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Krimis & Thriller
Buch Leseprobe Brave Mädchen weinen nicht , Dania Dicken
Dania Dicken

Brave Mädchen weinen nicht



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Caliente, Nevada



„Wie wunderschön du bist!“, rief ihre Mutter verzückt aus, als Grace zur Salzsäule erstarrt vor dem Spiegel stand. „So schön, wie es sich für eine Braut gebührt.“ 


Darauf erwiderte Grace nichts. Neben ihrer Mutter hatten ihre Schwestern Stellung bezogen und bewunderten sie ebenfalls. Grace hasste es, so im Mittelpunkt zu stehen. Sie wollte es einfach nur hinter sich bringen. 


„Gleich ist es so weit“, verkündete Lily aufgeregt. 


„Gehen wir nach unten“, beschloss Mutter. Sie ging voraus und hielt die Tür auf, so dass Grace den Flur betreten konnte. Ihre Schwestern folgten ihr. 


Sie hatte zwei ältere Schwestern, die beide schon verheiratet waren, und zwei jüngere. Heute sollte ihr großer Tag sein, denn gleich würde sie heiraten. In längstens einer Stunde war sie Grace Nichols, dritte Ehefrau von Michael Nichols, der mit 34 mehr als doppelt so alt war wie sie. 


Wie in Trance folgte Grace dem Gang bis zu dem letzten Raum hinten rechts, der für die Trauungszeremonien des Tages vorbereitet worden war. Vor ihr hatten schon Katie Johnson und Melissa Steed geheiratet – und Grace beneidete sie beide, denn sie waren die ersten Ehefrauen ihrer Männer, die ähnlich alt waren wie sie. Sie hätte auch so gern einen Mann in ihrem Alter gehabt. Michael hatte schon zwei Frauen und sieben Kinder und Grace hatte keine Ahnung, wie sie sich ins Familiengefüge einfinden sollte. 


Schließlich betrat Grace vor ihrer Mutter und ihrem neuen Mann den Raum, in dem bereits Michaels ganze Familie wartete. Sie hatten auf Stühlen in der linken Hälfte des Raumes Platz genommen, während die Angehörigen von Grace rechts Platz finden würden. 


Den Stühlen gegenüber standen ein Sessel und vier separate Stühle. In dem Sessel saß Onkel Warren, der anstelle seines gebrechlichen Vaters, des Propheten Rulon, die Zeremonie vollzog. Ihm gegenüber hatte sich  Michael postiert, ihr zukünftiger Ehemann, und zu seiner Rechten und Linken befanden sich seine anderen Frauen, Emily und Anna. 


In diesem Moment war Grace sehr unbehaglich zumute. Alle starrten sie an, sie stand jetzt im Mittelpunkt. 


„Komm zu uns“, sagte Onkel Warren mit seiner monotonen Stimme, die ihn immer ein wenig entrückt klingen ließ. In der Hand hielt er ein schwarzes Buch, Von Licht und Wahrheit: Kindererziehung nach der himmlischen Weisung der Familie


„Bitte, Grace, stell dich zu Michael und nimm seine Hand“, sagte Onkel Warren und klappte das Buch auf. Grace tat es und hörte Onkel Warren mit Herzrasen zu, während er ihnen vorlas. Irgendwo hinter Grace räusperte sich jemand, sie hörte ein Rascheln. 


Michael und Emily tauschten einen Blick, dann trat Emily vor und legte ihre Hände auf die der Brautleute. Onkel Warren nickte wohlwollend und begann mit der Zeremonie. Was er sagte, raste wie ein Zug an Grace vorbei, bis er zum wesentlichen Teil kam. 


