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Kinderbücher
Buch Leseprobe Nathan und der Kobold Tengu, Maria Anders
Maria Anders

Nathan und der Kobold Tengu


Die Dunkle Krone

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Kapitel 1 - Auf und Davon


Missmutig schlurfte der zehnjährige Nathan an einem Donnerstag-Nachmittag im Herbst nach Hause. Er kam aus der Schule. Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, stierte er auf den Boden. Seinen Schulranzen schleifte er an einem Gurt hinter sich her, doch am liebsten hätte er ihn mit einem riesengroßen Tritt in das nächste Gebüsch verfrachtet. Nathan bemühte sich, äußerlich ruhig zu bleiben, doch innerlich tobte alles in ihm…


 


Erst am Abend zuvor hatte er erfahren, dass es mal wieder so weit war: Seine Mutter hatte von ihrem Chef einen Job in einer anderen Stadt zugewiesen bekommen und musste umziehen. Schon nächste Woche sollte sie ihre neue Stelle antreten. Und da Nathan sie selbstverständlich begleiten musste, hieß das: Den beschaulichen Hamburger Vorort Eimsbüttel verlassen und die Schule wechseln. Und das letztere bereits zum dritten Mal in diesem Jahr! Nathan ärgerte sich sehr darüber und merkte immer mehr, dass er keine Lust hatte, überhaupt nochmal nach Hause zu gehen. Einfach weglaufen, das wäre doch die Lösung. Egal wohin, nur weg. Dann konnte er sich wenigstens aussuchen, wohin die Reise ging.


 


Als der Junge mit den kurzen blonden Haaren eine halbe Stunde später schließlich doch zu Hause ankam, war seine Mutter bereits emsig dabei, all das Hab und Gut, das sie behalten wollte, in große Umzugskartons zu packen. Schließlich war der Umzugswagen für den nächsten Morgen bestellt. Viel war es nicht, was sie mitnehmen wollte. Genaugenommen wurde es bei jedem Umzug weniger. Auch für Nathan hatte sie drei oder vier Umzugskartons besorgt. Die waren noch nicht zu einem Karton zusammengesteckt, sondern lehnten flach an seiner Zimmertür.


 


»Nathan Schatz, da bist du ja endlich. Ich habe Pizza für dich kommen lassen, sie steht auf dem Küchentisch. Mit Salami, die magst du doch so gerne, oder?«


 


Nathans Mutter bemühte sich sehr, sorglos zu klingen. Natürlich wusste sie, dass Nathan schlecht gelaunt war. Er hasste es, umzuziehen. Doch ihr blieb nichts anderes übrig. Sie brauchte ihren Job.


 


Nathan lebte mit seiner Mutter allein, schon seit er denken konnte. Seinen Vater hatte er nie kennengelernt. Nathans Mutter war Projekt-Managerin in einer großen Firma für Computer-Zubehör, die nicht nur deutschlandweit, sondern in der ganzen Welt zu tun hatte. In fast jeder größeren Stadt gab es einen Firmensitz. Als Projekt-Managerin verdiente Nathans Mutter genug, um mit ihrem Sohn ein sorgloses Leben zu führen. Doch leider musste sie dafür mindestens drei Mal im Jahr den Wohnort wechseln.


 


Und Nathan musste immer mit. Wie so ein richtiger Zigeuner. Doch an jenem Donnerstag-Nachmittag war alles anders. Nathan wollte sich nicht mehr von einem Leben ins andere setzen lassen. Immer, wenn er sich gerade eingelebt und Freunde gefunden hatte, ging es wieder weiter. Wie oft hatte er mit seiner Mutter schon darüber diskutiert. Auch über die Möglichkeit, Nathan in ein Internat zu schicken, hatten sie geredet. Aber da Nathans Mutter ihren Mann, und eben Nathans Vater, durch einen Verkehrsunfall verloren hatte, wollte sie auf keinen Fall auf ein weiteres Familienmitglied verzichten. Sie hing an ihrem Sohn und er sollte bei ihr bleiben, obwohl sie wenig Zeit hatte. Punkt aus.


 


Nathan sagte dann nicht mehr viel. Er freute sich auch nicht darüber, dass für ihn am nächsten Tag wegen dem Umzug ganz offiziell die Schule ausfallen sollte. Ganz regungslos ließ er das Treiben über sich ergehen. Und als seine Mutter am frühen Abend noch einmal wegging, um sich von einer Bekannten zu verabschieden, fasste er einen Entschluss. Er ließ die Umzugskartons an seiner Zimmertür, wo sie waren und ging zu seinem Kleiderschrank. Langsam und andächtig öffnete er die Tür, griff nach einer Jeans und einem Pullover und stopfte beides in seinen Rucksack. Danach stapfte er in die Küche und suchte nach etwas Essbarem, das man sich gut für unterwegs einstecken konnte. Auch eine kleine Flasche Stilles Wasser und seine Taschenlampe packte er ein. Als er dann endlich auch noch seine Jacke angezogen hatte, schulterte er seinen Rucksack, atmete einmal tief durch und ging zur Hintertür hinaus, in den Garten.


 


Da stand er nun in der Dämmerung. Es war Anfang Oktober und schon in einer halben Stunde würde es stockdunkel sein.


 


Nathan war sehr aufgeregt. Bestimmt fünf Minuten blieb er wie angewurzelt stehen und atmete vorsichtig die kalte Luft ein. Beim Ausatmen bildete sein Atem kleine Wolken, die für einige Sekunden in der Luft wie weiße Watte hingen.


 


Endlich riss er sich los und lief über die Wiese zum hinteren Gartentor, das zu beiden Seiten von hohen Hecken umgeben war. Er schaute sich nicht mehr um, sondern drückte entschlossen die rostige Klinke herunter, drückte dann das etwas schiefe und wackelige Gartentor auf, huschte hinaus und blieb stehen. Vorsichtig sah er sich um.


 


Der matte Schein einer Gaslaterne erhellte bereits den immer dunkler werdenden Pfad, der zwischen den einzelnen Grundstücken lag und der zu beiden Seiten auf eine mäßig befahrene Straße führen würde. Nathan überlegte. Sollte er jetzt rechts oder links gehen? Er entschied sich für rechts, umklammerte mit beiden Händen die Tragegurte seines Rucksacks und lief zügigen Schrittes von dannen. Er hatte eine Idee.



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