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> Krimi Thriller > Phantastische Fälle, Robert Fuchs
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Krimis & Thriller
Buch Leseprobe Phantastische Fälle, Robert Fuchs, Lars Hannig
Lars Hannig

Phantastische Fälle, Robert Fuchs


Ein episodischer Detektivroman (Edition 2021)

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Donnerstag, der dritte Dezember des Jahres 1917.
Schneeregen trommelte gegen die Sprossenfenster, deren dünne, teils gesprungene Scheiben in ihren Rahmen zitterten. Durch die Ritzen pfiff der Wind.
Von der Stube im Souterrain aus ließ sich das geschäftige Treiben der Altstadt von Brasston auf Knöchelhöhe beobachten.
Bereits das Schuhwerk der Menschen sprach Bände.
Die abgetragenen Lederschuhe des Milchmanns zogen in weit ausgreifenden Schritten am Fenster vorbei. Ihnen folgte im Dämmerlicht der Holzkarren, in einem Tempo, das die Flaschen auf der Ladefläche klingeln ließ.
Dutzende Paare schmutziger Arbeiterstiefel gingen vorüber, denen schlecht geschnürte Kinderschuhe hinterherliefen, deren Socken nicht immer zusammenpassten.
Ein Constable auf seiner Patrouille, poliertes Leder und bedächtige Schritte.
Helle Damenschuhe erschienen neben den frisch geputzten Halbschuhen eines Herren, der auch Gamaschen trug. Ihn begleitete die glänzende Spitze eines Gehstocks, die im Takt der Schritte auf das Pflaster tippte. Einen Augenblick später folgten die Pfoten eines schwarzen Pudels, der sich eilig auf Seiten der Dame einfand.
Früh morgens und spät abends erschien stets ein leichtes Mädchen in Rock und hochhackigen Schnürschuhen.
Hinter dem Trottoir klapperten beschlagene Hufe über das Kopfsteinpflaster und Kutschen mit Speichenrädern ratterten hinterher. Hin und wieder schnaufte ein Dampfwagen vorbei.
Den ganzen Tag zogen Passanten vorüber, jeder von ihnen mit einer eigenen Geschichte. Und in wie vielen dieser Geschichten mochte ein ungelöstes Rätsel verborgen liegen? Eine Frage, die sie sich vielleicht kaum wagten einzugestehen, geschweige denn auszusprechen, weil sie ihnen zu verrückt erschien. Zu kurios.
Solange bis das Verlangen nach Gewissheit alles andere überschattete und sie einen privaten Ermittler aufsuchten. Doch nicht an diesem Abend. Dank des scheußlichen Wetters waren die Straßen verwaist, bis auf den Nachtwächter mit seiner Laterne.
Nicht einmal der Junge mit dem Schuhputzkasten, der sich manchmal neben dem Fenster niederließ, war heute Abend gekommen. Mit ihm unterhielt sich der Detektiv gelegentlich, wenn es nichts zu tun gab. Bloß ein paar Streuner schlichen durch die Straßen.
Ein graugetigerter Kater blieb unversehens stehen. Gelbe Augen starrten ins Souterrain hinab und trafen auf die Grünbraunen des Ermittlers. Ein kurzer Moment, dann ein Sprung und schon war er wieder aus dem Sichtfeld verschwunden.
»Bald ergibt sich etwas«, sagte Robert Fuchs zu sich selbst. Er lehnte sich in seinem abgenutzten Ohrensessel vor, stützte die Ellenbogen auf die Oberschenkel und fuhr sich durchs strähnige rotblonde Haar, das sein kantiges Gesicht mit der hohen Stirn und den leichten Geheimratsecken umrahmte.
Er war zweiunddreißig und hielt nichts von Eitelkeiten.
