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Kultur Bücher
Buch Leseprobe Mit dir durch dick und dünn?, Uwe Klöckner-Draga
Uwe Klöckner-Draga

Mit dir durch dick und dünn?


Bühnenzauber und Blaues Blut – „Kaiserin“ Her

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Die intensiven, langen Gespräche mit Rose Rauch gaben den wertvollen Anstoß, dieses Buch zu schreiben. Ein wesentlicher Teil unserer Gespräche drehte sich um die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Mit wachsender Empörung erzählte sie von den Verstrickungen ihres außerordentlich faszinierenden Lebens mit ihrem Ehemann, dem Prinzen Ferdinand zu Schoenaich-Carolath. Er war der jüngste Sohn von „Kaiserin“ Hermine, der zweiten Ehefrau des letzten deutschen Kaisers und Königs von Preußen Wilhelm II. Sie, eine im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehende Sängerin, die mit namhaften Künstlern der Zeit im engen Kontakt stand, tauchte mit ihrer Hochzeit im Jahr 1938 in die Welt des deutschen Hochadels ein. „Mit dir durch dick und dünn“ wurde zum Leitsatz ihres Lebens, bekam jedoch sehr schnell Risse. Ein Netz von Ablehnung, erbärmlichen Intrigen, politischen Irrungen, Anfechtungen und gefährlichen Ereignissen beendete den Kampf um Liebe und Anerkennung. Die perfekte, schöne Fassade täuschte und der Blick dahinter weckte mein Interesse.
Als Hauptquelle boten sich die subjektiven Aufzeichnungen Ferdinands an, die unmittelbar nach dem Krieg aufgeschrieben wurden und die Erinnerungen, Ereignisse und Gefühle zeitnah beschreiben. Er wollte die wichtigsten Ereignisse aus jener Zeit festhalten, bevor Details verblassten oder in Vergessenheit gerieten. Ferdinand blickte zurück im Zorn und wollte sich rechtfertigen; vieles wurde beschönigt. Das Manuskript blieb unveröffentlicht.
Glücklicherweise fanden sich in den vielen staubigen, vergilbten Papieren auch Briefe und Postkarten der „Kaiserin“. Diese vermitteln einen anderen Blickwinkel der Empfindungen, Probleme und Sichtweisen Hermines, die bereits zu ihren Lebzeiten vielfach auf Ablehnung gestoßen war. Aus der schriftlichen Hinterlassenschaft spricht ein starker Mensch, der hochgebildet, politisch interessiert und warmherzig war. Das überlieferte äußerst einseitig-negative Bild der ehrgeizigen und als intrigant beschriebenen Fürstin, die schnellstens über die Nazis auf den deutschen Thron ihres kaiserlichen Gemahls gelangen wollte, weicht in vielem von ihrem sonst so dargestellten Lebens-Porträt ab und bedarf einiger Korrekturen. Aufzeichnungen, Tagebücher, Presseberichte und Aussagen von Zeitgenossen, einander gegenübergestellt, runden das Bild ab. So entstand ein historisch fundierter Tatsachenbericht, in dem die unterschiedlichsten miteinander verwobenen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts vorkommen: Kaiser Wilhelm II., Kaiserin Auguste Victoria, Großherzogin Luise von Baden, Caroline von Sachsen-Weimar-Eisenach und Kronprinzessin Cecilie von Preußen zu den NS-Politikern Hitler, Göring und Goebbels, den Komponisten Leo Leux, Peter Kreuder und Ralph Benatzky, den Filmstars La Jana, Olga Tschechowa, Fritz Kampers, Anny Ondra, Curt Goetz und Magda Schneider (Mutter von Romy Schneider), den Sportlern Max Schmeling und den Regisseuren Hans Deppe, Veit Harlan, Arthur Maria Rabenalt und Hans H. Zerlett, den mutigen Männern vom 20. Juli 1944: Wilhelm Canaris, Paul von Hase und Ulrich von Sell. Auch Truman, Eisenhower und General Clay gehören zum Kaleidoskop dieser verzwickten Geschichte.
Natürlich bleiben dennoch Lücken, die irgendwann geschlossen werden sollten.
Eine Reihe von Zeitzeugen waren durch persönliche intensive Gespräche Hilfe und Unterstützung. Stellvertretend seien genannt: Annely Niemann, Katharina Wanke, Luise Klöckner, Theresia Rauch, Ursula Topf, S. K. H. Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Caroline Hartung, Kristina Söderbaum, Hilde Seipp, Herbert G. Styler, Jürgen von Alten – und natürlich Rose, die ich Rosel nannte. Ich denke an unsere Münchener Zeit mit Liebe, Freude und Wehmut.


