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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Within the Dark, Juna Grey
Juna Grey

Within the Dark



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1


Zoey


 


Fünfundneunzig. Achtundneunzig. Hundert. Verdammt. Nur hundert Dollar.


Das Geld deckte nicht mal ein Viertel der Mietschulden ab, die ich bei Rosie offen hatte. Außerdem herrschte in meinem Kühlschrank seit Tagen eine gähnende Leere.


Mit einem Seufzen steckte ich das ohnehin schon zerknit-terte Geld in die Hosentasche meiner dunkelgrauen Jeans und hob den kupferfarbenen Teekessel vom Herd, der in dieser Sekunde anfing zu pfeifen. Mit einer flinken Bewegung zupfte ich ein paar Blätter von der Salbeipflanze auf dem Regalbrett über meinem Kopf, ließ sie in mein Glas fallen und goss das heiße Wasser drüber.


Entweder ich schob heute Nacht ein paar extra Schichten im Scratch oder ich bat Rosie um einen neuen Auftrag. Frei-tagabends war zwar immer ordentlich was los, sodass ich mir reichlich Trinkgeld einstecken konnte, allerdings würde das mit Sicherheit nicht annähernd ausreichen, um meine Schul-den bei ihr zu begleichen.


Gedankenverloren blickte ich auf meine mattschwarz la-ckierten Nägel. Einer davon war während meiner letzten Jagd abgebrochen. Gavin, Luke und Dean würden mich umbrin-gen, wenn sie erfuhren, dass ich schon wieder gegen ihren Willen jagen ging und mich unnötig in Gefahr brachte. Ich liebte meine älteren Brüder, aber manchmal nervten sie mich mit ihrer übertriebenen Sorge. Als wäre ich zu schwach, um auf mich selbst aufzupassen. Ihnen wäre es am liebsten, wenn ich mein Studium an der NYU fortsetzen und mir einen normalen, stinklangweiligen Job suchen würde. Sogar, dass ich ab und zu an der Bar im Scratch aushalf, passte ihnen nicht in den Kram. Vor zwei Jahren hatte ich mich nach einigen hitzigen Diskussionen endlich durchgesetzt und war direkt in das Appartement über Rosies Café gezogen. Ich war felsenfest überzeugt davon, selbst für mich sorgen zu können, und lehnte seitdem sämtliches Geld von ihnen ab. Ganz si-cher würde ich jetzt nicht wieder damit anfangen, welches anzunehmen.


Ich ließ den Tee noch ein paar Minuten ziehen, besprühte die hohe, krugförmige Heliamphora tatei auf meiner Fenster-bank und sammelte ein paar der Wurfmesser ein. Diese steckten leider nicht nur in der Zielscheibe, die an der mei-nem Bett gegenüberliegenden Wand zwischen ein paar Ran-ken befestigt war, sondern auch überall verteilt in den Wän-den und Möbeln.


Meine Einzimmerwohnung war winzig, aber ich liebte sie über alles. Mit drei Brüdern zusammenzuleben, war zwar auch schön, weil einem nie langweilig wurde, aber es konnte gleichzeitig furchtbar anstrengend werden. Die gesamte Wohnung war vielleicht dreißig Quadratmeter groß, trotz-dem war jede verfügbare Fläche vollgestellt mit verschiedenen Pflanzen- und Kräuterarten. Sie hingen an der Decke, von den Backsteinwänden oder standen auf den vielen schlichten Regalböden aus dunkelbraunem Walnussholz. Um die Luft-feuchtigkeit zu erhöhen, hatte ich überall kleine Wasserschäl-chen aufgestellt. Zudem musste ich einige der Pflanzen re-gelmäßig befeuchten, andere befanden sich in kleinen Ge-wächshäusern oder Vitrinen.


Meine Küche hätte genauso gut aus einem Hexenhaus stammen können, dabei war ich nicht mal eine richtige He-xe. Allerdings hatte ich mein gesamtes Wissen über Heilkräu-ter, magische Pflanzen und Alchemie meiner Tante Amber zu verdanken und sie war eine waschechte Hexe.


