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Reiseberichte
Buch Leseprobe Sooriya Kumar. Sohn der Sonne, Claudia Ackermann
Claudia Ackermann

Sooriya Kumar. Sohn der Sonne


Eine Lebensreise von Sri Lanka bis Hawaii

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Das Telefon klingelte. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich abnehmen sollte. Eigentlich hatte ich schon die Türklinke in der Hand und wollte das Haus verlassen. Vielleicht ist es ja etwas Wichtiges, dachte ich und griff doch noch zum Hörer, eingemummt in eine dicke Jacke, Schal und Strickmütze, ausgehbereit für den frostigen Wintertag in Deutschland.


„Hi, hier spricht Sooriya, ich rufe aus Hawaii an.“


Die wärmende Kopfbedeckung, die ich über die Ohren gezogen hatte, streifte ich ab. Hatte ich richtig verstanden? Etwa ein Vierteljahrhundert hatte ich nichts mehr von Sooriya gehört. Doch als er weiter sprach, klang seine Stimme so vertraut, wie an jenem Tag, als wir in Colombo Abschied nahmen.


Nie hatte ich Sooriya und meine Erlebnisse in Sri Lanka vergessen. Zurück in Deutschland habe ich mich oft gefragt, was wohl aus ihm geworden ist, nachdem er seine Heimat wegen des Bürgerkrieges verlassen musste und in die USA reiste. 


So sehr hat mich die Erinnerung verfolgt, dass ich Jahre später ein Buch über meine Begegnung mit ihm in Sri Lanka geschrieben habe. Nie hätte ich gedacht, jemals wieder von Sooriya zu hören.


„Wie geht es dir?“, hörte ich nun seine warme Stimme. „Behandelt dich das Leben gut?“


Am Telefon erfuhr ich, dass er schon seit vielen Jahren auf Hawaii lebte.


„Ich habe dein Buch gesehen“, warf er plötzlich unvermittelt ein. „Auch ich habe oft an dich und Arugam Bay gedacht.“


Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, erzählte er mir, dass ein alter Freund aus der Schweiz ihm das Buch bei einer Reise nach Indien in der abgelegenen Bergregion Arunachala überreicht habe.


„Sooriya, wusstest du eigentlich, dass ein Buch über dich geschrieben wurde, in deutscher Sprache?“, erinnerte er sich an die Worte des Freundes. 


„Mir war sofort klar, dass du es warst“, sagte Sooriya. „Auch, wenn sich dein Nachname inzwischen geändert hat.“


So hatte er also nach so vielen Jahren im Zeitalter des Internets meine Telefonnummer herausgefunden, war ich überzeugt.


„Nein“, sagte Sooriya zu meiner Überraschung. „Kannst du dich noch an den Papierfetzen des Kuverts erinnern, den du mir damals in der Höhle gabst? Es stand die Telefonnummer deiner Mutter darauf. Ich habe ihn wiedergefunden. Du gabst ihn mir im Jahr 1984. Wir waren noch so jung …“


Ja, jung war ich. Reichlich unerfahren hatte ich meine Reise nach Asien angetreten. Dass die Erlebnisse und meine Begegnung mit Sooriya mich ein Leben lang begleiten würden, das ahnte ich damals nicht.


Nachdem Sooriya aufgelegt hatte, schlug ich mein Buch auf, in das ich seit Jahren nicht mehr geschaut hatte, und es war, als erlebe ich die Reise noch einmal …


 


 


 


1. Kapitel                                                                                   


 


Es war mein erster Flug. Noch nie war ich über die Grenzen Europas hinausgekommen, noch nie war ich allein verreist. Fast mein ganzes Leben hatte ich in der süddeutschen Kleinstadt verbracht, in der ich aufgewachsen bin. Es war der Sommer 1983.


Nun saß ich in der Touristenklasse einer Boeing auf dem Weg nach Asien. Sri Lanka kannte ich nur aus Büchern und natürlich aus Marcs Erzählungen. Marc hatte sich nur kurze Zeit in meiner Heimatstadt aufgehalten. Nur wenige Tage, in denen er mir von seinen Reisen erzählte, von Sri Lanka, dem ehemaligen Ceylon, von palmen-gesäumten Stränden, von Teeplantagen soweit das Auge reicht, von freundlichen Menschen, die immer lächeln, von einer geheimnisvollen, fremden Welt. Dann zog Marc weiter. Er hielt sich nirgendwo besonders lange auf. Und ich blieb in meiner Heimatstadt zurück und war infiziert. Er hatte mich angesteckt mit seinem Fernweh, seinem Reisefieber, seiner Sehnsucht nach Sri Lanka. Irgendetwas zog mich magisch dorthin. Aber jetzt, da ich mich der Tropeninsel im Indischen Ozean näherte, fragte ich mich, was ich in dem fremden Land eigentlich suchte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich bleiben würde. Mein Rückflugticket war meine Versicherung, jederzeit wieder aussteigen zu können.  