                  




                                 Spurensuche

„Um Gottes willen, niemals werde ich je wieder nach Amtitz fahren“, sagte Rose und meinte es mit ihrer Äußerung sehr ernst. Sie hatte keine Lust, auf Spurensuche zu gehen und den Geist der Vergangenheit zu beleben, obwohl sie so viel von früher erzählte. Dieses „Früher“ war die Zeit vor dem letzten Krieg. Damals war Schloss Amtitz ihr Zuhause. Es lag in der Niederlausitz, die zur östlichen Provinz der Mark Brandenburg gehörte.
Seit 1945 gehört das ehemals deutsche Gebiet östlich der Oder und der Görlitzer Neiße zu Polen. Die deutsche Bevölkerung wurde ausgesiedelt und das Gebiet wurde mit Polen, die aus den von den Russen okkupierten polnischen Ostgebieten stammten, neu besiedelt. Das war der Preis, den die Deutschen für Hitlers Krieg zu zahlen hatten. Jahrzehnte waren die Völker durch den Eisernen Vorhang getrennt. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren Besuche nach Polen mit Schwierigkeiten verbunden, besonders, nachdem die Sozialistische Volksrepublik Polen unter Kriegsrecht stand. Mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland wurden die Einreisebedingungen erleichtert.
Als wir die Grenze nach Polen überschritten, wechselten Roses Gefühle von Freude zu Trauer, von Wut zu Angst.
Von Guben fuhren wir über die Neiße in den heute polnischen Teil der Stadt, der nun Gubin heißt. Jetzt waren es nur noch zehn Kilometer bis nach Amtitz. Es war die gleiche Strecke, die Rose 1938 zum ersten Mal gefahren war, nachdem sie den Prinzen Ferdinand zu Schoenaich-Carolath am 8. November in Berlin standesamtlich geheiratet hatte und auf der sie danach als neue Herrin von Amtitz von der Landbevölkerung bejubelt worden war.
Zuerst fuhren wir durch Czarnowice, das damals Schernewitz hieß, und dann durch Gubinski, das frühere Stargard. Verfallene Häuser säumten die Straße, auf den Feldern weideten wie eh und je friedlich Kühe. Wir verließen die Hauptstraße und bogen nach links in einen Weg ein.
„Gebice“ stand auf dem Ortseingangsschild des Dorfes, das bis 1945 Amtitz hieß. Langsam fuhren wir über die mit Kopfsteinen gepflasterte Dorfstraße. Rose hatte nichts vergessen. Lebhaft und übereifrig purzelten die Worte aus ihrem Mund: „Hier wohnte der Bäcker Fasske und rechts befand sich die Brauerei von Walter Christoph. Dort drüben ging es zum Kriegerdenkmal, das mit einem steinernen Löwen bekrönt war. Auf ihm war eingemeißelt:
,Den fürs Vaterland im Kriege 1914–1918 gestorbenen Brüdern in Liebe und Dankbarkeit
Die Gemeinde Amtitz‘
Links stand der Gasthof von Rogasch …“
Dass sämtliche Häuser dem Verfall preisgegeben waren, schien sie nicht zu bemerken, oder sie wollte es nicht. Schweigend saß ich neben Rose und hörte ihr aufmerksam zu. Am Ende der Straße stockte ihr der Atem. Sie ließ den Wagen anhalten und wir gingen zu Fuß weiter. Unsicher betrat sie zum ersten Mal seit jenem schrecklichen Februar-Tag im Jahre 1945 wieder Amtitzer Boden …
„Sind wir denn hier richtig?“, fragte mich Rose unsicher, obwohl sie wusste, dass ich vorher noch nie in Amtitz gewesen war. Dort, wo einst die Torgebäude und das mit einer Fürstenkrone geschmückte schmiedeeiserne Eingangstor standen, begrüßten uns nun hohe Bäume und Sträucher im Wildwuchs. „Hier war doch das herrliche barocke Tor?!“, stammelte sie fassungslos vor sich hin. Vorsichtig tastete sie sich weiter, schien den Weg, den die Natur sich längst zurückerobert hatte, zu erahnen – nein, zu kennen. Immer weiter folgten wir der Krümmung eines Weges, stolperten über umgefallene Bäume und Äste, bis hinter einer Lichtung eine imposante Ruine zum Vorschein kam: Schloss Amtitz.
Der Turm des Schlosses, der früher zum charakteristischen Bestandteil der Silhouette von Amtitz gehörte, war nur noch zu einem Drittel erhalten. Das Innere des Schlosses existierte überhaupt nicht mehr, einzig die Umfassungsmauern ragten wie geborstene Klötze in den Himmel hinein. Zerstört wurde es bereits im April 1945, als die Schlacht um Berlin begann und es der 1. Ukrainischen Armee unter ihren Oberbefehlshabern, Marschall Georgij K. Schukow und Marschall Iwan Stepanowitsch Konew, gelungen war, die deutschen Verteidigungslinien bei Küstrin und Guben zu durchbrechen und mit zwei Stoßkeilen die Offensive auf Berlin einzuleiten. Damals wurde auch der Ort Amtitz von der Roten Armee besetzt. Beschuss, Plünderung und Brandstiftung vervollständigten die Zerstörung der gesamten Herrschaft. Aber da waren Rose und Ferdinand nicht mehr hier.