So stand alles in meiner Küche voll mit Kräutervorräten, Zutaten, Tränken, Gläschen und Schalen in allen möglichen Größen, Farben und Formen. Würde ein normaler Mensch dieses Zimmer betreten, würde er mich vermutlich für ver-rückt erklären. Die meisten von ihnen ahnten jedoch nicht, wie düster diese Welt tatsächlich sein konnte, welche Kreatu-ren und Monster unter ihnen lebten und darauf lauerten, sie zu holen. Oder dass Magie nicht nur in Büchern und Filmen existierte und es Leute gab, die sie vor dem Schlimmsten bewahrten. Diese unwissenden Menschen taten mir leid. Sie waren so sehr damit beschäftigt, über ihr eigenes belangloses Leben zu jammern, dass sie gar nicht mitbekamen, wie gut sie es in Wirklichkeit hatten. Gäbe es keine Hunter, wären sie schon längst dem Untergang geweiht.


Unschlüssig fischte ich die Blätter aus meinem Tee und probierte einen Schluck, bevor ich mich am Kleiderschrank zu schaffen machte. Obwohl ich mich noch nicht entschieden hatte, suchte ich mir ein praktisches Outfit für die Jagd her-aus, anstatt in meine üblichen Klamotten für die Schicht im Scratch zu schlüpfen.


Scheiß auf die Jungs. Ich hatte heute Lust auf ein Aben-teuer.


Nachdem ich mich umgezogen hatte, trank ich noch zü-gig den Tee aus und packte meine Sachen zusammen. Dann eilte ich die Treppe hinunter in das abgedunkelte Café. Rosie war wahrscheinlich schon lange unten, also ging ich direkt nach hinten zu den Toiletten durch. Die vorletzte der fünf Kabinen ließ sich ausschließlich von Eingeweihten betreten. Für alle anderen war sie magisch verschlossen und selbst wenn es jemals ein Unwissender schaffen sollte, die Tür zu öffnen und bis hierher vorzudringen, waren der Eingang und die Treppe in den Untergrund durch weitere Banne und Zauber geschützt. Ohne Hilfe eines Wissenden war es so gut wie unmöglich für einen Normalo, die verborgene Welt un-terhalb New Yorks zu entdecken. Trotzdem wurden eine Menge Sicherheitsmaßnahmen an den Eingängen getroffen. Es diente unter anderem zu ihrem eigenen Schutz. Nicht alle Menschen konnten die Wahrheit verkraften, dass die Mons-ter unter ihren Betten real waren.


In dieser Kabine gab es genau wie in allen anderen eine altmodische Toilettenschüssel mit Blümchenverzierungen. Oben an der Decke hing eine goldene Kette, die normaler-weise dazu diente, die Spülung zu betätigen. Hier war es anders. Sie öffnete den Weg zu einer schmalen Steintreppe, die weit unter die Erde führte. Die Wand hinter der Toilette schob sich samt Kloschüssel nach unten in den Boden, sodass ein großer Durchgang entstand. Obwohl ich schnell war, dauerte es lange, bis ich das Ende der Treppe erreichte. Der Gang war spärlich beleuchtet und wenn man unten ankam, befand sich dort eine schwere Metalltür, die durch einen weiteren Bann gesichert war. Doch kannte man das Code-wort, lag dahinter eine völlig andere Welt verborgen.


Zunächst landete man jedoch mitten im Scratch. Das Scratch war eine von vielen Bars im Untergrund New Yorks und besonders beliebt. Dafür gab es einen simplen Grund: Bei Rosie durften sich nicht nur Hunter, sondern auch ande-re Kreaturen der Nacht herumtreiben. Angefangen bei Vam-piren, Hexen und Werwölfen bis hin zu Nymphen, Tiermen-schen und Fae hatte ich hier unten schon alles gesehen. Sogar Hybride waren mir begegnet. Aber selbst Rosie besaß ihre Regeln. Vampire, die Blut direkt vom Menschen tranken, oder Wölfe, die sich absichtlich verwandelten oder gar töte-ten, waren in ihrer Bar nicht willkommen. Es ging hier mehr oder weniger gesittet zu, je nachdem, was man darunter ver-stand.