Vielleicht wollte ich einfach nur weg, frei sein, unabhängig sein, meinen eigenen Weg gehen und etwas Neues erleben. Weit weg von der Enge meiner Heimatstadt - und unerreichbar für Rainer. Wir hatten uns vor einiger Zeit getrennt. Ich brauchte Abstand. Zirka achttausend Kilometer schienen mir genau die richtige Distanz zu sein.


Unter uns war eine dicke Wolkendecke als das Flugzeug zur Landung in Colombo ansetzte. Die Boeing tauchte in das graue Wolkenmeer ein und schien ins Bodenlose zu sinken. Regen prasselte gegen das Fenster. Neben der Landebahn wurde ein Schwarm schwarzer Vögel aufgeschreckt. Unsanft setzte die Maschine auf dem Asphalt auf, und die Passagiere klatschten, als ob der Pilot ein akrobatisches Kunststück vollbracht hätte. Dann wurde die Tür geöffnet.


Eine feuchtwarme Luft kroch in das klimatisierte Innere des Flugzeugs. Schon nach wenigen Minuten standen mir die Schweißperlen auf der Stirn. Ich fühlte mich wie in einer Sauna, in der gerade jemand einen Aufguss gemacht hatte, nur dass es nicht nach Pfefferminzöl duftete, sondern faulig und modrig roch.


„Passport, please!“


Der Mann am Schalter musterte mich mit Augen, die so schwarz waren, dass man die Pupillen kaum erkennen konnte.


„Tourist?“


Ich nickte, und er stempelte mein Visum für drei Monate  ab. Als ich das Flughafengebäude verließ, goss es immer noch in Strömen. Unschlüssig stand ich am Ausgang während die Touristen an mir vorbei zu den bereitstehenden Reisebussen drängten. Was sollte ich die nächsten Wochen in diesem Land anfangen?


„Träum nicht! Der Bus nach Colombo fährt gleich ab“, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Die Frau, die mich angesprochen hatte, schob mich zur Seite. Sie war mir schon im Flugzeug aufgefallen. Offenbar reiste sie wie ich allein, aber im Gegensatz zu mir, schien sie sich hier auszukennen. Zielsicher überquerte sie den Parkplatz und steuerte auf eine Bushaltestelle zu.


Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein roter, ziemlich verrosteter Bus, der aussah, als hätte man ihn von einem englischen Schrottplatz importiert. Eilig setzte ich meinen Rucksack auf und folgte der Touristin. Ich hatte noch nicht die Straße erreicht, da startete der Busfahrer auch schon den Motor. Der schwere Rucksack hüpfte auf meinem Rücken auf und ab, während ich über die Straße hetzte. Meine Kleidung war vom Regen völlig durchnässt, und das T-Shirt klebte an meinem Körper. Atemlos erreichte ich den Bus in letzter Sekunde. Die Deutsche hatte schon auf einer der harten Sitzbänke Platz genommen, und ich setzte mich neben sie.


„Glück gehabt“, freute ich mich nach Luft ringend.  „Gerade noch geschafft.“


„Das hat nichts mit Glück zu tun“, erwiderte die Touristin. „Das macht der immer so.“


Ächzend holperte der Bus über die Straße, die mit Schlaglöchern übersät war. Ich sah aus dem Fenster. Unaufhörlich prasselte der Regen auf die Wellblechdächer der Hütten am Straßenrand. Eine abgemagerte Kuh plünderte eine Müllhalde. Kinder mit Shorts bekleidet  liefen barfuß durch den warmen Regen, die dunkelhäutigen Beine bis zu den Knien mit hellbraunem Schlamm verschmiert. Das Bild, das sich mir bot, hatte nichts mit der Idylle zu tun, die ich aus Marcs Erzählungen kannte. Aber Petra, so hatte sich die Frau neben mir vorgestellt, schien die Aussicht zu genießen.