„Bruder Michael Nichols, nimmst du Schwester Grace Ann Jessop an der rechten Hand und empfängst sie als deine rechtmäßig angetraute Ehefrau, für alle Zeit und bis in alle Ewigkeit? Versprichst du mit diesem Bündnis in Gegenwart Gottes, der Engel und dieser Zeugen, alle Gesetze, Riten und Bräuche bezüglich eures heiligen Ehebundes in dieser neuen und ewigwährenden Verbindung zu erfüllen? Dann antworte mit Ja.“ 


„Ja, ich will“, sagte Michael. Er schenkte Grace ein ehrliches Lächeln, das sie kaum wahrnahm. Sie war nicht bloß aufgeregt, sie hatte Angst. 


Onkel Warren machte eine kurze Pause, bevor er sich ihr zuwandte und fortfuhr. 


„Schwester Grace Ann Jessop, nimmst du Bruder Michael Nichols an der rechten Hand und gibst dich ihm nach deinem freien Willen und deiner freien Wahl hin als seine rechtmäßig angetraute Ehefrau, für alle Zeit und bis in alle Ewigkeit?“ 


Grace schluckte und hoffte, dass weder Emily noch Michael das Zittern ihrer Hand bemerkten, als sie schließlich nickte. „Ja, ich will“, sagte sie leise. 


„Schwester Emily Nichols, heißt du Schwester Grace Ann Nichols als deine Schwesterfrau willkommen?“ 


„Ja, das tue ich“, sagte Emily. Michaels erste Ehefrau war immer dazu angehalten, ihr Einverständnis zu seinen weiteren Eheschließungen zu geben. 


Onkel Warren nickte wohlwollend. „Im Namen des Herrn Jesus Christus, und durch die Autorität des Heiligen Priestertums, erkläre ich euch hiermit rechtmäßig zu Mann und Frau, für jetzt und alle Ewigkeit.“


Emily lächelte Grace freundlich zu, doch Grace nahm es kaum wahr. Sie blickte bloß zu Michael, der sich vorbeugte und sie auf die Lippen küsste. Die Berührung elektrisierte sie, denn sie hatte noch nie zuvor einen Mann geküsst. Sie wusste gar nicht, wann sie zuletzt einen Mann auch nur berührt hatte. 


„Und jetzt geht und vermehret euch und erfüllt diese Welt mit getreuen Kindern des Glaubens“, sagte Onkel Warren. 


Die Gäste applaudierten, als Michael Grace erneut küsste. Weil Emily und Anna wohlwollend lächelten, entspannte Grace sich etwas. Das war das, was sie am meisten fürchtete – ihre Schwesterfrauen. Sie wusste um die Schwierigkeiten der Mehrehe, um die Sticheleien und Eifersüchteleien. Wenn man Glück hatte, wurden eine oder mehrere Schwesterfrauen zu Freundinnen, aber dieses Glück hatte nicht jede. 


Während Onkel Warren den Raum verließ, blieben die Familien noch. Grace wurde von ihrer Mutter umarmt, von Harold, von ihren Geschwistern. Sie wurde auch von Michaels Eltern in der Familie Nichols willkommen geheißen. In diesem Moment fehlte ihr Vater ihr jedoch schrecklich. 


Schließlich hatte Anna ihre Aufmerksamkeit. Sie griff nach ihren Händen und sagte: „Auch ich heiße dich herzlich willkommen in unserem Haus. Ich hoffe, dass wir gut miteinander auskommen werden.“


„Danke“, erwiderte Grace scheu. 


Nachdem die Gäste dem Brautpaar ihre Glückwünsche überbracht hatten, machten sich alle auf den Rückweg nach Short Creek – sehr zum Erstaunen von Grace unternahm Michael jedoch nichts, um sich ihnen anzuschließen. 


„Wir bleiben heute Nacht hier“, sagte er zu seiner neuen Ehefrau, während sie vor dem Eingang des Motels standen und allen winkten, die davonfuhren. Fragend und unsicher sah Grace ihn an. 


