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> Politik, Gesellschaft > Der Fluss meiner Träume
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Politik, Gesellschaftskritik
Buch Leseprobe Der Fluss meiner Träume, Hidir Eren Celik
Hidir Eren Celik

Der Fluss meiner Träume


Lebensreise eines Wanderers

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Ich durchquere die tiefen Täler und Berge
Singe meine Lieder in den Wäldern
und lass meine Tränen den Fluss meiner Träume werden.

Aus dem Traum erwacht
hoffnungsvoll
Singe ich ein neues Lied
Dersim
Ein Lied, in dem die Vögel sich zur Sonne strecken

Papa, wer sind die Alewiten?

Der Wanderer wird von seinen Kindern öfters gefragt: »Papa, wer sind die Alewiten?«, »Woher stammt ihr?« Um diese Fragen seiner Kinder zu beantworten, zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück. Er begann zu schreiben. Eine Nacht folgte der anderen. Er schreibt die Geschichte der Alewiten für seine Kinder, damit sie verstehen können, wer sie sind.

Das Alewitentum, eine unbekannte Religionsgemeinschaft

Das Alewitentum wird von vielen Seiten, sowohl von deutschen Religionswissenschaftlern als auch von vielen christlichen Theologen, dem Islam untergeordnet und als reformierter Islam angesehen. Diese Ansicht konnte ich nie teilen, ich ärgere mich sogar darüber, dass heute noch in intellektuellen Kreisen der europäischen Staaten von vielen Wissenschaftlern und Soziologen die Alewiten ohne historisch-theologische Grundlagen dem Islam untergeordnet werden. Die Mehrheit der Alewiten distanziert sich vom Islam. Denn sie sehen sich nicht als Muslime. Das Alewitentum ist auch historisch nicht aus dem Islam hervorgegangen. Eine Ausnahme bildet das Bektasi-Alivitentum, dessen Anhänger ursprünglich aus Protest gegenüber dem Islam zum Alewitentum übergetreten sind. Auch der überwiegende Teil der Muslime sehen die Alewiten als nicht zum Islam gehörig an.
Der Begriff »Alew« stammt aus der persischen Sprache und heißt »Feuer«. Es ist nicht so, wie von Muslimen sunnitischen Glaubens behauptet wird, dass das Wort »Alewiten« »die das Feuer Anbetenden« bedeutet. Es handelt sich hierbei um eine Überlieferung aus sunnitisch-islamischen Kreisen, die die Alewiten schlecht darstellen, ja sogar als Ketzer brandmarken wollten. Da bei den Alewiten Kerzenentzündung und Kerzenfeuer eine rituelle Bedeutung haben und sie von Donnerstag auf Freitag Kerzen an heiligen Orten und Stätten anzuzünden pflegten und beteten, wurden sie als »Feueranbetende« beschimpft und diskriminiert. Die Alewiten wurden seit dem Mittelalter durch die Osmanen und auch später in der Türkei verfolgt und regelrecht niedergemetzelt.(...)