Trotz der schlechten Sichtverhältnisse, ein Scheibenwischer funktionierte nicht, der andere verteilte quietschend den Schmutz auf der Frontscheibe, raste der Fahrer in atemberaubendem Tempo durch den sintflutartigen Regen. Auch als vor uns ein Ochsenkarren in Sicht kam, bremste er kaum ab, sondern setzte laut hupend zu einem Überholmanöver an. Schemenhaft konnte ich in dem Moment den Lastwagen erkennen, der auf uns zuraste. Nur knapp verfehlten sich die Außenspiegel der beiden Fahrzeuge. Ängstlich klammerte ich mich an meinem Sitz fest. Offenbar fanden die Einheimischen nichts Außergewöhnliches an dem Fahrstil des Mannes. Auch Petra nicht.


„Zum ersten Mal in Sri Lanka?“, fragte sie  grinsend. Ich nickte.


Eigentlich hatte ich geplant, mir in Colombo ein Zimmer zu nehmen, aber je mehr wir uns dem Stadtzentrum näherten, desto weniger war ich von dieser Idee begeistert. Das Gedränge auf den Straßen wurde dichter. Fahrradfahrer versuchten zwischen Autos und Bussen vorwärtszukommen. Motor-Rikschas, kleine knatternde und stinkende Blechdosen auf drei Rädern, bahnten sich hupend ihren Weg. Obwohl es immer noch in Strömen goss, wimmelte es auf den Straßen von Menschen - tiefschwarze Haare und dunkle Augen, die Hautfarbe von hellbraun bis fast schwarz. Frauen in bunten Saris, andere in langen Wickelröcken mit enganliegenden, miederähnlichen Oberteilen, die Taille dazwischen nackt. Geschäftsmänner in langen Hosen und weißen Hemden. Andere Einheimische mit Sarongs bekleidet, einer rockähnlichen Stoffbahn, die vorne zusammengefaltet wurde, passend für alle Größen.


Händler kauerten am Straßenrand und boten ihre vom Regen durchweichten Waren feil. Zierliche Frauen balancierten schwere Körbe auf dem Kopf. Ein in Lumpen gehüllter Bettler saß auf der Erde zwischen Unrat und Morast. Sein rechter Arm war amputiert, die linke Hand streckte er mir bittend entgegen.  


„Ich bleibe nie länger in Colombo, als unbedingt nötig“, sagte Petra, die meinen erschrockenen Gesichtsausdruck beobachtet hatte. „Nichts wie raus aus dem Chaos hier, und erst mal am Strand ein bisschen relaxen. In einem Fischerdorf bei Hikkaduwa kenne ich ein kleines, ruhiges Hotel.“


Der Wolkenbruch hatte den Busbahnhof in Colombo  überflutet. Als wir ausstiegen, standen wir knöcheltief in der trüben Brühe. Fremdartige Gerüche vermischten sich mit dem modrigen Gestank der Wasserlache. Kaum hatten wir den Bus verlassen, hielt auch schon eine Motor-Rikscha neben uns an.


„Tuk-Tuk, Madam?“, fragte der Fahrer. Er wartete keine Antwort ab, stieg aus und zerrte an meinem Gepäck. Vergeblich versuchte ich, ihm meinen Rucksack zu entreißen. Da baute sich Petra vor dem Einheimischen auf. Die Deutsche war groß und überragte den Sri-Lanker um fast einen Kopf, und sie war von ziemlich korpulenter Statur. Mit einem Handgriff schob sie den Mann einfach zur Seite.


„Glaubst du, in dem ruhigen Hotel am Strand ist noch ein Zimmer frei?“, fragte ich Petra.


„Bestimmt. Wir bringen dich schon irgendwie unter. Der Besitzer ist ein guter Freund von mir. Außerdem kenne ich die Leute im Dorf. Schon seit Jahren fahre ich immer wieder dorthin.“


Zielsicher bahnte sie sich den Weg durch die Menschenmenge.


„Wir nehmen den Minibus in Richtung Hikkaduwa”, rief sie mir zu.


Petra ging schnell. Ich hatte Mühe, sie in dem Gedränge nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich erreichten wir den Parkplatz auf dem die Kleinbusse standen.


Minibus war keine Untertreibung. Die Fahrzeuge waren so klein, dass man darin nicht aufrecht stehen konnte. Eigentlich boten sie Sitzplätze für zehn Personen, aber sie waren vollgestopft mit Menschen, die zusammengekauert auf Sitzen, Notsitzen und auf dem Boden saßen.


An der Vorderseite der Busse war das jeweilige Fahrtziel angeschrieben, doch nur in einheimischen Schriftzeichen, die ich nicht lesen konnte. Aus jedem Bus brüllte ein Mann einen Ortsnamen mit unglaublich schneller Aussprache, und sich unermüdlich wiederholend.