„Dieser Abend gehört nur uns beiden. Zu Hause wären Anna und Emily ja doch immer in der Nähe.“ 


Grace fragte sich, warum das ein Problem war. Irgendwie behagte ihr der Gedanke nicht, jetzt ganz allein mit Michael zu sein. Das lag daran, dass sie keine Ahnung hatte, was sie eigentlich erwartete. 


Sie gingen wieder hinein und Grace folgte Michael in ein Motelzimmer, das er extra für sie angemietet hatte. Über dem Bett prangte eine Girlande mit ihren Namen, die Decke war übersät mit Rosenblättern. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stand eine Vase mit einem üppigen Rosenstrauß. 


Staunend schaute Grace sich um. Im angrenzenden Bad gab es sogar eine riesige Badewanne. So etwas kannte sie von zu Hause gar nicht. 


Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Ein Zimmermädchen kam mit einem Servierwagen, deckte den Tisch und servierte die Vorspeise ihres Hochzeitsmenüs, eine Suppe. Nachdem Grace und Michael sich an den Tisch gesetzt hatten, begannen sie zu essen. 


„Ich freue mich sehr darüber, dass wir jetzt verheiratet sind“, sagte Michael zu ihr. „Gibt es etwas, das du dir von mir wünschst? Was geht dir durch den Kopf?“ 


„Vieles“, sagte Grace nach kurzem Zögern. „Vieles und gar nichts ... Vorhin habe ich darüber nachgedacht, wie es wohl sein wird, eine von drei Ehefrauen zu sein.“ 


„Deine Schwesterfrauen sind warmherzig und freundlich“, sagte Michael. „Was das angeht, habe ich großes Glück. Emily hat sich anfangs etwas schwergetan, als Anna dazukam. Inzwischen verstehen die beiden sich gut. Sie beaufsichtigen auch die Kinder der anderen, dahingehend vertrauen sie sich sehr.“ 


„Ich hoffe, wir werden Freunde“, sagte Grace. 


„Das wird schon, sei unbesorgt.“ 


Sie lächelte scheu und löffelte weiter in ihrer Suppe. Als sie fertig waren, wurde ihnen der nächste Gang serviert. Grace war fasziniert, denn so vornehm hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gespeist. Sie hatten Steak mit Rosmarinkartoffeln und Buttergemüse. Beim Nachtisch musste Grace fast kapitulieren, aber sie hatte noch nie Mousse au Chocolat probiert und musste sie einfach versuchen. 


Nachdem das Zimmermädchen alles abgeräumt hatte, stand Michael auf und streckte sich. 


„Ich dachte, es ist vermutlich besser, wenn das Haus in unserer Hochzeitsnacht keine Ohren hat“, sagte er. „Manchmal können Schwesterfrauen sehr eifersüchtig sein und jedem ist klar, was heute Nacht passiert.“ 


Unsicher sah Grace ihn an. Jedem außer ihr war das klar, denn sie hatte keine Ahnung von ehelicher Nähe und dem, was zwischen Mann und Frau geschah. Sie hatte ihre Mutter gefragt, die sie darauf verwiesen hatte, dass ihr Mann es ihr zeigen würde, und ähnlich hatten sich auch ihre Schwestern geäußert. 


„Zeigst du es mir?“, fragte sie leise. 


„Du weißt nicht, wie es funktioniert?“, erwiderte Michael und sie schüttelte den Kopf. 


„Das macht nichts. Natürlich zeige ich es dir. Es wird dir gefallen, du wirst sehen.“ 


Doch zunächst machten sie in der verebbenden Hitze des Tages einen kleinen Spaziergang um das Motel und unterhielten sich über ihre gemeinsame Zukunft. 


„Wünschst du dir Kinder?“, fragte Michael seine Frau. 


