Suchbuch.de

Leseproben online - Schmökern in Büchern



Kategorien
> Fantasy Bücher > Zwergtrolle
Belletristik
Bücher Erotik
Esoterik Bücher
Fantasy Bücher
Kinderbücher
Krimis & Thriller
Kultur Bücher
Lyrikbücher
Magazine
Politik, Gesellschaftskritik
Ratgeberbücher
regionale Bücher
Reiseberichte
Bücher Satire
Science Fiction
Technikbücher
Tierbücher
Wirtschaftbücher
Bücher Zeitzeugen

Login
Login

Newsletter
Name
eMail

Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Zwergtrolle, Andreas Mummhardt
Andreas Mummhardt

Zwergtrolle


Die Legende von Bergenwitt

Bewertung:
(319)Gefällt mir
Kommentare ansehen und verfassen

Aufrufe:
2101
Dieses Buch jetzt kaufen bei:

oder bei:
beim AAVAA-Verlag
Drucken Empfehlen

Thalboths Werk


Der nächste Tag begann mit einem Tränenguss der Wolken, die den Himmel belästigten. Portaq stand früh auf, um alles für den Transport der Bierfässer vorzubereiten. Müde aber gewillt holte er seinen alten, ebenfalls müden, Ochsen aus dem Stall hinter seiner Schänke und spannte ihn vor den Karren. Die Bierfässer lagerten in einem Schuppen neben der Schänke und er musste erst vom Hinterhof durch ein Tor auf die Frontseite seines Grundstückes gehen, um verladen zu können. Trotz des Regens lag Kringelbart immer noch an der Stelle, an der der Wirt ihn schlafengelegt hatte. Portaq fühlte Mitleid, als er ihn sah. Er entschied sich dazu, Kringelbart zu wecken, damit er sich ins Trockene begeben konnte. Er ließ Ochs und Karren stehen und lief zu Kringelbart herüber, doch schon nach einigen Schritten sah er, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Kringelbart schnarchte nicht und gab auch sonst keinerlei Atembewegungen von sich. Portaqs Ahnung sollte sich bestätigen, als er den auf der Seite liegenden Kringelbart auf den Rücken drehte. Er war mausetot. Sein Herz war von einem Pfeil durchstoßen worden, dessen Schaft abgebrochen war. So taugte er als Beweismittel nur wenig, denn Portaq konnte nicht erkennen, ob es ein mustrischer war. Der Wirt erschrak und fiel rückwärts aufs Hinterteil. »Bei Gadarius, das darf nicht wahr sein!« Ein paar Minuten saß Portaq neben Krin-gelbart, genauso erstarrt wie der Tote. Er war fassungslos. Ein Mord fast direkt vor seinem Haus an einem seiner Gäste. Der Regen wurde feiner. Portaq stand auf, warf Kringelbart, wie er es schon oft getan hatte, über die Schulter, schleppte ihn zum Karren und legte ihn sanft darauf. Die Bierfässer hatte er vollkommen vergessen. Sein Wagen diente nur dem Gestorbenen auf einer seiner letzten Reisen. Dann ging Portaq zum Ochsen und machte sich mit seiner unheimlichen Fracht auf den Weg zur Burg. Unterwegs brannten sich starke Gewissensbisse in seinen Kopf. Er nahm an, dass der Spion von gestern etwas mit dem Tod Kringelbarts zu tun hatte und machte sich schwere Vorwürfe, nicht so gehandelt zu haben, wie Rothil es von ihm erwartet hatte. Es war ein schwerer Weg durch die Stadt, wenigstens regnete es nicht mehr. Die Leute drehten sich um und beobachteten genau, was Portaq auf dem Wagen hatte. Er schaute nicht zur Seite, sah aber trotzdem in viele entsetzte Gesichter, die alsbald zur Hälfte von zitternden Händen verdeckt waren. ›Hätt‘ ich den Alten doch bloß unter einer Decke versteckt‹, dachte Portaq und schalt sich selbst einen Dummkopf. Als er an den Wachen der Burgmauer vorbei durchs Tor gehen woll-te, wurde ihm Einhalt geboten. »Hey Wirt, du hier und nicht in deiner Spelunke?