Die feinen Herrschaften in ihrer kostbaren Kleidung, die manchmal an seinem Fenster vorüberzogen, lebten in einer Welt mit streng abgestecktem Horizont. Selbst ihre mit stoischer Miene dreinblickenden Fahrer trugen Bowler oder Zylinder.
Wahrscheinlich war er der einzige Mann in der Stadt, der keinen Hut besaß und stets mit dem gleichen Mantel auf die Straße ging.
Die Tasse Tee auf dem Beistelltisch war längst kalt geworden. Sein Blick wanderte zu seinem jungen Gehilfen.
Emil lehnte zusammengekauert in der Ecke vor dem freistehenden Kohleofen. Die struppigen dunkelblonden Haare des Elfjährigen warfen diffuse Schatten an die Wand. Er hatte sich eine Decke übergeworfen und las beim Licht der Gaslaternen, das von draußen hereinfiel. Seine blaugrauen Augen zogen gemächlich, jedoch unersättlich über die Buchseiten. Die Nebelmorde von Orpheus Lothair stand auf dem Einband.
Zum Abendessen hatte es zwei harte Scheiben Brot gegeben. Zu wenig, um seinen Hunger in dieser Welt zu stillen und so suchte er Ablenkung in der Romanwelt.
Emil blickte von seinem Buch auf. »Sicher, Sir. Es wird sich etwas finden, ich beschwere mich nicht.«
Fuchs hatte ihn im Rahmen eines Falls vor zwei Wintern in einem Waisenhaus kennengelernt und ihn als seinen Gehilfen zu sich geholt. Er hielt sich wacker und lernte fleißig.
Fuchs rieb sich die Schläfen und atmete durch. Es roch muffig in der Stube und die Luft stach kühl in der Nase.
Solange es die größte Sorge der Altstadtbewohner war, den Winter zu überstehen, fiel es den Menschen leicht, sich für eine Weile mit offenen Fragen und unerklärlichen Ereignissen abzufinden. Kuriose Fälle mussten warten.
Fuchs betrachtete den Jungen. Das Buch in seinen Händen zitterte leicht. Zuerst würden ihnen die Kohlen ausgehen. Eine Weile konnten sie so überstehen, wenn sie sich in Decken einwickelten, doch dann ging es an die Substanz.
Das Geschäft mit dem schwarzen Gold florierte besonders in diesem Winter und Oddsworth, ihr Vermieter, hatte den Kohlenkeller mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert. Manchmal fielen bei der monatlichen Lieferung ein paar Briketts vom Karren, wurden von den Rädern zerbrochen, in den Boden gedrückt und blieben ungeachtet in dem verwinkelten Kellergang zurück. Heimlich las Emil die Bruchstücke auf und behielt sie als Notreserve.
Lange würde Fuchs ihn nicht mehr ernähren können, auch nicht sich selbst. Er trank einen Schluck des abgestandenen Tees, der sich kaum mehr vom trüben Leitungswasser unterschied, so oft hatte er die Teeblätter bereits aufgebrüht.
Er schwenkte die Tasse hin und her und blickte auf die schwarzen Flocken, die darin umhertrieben. Er musste an die alte Wahrsagerin in ihrem Zirkuswagen denken, die Emil unbedingt hatte aufsuchen wollen und die ihnen doch nichts sagen konnte, was sie nicht bereits wussten. Die Zeiten waren düster. Für diese Information hatten sie ein Abendbrot eingetauscht.
Fuchs machte dem Jungen keinen Vorwurf. Jeder musste seine eigenen Erfahrungen machen. Falls ein knurrender Magen ihn lehrte, nicht auf jeden Taschenspielertrick hereinzufallen, war es die Investition wert gewesen. Es gab viele Dinge, die der Schulunterricht im Waisenhaus nicht abgedeckt hatte. Für ihre Arbeit wichtige Dinge.
Fuchs unterrichtete ihn, so gut es ging, doch eigene Erfahrung war noch immer der beste Lehrmeister.