Als ich durch die schwere Tür trat, schlug mir sofort ein feuchter, muffiger Geruch entgegen. Es roch nach Bier und Schweiß. Klassische Rockmusik durchdrang die Stille und ich fühlte mich direkt ein wenig lebendiger.


Das Scratch war geformt wie ein breiter U-Bahn-Tunnel, was daran lag, dass es genau das war. Denn der Untergrund bestand zu einem Teil aus einem alten U-Bahn-Netzwerk, das nach dem Ersten Weltkrieg nie fertig gebaut worden war. Zumindest lautete so die offizielle Version. Die Wahrheit war, dass es bereits damals Hunter gegeben hatte, die sich hier unten eine Basis eingerichtet hatten. Im Laufe der letz-ten hundert Jahre waren die Tunnel immer weiter ausgebaut worden, und mittlerweile hatte sich der Untergrund zu einer richtigen kleinen Stadt entwickelt. Heutzutage lebten aber nicht mehr ausschließlich Hunter in den Wohnkomplexen unter der Erde. Tatsächlich war das sogar eher die Seltenheit. Die meisten Jäger wohnten lieber an der Oberfläche und kamen nur an diesen Ort, um ihren Geschäften nachzugehen, Informationen zu sammeln oder in einer der Bars und Clubs die Sau rauszulassen. Dafür gab es genug andere Kreaturen, die hier unten ihr Unwesen trieben. So war dieser Ort einer-seits zu einer wichtigen Zuflucht für Eingeweihte geworden, andererseits war es gleichermaßen gefährlich, sich hier aufzu-halten. Schließlich barg der Untergrund viele Möglichkeiten, sich zu verstecken, Dinge zu vertuschen und illegale Geschäf-te zu führen. Die Leute, die sich hier herumtrieben, egal, ob Menschen oder nicht, waren zum größten Teil zwielichtige Gestalten, denen man nicht trauen sollte. Man musste vor-sichtig sein, durfte nicht zu viel von sich preisgeben, und bestimmte Viertel sollte man besser meiden. Allgemein galt: Je weiter man sich in den Untergrund vorwagte, desto ge-fährlicher wurde es. Unten in den tiefsten Tunneln lauerten noch viel schlimmere Wesen als oben in Rosies Bar.


Genau deshalb hassten es meine Brüder auch, dass ich im Scratch arbeitete. Ich dagegen liebte es aus exakt denselben Gründen. Es war aufregend und spannend, denn es gab im-mer etwas zu sehen. Im Gegensatz zu dem langweiligen Normalo-Studentenleben, das mir meine Familie aufquat-schen wollte.


»Zoey, meine Liebe. Gut, dass du da bist. Ich wollte so-wieso mit dir sprechen«, begrüßte mich Rosie freundlich, als ich mich an zwei grölenden Männern vorbeidrückte und hinter den voll besetzten Tresen trat, der sich an der gesam-ten linken Seite des Tunnelstücks entlang zog. An der Decke über unseren Köpfen hingen große Lampen, die von magi-schen Lichtern unterstützt wurden. Sie schwebten überall in dem hohen Raum herum, um der Dunkelheit, die sonst hier unten herrschte, Einhalt zu gebieten. Die laute Musik dröhn-te im Hintergrund und die vielen Gespräche füllten meine Ohren, doch auch das gefiel mir. Es war mir zumindest lie-ber als die einsame Stille in meinem Zimmer, die mich sonst heute Abend heimgesucht hätte.


Rosie war schon seit über fünfzig Jahren im Besitz dieses Ladens, und auch wenn sie aussah wie ein schrulliges altes Omchen, hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Niemand, der sie kannte, würde es jemals wagen, sich mit ihr anzule-gen. Ich am allerwenigsten.