Grace nickte eifrig. „Ja, das tue ich. Ich weiß nicht, ob ich mich schon reif für Kinder fühle, aber ich hätte sehr gern welche.“ 


„Das wird schon. Da wächst man rein. Wenn ich mal überlege, wie aufgeregt ich vor meinem ersten Kind war ... und mittlerweile habe ich sieben.“ Er grinste stolz. „Aber ich freue mich darauf, dass ich auch mit dir Kinder haben werde.“ 


Grace lächelte scheu, hatte aber einen dicken Kloß im Hals. Die Unsicherheit machte sie nervös. Sie hatte Getuschel hinter vorgehaltener Hand gehört, das in ihrem Kopf keinen Sinn ergab. Man lag nackt mit dem Mann im Bett und sie würde sein Geschlechtsteil in sich aufnehmen. Aber wie sollte das funktionieren? Sie hatte keine Vorstellung davon. 


Als sie den Rückweg ins Motel antraten, wusste sie, dass es jetzt ernst wurde. Michael nahm ihre Hand und lächelte, doch sie fühlte sich sehr unbehaglich und ihr Blick verlor sich in der Abenddämmerung über der Wüste. Bis sie im Motel eingetroffen waren, war die Nacht angebrochen. Michael führte sie in ihr Zimmer zurück und verschwand für einen Augenblick im Bad. Grace stand vor dem kleinen Spiegel neben der Eingangstür und musterte sich selbst. 


Ja, sie war schön. Sie mochte auch ihr Hochzeitskleid, das ihre Mutter zusammen mit Mutter Diana geschneidert und bestickt hatte. 


Jetzt war sie eine verheiratete Frau. Eigentlich fühlte sie sich noch nicht reif dazu. 


Michael kehrte aus dem Bad zurück. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatte doch keine Ahnung, was jetzt auf sie zukam. Sie fühlte sich zu jung dafür – am liebsten wäre sie weggelaufen. 


„Die heutige Nacht gehört nur uns beiden“, sagte Michael. „Komm doch zu mir.“ 


Wie festgewurzelt stand Grace vor dem winzigen Fenster und starrte hinaus zu den Sternen. Für einen kurzen Moment erwägte sie, das Fenster aufzureißen und hinauszuklettern, doch das war keine Option. Die gingen ihr gerade aus. 


„Grace“, sagte Michael unerwartet sanft. Das Bett knarrte, als er aufstand. Grace fuhr herum und erstarrte zunehmend, als Michael auf sie zu kam. 


„Es wird dir gefallen, du wirst sehen.“ 


Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nicht.“ 


„Aber du weißt doch gar nicht, was dich erwartet.“ 


„Bitte lass mir noch ein wenig Zeit. Ich bin noch nicht so weit.“ 


„Jetzt hab dich nicht so.“ Forsch griff Michael nach ihrer Hand und zog sie ruppig zum Bett hinüber. Willenlos ließ Grace es mit sich geschehen. Zur Salzsäule erstarrt, blieb sie stehen und hätte fast geschrien, als sie spürte, wie Michael sich an dem Reißverschluss ihres Hochzeitskleides zu schaffen machte. 


„Nicht“, wisperte sie kaum hörbar. 


„Sei nicht so schüchtern.“ 


Langsam öffnete Michael den Reißverschluss und streifte Grace das Kleid von den Schultern. Ihre Haut kribbelte, als er sich daran machte, ihr das lange Unterhemd auszuziehen. 


„Tut es weh?“, fragte sie. 


„Ach was“, erwiderte Michael. „Nicht, wenn du dich mir bereitwillig hingibst.“ 


Sich ihm hingeben? Was sollte das denn bedeuten? 


Michael streifte ihre lange Unterhose ab. Nun trug sie nur noch ihren BH. Ihre Angst wuchs, während er an dem Verschluss herumnestelte und ihr schließlich auch den BH auszog. Jetzt war sie vollends nackt. 


Allein das machte sie nervös. Es war ewig her, dass jemand sie nackt gesehen hatte. Zuletzt eins der anderen Mädchen im Bad. 