In den Nachkriegsjahren verfiel die Schlossruine weiter. Der niedergestürzte Dachstuhl begrub unter sich die letzten Reste der ehemals wertvollen Stuckatur, von der jetzt nur noch Fragmente zu sehen waren. Hohe Bäume wuchsen im Schlossinneren empor. Rose weinte still vor sich hin. An den Fensterhöhlen konnte sie noch die Zimmer ausmachen und zeigte mit dem Finger in die Luft: „Das da war der Speisesaal und daneben befanden sich Ferdinands Schlafzimmer und sein Ankleidezimmer. Meine Räume waren auf der anderen Seite. Die Bibliothek war in der Mitte und neben der Terrasse waren der Spiegel-, der Grüne und der Rote Salon.“ Sie fing an zu schwärmen, kicherte, lachte und weinte zugleich. Sie erzählte und erzählte, dabei umrundeten wir die Ruine. Hinter den rußgeschwärzten Mauerresten des Schlosses wand sich das Flüsschen Lubst, wie seit alters her. Jetzt war aus ihm eine versandete, bräunliche Brühe geworden.
Aus dem ehemaligen englischen Landschaftsgarten hatte sich ein malerisch naturbelassener Wald entwickelt. Hier und da verharrte noch ein einsamer Putto auf seinem Sockel, auch eine Marmorvase mit dem Wappen der Schoenaich-Carolaths stand noch – wie zufällig – in einem Gestrüpp.
Aus diesem Garten war das hohe Dach der spätbarocken Schlosskirche auszumachen, die wir sofort aufsuchten. Am Äußeren hatte man auf jede Dekoration weitgehend verzichtet; dies zeigte den konservativ-lutherischen Geist. In den Nachkriegsjahren war die Architektur des bedeutsamen Bauwerks erheblich beschädigt worden. Trotzdem hatte die Johanniterkirche noch immer ihren eigenartigen Reiz. Vom Einsturz gefährdet, war sie für Besucher nicht mehr zugänglich.
Das Gotteshaus galt bereits im 18. Jahrhundert als ein Kleinod der Architektur in der Niederlausitz und bezeugte die Repräsentationsansprüche der Familie Schoenaich-Carolath, aber auch die Verbundenheit der Herrschaft zu ihren Bewohnern. Sie war auch Begräbniskirche der Familie. Auf dem Gelände war zusätzlich ein Friedhof für die Bürger von Amtitz angelegt worden, dessen Umfassungsmauern einzustürzen drohten. Die Verwilderung schien keinen der neuen Dorfbewohner zu stören. Grabsteine lagen zerbrochen im Unkraut. An der Südseite der Kirchenruine waren zwei Epitaphe erhalten geblieben, die zu den bedeutendsten Zeugnissen der Spätrenaissance in der Lausitz zählen. Das älteste erhaltene Epitaph links zeigt Christina von Schoenaich-Carolath, geborene von Pannwitz, das rechte zum Gedächtnis des Freiherrn Philipp von Schoenaich, der am 29. Januar 1555 aus dem Leben geschieden war. Die umlaufende Inschrift war in den Sandstein geritzt und mit schwarzem Pech ausgekleidet worden. Die Steine waren einst farbig gefasst und mit Vergoldungen versehen. Ungeachtet der Gefahr suchten wir einen Eingang, um ins Kircheninnere zu gelangen. Im Innern der nicht übermäßig hohen Halle erwarteten uns auch hier ein Bild der Verwüstung und modriger Geruch. Die Einrichtung war herausgerissen, nur der Putz mit seinen dekorativen deutschen Bibelsprüchen war erhalten geblieben, der die tiefe Frömmigkeit des Auftraggebers offenbart:
„Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer“
(Jesaja 54,10)
Die Ruhe der hier in den letzten 300 Jahren bestatteten Familienmitglieder war gestört worden. Die Zugänge zu den Grabkapellen waren nach 1945 alle zerstört, die Holzsärge aufgebrochen und geplündert worden. Auf dem Boden verstreut lagen Menschenknochen und Reste von Kleidern und Schuhen. Selbst Anthropologen hätten die Gebeine in der ausgeplünderten Gruft nur mit größter Mühe genau zuordnen können. Ein Kunstwerk des 20. Jahrhunderts war die noch gut erhaltene Grabkapelle für den Prinzen Heinrich zu Schoenaich-Carolath, der in verschiedenen politischen Ämtern weit über seine Herrschaft wirkte und für sein soziales Engagement bei der Bevölkerung äußerst beliebt war. Das Verwaltungsgenie galt als einer der letzten Grandseigneurs des deutschen Hochadels; er wurde hier 1920 beigesetzt. Auf der Granitplatte war zu lesen:
„Hier ruhen in Gott der freie Standes- und Majoratsherr auf Amtitz Heinrich Schoenaich-Carolath Reichsgraf von Schoenaich
Erbliches Mitglied des Reichstages
Ehrenbürger der Stadt Guben,
geboren 24. April 1852 in Amtitz,
gestorben 20. Juni 1920 in Berlin
und Margarethe Prinzessin von Schönburg-Waldenburg
geboren 18. Juli 1864 und vermählt 4. Oktober 1888 zu Droyzig,
gestorben 21. Januar 1937 in Starzeddel.“
Dieser massive Granitsarkophag war der einzige, der nicht aufgebrochen worden war.
