• Eve bekommt in wenigen Tagen ein Baby
Ich ziehe gedankenverloren an der Spieluhr und spüre Eves
Vorfreude, die starke Emotionen und Erinnerungen in mir
weckt. Während die ersten Tage, in meiner eigenen Lebensgeschichte
wieder. Zeitversetzt spüre ich, meine biologische
Uhr tickt, mein Kinderwunsch, der noch in Babyschuhen liegt,
erwacht. Brahms Melodie schwingt mich in die Höhen des
Mutterglücks und lädt mich auf eine Zeitreise in die Vergangenheit
ein, die zu den gedanklichen Anfängen der Existenz
meines Sohnes führt, seine Geschichte wach werden lässt.
• Verschrobene Ansichten: Ein Zwiegespräch mit der
Jugendstildame – die Uhr tickt!
Eine Stimme wird lauter. Ich habe die Sehnsucht nach einem
Kind, die sich nicht mehr unterdrücken lässt. Ein noch zu
erledigender Pressetext über die Belle Epoque lässt mich erschöpft
vom arbeitsintensiven Tag in den Ballsaal eilen. Mein
Blick weilt auf der wunderschönen Architektur dieser Epoche.
Während ich den Stuck betrachte und die Rosetten bewundere,
blicke ich plötzlich in die Augen einer dieser Jugendstildamen.
Ist es ihre Mütterlichkeit, die mich in meiner Seele
berührt und diese Sehnsucht urplötzlich in aller Deutlichkeit
im Raum stehen lässt? Ist es die Fruchtbarkeit, die ihr anhaftet,
die mich zu mahnen scheint: Die Zeit läuft, der Beruf
ist nicht alles! Ist es ihre Selbstgefälligkeit, die mich reizt?
Warum glaube ich mich plötzlich gegen ihre überholten, verstaubten
Ansichten verteidigen zu müssen? Zornig halte ich
Zwiesprache mit diesem fordernden, anmassenden Jugendstilweib
aus längst vergangenen Zeiten.
Aus mir spricht der reine Zeitgeist: »Heute hat Frau Optionen.
Sie hat die Wahl. Warum sollte ich ein inspirierendes
und erfülltes Leben in Unabhängigkeit gegen ein unbekanntes
austauschen, um mich womöglich entnervt im Babyalltag mit
Windelwettbewerb und anderen Banalitäten wiederzufinden?
Kenne ich diesen nicht zur Genüge von Freundinnen, die
mir einst nahe standen, und mich mit ihren Themen, im
Spannungsfeld zwischen Nestbautrieb, Muttermilch und Ehefrust,
plötzlich langweilen? Deren unleidige, unersättliche
Bälger uns unserer guten Gespräche berauben. Meine Freundinnen
gleichen Süchtigen, die fremdgesteuert nur noch aus
dem Gefühl der Mütterlichkeit bestehen, deren Augen, Ohren
und Brüste lediglich eine Bestimmung haben. Mütter, die all
ihre vielseitigen Interessen mit der Geburt des Säuglings abstreifen
– ihre Persönlichkeiten sich im Fieber und Schmerz
im Zahnen des Kindes aufzulösen scheinen. Ihr einst geistreicher
Esprit und Elan fliessen mit der Muttermilch förmlich
dahin und haben andauernder Erschöpfung Platz gemacht.
Und doch strahlen sie vor Glück und Erfüllung. Kannst
du das nicht erkennen?« Ich spüre, diese Jugendstildame
ist durch nichts zu überzeugen. Ihre Augen sprechen eine
mir unbekannte Sprache und erinnern mich an die mitleidigen
Blicke, die mich von den frischgebackenen, befreundeten
Müttern treffen, während sie meine Themen, die einst
auch ihr Leben umtrieben, nicht mehr erreichen.
Ich spüre wachsenden Unmut in mir ob so viel Unverständnis
dieser verstaubten Jugendstildame. Auch etwas Eifersucht
über das verlorene Terrain der Verbundenheit, aus welchem
mich diese Schreihälse Nimmersatt meiner Freundinnen vertrieben
haben. Nein, Madame Belle Epoque, kein Bedarf. Hier
tickt lediglich eine Uhr, jene, die mich an meine Verabredung
an der Bar und nicht an Mutter Natur erinnert. Dennoch,
ich vernehme den Ruf der Natur, der einen tiefen Wunsch
nach einem Kind in mir weckt: ein leises Dilemma.
•Wenn Cash Flow und Shareholder Value zum
persönlichen Return on Investment werden
Im Glanz der Noblesse wird im Ballsaal der Belle Epoque
eines der besten Geschäftsergebnisse in der Hotelgeschichte
mit Aktionären und anderen illustren Gästen gefeiert. Der
Champagner fliesst und ist prickelnd wie der Unternehmenserfolg,
der auch mich heute zu Höhenflügen verleitet und in
Hochstimmung versetzt. Beschwingt vor mich hin sinnierend,
wie Shareholder Value und erzielter Cash Flow für mich zu
einem ganz persönlichem Return on Investment werden und
mir Lebenssinn verleihen, trifft mich ein mahnender Blick von
Madame Belle Epoque.