»Geht es um die Miete?«, fragte ich und fuhr mir nervös durch meine rabenschwarze Mähne. »Genau deshalb bin ich gekommen. Ich wollte eine Anzahlung machen.«


»Eine Anzahlung?« Ihre Mundwinkel hoben sich leicht, der Blick ihrer stechend blauen Augen dagegen war tadelnd. »Du schuldest mir noch Geld vom letzten und vorletzten Monat, Liebes.«


»Ich weiß und es tut mir wirklich leid. Moment.« Ich fingerte die hundert Dollar aus meiner Tasche und reichte sie ihr. »Den Rest würde ich gerne abarbeiten. Ich meine, nicht an der Bar, sondern mit ein oder zwei Aufträgen.«


Sie schaute auf meine blasse Hand, mit der ich ihr immer noch die Scheine entgegenhielt, dann hob sie den Blick und sah mir tief in die Augen, ohne Anstalten zu machen, das Geld zu nehmen.


»Ich habe tatsächlich einen Auftrag für dich, Schätzchen. Aber steck das wieder ein und kauf dir davon etwas Vernünf-tiges zu essen. Du bestehst ja bald nur noch aus Haut und Knochen. Kein Wunder, dass dir deine Brüder die Jagd nicht zutrauen.«


»Du wirst ihnen doch nichts erzählen?«, bat ich sie, im-mer noch verlegen.


Sie zwinkerte und wandte sich ab. »Komm mit.«


Ich folgte ihr weiter nach hinten in einen kleinen Raum hinter der hohen Spiegelwand, in dem nur ein Tisch und ein paar Stühle standen, damit sich die Angestellten dort umzie-hen und zwischendurch Pause machen konnten.


»Ich habe einen leichten Auftrag für dich, das Kopfgeld ist gut. Es deckt deine Schulden bei mir nicht ganz ab, aber wenn du die Sache erledigst und morgen die Nachtschicht übernimmst, verzichte ich auf den Rest.«


»Vielen Dank, Rosie. Ich werde mich sofort um die Sache kümmern.«


»Wunderbar.« Sie schenkte mir ein Lächeln und war nun wieder die freundliche Oma, die es liebte, sonntags Apfelku-chen zu backen. »Es geht um einen Geist, der in einer alten Brownstone-Villa in Brooklyn sein Unwesen treibt. Das Haus war lange unbewohnt und wurde nun mitsamt dem alten Mobiliar gekauft. Wie gesagt, meine Liebe, es ist nichts Aufregendes, aber die neuen Besitzer möchten so schnell wie möglich ihre Ruhe haben und zahlen gut. Miles hat bereits mit ihnen gesprochen. Die Familie ist dieses Wochenende nicht anwesend. Du hast also freie Hand. Miles ist sich abso-lut sicher, dass es sich um einen einfachen Besetzer handelt.«


»Was ist mit Miles?«, hakte ich unsicher nach. »Ich möchte ihm seinen Auftrag nicht wegschnappen.«


»Er kann die Sache erst in ein oder zwei Wochen erledi-gen. Du würdest also für ihn einspringen.«


»Okay. Super. Dann ist der Auftrag perfekt. Ich werde mich gleich auf den Weg machen.«


»Prima, hier hast du die Adresse. Melde dich, wenn du al-les erledigt hast, und sei vorsichtig. Ich möchte Gavin nächs-te Woche nicht erklären müssen, dass dich ein simpler Geist ins Jenseits befördert hat.«


Sie lachte und reichte mir einen zusammengefalteten Zet-tel, doch dass Gavin nächste Woche aus London zurückkam, trübte meine Stimmung ein wenig. Ich vermisste meinen Bruder schon, dennoch wollte ich sein Gesicht lieber nicht sehen, wenn er zufällig davon erfuhr, dass ich eine Nacht allein in einer Geistervilla verbracht hatte und es bei Weitem nicht der schlimmste Auftrag gewesen war, den ich für Rosie in seiner Abwesenheit erfüllt hatte. Na ja, zum Glück würde er nur ein paar Tage bleiben, bis er zurück zu seiner Frau nach London musste. Sie gehörte ebenfalls zu den Huntern und die beiden hatten sich vor Jahren bei einem Auftrag in England kennengelernt.