Abschied

Es ist Herbst. Die Sonne scheint immer noch über die Munzur Berge. Der Fluss Munzur fließt schlangenförmig in ferne Länder, die für viele Dersimer im Exil Heimat geworden sind. Die Menschen eilen einzeln und in Gruppen über die Schulallee in Richtung Gymnasium. Es ist mein letzter Tag in Dersim (Tunceli). Ich muss dabei sein, zumindest ein Stück mitlaufen, damit ich ohne schlechtes Gewissen ein letztes Mal in Solidarität mit meinen Genossen die Stadt meiner Träume verlassen kann. Es sind wieder Tausende, die sich auf dem Vorplatz des Mädchengymnasiums versammeln. Ich bin inmitten der Genossen und wir rufen Parolen: »Das Recht auf Wasser und Brot wird man keinem von uns nehmen« und »Tod dem Faschismus, Freiheit dem Volk.« Bevor der Demonstrationsmarsch beginnt, muss ich wieder zurück ins Stadtzentrum, damit ich meinen Bus nach Istanbul nicht verpasse. Ich weiß nicht, ob ich traurig bin oder ob ich mich freue, dass ich nach Deutschland zu meinen Eltern ziehe. Ich umarme einige meiner Freunde und begebe mich zurück ins Zentrum. Im Busterminal schreien die Kinder: »Frisches Wasser, frisches Wasser«, und um den Bus drängeln sich Menschen.
Ich habe noch eine dreiviertel Stunde Zeit, bevor ich abfahre. Ich schließe mich den Menschen an, die sich um den Bus scharen. Vor Langeweile kreisen meine Gedanken um verschiedene Dinge. Einen Augenblick denke ich, ob ich nicht doch darauf verzichten soll, nach Deutschland zu gehen. Verzweifelt kämpfe ich mit mir. Ich fühle mich alleingelassen, wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter verlassen wurde. Die Gedanken verselbstständigen sich, bringen mich schnell in die Vergangenheit zurück. Denn ich wurde schon einmal als Kind von meiner Mutter verlassen. Sie verließ uns, um mit meinem Vater in Deutschland zusammenzuleben. Im Nachhinein habe ich volles Verständnis dafür, dass sie meinem Vater gefolgt ist. Denn sie hatte keine andere Wahl. Diesmal habe ich das Gefühl, dass ich meine Genossen verlasse, um vor der beginnenden Revolution davon zu laufen. Ich spiele in Gedanken mit dem Begriff »Verrat«. Ja, ich verrate meine Genossen. Ich verlasse sie, um mir in Deutschland eine sichere Zukunft zu suchen. Nur wenige Sekunden später widerspreche ich mir selber. Ich verrate doch niemanden und außerdem bin ich mit vollem Herzen bei meinen Genossen. Noch nicht einmal meine Geschwister sind am Busterminal, um sich von mir zu verabschieden. Aber sie haben wichtigere Aufgaben. Sie sollen und müssen sogar für die Revolution marschieren. Ja, es ist wichtiger dabei zu sein, bei denen zu sein, die für die Zukunft kämpfen, ohne zu wissen, was die erträumte Zukunft ihnen bringen wird.
Ich nehme den Platz im Bus ein und beginne zu träumen. Ich träume von der Revolution und bin so tief in meine Träume versunken, dass ich nicht merke, dass der Bus bereits das Terminal verlassen hat. Adieu. Adieu, Fluss meiner Träume. Adieu, Stadt meiner Sehnsucht, Adieu. Aber ich verspreche dir, ich komme sobald wie möglich zurück und werde dabei sein, deine Freiheit zu feiern.
Woher sollte ich wissen, dass es dieses Mal ein langer Abschied sein würde, ein Abschied von den Träumen meiner Stadt. Ein Abschied von meinen Träumen, der schon ein Jahr vorher, nach meinem Abitur, begonnen hatte, als ich für einen Sprachkurs nach Deutschland ging. Nach fast zwanzig Stunden Fahrt erreichte unser Bus das größte Busterminal der Türkei, den Istanbuler »Topkapi Otogari«. Ich nahm ein Taxi und fuhr zum Hotel Oscar im Istanbuler Stadtteil Aksaray/Beyazit, dessen Besitzer ein bekannter Dersimer ist. Ich blieb eine Woche in Istanbul, bis ich nach Deutschland flog. Während meines Aufenthaltes in Istanbul besuchte ich fast jeden Tag die sozialistischen Jugendorganisationen in Aksaray und traf mich mit Studenten aus Dersim, die an Istanbuler Universitäten studierten. Die Woche verstrich sehr schnell, und ich verließ am 28. Oktober 1978 die Türkei. Am Köln/Bonner Flughafen warteten meine Eltern auf mich, in der Hoffnung, mich aus dem Revolutionstraum gerettet zu haben.
Ich war noch nicht einmal richtig in Deutschland angekommen, da musste ich schon anfangen zu arbeiten....

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