Nur der Chorumgang mit seinen Ornamenten und Malereien sowie ein Fragment aus Stein – es waren die Reste des Altars – waren erhalten geblieben. Auf dem Fußboden, im Staub, entdeckte ich den Einband der Bibel. Jahrzehntelang hatte er das Buch auf dem Altar geschützt. Ich nahm ihn mit. Vor diesem Altar hatte Rose ihren Ferdinand geheiratet. Hier hatten sie sich geschworen, in ihrem gemeinsamen Leben „durch dick und dünn“ zu gehen. Glücklich ist sie in Amtitz jedenfalls nicht geworden. Und mit wie viel Hoffnung war sie hier eingezogen! Die Lebensgeschichte dieser Frau erinnert an einen Groschenroman oder eine Lehár-Kálmán-Operette und war doch alles andere als leicht oder trivial – ein Leben, das man sich heute kaum noch vorstellen kann.

   

                                               *   *   *     



                                      Es war einmal …


Die Liebesgeschichte der Sängerin Rose Rauch und des Prinzen Ferdinand zu Schoenaich-Carolath begann wie in einer kitschigen Filmkomödie. Bevor das Schicksal sie zusammengeführt hatte, lebten sie in völlig verschiedenen Welten. Ferdinand war 24, Rose 25 Jahre alt, als sie sich kennenlernten. Der Prinz war Großgrundbesitzer und lebte auf Schloss Amtitz in der Niederlausitz, das ihm durch Erbschaft zugefallen war. Rose war eine anerkannte Sängerin in Berlin, die ihr Glück gezielt auch auf eine Filmkarriere richtete.
Herbst 1937: Auf dem Spielplan des kleinen Gubener Kinos in der Frankfurter Straße stand:
„Wenn du eine Schwiegermutter hast …“
mit Ida Wüst und Ralph Arthur Roberts in den Hauptrollen, damals zwei beliebte Schauspieler im deutschen Film. Der Prinz hatte genug Zeit, denn seine Angestellten kümmerten sich um seinen Land- und forstwirtschaftlichen Betrieb. In der Nachmittagsvorstellung konnte er seine Zeit totschlagen und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Fast teilnahmslos ließ er die anspruchslose Komödie über sich ergehen, als seine Aufmerksamkeit durch eine Szene in einem Nachtclub geweckt wurde. Eine junge, attraktive Frau trat in einem tief dekolletierten weißen Abendkleid auf und sang mit gepflegter Stimme den einschmeichelnden Tango von Werner Bochmann Wem schenk’ ich meine Liebe? (Text: Erwin Lehnow) Ferdinand war vom ersten Augenblick an von der Künstlerin fasziniert, deren ganze Erscheinung ihn zu hypnotisieren schien. Nur um diese kurze Szene noch einmal zu sehen, sah er sich den Film ein zweites Mal an. Nach der Vorstellung kaufte er sich an der Kasse ein Filmprogramm. Er wollte unbedingt wissen, wie der Name der Sängerin war: Rose Rauch.

Zurück in Amtitz, ging ihm die Frau nicht mehr aus dem Kopf. Ferdinand, der ein sehr impulsives Temperament besaß, reagierte sehr direkt. In Ferdinands Gefühlsmuster steckte der jugendliche Held, der seine Durchsetzungskraft an Herausforderungen entzündete. Wenige Tage später fuhr er nach Berlin und erkundigte sich an mehreren Theatern nach der hübschen Sängerin. Berlin war damals das Zentrum aller Künstler im deutschsprachigen Raum, ein Eldorado der Kulturszene. Hier musste seine Angebetete irgendwo aufzuspüren sein. Er konnte in Erfahrung bringen, dass die Gesuchte im renommierten Theater am Schiffbauerdamm auftrat, und zwar in Walter Kollos Operette Mädel ahoi! Sofort fuhr er in die Hauptstadt.
Am selben Abend kaufte sich Ferdinand eine Eintrittskarte und ging in die Vorstellung. Den Auftritt von Rose Rauch konnte er kaum erwarten. Endlich trat sie auf die Bühne, vom grellen Scheinwerferlicht angestrahlt. Groß, schlank und in einem atemberaubenden Kostüm. Ihre langen blonden Haare fielen bis auf die Schulter. Ferdinand starre sie an, ihre Augen schienen immerzu zu lächeln, und als Rose dann sang, war Ferdinand völlig von ihr hingerissen.