« »Wenn’s nach mir ginge, wär ich nicht hergekommen. Hab den toten Kringelbart hinten drauf.« »Kringelbart? Tot?« Der Wächter, ging zum Wagen, um die Sache ge-nauer zu untersuchen. Der zweite Wächter behielt Portaq genau im Auge. Der andere Wächter erkannte, wie Kringelbart gestorben war und besprach sich kurz mit seinem Kameraden, bevor er davoneilte. Als der Wächter zurückkam, war Rothil bei ihm. »Portaq, was ist ge-schehen? Du bist zu früh und dann auch noch ohne Bierfässer.« »Ein Mord. Kringelbart ist nicht mehr.« Rothil ging nach hinten zu Portaqs Wagen. Seine Augen verrieten Besorgnis beim Betrachten des Opfers. »Nun gut, lasst uns hineingehen. Königin Annona wird äußerst interessiert daran sein, wie sich die Dinge entwickeln.« Rothil und Portaq sprachen auf dem Weg nicht, jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Als sie im Burghof ankamen, trafen sie auf Necida, die Tochter der Königin und Prinzessin Verlaunds. Sie war gut gelaunt und half den Hofdamen dabei, den Hof zu säubern, der nach dem Markttreiben am gestrigen Tage seinen alten Glanz noch nicht wieder zeigen konnte. Der Regen in der Nacht und am Morgen hatte den Unrat schwer und klebrig gemacht, sodass die Hofdamen für jede Hilfe dankbar waren. Necida bemerkte den Ochsenkarren, stellte das Fegen ein und ging mit ihrem Besen zu den beiden Männern, um sie zu begrüßen. »Guten Morgen Rothil!« »Guten Morgen Prinzessin, ein Tag könnte nicht schöner sein, nach-dem Euer Antlitz sich an ihm beteiligt hat. Doch bevor ich Euch die Frage stelle, warum in aller Welt Ihr Euch mit so einer Arbeit abgebt, möchte ich Euch Portaq vorstellen. Er ist Wirt in einer Hafenschänke und zudem ein alter Wegbegleiter meiner Person, nej.« Necida begrüßte Portaq, indem sie ihre Hände an seine Oberarme legte und sagte: »Ich grüße Euch, Portaq. Es erfreut mich, einen Freund Rothils kennenzulernen.« Sie machte einen sympathischen Eindruck auf Portaq. Nicht nur, weil sie den Bediensteten bei der Arbeit half, sondern auch, weil sie ein hinreißendes, freundliches und, nicht zuletzt, hübsches Mädchen war. Ihr strähniges, dunkles Haar verlieh ihr zudem einen Hauch Frechheit. »Die Freude ist ganz meinerseits, verehrte Prinzessin. Ich hätte nicht zu träumen gewagt, Euch einmal persönlich zu sprechen. Schon gar nicht unter solchen Umständen.« An diesem Punkt übernahm Rothil das Zepter des Gespräches: »Und diese Umstände machen es unumgänglich, eine Beratung mit der Königin abzuhalten. Ihr entschuldigt mich, ich werde sie aufsuchen müssen. Portaq, bleib bitte hier, bis ich dich holen lasse. Prinzessin, verzeiht mir meine Eile, aber es ist von höchster Wichtigkeit, schnell zu sein, falls wir handeln müssen.« Kaum hatte Rothil diese Worte gesprochen, war er auch schon verschwunden und ließ die beiden zurück. Als Rothil die Burg betrat, kam Annona ihm entgegen. Sie hatte das Treiben im Hof durch ein Fenster beobachten können und wusste des-halb schon viel über die neuen Geschehnisse. Den alten Kringelbart hatte sie sofort erkannt. Annona ging direkt auf Rothil zu. Schon aus einiger Entfernung rief sie ihm zu: »Nehmt Euch so viele Männer, wie Ihr kriegen könnt und durchsucht ganz Bergenwitt! Wenn sich dieser Spion noch hier aufhält, dann will ich ihn haben!