»Ach, bevor ich es vergesse«, sagte Rosie plötzlich, als wir schon auf dem Weg nach vorne waren. »Tyler hat vorhin nach dir gesucht. Ich denke, ihm sind seine Tränke ausge-gangen und … du weißt ja, was bald ist.«


»Ist er hier?«, fragte ich und ließ meinen Blick besorgt über die Bargäste schweifen, konnte ihn aber nirgendwo ausmachen.


»Nein. Die Leute haben ihn nervös gemacht. Ich denke, er ist zu Hause.«


»Okay. Danke, ich sehe morgen mal nach ihm.«


Rosie nickte und widmete sich erneut ihrer Arbeit, wäh-rend ich mich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht auf den Weg zu dieser Villa machte.


Mein nächtliches Abenteuer konnte beginnen.




2


Blake


 


»Du verdammter Hurensohn«, fluchte ich mit gepresster Stimme.


Nicht, dass ich mich selbst für etwas Besseres hielt. Ge-nau genommen war ich exakt das: der verschissene Sohn einer Hure. Aber dieser Kerl regte mich langsam auf.


Der Ghul, den ich mittlerweile seit Stunden durch die Kanalisation unter der Bronx jagte, war mir schon wieder entwischt. Ich stand bis zur Hüfte im dreckigen Abwasser und neben mir schwamm die Ratte des Jahrtausends. We-nigstens war sie tot und konnte mich somit nicht mehr an-fallen.


Gerade fragte ich mich, ob der Aufwand und vor allem dieser widerliche Gestank das Geld wert waren, welches ich für diese lächerlichen Ghulhaare bekam. Dann fiel mir ein, dass dieses Vieh gestern Nacht drei Menschen in seine Höhle gezerrt hatte, um sie zu fressen.


Normalerweise taten Ghule das nicht. Sie waren Leichen-fresser, keine Killer. Dieser schien allerdings verzweifelt zu sein. Vermutlich hatte er Hunger und die toten Ratten ge-nügten ihm nicht länger.


Ich seufzte frustriert und watete weiter durch das Wasser. Bis auf meine Bewegungen, die leichte Wellen auf der Ober-fläche verursachten, und das leise Tippeln und Piepsen der Ratten entlang des schmalen Randes, war es still.


Wohin konnte er so schnell verschwunden sein?


Träge war der Kerl jedenfalls nicht, das musste man ihm lassen. Das frische Fleisch hatte ihm wohl gutgetan.


Gerade als ich mich entschied, das Wasser zu verlassen, veränderte sich etwas. Es war kein Geräusch, das ich hörte, oder etwas, das ich sah, viel mehr ein Gefühl. Eine Präsenz, die mich beobachtete. Ich verlangsamte meine Schritte und hielt an, um mich unauffällig umzusehen. Dafür nutzte ich nur meine Augen, mein Körper blieb bewegungslos.


Da war er.


Wenige Meter von mir entfernt unter der Wasseroberflä-che blitzten zwei weiß leuchtende Augen aus der Dunkelheit hervor.


Meine Hand schloss sich fest um den Griff meines Jagd-messers, meine Muskeln spannten sich an. Der Ghul bemerk-te mein Zögern und sprang in einer solchen Geschwindigkeit auf mich zu, dass ich es gerade noch schaffte, mich in seine Richtung zu drehen. Die Kraft seines Unterarms, der etwas länger und dünner war als der eines durchschnittlichen Men-schen, rammte mich und presste mir die Luft aus der Lunge. Ein Keuchen verließ meine Kehle und in der nächsten Se-kunde versanken wir beide im Abwasser. Das bestimmt zwei Meter große Vieh riss sein Maul auf und entblößte seine stachelartigen Reißzähne direkt vor meiner Nase, während ich noch damit beschäftigt war, meine Fassung zurückzuge-winnen.


Aus einem Instinkt heraus stieß ich ihm die Klinge mei-nes Messers zwischen seine dürren Rippen. Es schreckte hoch, doch seine langen Fingernägel bohrten sich schmerz-haft tief in meinen Oberarm. Mit viel Gestrampel schaffte ich es trotzdem, mich zurück an die Wasseroberfläche zu kämpfen.