Nach dem Auftritt klatschten und tobten die Zuschauer – der Prinz war am lautesten. Von diesem Tag an saß Ferdinand jeden Abend beharrlich am gleichen Platz in der ersten Reihe des Theaters und bewunderte seine Angebetete auf der Bühne. Er erkundigte sich nach ihren Lieblingsblumen und schickte täglich Sträuße von rosaroten Nelken in ihre Garderobe, bombardierte sie regelrecht mit Konfekt und blieb doch unerhört, da Rose von solch hartnäckigen Bewunderern nicht viel hielt. Doch Ferdinand ließ nicht locker und hatte sich in den Kopf gesetzt, Rose Rauchs Bekanntschaft zu machen – egal wie. Er erkundigte sich nach ihren Kollegen und Freunden und konnte geschickt einen Teebesuch bei einer gemeinsamen Bekannten arrangieren, bei dem Ferdinand anwesend war und sie sich endlich persönlich begegneten. Bei diesem ersten Treffen sagten sie sich Belanglosigkeiten, und Ferdinand, der vor lauter Befangenheit etwas stotterte, versuchte alles, um Rose zu gefallen. Sie hatte ihn bei dieser ersten Begegnung nicht so faszinierend empfunden und war auch nicht sonderbar beeindruckt von ihrem konservativen „Verehrer“, der kein Intellektueller war und mit der Künstlerszene nichts zu tun hatte. Der Wunsch, die Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen, war nicht da. Vorerst hielt sie Ferdinand für den Verwalter eines schlesischen Rittergutes; er wirkte in ihren Augen eher linkisch und ein bisschen wie ein verliebt-verrückter Hund, der anscheinend nicht einmal ein paar anständige Schuhe besaß: Denn als sie ihn von oben bis unten einer kritischen Musterung unterzog, fielen ihr seine abgetragenen Schuhe auf, was für Rose und ihrem guten modischen Geschmack einfach „unmöglich war.
Als sie Ferdinand wenige Tage später in einem Kaffeehaus wieder traf, kaufte sie ihm spontan bei einem anschießenden Bummel über den Kurfürstendamm in einem Geschäft ein Paar Budapester Schuhe, die für Qualität bekannt waren. Bei diesem Treffen brachte Ferdinand sein inneres Gefühl von aristokratischer Würde und Überlegenheit wohlwollend und herzlich zum Ausdruck. Rose fielen natürlich dabei die zärtlichen Blicke von Ferdinand auf, und als er sie für den kommenden Abend zu einem Abendessen bei einem Freud einlud, sagte sie blindlings zu. Danach musste Rose schleunigst ins Theater. Vor wenigen Tagen hatte sie ihre Fahrprüfung bestanden und sich sofort einen fashionablen amerikanischen zweisitzigen Gebrauchtwagen von der Marke Buick gekauft. Mit ihm fuhr sie die Tauentzienstraße entlang. Es war höchste Zeit, denn sie wollte pünktlich zur Vorstellung kommen. An einer Ampel musste Rose stoppen. Als Grün kam, streikte der Wagen und bewegte sich nicht einen Meter mehr fort: Achsenbruch! Wieder kam Rot, wieder kam Grün, und das Auto stand wie festgewurzelt auf der Straße. Sie ließ ihren Buick einfach stehen und rannte zur U-Bahn-Station Wittenbergplatz, am KaDeWe (Kaufhaus des Westens).
Die Ouvertüre hatte bereits eingesetzt, als Rose das Theater erreichte. In aller Eile raste sie in die Garderobe, zog ihr Bühnenkostüm an und rannte in die Maske. Der vorwurfsvolle Blick des Inspizienten ließ ihre Wut noch mehr steigen. Nach der Vorstellung fuhr sie mit einem Taxi sofort zurück zur Tauentzienstraße, zu ihrem Wagen, ohne zu ahnen, dass sie eine Riesenverkehrsstockung hinterlassen hatte. Menschen standen herum, und ein Polizist zerrte am Zündschlüssel, der sich eingeklemmt hatte. Der Polizist fluchte, die Menschen lachten, und Rose Rauch sagte verlegen: „Entschuldigung, das ist mein Auto!“ „Na dann kommen Sie doch mal mit auf die Wache!“, entgegnete der Polizist. Zunächst wurden ihre Personalien aufgenommen und eine Strafanzeige wurde erstattet. Sie sollte sich am nächsten Tag auf der Wache melden.
