Ich werde durch mehrere sehr schmerzhafte Stellen an meinem Körper wieder wach, weiß nicht, wie lange ich weggetreten war. Ich stehe in aufrechter Stellung in einer großen Halle, finde erst langsam wieder zurück. Meine Hände sind über meinem Kopf, sind mehrfach zusammengebunden und ein dicker, weißer Strick geht von meinen zusammengebundenen Händen bis zu einem Balken nach oben. Dort ist er befestigt, nötigt mich, meine Hände und Arme senkrecht über mir zu halten.
Meine Beine sind nicht gefesselt, aber der Strick oberhalb von mir hält meine Hände so hoch oben, dass meine Bleistiftabsätze eben noch leicht den Boden berühren. Meine Fußballen sind damit das einzige, was den Zug auf meinen Körper verringert. Der vor allem auf meinen Händen und Armen wirkende Zug ist einer der Schmerzverursacher, die mich aufgeweckt haben.
Der andere ist mein Kinn, besser gesagt die Innenseite meines Zahnfleischs, wo mich der Kinnhaken getroffen, zu Boden geworfen hat. Verstärkt wird der Schmerz noch durch ein breites Stück Klebestreifen, das sehr fest über meinen Mund geklebt wurde. Wer immer mich hier her verschleppt hat, hat mir auch noch mein Kostüm ausgezogen.
Ich trage nur mehr meinen String, meine auffallende Strumpfhose und meine Pumps. Selbst wenn ich es schaffen würde, die Knoten zu öffnen, würde ich außerhalb des Gebäudes auffallen. Eine halbnackte Frau hat wahrscheinlich mehr Probleme unterzutauchen als eine Frau im Kostüm.
Als ich mich umsehe, erkenne ich, dass ich im leeren Lagerhaus in der 38 SW Street bin. Mir kommt wieder zu Bewusstsein, was alles in den letzten Stunden – wie spät ist es überhaupt? – passiert ist. Sie haben Monique erschossen und ich stecke in der Klemme. Nachdem man uns abgehört hat – ich war so naiv und habe alles erzählt, wissen sie jetzt, was ich vorhabe! Ich müsste eigentlich erstaunt sein, immer noch zu leben. Wieso haben sie nicht schon Schluss mit mir gemacht?
Ich sehe wieder, wie Moniques Oberkörper in Zeitlupentempo auf den Tisch prallt, ihr Kopf die Untertasse streift, sie trifft. Ich sehe auch vor mir, wie ich ihre Kopf aufhebe, dann der grellrote Fleck auf ihrem makellos weißen Kleid.
Mir wird übel bei dem Gedanken, was sie mit ihr gemacht haben und was mir jetzt droht. Wollen sie herausbekommen, was ich weiß, bevor sie mich ermorden? Eigentlich wissen sie ja schon alles. Vermuten sie noch mehr? Wenn nicht, wird es ein schnelles oder ein langsames Ende?
Ich versuche, mittels des Lichts, das durch die oberen Fenster in die Halle eindringt, die Zeit zu bestimmen. Ich kann es nicht genau sagen, aber es dürfte später Nachmittag sein. Ich war bestimmt vier oder fünf Stunden ohne Bewusstsein, wurde hierher gebracht, gefesselt und geknebelt. Mir ist bei meinem ersten Eindringen hier in die Halle nicht einmal der Balken aufgefallen, auf dem jetzt meine Fesseln angebracht sind.
Ich überlege, versuche eine Lösung zu finden, wie ich hier weg kommen kann. Aber ich finde keine. Ich kann zwar meine Hände frei bewegen, aber ich kann nicht erkennen und nicht spüren, wie die Knoten, die am Ende des Seils, das mehrfach um meine Handgelenke gewunden ist, angebracht sind.
Die Schmerzen, die meine Stellung verursacht, behindern mich noch zusätzlich. Ich glaube, dass der Mann – jedenfalls habe ich kurz einen Mann gesehen, bevor mich die Faust traf – ein Profi ist. Er hat mich absichtlich so gefesselt, damit ich schon mit dem Überleben und der Schmerzverringerung so viel zu tun habe, um nicht auf andere Gedanken kommen zu können.
Außerdem ist seine Methode sehr einfach – er benötigt nur ein einziges Seil, um mich völlig kaltzustellen. Dadurch, dass er die Länge so bemessen hat, dass ich gerade noch auf einem Teil meines Fußes stehen kann, muss ich viel Energie aufwenden, um überhaupt mein Gleichgewicht halten zu können. Ich liebe High Heels, aber jetzt verfluche ich sie. Er hat sie mir absichtlich nicht ausgezogen, um es mir noch schwerer zu machen.
Ich verliere völlig mein Zeitgefühl, kann nur an der Helligkeit oder besser gesagt, am Fehlen von Helligkeit erkennen, dass die Stunden verrinnen. Bald ist es so dunkel geworden, dass ich die andere Seite der Halle nicht mehr erkennen kann.
Es ist fast völlig still in der Halle, das Einzige, was ich hören kann, ist, dass einige Male Autos vorbeifahren. Einmal kann ich Sirenen hören, die näher kommen und sich dann wieder entfernen. Es wird noch dunkler, die Dämmerung geht in Dunkelheit über. Bald stehe ich in der völlig dunklen Halle.
Jetzt sehe ich noch weniger, nur die schwachen Straßenlaternen zeigen mir überdeutlich den weißen Strick, der meine Handgelenke festhält. Wieder glaube ich, ein Auto vorbeifahren zu hören, aber die Motorengeräusche werden nicht leiser, sie werden lauter. Dann bleibt das Auto nicht weit entfernt stehen, ich höre Quietschgeräusche wie von einer schlechten geölten Türe.
Ich erkenne, was das Geräusch bedeutet: Jemand macht das Tor in den Hinterhof, der zum Grundstück gehört, auf. Tatsächlich werden die Motorengeräusche wieder lauter, dann wieder leiser, während nochmals das Quietschgeräusch ertönt. Offensichtlich wurde das Tor wieder geschlossen.
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Vivien Follest, Mutter einer vierjährigen Tochter, lebt in Boston, führt scheinbar eine Bilderbuchehe und eine völlig geordnete Existenz. Was niemand weiß: Sie lebt ein Doppelleben. Einerseits ist sie Mutter und Ehefrau, andererseits arbeitet sie als Killerin, Agentin und Zuträgerin für eine geheimnisvolle Organisation, die sie selbst als die Boten bezeichnet. Ihr Leben wird jäh zerstört, als ihre Familie bei einem Bombenattentat getötet wird und sie nur knapp überlebt. Durch Zufall findet sie heraus, dass die Organisation dahinter steckt. Sie versucht, hinter die Auftraggeber und Drahtzieher des Anschlags zu kommen, aber die Killer der Organisation und der FBI sind hinter ihr her…
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