Noch bevor ich tief einatmete, befreite ich mich aus sei-nem Griff und schlüpfte zur Seite, unter dem bleichen Arm hindurch. Der Ghul holte sofort aus, aber dieses Mal war ich vorbereitet und schaffte es, ihm auszuweichen. Mein Messer in der Linken streifte seine Seite und noch während ich mich bewegte, griff ich mit der freien Hand nach der Knarre, die in meiner Hose steckte. Nun stand ich hinter ihm und muss-te nur noch schießen. 


Fehlanzeige. Das Mistvieh war nicht so dumm, wie ich dachte. 


Es sprang an die Decke und der Schuss, den ich bereits ausgelöst hatte, hallte mit einem Echo durch die Kanalisati-on. Die Knarre war mir bei der schnellen Bewegung aus der Hand gerutscht. Ich blickte auf und im selben Augenblick stürzte sich die Kreatur erneut auf mich. Blitzschnell tat ich das Einzige, was mir in diesem Moment in den Sinn kam: Ich riss die linke Hand nach oben, den Griff fest um das Jagdmesser geschlossen, und traf. Die Klinge und die Hälfte meines Arms bohrten sich tief in ihren Rachen, schwarzes Blut spritzte heraus und ihr Körper versenkte mich wieder im Abwasser. Kurz orientierungslos, strampelte ich den leblo-sen Ghul von mir, fand den Boden unter meinen Füßen und stand auf.


»Shit«, fluchte ich genervt und wischte mir das Monster-blut aus dem Gesicht. »Und das alles für ein paar Haare.«


Mit einem Griff in das trübe Wasser packte ich den Kerl an seinem dünnen, langen Schopf und trennte ihn von sei-nem silbrig schimmernden, menschenähnlichen Schädel ab.


»Na lecker.«


Und jetzt durfte ich auch noch meine Knarre wiederfin-den.


Auf dem Rückweg in den Untergrund sammelte ich au-ßerdem meine Tasche ein, die ich vorhin beim Eintreten in die Kanalisation abgelegt hatte, damit sie nicht nass wurde, und stopfte die Haare in das kleine Gefäß, welches ich dafür vorgesehen hatte.


Ich stank nach Scheiße, aber wenigstens musste ich so nicht zurück an die Oberfläche. In der Kanalisation gab es einen unterirdischen Eingang, der noch tiefer und direkt zu den Wohnkomplexen im Untergrund führte. Der Weg dahin war weit, der Gestank jedoch nicht mein einziges Problem. Mein Arm blutete und ich wollte auf der Straße nicht unnö-tig auffallen. Zum Glück hatte ich Desinfektionsmittel und etwas Verbandsmaterial dabei und konnte ihn grob abbin-den.


Auf dem Weg blieb mir zumindest genug Zeit, mir in al-ler Seelenruhe Gedanken darüber zu machen, wo ich heute Nacht schlafen sollte. Dabei waren meine Auswahlmöglich-keiten nicht gerade vielfältig. Entweder, ich suchte mir ein schönes Plätzchen in den Slums, in denen es definitiv noch schlimmer roch als hier, oder ich klopfte bei Ace an, dem ich bereits Hunderte von Gefallen schuldete, und der mich jede Nacht, die ich schlafend in seiner Badewanne verbrachte, dreifach zurückzahlen ließ.


So oder so – die Aussichten waren schlecht.


 


 


 


Es dauerte über zwei Stunden, bis meine Faust gegen sei-ne Tür schlug, wobei es sich schon fast nicht mehr lohnte, noch zu schlafen. Die klapprige Holztür, die vermutlich aus ihren Angeln gefallen wäre, hätte ich fester zugeschlagen, öffnete sich beinahe sofort und ein für diese Uhrzeit unge-wöhnlich wacher Ace stand vor mir.


»Alter, du riechst nach vergammeltem Fisch«, beschwerte er sich und fuhr sich mit den Fingern durch sein langes dun-kelblondes Haar. Das war noch untertrieben.


»Ghul«, verbesserte ich ihn und marschierte ungefragt an ihm vorbei in seine Wohnung.