Das Abendessen fand in der Villa des letzten Adjutanten Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn, Generalmajor a. D. Ritter von Schwertführer, im vornehmen Stadtteil Grunewald statt. Etwas unsicher drückte sie den Klingelknopf, ein Hausdiener ließ sie eintreten. Hochadel und Diplomaten waren anwesend, die Sängerin Rose Rauch gehörte zu den erlauchten Gästen. Sie hatte eine Welt betreten, der anzugehören sie sich insgeheim gewünscht hatte. Rose war von auserlesener Eleganz und wusste die Vorzüge, mit denen die Natur sie ausgestattet hatte, ins rechte Licht zu rücken. Sie trug ein Abendkleid aus Tüll und Spitzen, das sehr vorteilhaft ihre makellose Figur betonte. Die gebändigte Überfülle ihrer blonden Locken umrahmten ihr liebreizendes und zugleich groß geschnittenes Gesicht mit den ein bisschen erstaunt blickenden blauen Augen. Sie suchte nach dem Gesicht ihres Verehrers, der in einer Ecke mit einigen Gästen plauderte. Diesmal hatten schon seine Körperhaltung und der gut sitzende Frack etwas Imponierendes. Auf dem gesellschaftlichen Parkett war er sicherer. Als Ferdinand sie im Saal erblickte, stellte er sich ihr nun endlich mit richtigem Namen vor: Es war seine Durchlaucht Prinz Ferdinand Johann Georg Hermann Heinrich Ludwig Wilhelm Friedrich August zu Schoenaich-Carolath, Freier Standesherr auf Amtitz, Expekt des Deutschen Ordens und erbliches Mitglied des vormaligen preußischen Herrenhauses, Sohn der nachmaligen deutschen „Kaiserin“ Hermine, Stiefsohn Kaiser Wilhelms II., ehemaliger Deutscher Kaiser und König von Preußen, Nachfahre der Vögte des Reiches in Weida, Gera, Plauen und des Burggrafen von Meißen etc. „Sagen Sie nur Ferdinand zu mir“, bemerkte der Prinz.
Verunsichert setzte sich Rose an die Tafel. Das Dinner und der Wein waren ausgezeichnet und die Tischreden langweilig. Immer wieder schaute sie verstohlen über den Tisch hinweg, zu Ferdinand, der mit seinen Orden wie ein Märchenprinz aussah, so, wie sie sich ihn als Kind vorgestellt hatte. Dieser hatte über Roses Anblick das Essen vergessen. Rose war intensive Männerblicke gewöhnt, aber dieser durchdringende schmachtende Blick des Prinzen ging ihr unter die Haut. Zwischen beiden hatte es offenbar ein wenig „gefunkt. Nach dem Souper begleitete Ferdinand Rose nach Hause. Sie wohnte mit ihrer Mutter in einem Mietshaus in der Charlottenburger Mommsenstraße 65. „Ferdinand, ich habe den Abend mit Ihnen genossen“, sagte sie zum Abschied. Der Prinz wagte keine Annäherung, denn Rose war keine Frau, die man mit einem Kuss überrumpelte. Wenn er ihr Herz erobern wollte, dann musste er behutsam vorgehen, was den Reiz für ihn erhöhte. Am nächsten Tag begleitete Ferdinand Rose auf die Polizeiwache und bot seine Hilfe an. Ohne viel Aufheben wurde der Strafantrag niedergelegt. Nach jenem denkwürdigen Abend und dem darauffolgenden „Polizeimanöver“ buhlte Ferdinand, der sich Hals über Kopf verliebt hatte, hemmungslos um Roses Gunst. Er strahlte eine erfrischende Direktheit aus und klammerte sich immer stärker an seine nicht standesgemäße Angebetete. Er musste sie immer wieder ansehen. In seinen Augen war Rose die schönste Frau der Welt, neben der alle anderen Frauen verblassen mussten. Er hatte sich ernsthaft bis über beide Ohren in die blonde Schönheit verliebt, und in wenigen Wochen hatte Ferdinand sich sogar in den Kopf gesetzt, die Sängerin und angehende Schauspielerin zu ehelichen.
Erwartungsvoll fuhr Rose mit ihrem Wagen zum Schlachtensee, wo sie Ferdinand zu einem Spaziergang treffen sollte. Zu ihrer Überraschung überreichte er ihr wortlos ein Geschenk: Es war ein Goldamulett mit dem eingravierten Wappen seiner Familie. Unter einer Fürstenkrone konnte sie im Schild zwei Löwen, zwei Adler und einen Eichenkranz erkennen. Bis Ferdinand endlich die entscheidenden Worte aussprechen konnte, dauerte es noch eine Weile, und als der Prinz seine Angebetete endlich fragte, ob sie seine Frau werden wolle, erwiderte Rose aus dem Nichts: „Mit dir durch dick und dünn?“ Dieser Satz sollte zum Leitspruch ihres gemeinsamen Lebensweges werden. Das Schicksal schien es gut mit Rose und Ferdinand zu meinen.