« »Jawohl, Eure Hoheit«, war alles, was Rothil sagen musste. Dann gingen beide hinaus in den Hof, Annona zu ihrer Tochter, die noch bei Portaq stand und Rothil zu einigen Wachleuten, die ihm unterstellt waren und die er mit einem knackigen »Antreten!« zusammenrief. Annona erreichte die beiden, umarmte zunächst ihre Tochter und widmete sich dann Portaq. Der Wirt war sehr verunsichert und ver-mied es, der Königin nach seiner Verbeugung direkt in die Augen zu schauen. »Portaq, schön, Euch zu sehen. Es wäre mir lieber gewesen, Euch zwischen zwei Bierfässern zu begrüßen, anstatt mit einem ermordeten Kringelbart, aber manches muss man eben so nehmen, wie es kommt.« Annona sah Portaq das schlechte Gewissen an, zumindest glaubte Portaq dies. »Jawohl, Eure Hoheit«, war das Einzige, was Portaq herausbekam. Annona versuchte, ihm die schlechten Gedanken zu nehmen, indem sie zu ihm sagte: »Portaq, ich will nicht, dass Ihr Euch Gedanken macht. Ihr könnt doch nichts dafür.« Sie schaute kurz über ihre Schulter nach hinten und fuhr dann fort. »Ich habe mitbekommen, was gestern passierte. Ich war zufällig in der Nähe, als Ihr den Spion aus dem Wasser gefischt und aus dem Hafen gejagt habt. Ich habe alles mitbekommen. Hättet Ihr ihn nicht überführt, wer weiß, dann wäre ich jetzt möglicherweise unter denen, die bei Gadarius weilen.« Portaq zog seine geschlossenen Lippen einseitig nach oben. »So musste Kringelbart dran glauben. Hätte ich den Kerl festgehalten, wäre wohl niemand gestorben.« Dann mischte sich Necida ein: »Aber wer sagt denn, dass dieser Spi-on Kringelbart umgebracht hat?« Annona gab ihr Recht: »Das stimmt, Necida, wir wissen viel zu wenig, vielleicht ist die Gefahr größer, als wir denken oder das Ganze hat rein gar nichts mit Mustrien zu tun. Wir werden abwarten müssen, ob Rothil etwas herausfindet.« Rothil hatte den Hof bereits verlassen und war auf der Suche nach dem Mörder Kringelbarts und nach Zeugen der Tat. »Eure Hoheit«, setzte Portaq das Gespräch fort, »was soll ich mit Kringelbart machen?« Annona dachte kurz über eine Antwort nach. Doch ihre Gedanken wurden plötzlich von einem unruhigen Gefühl unterbrochen. Sie spürte ein leises Sirren des Erdbodens, das seinen Ursprung in einiger Entfernung haben musste. Es wurde immer stärker. Dann vernahm sie zerstörerische Geräusche. Bäume kippten, Menschen schrien. Annona wechselte nervöse Blicke mit den anderen beiden. Keiner hatte eine Ahnung davon, was gerade passierte. Das Getöse wurde immer lauter, bis es schließlich abrupt abbrach. »Was war das«, sagte Annona aufgebracht, wohlwissend, dass ihr darauf niemand antworten konnte. Und dann wurde die Stille von einem Niesen unterbrochen, das so laut war, dass sich Portaq auch erschreckt hätte, wäre er im Hafen am anderen Ende der Stadt in seiner Schänke gewesen. Daraufhin knirschte es gewaltig hinter der östlichen Befestigungsmauer der Burg Bergenwitt. Mörtel rieselte aus den Fugen. Necida schaute auf die Mauer. Unten konnte sie nichts Außergewöhnliches entdecken, aber am oberen Rand legten sich gerade acht riesige Finger auf den Mauerrand. »Schaut doch, da oben«, rief sie voll Entsetzen. Dann tauchte auch schon ein gigantischer Glatzkopf zwischen den beiden Händen auf. Seine Augen waren so groß wie die mächtigsten Fenster der Burg. Nach den Augen zeigte er seine tief sitzende und langgezogene Nase und dann den Rest bis zu seiner nackten Brust. »Ein Riese«, sagte Annona staunend, »Lauft!