Pass auf, diesem Rausch könnte schon bald Ernüchterung
folgen und einer Katerstimmung Platz machen. Deine
biologische Uhr tickt, während du dich den falschen Werten
verschreibst.Ich schlage ihre Warnung mit Leichtigkeit in
den Wind. Heute lasse ich mir durch nichts und niemanden
die Stimmung verderben. Glück ist erfülltes Tun, Madame
Belle Epoque!
• Die Sehnsucht nach Glück nimmt Formen an
Im Verkaufsbüro liegt der ausgearbeitete Kaufvertrag der letzten
Luxus-Wohnresidenz vor mir, während im Zauber der
Vergänglichkeit wieder ein spannendes Arbeitsprojekt seinen
Abschluss findet. Ich sehe mich als Marketingverantwortliche
unverhofft, wie die Jungfrau zum Kind, zum Immobilienbusiness
kommend. Schwanger mit dieser neuen beruflichen
Herausforderung, macht sich beseelt vom Ehrgeiz anfangs
Unwohlsein breit. Mein Know-how, meine Kompetenz und
Inspiration wachsen mit dem Fortschritt des Immobilienprojekts.
Während ich als Mitglied der Baukommission Architekturpläne
und Baubeschrieb studiere, erfahre ich Erfüllung
darin, mich mit den unterschiedlichen Anforderungen von
Menschen an eine Ferienresidenz auseinanderzusetzen. Suchende,
die sich mit ihrem Besitzanspruch innerhalb eines
Luxus Resorts vermeintlich ein kleines Stück Glück zu sichern
vermögen. Ihre Augen leuchten, die Vision nimmt mit dem
Ausbau der Residenz Formen an. Während ich Teil dieses
Entstehungsprozesses werde und ihre Lebensgewohnheiten
erfahre, berührt mich ihre Geschichte. Ich begegne glücklichen,
sich im Einklang befindenden Paaren und auch solchen,
die befürchten lassen, dass ihre Beziehung, ob ihrer
Differenzen zur Auswahl des Lavabos, noch vor Fertigstellung
der Wohnresidenz zum Scheitern verurteilt ist. Pubertierende
Kinder und deren anmassende Ansprüche, die mich erstaunen
lassen, dass Eltern noch gewillt sind, diesen überhaupt Raum
zu verleihen.
Das Kind ist mit Herzblut geboren, das Projekt vollendet. Die
Euphorie über den Verkaufserfolg löst sich zeitgleich mit jener
der Residenzbesitzer über die Neuanschaffung eines weiteren
Luxusguts auf. Was bleibt, ist der luftleere Raum der Ernüchterung
und die wiederkehrende brennende Frage nach dem
Glück. Zwar kurzfristig beflügelt von der Leistung, mit neuen
Kompetenzen versehen und in jeder Hinsicht bereichert, ziehe
ich trotz dem Stolz über den erwirtschafteten Unternehmensgewinn
persönlich bittere Bilanz. War es diese Erkenntnis,
vor der mich Madame Belle Epoque zu warnen versuchte?
Werte wie Erfolg, Prestige und Besitz machen nur kurzfristig
glücklich. Mein Selbstbewusstsein ist neu genährt, das Ego
gestreichelt von der Wertschätzung der Käufer und des Verwaltungsrates.
Dennoch macht sich Katerstimmung breit.
•Wenn alles bleibt, wie es ist, wird nichts mehr sein,
wie es war – im Wartesaal des Lebens
Ich lasse den Workshop Revue passieren und denke an die
Worte des Referenten, die sich tief in mein Bewusstsein einprägen:
Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit im Wartesaal des
Lebens, love it or leave it! Der aktuelle Geschäftsbericht liegt
vor mir. Ich verweile in Gedanken in der langjährigen Hotelgeschichte,
deren Geburtsstunde in der Belle Epoque liegt.
Über Generationen zeigten die Verantwortlichen Pioniergeist
und trotzten den Krisen im schwierigen Umfeld, getragen von
einer gemeinsamen Vision, die sich der Zukunft verspricht.
Das einzig Beständige ist die Veränderung. Ein neues Direktionsehepaar
tritt an und schnell wird klar: Ihre berufliche
Gedankenwelt geht nicht in Resonanz mit meinen Idealen.
Unsere definierten Werte sind nicht konform, während ihre
Vision mich nicht erreicht. Mein Arbeitsfeld, früher Spielwiese
der Selbstentfaltung, kann nicht mehr energetisiert werden,
es kommt einem Minenfeld gleich. Zeit, das Feld zu räumen,
wäre nicht endlich der richtige Zeitpunkt für die natürlichste
Sache der Welt gekommen. I leave it. Ich habe mich
bereits einer anderen Zukunft versprochen.
Das einstige Dilemma zwischen dem Wunsch nach beruflicher
Erfüllung und der tiefen Sehnsucht nach einem Kind hat ein
Ende und weicht einer tiefen Gewissheit: Hier ist nicht Mutter
Natur, die ihre Tribute fordert – triebhaften Reproduktionsanspruch
stellt. Dieser über Jahre gewachsene und tief analysierte
Kinderwunsch ist keine Kopfgeburt, sondern Herzenswunsch.
Der Bauchentscheid für das Kind gibt den Startschuss
für das neue Projekt, die Lebensumstände und der Zeitpunkt
sind ideal.
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