erneut geweckt.
„Ähm, hat vielleicht jemand Hunger? Ich hole mal was zu essen", verkündete Greg.
Eilig verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich ohne auf eine Antwort zu warten.
„Ich sag's doch, Freak."
Gerard zuckte nur mit den Schultern. Lois aber stand auf und rannte hinterher.
„Hey wo willst du hin?"
„Ich will wissen ob er wirklich etwas zu essen holt."
„Was?"
Lois antwortete nicht. Sie sah gerade noch, wie Greg im Bad verschwand. Die Frage unterdrückend, was er im Bad vorhaben könnte ging sie zur Tür und blickte vorsichtig durchs Schlüsselloch, doch es war niemand drinnen. Greg war verschwunden.

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