Ein kalter Luftzug und der Geruch von Rauch weckten Fuchs. Diesiges Dämmerlicht fiel durch die Fenster, es war Tag geworden. Die Tür quietschte und wurde zweimal ins Schloss gedrückt. Jetzt im Winter verzog sie sich.
Er öffnete die Augen und streckte sich im Sessel.
Vor ihm stand Emil, die Kleidung mit Schneekristallen übersät und mit aufgeregten roten Flecken auf den bleichen Wangen. »Ich hab was!«
Emil entfaltete eine Zeitung vom Vortag, die er gefunden hatte. »Hier!« Er deutete auf eine Seite, die dicht mit Reklame und Gesuchen bedruckt war. Auf den ersten Blick waren sie kaum voneinander zu unterscheiden.
»Sind Ihre Kinder Schwächlinge? Bei schlechter Blutzusammensetzung: Meyers Kräftigungsprodukte! Stellen Sie uns auf die Probe.«
»Aufruf an die Industrie! Rüsten Sie nach, rüsten Sie auf: Dank neuester Flugaschefänger für mehr Effizienz und Lebensqualität! Kostenlose Beratung.«
Ungeduldig tippte Emil auf eine unscheinbare Annonce.
Fuchs musterte ihn kurz und hoffte, diesmal würde es sie kein Geld kosten, das sie ohnehin nicht hatten.
Zwischen Werbungen für die Pfeife der Zukunft, einen Bartformer und ein Wunderelixier gegen Haarausfall wurde er fündig.
»Sprössling vermisst!« Er überflog die Anzeige. »Fähiger Privatermittler gesucht. Großzügige Belohnung bei Aufklärung. Unterkunft auf Landsitz in Schönewald-Region.«
»Das wäre doch was, oder?«, fragte Emil.
Fuchs erhob sich und setzte sich in Bewegung.
Ein gutes Zeichen, dachte Emil. Wann immer sein Mentor nachdachte, fing er an umherzuwandern und sich über seinen Kinnbart zu streichen.
»Schönewald«, murmelte er, zog die Schreibtischschublade auf und entfaltete eine rissige Landkarte auf der Arbeitsfläche. Mit dem Zeigefinger fuhr er über das vergilbte Papier. »Nicht unbedingt in der Nähe, aber gut. Ich denke darüber nach.«
Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »In einer knappen Stunde treffe ich ohnehin Oddsworth. Vielleicht gibt er uns einen Aufschub.«
Als es an der Zeit war, sich auf den Weg zu machen, hatte er das Für und Wider der Reise abgewogen und einen Entschluss gefasst. »Emil, begleite mich ein Stück und begib dich dann zum nächsten Telegraphiebüro. Wir nehmen den Auftrag an.«

Gegen Abend kehrte Fuchs zurück, hängte seinen Mantel an den Ständer hinter der Tür und strich sich die Eiskristalle aus dem Bart. »Elender Geldsack.«
Emil legte sein Buch beiseite. »Keine guten Nachrichten?«
Bevor Fuchs antworten konnte, klopfte es an der Tür und er öffnete einem Burschen in Postuniform. »Telegramm für Herrn Fuchs.«
»Der bin ich«, sagte Fuchs. »Haben Sie vielen Dank.«
Der Postbote blieb einen Augenblick stehen, warf einen Blick in die karge Stube und verabschiedete sich dann. Mit einem Trinkgeld war nicht zu rechnen und Fuchs war froh, sich nicht erklären zu müssen.
Fuchs zog die Tür zu, riss den Umschlag auf und überflog die Antwort aus Schönewald.
»Wir werden erwartet«, sagte er erleichtert. »Bleibt also die Frage der Anreise. Ich kümmere mich am besten gleich darum.«
Fuchs schlüpfte wieder in seinen Mantel und band seinen Schal um. »Nach unserer Rückkehr werden wir unsere Sachen beim Pfandhaus auslösen müssen. Also pack dein Lieblingsbuch besser ein, sonst lässt Oddsworth das auch fortschaffen. Du weißt ja, wo der Koffer steht.«
Dann begab er sich noch einmal in die Kälte.


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