« Doch der Riese ließ sie nicht entkommen: »Halt, ich brauche eure Hilfe, lauft nicht weg!« Zögerlich verlangsamten sich die Schritte der Menschen, bis Annona ihren Befehl gab: »Wartet, Necida, Portaq, lasst uns abwarten, was passiert.« Annona hatte große Angst um Bergenwitt und seine Be-wohner und folgte freiwillig der Bitte des Riesen. Er war mit seiner imposanten Größe und Hässlichkeit ein zu gefährlicher Gegner, noch dazu, wo alle Wächter mit Rothil in der Stadt unterwegs waren. Außer der Königin, der Prinzessin und des Wirtes waren nur noch Mägde und Stallburschen zugegen, die versuchten, sich hinter Kisten und Fässern zu verstecken. Der Riese gab ein abstoßendes Bild ab. Selbst, wenn er in menschli-cher Größe daher gekommen wäre, wäre er aufgefallen wie eine seltene Tierart. Die zu tief sitzende und dicke Nase schmückten zu große, stark behaarte Nasenlöcher. Der Mund bestand aus einer ovalen Öffnung, die von einer sehr breiten Oberlippe dominiert wurde. Kleine Segelohren gaben dem Erscheinungsbild die entsprechende Gesamtnote. Annona fasste all ihren Mut zusammen und rief dem Riesen zu: »Was willst du hier?« Der Riese grunzte kurz und gab dann eine knappe Antwort. »Ich brauche Hilfe!« »Hilfe, Du, von uns?« »Ja, ich habe einen Splitter im Finger und bekomme ihn selbst nicht herausgezogen. Er ist so versteckt.« Annona und Necida tauschten ver-traute Blicke aus. »Wie kommst du auf die Idee, uns zu fragen? Wir hatten noch nie Kontakt zu den Riesen. Wir kennen dich nicht, wie sollen wir dir vertrauen? Wie heißt du überhaupt?« Annona war sehr misstrauisch. »Mein Name ist Thalboth. Ich habe von der Königin Verlaunds und ihrer Hilfsbereitschaft gehört und dachte, ihr könnt mir helfen. Wer könnte das in diesem Fall besser als ihr Menschen?« Annona hatte ihre Zweifel, ob sie den Worten Thalboths Glauben schenken konnte und wollte eigentlich nicht zustimmen. Letztendlich war es Necida, die ihre Mutter mit einem bittenden Gesichtsausdruck dazu brachte, einzuwilligen. »Gut, streck deine Hand hinunter und lege sie ab, damit wir sie uns anschauen können, aber ich warne dich, solltest Du Böses im Schilde führen, wird dich die Rache Verlaunds hart treffen!« Thalboth tat so, wie ihm geheißen und beugte sich etwas über die Mauer. Wieder rieselte es von ihr herab. Seine Hand fuhr langsam und vorsichtig nach unten. Sie hatte in et-wa die Größe eines Tores der Stadtmauer und nahm ein gutes Stück des Hofes ein. »Mutter, darf ich?« Necida wollte sich sofort an die Arbeit machen. Thalboth nahm diese Worte sehr interessiert auf, ließ sich das aber nicht anmerken. »Wir schauen beide nach, wo der Splitter sitzt, ich denke, wir werden auch zu zweit genug damit zu tun haben«, antwortete die Königin. Nun sprach auch Necida mit Thalboth: »Wo tut es denn weh, welchen Finger sollen wir uns anschauen?