„Ratnapura, Ratnapura, Ratnapura...“, rief einer der Sri-Lanker lautstark. Aus dem nächsten Bus wurde ein anderer Name gerufen. Die Männer schienen sich gegenseitig übertönen zu wollen. Völlig durchnässt folgte ich Petra über den matschigen Platz, bis sie endlich auf einen Minibus zusteuerte.


„Hikkaduwa, Hikkaduwa, Hikkaduwa...“, rief der Mann aus Leibeskräften.


Wir blieben vor dem Fahrzeug stehen. Sofort wurde uns das Gepäck abgenommen und auf dem Dach des Busses verstaut. Mein sperriger Rucksack hätte im voll besetzten Inneren ohnehin keinen Platz gehabt. Ein Wunder, dass Petra und ich noch hineinpassten. Auf dem Boden sitzend nahm eine Frau ihr Kind auf den Schoß, und die Fahrgäste rückten noch näher zusammen, sodass eine Lücke entstand, in die wir uns zwängen konnten.


Jetzt sprang auch der Mann mit der schnellen Aussprache auf. Mit einer Hand hielt er sich an der geöffneten Schiebetür fest. Der Regen hatte nicht nachgelassen, dennoch streckte er den Kopf ins Freie, um einigermaßen aufrecht stehen zu können. Fasziniert starrte ich auf seine nackten, dunkelhäutigen Füße, die sich direkt neben mir befanden. Die Zehen standen weit auseinander, fast so wie gespreizte Finger, und er krallte sich damit am Boden fest, wenn der Bus sich in die Kurven legte.


In der schwülen Luft hing der Geruch von Schweiß und feuchter, muffig riechender Kleidung. Das nasse Haar der einheimischen Frau neben mir verbreitete einen penetranten Geruch von Kokosnussöl. Aus dem Lautsprecher dröhnte Musik. Nervenaufreibend sang eine schrille  Frauenstimme eine melancholische Melodie, begleitet von den monotonen Klängen für mich fremdartiger Musikinstrumente.


Zunächst führte die rasante Fahrt durch die Straßen der Hauptstadt Colombo, dann vorbei an den Armutsvierteln am Rande der Stadt. Als wir die Behausungen hinter uns gelassen hatten, raste der Fahrer in atemberaubendem Tempo die Küstenstraße entlang. Wenn wir ein Dorf passierten, bremste er nicht etwa ab, sondern donnerte laut hupend an den Hütten vorbei, dass die Passanten auf der Straße zur Seite springen mussten. Erst als eine große, weiße Tempelanlage in Sicht kam, nahm der Chauffeur den Fuß vom Gas. Einen Moment lang stoppte der Bus, und der Kassierer warf ein paar Geldscheine in einen Opferkasten.


„Sie bitten Buddha, die Fahrt zu beschützen“, erklärte Petra.


„Das haben wir auch bitter nötig“, entgegnete ich.


Während der Fahrt beobachteten uns die Einheimischen neugierig. Vor allem Petra schien ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Aufgrund ihrer Körpergröße und der kräftigen Statur wirkte sie riesig neben den zierlichen, einheimischen Frauen. Ihre halblangen, blonden Haare hingen strähnig in ihr Gesicht. Die blasse Haut war mit Sommersprossen übersät, die so zahlreich und dicht waren, dass sie an manchen Stellen große, zusammenhängende Flecken bildeten. Unverwandt starrte ein kleines einheimisches Mädchen, das neben Petra saß, auf diese Pigmentmale. Ängstlich versuchte das dunkelhäutige Kind etwas weiter von Petra wegzurücken, was jedoch in dem engen Fahrzeug so gut wie unmöglich war.


Petra hatte sich entspannt zurückgelehnt und sah an mir vorbei aus der offenen Schiebetür. Zwischen Palmen und Fischerhütten konnte man das Meer sehen, das grau und aufgewühlt unter dunklen Regenwolken lag. Bizarre Felsen, an denen sich die Wellen brachen, ragten hin und wieder aus dem Wasser. Ein zufriedenes Lächeln lag auf Petras Gesicht. Sie schien die Fahrt sehr zu genießen.


Ich dagegen hoffte nur, dass diese Tortur bald zu Ende sein würde. Zusammengekauert saß ich auf dem Boden und konnte die Beine nicht ausstrecken. In jeder Kurve versuchte ich verzweifelt, mich irgendwo festzuhalten, um nicht aus der geöffneten Schiebetür geschleudert zu werden.