Dieses Fräulein Rauch stellte die fragile Balance innerhalb Ferdinands Familie im kaiserlichen Exil-Hof im fernen holländischen Doorn infrage, und als Hermine von den Plänen ihres Sohnes erfuhr, glaubte sie, ihren Ohren nicht zu trauen. Die Neuigkeit hatte bei ihr Entsetzen hervorgerufen. Sie wollte – wie wohl jede Mutter – das Beste, und das war in diesem Fall der richtige Ehepartner. Für sie hatte sich Ferdinand in eine indiskutable Person verliebt. Dass Ferdinand in die Arme einer Bürgerlichen gesunken war, war nicht das Ausschlaggebende – es war vielmehr der Beruf der jungen Frau. Künstler waren in der damaligen adeligen Welt noch immer mit großen Vorurteilen behaftet, deren Lebenswandel mit Sittenlosigkeit gleichgesetzt wurde. Die Gefühle und die Neigungen der Hauptbeteiligten spielten hier eine untergeordnete Rolle. „Kaiserin“ Hermine, die eigentlich eine weltoffene und emanzipierte Frau war, hatte natürlich auf eine Verbindung mit einer deutschen, zumindest mit einer ebenbürtigen europäischen Prinzessin, gehofft. Zuvor hatte sie jedoch verkündet: „Zwischen Liebe und Thron würde ich mich immer für die Liebe entscheiden. Im Garten der Liebe gibt es keinen Gothaischen Hofkalender.“ Auch Hermines zweiter Ehemann, der im Exil lebende ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II., ging die Nachricht ebenfalls contre cœur. Ganz den Moralkriterien des 19. Jahrhunderts verhaftet, verkörperte für ihn Ferdinands angebetete Künstlerin eine erotische Freizügigkeit, die er als verwerflich empfand. Als Familienoberhaupt und damit Vorbild der weit verästelten ehemaligen preußischen Königsfamilie duldete Wilhelm keine privaten Skandale dieser Art in seinem Haus. Sein Stiefsohn bereitete ihm mit seiner nicht standesgemäßen Liaison Verdruss. Eine Ehe mit einer Mätresse vom Theater war für ihn als Chef des Hauses Hohenzollern völlig ausgeschlossen. Erfahrungen sollte der liebeshungrige Prinz natürlich machen, ohne sich zu etwas zu verpflichten, geschweige denn zu heiraten! Ferdinand wurde geraten, sich mit Anstand aus dem Talmi-Abenteuer zu entfernen. Außerdem sollte ein weiterer Skandal in der Familie unter allen Umständen vermieden werden. Als der zweite Kaisersohn, Prinz Eitel Friedrich, nach seiner Scheidung von Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg die ebenfalls geschiedene Gräfin Madeleine von Mellin heiraten wollte, gab der Kaiser seine Zustimmung nicht. Eitel Friedrich fügte sich, lebte jedoch mit der Gräfin und ihren beiden Kindern (aus einer anderen Verbindung) zusammen in Potsdam. Fatal war auch, dass Erbprinz Wilhelm, der älteste Sohn von Ex-Kronprinz Wilhelm und Prinzessin Cecilie von Preußen, 1933 gegen den Willen seines Großvaters Dorothea von Salviati, Tochter eines königlichen württembergischen Kammerherrn, geheiratet hatte. Nach den strengen Hausgesetzen des Hauses Hohenzollern wies Dorothea, um einen Prinzen von Preußen heiraten zu können, ebenfalls einen entscheidenden Mangel der Ebenbürtigkeit auf, da ihre Familie keinem regierenden Herrscherhaus angehörte. Dass die Institution der Monarchie – und die damit verbundenen Privilegien und Vorrechte – längst abgeschafft war, wurde dabei übersehen. Das Familienoberhaupt, der abgedankte Kaiser, hatte, als er zum ersten Male von den Heiratsabsichten seines Enkels erfuhr, entschieden: Wenn Prinz Wilhelm diese Frau dennoch heiraten sollte, müsste er seine Anwartschaft auf die Stellung als zukünftiger Chef der Familie aufgeben und seine Ehefrau würde nicht Mitglied des königlichen Hauses werden. In den Augen des Kaisers schadete sein ältester Enkel mit dieser geplanten Heirat der monarchischen Bewegung erheblich. Noch glaubte Wilhelm (und seine Entourage) an eine Rückkehr auf den Thron. Als das Paar im Juni 1933 trotzdem heiratete, erschien von der gesamten Familie nur Wilhelms Bruder Hubertus zur Trauung. Der empörte Kaiser ließ mitteilen: „Prinz Wilhelm tritt mit seiner Eheschließung in die Reihe der nachgeborenen Prinzen des königlichen Hauses. Das Verhalten des Prinzen Wilhelm hat das Ansehen des königlichen Hauses schwer geschädigt. Ich vertraue darauf, dass alle Mitglieder des Hauses das ihrige dazu tun, um die schädlichen Auswirkungen in möglichst engen Grenzen zu halten.“ Generalleutnant Konrad Graf Finck von Finckenstein äußerte sich ebenfalls ganz im Sinne des Kaisers: „Heute ist der Tag, an welchem Prinz Wilhelm die Hohenzollernrasse verdirbt und das Legitimitätsprinzip bricht.