« »Da, genau da, wo der Mittelfinger beginnt, aber bitte vorsichtig«, brummte Thalboth. Necida näherte sich der Riesenhand und kletterte auf die Innenhand-fläche, um zu besagter Stelle zu gelangen. Dabei musste sie sich zu-nächst am kleinen Finger hochziehen. Die Haut des Riesen war sehr hart und spröde. Der Riese schien ihr Gewicht kaum zu merken. Trotz der harten Oberfläche war die Hand weich und Necida fühlte sich großartig. Beinahe wäre sie auf und nieder gesprungen, aber im rechten Moment dachte sie an die Schmerzen, die der Splitter verursachen würde. Langsam wollte auch Annona auf die Hand steigen. Doch daraus wurde nichts, denn sie bewegte sich plötzlich. Thalboth beugte die Finger Richtung Handfläche und schloss damit Necida ein, die keine Gelegenheit zur Flucht mehr hatte. Der Riese zog seine Hand mit der kostbaren Beute wieder nach oben. Annona stürzte nach hinten, wurde aber von Portaq aufgefangen und blieb unversehrt. Ohne ein Wort stieß sich der Riese rückwärts von der Mauer ab. Bevor er sich aber umdrehte, um vorwärts zu laufen, versetze er der Burgmauer einen heftigen Stoß mit dem Fuß, sodass ein großer Teil davon zerstört wurde und in den Hof fiel. Die großen Steine rasten mit voller Wucht zur Erde. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Von Necida war kein Laut mehr zu vernehmen, kein Haar mehr zu sehen. Alles was sie noch hörten, war ein lautes Niesen. Rothil hatte seine Männer in Zweier-Gruppen eingeteilt, die Bergenwitt systematisch durchsuchen sollten. Schnell aber stellte sich heraus, dass das Unterfangen zum Scheitern verurteilt war. Wie sollte man nach jemandem suchen, den man nicht kannte. Weder Aussehen, noch Kleidung konnten die Wachmänner beurteilen, demzufolge hätte jeder Bürger Bergenwitts ein Spion Mustriens sein können. Rothil war allein unterwegs und darauf bedacht, sich nicht zu weit von der Burg zu entfernen. Nach nicht allzu langer Zeit beschloss er, zurückzugehen. Als er das leise Geräusch fallender Steine hörte, ersuchte ihn ein ungutes Gefühl. Wenig später vernahm er ein Niesen, ohne, dass jemand in seiner Nähe war, da ging er in den Laufschritt über und rannte zur Burg zurück. »Majestät, was war, was ist…?« Rothil verschlug es die Sprache, da er Annona weinend am Boden sitzen sah, ihren Kopf an Portaqs Schulter gelehnt, der neben ihr saß. Rothil lief zu ihnen und hockte sich dazu. Der Innenhof der Burganlage sah aus, wie nach einer wochenlangen Belagerung. Der fehlende Schutz durch die Mauer war ein großes Risiko für Bergenwitt. Das war aber nicht Rothils größte Sorge. Nach dem Zustand der Königin zu urteilen, musste etwas Schlimmeres passiert sein. Er deutete Portaq, sie gemeinsam hochzuheben und sie auf eine Bank zu setzen. Nachdem Annona dadurch, trotz ihres offensichtlichen seelischen Schmerzes, eine würdigere Haltung einnehmen konnte, fragte Rothil noch einmal: »Was ist geschehen, Königin?« »Ein Riese, es war ein Riese, er hat Necida, er hat sie einfach gepackt und mitgenommen«, schluchzte Annona. Rothils Gesicht versteinerte sich zusehends. Portaq fügte noch hinzu: »Und dann hat er die Mauer umgerissen, einfach so.« Wie es Rothils Art war, behielt er die Nerven und bewies sich als feste Stütze. Beruhigend sprach er seiner Königin Mut zu: »Annona, es ist wichtig, dass Ihr jetzt stark seid. Wir werden Necida befreien und sie zurückholen, das schwöre ich - bei Gadarius. Aber was ebenfalls nicht unwichtig ist, ist die Instandsetzung der Mauer. Ich habe kein gutes Gefühl. Und an Zufälle glaube ich schon lange nicht mehr.« Annona konnte nur stumm auf einen unbestimmten Punkt starren. Rothil hatte Recht. Sie, als Königin, musste vorangehen. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging an den Trümmern der Burgmauer vorbei. Sie wollte hineingehen, um einen Plan auszuarbeiten. Bevor sie durch die Tür schritt, drehte sie sich um und rief: »Rothil, ich zähle auf Euch! Lasst den königlichen Rat in spätestens einer Stunde zusammenkommen. Außerdem brauchen wir Handwerker, die noch heute mit dem Neubau der Burgmauer beginnen. Jeder Bürger, der dabei helfen kann, den Hof zu räumen, ist herzlich willkommen. Wir brauchen Soldaten, mit denen ich ebenfalls noch heute aufbrechen werde, um den Riesen zu jagen und meine Tochter zu befreien.« Dann drehte sie sich um, und ging Richtung Hauptgebäude. Rothil schlug Portaq freundschaftlich auf die Schulter und ging seinen Aufgaben nach. Portaqs Ochse war verschwunden, wahrscheinlich hatte er sich panisch aus dem Staub gemacht, als der Riese auftauchte. »Na wunderbar, Ochse weg, Wagen weg, Kringelbart weg. Und die Prinzessin ist auch weg. Und alles nur …« »Portaq«, unterbrach Annona, die sich noch einmal umgedreht hatte, sein Selbstgespräch. »Ja, Majestät.« Portaq antwortete erleichtert, er war froh, dass sich ihm jemand annahm. »Ich möchte, dass Ihr mich auf dem Zug gegen den Riesen begleitet. Einen Mann mit Eurer Schlagkraft werde ich gut gebrauchen können.« »Es wird mir eine Ehre sein, Euch im Kampf beizustehen, Majestät. Außerdem, bin ich ja nicht ganz unschuldig an dem Ganzen. Am liebsten würde ich sofort die Zeit zurückdrehen.« »Lasst den Kopf nicht hängen Portaq, wir müssen jetzt alle nach vorne schauen.« Währenddessen erging es Necida wie einem Käfer, der mit der Hand eingefangen, schlimmer noch, der von dem Netz einer Spinne umgarnt wurde, so eng war es in der riesigen Hand. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, warum Thalboth sie einfach mitgenommen hatte und malte sich die schlimmsten Dinge aus, die mit ihr passieren könnten. Sie rechnete fest damit, diese Entführung nicht zu überleben. Wenn nicht in der Hand dieses riesenhaften Schurken, dann spätestens in seinem Kochtopf, da war sie sich sicher. Sie spürte die Angst in sich, ließ sie aber nicht die Oberhand übernehmen, um einen kühlen Kopf bewahren zu können. Die Reise war nicht sehr komfortabel und sie dauerte nach Necidas Empfinden eine Ewigkeit. Dem Riesen war es offenbar ziemlich egal, wie es Necida erging. Er hielt die Hand so fest geschlossen, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie lag darin, die Arme fest an ihren Körper gelegt, das Gesicht in Richtung eines kleinen Hohlraumes gedreht, um atmen zu können. Thalboth hatte einen unregelmäßigen Gang, welcher dafür sorgte, dass Necida immer wieder unsanft in eine andere Richtung geschleudert wurde. Nicht genug, dass der Druck der Finger ihr am ganzen Körper Schmerzen bereitete, jetzt kam auch noch Übelkeit hinzu. Sie musste sich bemerkbar machen, um nicht den Raum, der ihr die Luft zum Atmen gab, mit dem Inneren ihres Magens zu füllen. Mit aller Kraft versuchte sie, sich durch ihre Gliedmaßen bemerkbar zu machen, aber Thalboth spürte nichts. Sie hatte nur die Möglichkeit, ihn zu beißen. Es gab zwei Stellen, die sie erreichen konnte. Entschlossen, aber mit Ekel rammte sie ihre Eckzähne in die Haut des Riesen und schon der erste Versuch zeigte deutliche Wirkung. Thalboth rief einen kurzen Fluch, hielt an und führte die Hand, in der Necida saß, an sein Gesicht. Vorsichtig lockerte er den Zeigefinger, der