Der Raum war klein und schlecht beleuchtet. Ace besaß nicht mal Lampen, nur wenige Kerzen. Die Steinwände wa-ren mit nerdigen Sci-Fi-Postern behangen und auf dem Bo-den lag ein alter fransiger Teppich, der wahrscheinlich noch aus den Siebzigern stammte, damit das kühle Zimmer etwas wärmer wirkte. In der Mitte befand sich ein altes Ledersofa, dessen Polster aussahen, als wären sie aufgeschlitzt worden, und davor war ein einfacher Holztisch, auf dem Ace’ Waffe lag, in all ihre Einzelteile zerlegt. Eine halb geleerte Flasche Whisky stand daneben.


»Du siehst scheiße aus«, stellte er fest.


»Danke. Du auch.«


»Wenn du wieder bei mir pennen willst, sollte ich viel-leicht langsam mal Miete verlangen.«


»Ist das letzte Mal.«


Er schnaubte. »Wer‘s glaubt.«


»Warum bist du noch wach?«


»Geht dich ’n Scheiß an.«


Ich zuckte mit den Schultern. »Funktioniert das Wasser?«


»Ja, aber nicht für Warmduscher.«


Ohne noch was zu sagen, verschwand ich in seinem Bad und knallte die Tür hinter mir zu.


Gespräche zwischen Ace und mir liefen immer so ab. Ei-gentlich hasste ich dieses Arschloch, aber irgendwie eben auch nicht. Wir kannten uns schon, seit wir denken konnten und na ja … vielleicht war er so was wie Familie für mich. Eine andere hatte ich jedenfalls nicht.


Sein Badezimmer bestand aus einer schief hängenden Klo-schüssel, einem winzigen Waschbecken mit einem starken Riss und einer Dusche, deren Vorhang mit seltsamen Flecken besprenkelt war. Die Badewanne war an den Ecken leicht verrostet und diente mir wie üblich als Schlafplatz. Vorher musste ich mich jedoch unbedingt waschen und meine Wunde noch mal vernünftig versorgen.


Betrachtete man nur seine Wohnung, könnte man mei-nen, Ace wäre ein armer Schlucker. Fakt war aber, dass sie schweineteuer war. Aus dem einfachen Grund, dass der Un-tergrund komplett überfüllt und der Wohnungsmarkt ent-sprechend beschissen war. Diese Bruchbude war nichts weiter als ein schneller Schlafplatz für Ace, wenn er hier unten un-terwegs war. Seine richtige Wohnung befand sich an der Oberfläche und machte ordentlich was her.


Ich warf einen kurzen Blick in den verstaubten Spiegel und starrte in ein Paar kühle graue Augen. Mein Gesicht war immer noch voller Ghulblut und mein schwarzes Haar nass vom Abwasser. Schnell wandte ich mich ab und sprang unter die kalte Dusche. Danach versorgte ich erneut meinen Arm, schnappte mir ein schlichtes, schwarzes T-Shirt und eine Jogginghose von dem Wäscheberg auf dem Boden und mach-te es mir in der Wanne gemütlich.


Wie immer rollte ich mir zwei Handtücher zusammen, um sie als Kopfkissen zu nutzen, legte meine Waffe, mein Handy und meine Kippen auf der Ablage neben meinem Kopf ab und zündete mir eine Zigarette an.


Was für ein Scheißtag … 


Noch schlimmer als die Tage waren nur die Nächte.


Ich hasste schlafen.


Beim Schlafen war man dem Tod am nächsten. Der Kör-per fuhr fast vollständig runter und man bekam nicht mehr mit, was um einen herum geschah. Gab es etwas Gruselige-res?


Außerdem war um diese Zeit alles so furchtbar ruhig. Diese Stille machte mich irre. Sie bot so viel Platz in mei-nem Kopf. Deshalb mochte ich den Trubel und brauchte immer etwas zu tun. Es lenkte mich ab. Doch nachts, kurz vorm Einschlafen, wenn die Welt scheinbar stillstand, waren die Stimmen in meinem Kopf am lautesten.




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