Michael trat vor sie und begutachtete sie von Kopf bis Fuß. Dann lächelte er. „Du bist wunderschön.“ 


Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie brachte kein richtiges Lächeln zustande. Ihre Anspannung war zu groß. 


Reglos beobachtete sie, wie Michael sich ebenfalls auszog. Das erschien ihr fast wie Blasphemie – sie war allein mit einem Mann und gleich waren sie auch noch beide nackt. Das war verrückt. 


Sie betrachtete ihn nicht so eingehend wie umgekehrt. Dazu kam sie gar nicht, weil Michael ihre Hand nahm und sie dazu brachte, sich aufs Bett zu legen. 


Er wusste, was er tat. Aber sie war ja auch schon seine dritte Frau. Diejenige, die ihm den Weg ins göttliche Königreich ebnen würde. 


Mit einem Lächeln kletterte er aufs Bett und drückte ihre Beine auseinander. Er kniete sich dazwischen und beugte sich über sie. Plötzlich hatte Grace das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er wirkte so riesig und furchteinflößend über ihr. Was würde er jetzt tun? 


Mit einer Hand fasste er ihr zwischen die Beine. Grace erstarrte am ganzen Leib und beobachtete, wie er sich da unten zu schaffen machte, ohne jedoch wirklich etwas zu sehen. Sie hatte keine Ahnung, was er tat, bis sie einen stechenden Schmerz spürte. Er wurde intensiver und führte dazu, dass sie sich nicht mehr rührte. Unwillkürlich krallte sie sich ins Laken unter ihr und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, doch es gelang ihr nicht. 


Sie hatte ja keine Ahnung gehabt – und sie wünschte, sie hätte die auch nie haben müssen. 


„Du gibst dich mir nicht richtig hin“, sagte Michael streng. „Eigentlich sollte das nicht weh tun.“ 


„Tut mir leid“, wisperte Grace tonlos, vermied es aber, ihn anzusehen. 


Für einen kurzen Moment verharrte er, bevor er sich ihr mit einem weiteren harten Stoß aufzwang. Ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle. 


„Bitte hör auf“, flehte sie leise. 


„Du machst es falsch“, erwiderte Michael. „Gleich wird es besser, du wirst sehen.“ 


Erneut stieß er zu. Grace fühlte sich, als bohre er mit einem heißen Messer in ihren Körper – an einer Stelle, die nie zuvor jemand berührt hatte, nicht einmal sie selbst. Es fühlte sich falsch an. 


Tränen liefen ihr über die Wangen, doch darauf nahm er keine Rücksicht. Nachdem er anfänglich selbst angespannt gewirkt hatte, erschien er nun etwas gelöster und zufriedener. Reglos lag Grace da und ließ es über sich ergehen, versuchte stumm, den Schmerz auszuhalten. Doch es gelang ihr nicht. Erneut wimmerte sie gequält und schüttelte den Kopf. 


„Lass das, bitte. Du tust mir weh ...“ 


„Du musst das lernen, Grace. Du machst es falsch. Wenn du es richtig machst, tut es dir auch nicht weh.“ 


Er sah sie nicht an, während er das sagte, sondern machte einfach weiter. Grace fühlte sich benutzt und beschämt. Sie versuchte, still zu sein, doch es gelang ihr nicht. Sie weinte, während Michael fortfuhr und es sichtlich zu genießen schien. Er nahm keine Notiz von ihren Tränen, sondern legte irgendwann den Kopf in den Nacken und hielt zitternd inne. Gepeinigt wand Grace sich unter ihm und rutschte zur Seite, als er endlich von ihr abließ und vom Bett stieg. Zitternd griff sie nach der Bettdecke und zog sie über sich. Mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer ging Michael ins Bad. Sie hörte, wie er sich auf die Toilette setzte und zuckte schon beim bloßen Gedanken daran innerlich zusammen, denn zwischen ihren Beinen brannte alles wie Feuer. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich jemals wieder zu bewegen oder zu laufen. 