Endlich, nach etwa dreistündiger Fahrt, erreichten wir unser Ziel - ein kleines Fischerdorf namens Akuralla. Mit steifen Gliedern wand ich mich aus dem Fahrzeug. Unser Gepäck, das inzwischen völlig durchnässt war, wurde vom Dach des Minibusses heruntergeworfen. Und schon  raste der Fahrer laut hupend weiter.


Direkt vor dem Hotel hatte der Bus angehalten. Malerisch stand das einstöckige, weiße Gebäude unter mächtigen Kokospalmen. Petra wurde schon von einer Freundin erwartet, und ein junger einheimischer Mann mit pechschwarzem, lockigem Haar, begrüßte uns freundlich. Er stellte sich als der Manager des Hotels vor.


Meine Begleiterin zog zu ihrer Freundin in ein Doppelzimmer, aber für mich war kein Zimmer mehr frei. Es stellte sich heraus, dass das Hotel das einzige in dem kleinen Ort war. Die Sonne stand schon tief, und ich war müde von der langen Reise. Deshalb war ich sehr erleichtert, als der Manager mir anbot, mich für eine Nacht in einem Privatquartier unterzubringen. Am nächsten Tag würde ein Zimmer im Hotel frei werden, versprach er mir.


Die Unterkunft befand sich auf der anderen Straßenseite und war ein heruntergekommenes Gebäude, das aus einem einzigen Raum bestand. Durch und durch feucht waren die Wände, und es roch unangenehm nach Schimmel. Spinnweben hingen an dem scheibenlosen Fenster. Durch das Dach, das mit Palmblättern gedeckt war, tropfte der Regen. Das einzige Möbelstück in dem Raum war ein Bett, dessen Matratze mit einem zerschlissenen, grünkarierten Stoff überzogen war, der noch Flecken meiner Vorgänger aufwies.


Elektrisches Licht gab es nicht, stattdessen hatte man mir eine Kerze bereitgestellt. Auch eine Dusche war nicht vorhanden. Ein paar Schritte von meinem Quartier entfernt zeigte mir der Manager einen Brunnen, aus dem ich Wasser schöpfen konnte, um mich zu waschen.


Nur eine kurze Zeit der Dämmerung kündigte die Nacht an, und plötzlich war es stockdunkel. Mit der brennenden Kerze in der Hand ging ich zum Brunnen. Undefinierbare Geräusche drangen aus dem Dickicht, das sich an mein luftiges Badezimmer anschloss. Irgendwie hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden, aber im schwachen Schein der Flamme konnte ich nicht sehen, ob sich in den Büschen ein Mensch, oder vielleicht ein Tier verbarg. Und ich konnte auch nicht erkennen, ob das Wasser, das ich mit einem Eimer an einer Seilwinde aus dem dunklen Brunnen beförderte, wirklich so schwarz war, wie es in dem flackernden Kerzenlicht schien.


Das Gebüsch aufmerksam beobachtend, verzichtete ich darauf mich auszuziehen, und kippte mir das Wasser kurzerhand über Kopf und Kleidung. Dann zog ich einen zweiten Eimer Wasser aus dem dunklen Loch, tauchte mein Handtuch ein und lief hastig zurück in mein Zimmer. Dort angekommen schloss ich die hölzernen Fensterläden und stellte erst jetzt fest, dass man die Tür nicht verriegeln konnte. Während ich den Eingang nicht aus den Augen ließ, benutzte ich das nasse Handtuch, um mich frisch zu machen. 


Moskitos summten an meinem Ohr vorbei. Geckos flüchteten die Wände hoch und an der Decke entlang. Eine überdimensionale Kakerlake suchte Schutz in der Dunkelheit unter dem Bett. Zu dem Ekel vor dem Insekt kam noch meine Angst vor Spinnen. Ich versuchte nicht daran zu denken, was alles unter meinem Bett krabbeln könnte, denn ich fürchtete mich eigentlich vor allen Tieren, die mehr als vier Beine haben.


So hatte ich es ja gewollt, als ich allein nach Sri Lanka aufbrach. Na ja, vielleicht nicht ganz so. Mein Exfreund Rainer wäre jedenfalls zu einer abenteuerlichen Reise wie dieser nicht bereit gewesen. Viel lieber verbrachte er  seine Ferien in einem komfortablen Hotel, und er hatte sich bei der Auswahl der Urlaubsziele immer durchgesetzt. Dieses Mal würde ich meine Reise selbst gestalten. Auf einer tropischen Insel musste ich ein paar Krabbeltiere eben in Kauf nehmen, versuchte ich mich zu beruhigen, als ich die Kerze ausblies und meine Augen schloss.


 


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