“ Als wenig später in der amerikanischen und deutschen Presse bekannt wurde, dass auch der zweitälteste Sohn des Kronprinzenpaares, Louis Ferdinand, eine nicht standesgemäße Verbindung – diesmal sogar mit einem skandalumwitterten Hollywoodstar – eingehen wollte, musste auch er sich als Mitglied des Hauses Hohenzollern an die strikte Einhaltung des Hausgesetzes halten. Der Kaiser-Enkel entschied sich für seine Familie und beendete seine Verbindung zu Lily Damita. 1936 stellte sich die Frage der Ebenbürtigkeit in der adeligen Familie erneut. Diesmal war es Hermines älteste Tochter aus ihrer ersten Ehe mit dem 1920 verstorbenen Prinzen Johann Georg zu Schoenaich-Carolath, Prinzessin Hermine Caroline. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, einen aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Mann zu heiraten. Hermine hatte zwar Verständnis, aber auch im Hause Schoenaich-Carolath sollten sich möglichst alle Angehörigen an einen restriktiven Familienkodex halten. Nach hitzigen Auseinandersetzungen mit der Mutter und dem Stiefvater (der kein Mitspracherecht hatte) konnte sich Prinzessin Hermine Caroline durchsetzen und schließlich doch noch ihren Hugo Herbert Hartung heiraten. Die Hochzeit fand am 12. Dezember 1936 in der Schlosskirche von Saabor, dem feudalen Familiensitz in Schlesien, statt, und Hermine nahm teil. Auch der Sohn von Prinz August Wilhelm (vierter Sohn des Kaisers), Prinz Alexander, wollte eine Bürgerliche und zudem einmal geschiedene Frau heiraten. Wilhelm II. verweigerte auch hier seine Zustimmung. Bei Hermines jüngstem Sprössling Ferdinand sollte härter durchgegriffen werden. Er war schon immer ihr Sorgenkind gewesen und von ihm als Heranwachsender einige Eskapaden gewöhnt. Sie wusste, dass sie sich mit Ferdinands Jähzorn auseinandersetzen musste. Schon als Kind konnte seine Stimmung blitzschnell in einen Wutausbruch umschlagen. Doch ebenso schnell verrauchte der Gefühlsausbruch wieder, und dann schien die Sonne, als wäre nichts gewesen. Hermine konnte bisher immer mit ihrem Jüngsten liebevoll einwirkend umgehen. Ein Oberst, der im Auftrag Ihrer Majestät der „Kaiserin“ den Prinzen Ferdinand auf seinem Schloss Amtitz aufsuchte, hatte den Auftrag, den Prinzen zu beschwören, seine geplante Heirat mit der Sängerin Rose Rauch aufzugeben. Doch Ferdinand beharrte auf seinem Willen, war untröstlich und lehnte es ab, das von ihm geliebte Wesen zu verlassen. Wenig später sprach der Prinz nochmals bei seiner Mutter in Doorn vor und bat inständig um die Erlaubnis, seine neue Favoritin mit ihrer nichtadligen Herkunft heiraten zu dürfen. Aber die Antwort lautete: Nein. Das Kaiserpaar hatte in dieser Frage keinen Kompromiss gekannt. „Eine Künstlerin in unserem Hause – niemals!“ So nahm denn die Affäre ihren Anfang, wobei alle überzeugt waren, dass die Angelegenheit nicht lange dauern würde. Ferdinand schwebte weiterhin im siebten Himmel, wollte sich unter keinen Umständen beugen und reagierte mit Kampfgeist. Er hatte die Lebensgefährtin seines Lebens gefunden und wollte sich allen Widerständen und Konventionen zum Trotz mit seiner nicht standesgemäßen Braut vermählen. Ferdinand war zutiefst enttäuscht, dass seine Mutter kein Verständnis für ihn aufbringen konnte. Heute ist es kaum noch nachzuvollziehen, wie sich über dieses „Problem“ die Gemüter erregten. Hatte Hermine nicht auch gegen viele Vorurteile anzukämpfen, als sie den im Exil lebenden deutschen Kaiser Wilhelm II. kurz nach Ablauf des Trauerjahres um Kaiserin Auguste Victoria 1922 geheiratet hatte? Nicht nur die Familie des Kaisers sah die Wiedervermählung mit kritischen Augen, auch in der Öffentlichkeit war Hermine damals auf breiten Widerstand gestoßen. Sie musste sich mit Anfeindungen und sogar respektlosen Beleidigungen und Gehässigkeiten auseinandersetzen. Mit ihrem dynastischen Stolz konnte sie sich gegen alle Widrigkeiten behaupten. Einzig dem kritischen Blick in den Gotha, das Genealogische Handbuch des Adels, hielt Hermine stand. Ihr Stammbaum hat etliche bedeutende Persönlichkeiten aufzuweisen. Mit ihrer lupenreinen Ahnenreihe erfüllte sie die Voraussetzung, um Wilhelm aus dem Hause Hohenzollern heiraten zu können. Deshalb ist es erforderlich, zunächst einmal die Geschichte(n) der Familie Reuß etwas zu betrachten.


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