Vermutlich hatte Michael Recht und sie machte es nicht richtig. Sie wollte nicht glauben, dass das immer so weh tat. Das konnte Gott doch nicht gutheißen – oder? 


Doch wenn sie genauer darüber nachdachte, war sie sich da auch nicht so sicher. Geburten taten auch weh. Wie die Hölle, wenn man danach ging, wie sehr manche Frauen vor Schmerzen schrien. Sie hatte ja schon Geburten zu Hause miterlebt. 


Vermutlich wurden Frauen immer noch für Evas Erbsünde bestraft. So hatte Grace es noch an der Alta Academy gelernt. 


Michael betätigte die Klospülung und kehrte zu ihr zurück, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte. Grace hatte sich hektisch zugedeckt und von ihm abgewandt. Trotzdem erstarrte sie, als er sich neben ihr ins Bett legte. 


„Das wird schon“, sagte er. „Deinen Schwesterfrauen ist das auch nicht unbedingt leichter gefallen und inzwischen gefällt es ihnen.“ 


Grace erwiderte nichts. Sie starrte einfach geradeaus, ihr Kopf war leer. Gerade fühlte sie sich nur wie eine Hülle. Wie etwas, das benutzt und weggeworfen worden war. 


„Gute Nacht, Grace“, sagte Michael. „Ich bin dankbar, dich zu haben. Deinetwegen steht mir nun der Weg ins himmlische Königreich offen – und dir auch.“ 


Sie erwiderte nichts, denn sie war zu sehr damit beschäftigt, zu versuchen, nicht einfach loszuheulen. Gerade ertrug sie Michaels Gerede nicht. 


Er löschte das Licht und drehte sich zum Schlafen um. Die Klimaanlage rauschte, um die Temperaturen einigermaßen erträglich zu halten. Die Vorhänge standen noch einen Spalt breit offen, so dass milchiges Mondlicht ins Zimmer schien. Grace schien es geradezu in sich aufzusaugen, denn es spendete ihr Trost. 


Das sollte es jetzt sein? Ihr neues Leben? Sie würde morgen mit Michael nach Hause fahren, in sein Haus, und dann war sie seine dritte Frau. Sie war nicht sicher, wie sehr Emily und Anna sie willkommen heißen würden. Vermutlich warteten sie nicht gerade auf Konkurrenz.


Und dann würde sie Kinder bekommen, was der Wille Gottes war, und sie würde eine fügsame Ehefrau sein, was auch der Wille Gottes war. 


Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten, um Michael nicht aufzuschrecken. 


Sie ertrug diese Aussichten nicht. Um nichts in der Welt wollte sie das. Das konnte nicht alles sein. 


Schon bald klangen Michaels Atemzüge tief und gleichmäßig. Grace war dankbar dafür, auch wenn für sie kein Denken an Schlaf war. Es fühlte sich an, als säße ein Elefant auf ihrer Brust. 


Sie konnte morgen nicht nach Short Creek zurück. Das ging nicht. Dann war ihr Leben vorbei, bevor es richtig begonnen hatte. 


Aber wo sollte sie hin? Sie war ganz allein, sie hatte nichts, sie konnte auch nichts. Sie war doch aufgeschmissen. 


Für Stunden lag sie da und starrte die Decke an. Sie rang mit sich und ging ihre Optionen durch. Sie wollte doch leben ... In Short Creek konnte sie das nicht. Das ging einfach nicht. In Short Creek warteten auf sie nichts als Küche, Wäsche, Schwangerschaften und Babys. Viele Babys. 


Sie würde keinem Beruf nachgehen. Manche Frauen taten das, manche unterrichteten an der Schule, andere verkauften Handwerkswaren. Aber Grace sah sich nicht als Lehrerin oder Handwerkerin. 


Sie war erst sechzehn. Wenn sie noch etwas von der Welt sehen wollte, war das jetzt ihre beste Chance. 


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