dafür zuständig war, den Kopf des Menschleins zu fixieren. Necida ging es auf einen Schlag besser. Die frische Luft, die den Mief des Handschweißes ablöste, gab ihr wieder Zuversicht. Sie fühlte sich wie nach einem Tauchgang in einer dreckigen Brühe. Verfilzt und abstehend war ihr Haar, vergilbt ihr Kleid und ihr eigener Körpergeruch war der eines Riesen. Nicht mal in ihrer Kindheit hatte es Tage gegeben, an denen sie von dem normalen Erscheinungsbild einer Prinzessin so weit entfernt war. Zunächst galt es, die zu erwartende Schelte des Riesen auszuhalten und zu überstehen. Necida schwebte immer näher an Thalboths Gesicht heran. Bedrohlich durchdrang sie das Spiel seiner hellgrauen Augen. Seine wulstigen Brauen wanderten langsam nach oben. Nach einem wütenden Grunzen sprach er mit seiner tiefen Stimme: »Pass auf du kleiner Quälgeist, werde nicht übermütig, sonst ….« Er unterbrach sich selbst durch einen kräftigen Nieser, bei dem Necida einmal nach unten und dann schnell wieder hinaufschwang. »… sonst werde ich vom Plan abweichen und dich irgendwo aussetzen.« »Es war nur, mir war schlecht und ich wollte nicht, naja, ich wollte, dass deine Hand sauber bleibt. Vielleicht könntest du wenigstens meinen Kopf draußen lassen, dann haben wir beide etwas davon.« Thalboth grunzte wieder grimmig, schien aber zunächst damit einverstanden zu sein. Necida wurde zwar immer noch grob von ihm festgehalten, aber sie bekam endlich wieder reine Luft. Nun sah sie auch, dass sie schon einige Stunden unterwegs waren. Das Gestirn hatte seinen Zenit bereits überschritten. Thalboth ging weiter. Necidas Aussicht wäre nicht schlecht gewesen, hätte Thalboth seine Arme etwas weniger in seinen Gang mit einbezogen. Als sie sich an die neue Position gewöhnt hatte, dachte sie über die Worte des Riesen nach: ›Plan, was meint er mit Plan? Ist meine Entführung nur Teil eines abgekarteten Spiels? Braucht er mich nicht zwingend, um diesen Plan zu erfüllen? Immerhin würde er mich notfalls im Feuertal zurück-lassen. Das würde bedeuten, dass ich mich nicht direkt in Lebensgefahr befinde, jedenfalls noch nicht.‹ Necida versuchte, etwas von Thalboth zu erfahren und rief: »Was hast du mit mir vor, Thalboth? Was soll das alles?« Doch Thalboth schwieg. Er schwieg bis zu seiner Ankunft mit seiner wertvollen Beute. Als die Sonne unterging, fiel Necida in einen erlösenden Schlaf. Trotz der Ängste, trotz der Entbehrungen auf der eigentümlichen Reise und trotz der Schmerzen in ihren Gliedern ließ sich ihr Körper auf eine Erholung ein, die ihr die Zeit bis zum Ziel verkürzen sollte. Der Schlaf hatte sie, obwohl es unerträglich schaukelte, fest im Griff, da regte sich am Rücken des Riesen etwas. Das Seil, das die Hose Thalboths auf ansprechender Höhe hielt, zitterte, als hätte jemand daran gezogen und es schnippisch wieder losgelassen. Dann zogen sich zwei kleine Gestalten an dem Seil hoch und setzten sich drauf. Sie waren nur halb so groß wie ein Zwerg und reichten einem Menschen nur bis zum Knie, im Vergleich zu Thalboth waren sie winzig. Die eine war zart grau, die andere sanft beige und sie kamen gut miteinander aus. »Tolle Idee!« »Was?« »Sich in Thalboths Hose zu verstecken.« »Ja, sicher und warm.« »Muffig war es, einfach nur muffig. Und schweißig.« »Was du immer hast. Also ich fand es äußerst komfortabel.« »Und was ist mit dem Furz? Hast du den schon wieder vergessen, hm, Her Ber? Eine Schweinerei ist das, ich wär fast erstickt. Nochmal mach ich das nicht mit. Das nächste Mal geh ich zu Fuß und wenn es zwanzig Jahre dauert. Ist mir doch egal.« »Pur Dur! Sei froh, dass du noch lebst. Stell dir mal vor, du hättest den Halt verloren und wärst zwischen den Backen zermalmt worden. Kein schöner Tod für einen Zwergtroll. Außerdem, wir hätten gern mit meiner Elster fliegen können, aber du wolltest ja nicht. Hasenfuß!« Pur Dur dachte kurz nach und sagte: »Lieber lauf ich mit diesem Riesen durch die Wüste, als mit deiner Schnapsdrossel bei jeder Lan-dung knapp am Tod vorbeizuschrammen.« Her Ber sah höflich über die Beleidigung seiner Elster hinweg. Statt darauf zu antworten, erinnerte er Pur Dur an ihr Vorhaben: »Jetzt lass uns gucken, wie es ihr geht und dann wieder ab in die Hose.« Sie hangelten sich an der Hüfte Thalboths entlang, um zu sehen, ob Necida noch lebte. Jedes Mal, wenn die riesige Hand an ihnen vorbei-schwang, schauten sie nach und vergewisserten sich. Danach krochen sie mit unterschiedlichen Meinungen zurück. »Sie stellt sich tot.« »Nein, nein, entweder sie schläft oder sie ist tot.« »Dann glaube ich, dass sie schläft, es gibt keinen Grund, warum sie freiwillig gestorben sein sollte.« »Ach Pur Dur«, Her Ber schien ein Gedanke zu kommen. Er überlegte kurz, bevor er weitersprach, »ich habe eine Idee.« Pur Dur schaute ihn mit besorgtem Gesichtsausdruck an. »Sag nicht, dass du jetzt deine Elster rufst und mich hier alleine lässt.« »Genau.« »Du kannst mich doch hier nicht…« »…aber einer muss doch auf das Mädchen aufpassen.« »Aber warum ich?« »Weil du mit meiner Schnapsdrossel nicht umgehen kannst Pur Dur, ganz einfach.« »Du bist gemein.« »Nicht schmollen Kleiner, wir sehen uns bald wieder, es kann nicht mehr weit bis nach Hause sein.« Her Ber hielt sein rechtes Nasenloch zu, presste die Lippen aufeinander und prustete durch das linke Nasenloch. Sofort gab es ein knackendes Kratzgeräusch und er fing fürchterlich an, zu husten. »Verdammt, verstopft.« Also hob er die andere Hand, mit deren Daumen er diesmal das linke Nasenloch zuhielt. Dann wiederholte er den Vorgang und ein unauffälliger, leiser Pfeifton flimmerte durch die Abenddämmerung. Er blinzelte dreimal, kratzte sich am haarlosen Kopf und schaute nach oben. Schon erkannte er in der Ferne seine Elster. Sie flog direkt auf sie zu. Der Vogel war sehr groß, eigentlich zu groß für eine Elster. Genau genommen wussten die Zwergtrolle gar nicht genau, ob es sich um eine Elster handelte, denn normalerweise sind Elstern nicht so groß wie diese, die in etwa die Ausmaße eines Storches hatte. Man hätte annehmen können, dass Her Ber genauso gut auf einem Storch hätte fliegen können, aber seines Erachtens nach waren die Störche nicht geeignet für bemannte Flüge, wegen ihrer zu weichen Federung. Als die riesige Elster am Hinterteil Thalboths vorbeiflog, sprang Her Ber auf ihren Rücken und verabschiedete sich mit einem lässigen Gruß von seinem Freund. Pur Dur grüßte traurig zurück und verkroch sich wieder in Thalboths Hose, mit dem Wunsch, bald unbeschadet zu Hause anzukommen.


Für den Inhalt dieser Seite ist der jeweilige Inserent verantwortlich! Missbrauch melden



© 2008 - 2023 suchbuch.de - Leseproben online kostenlos!


ExecutionTime: 1 secs