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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Venusblut, Jennifer Schreiner
Jennifer Schreiner

Venusblut



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Selbst im Traum hatte sie Angst! Und die Fangzähne des Mannes boten auch jeden Anlass dazu, obwohl seine bloße Anwesenheit gleichzeitig ganz andere Gefühle in ihr auslösten. Nie zuvor hatte sie sich so ambivalent gefühlt, so zerrissen von ihren eigenen Emotionen und Wünschen. Ihr gesamter Körper verlangte auf der instinktiven Ebene ihrer Urtriebe nach schneller Flucht, während ihre Libido ihr sinnliche Schauer über die Haut jagte, in gespannter Erwartung ausharren wollte und jeden ihrer Muskeln lähmte.


Immer noch konnte sie das Gesicht des Unbekannten nicht wahrnehmen, beinahe, als hätte er es aus ihrem Verstand verdrängt oder ihr eigenes Gehirn eine Visualisierung verboten. Seine gesamte Gestalt schien mit der Dunkelheit zu verschmelzen, zu Nacht und Finsternis zu werden, form- und gesichtslos, ein bloßer Schatten. Trotzdem erschauerte sie lustvoll, als seine Zähne, bereit zu einem Biss, über ihre Haut strichen. Die Berührung war überraschend sanft, überwältigend sinnlich, und noch während sich ihre verbleibende Logik gegen die Erkenntnis stemmte, begriff sie die schlichte, unausweichliche Wahrheit: sie würde diesen Kampf verlieren. Und zwar mit Freuden!


Sie hob ihre Hände, um den Mann fortzuschieben, doch ihre Finger, kleinen Verrätern gleich, flochten sich in seine schattenhaft-finsteren Haare und zogen ihn näher, luden ihn dazu ein, sich in jedweder Form an ihr zu laben und intuitives Wissen rieselte durch ihre Adern. Seit jeher hatte sie gewusst, dass diese Nacht kommen würde, hatte auf sie gewartet und gleichzeitig auf eine Realität ohne Vampire gehofft. Doch dieser nächtliche Schatten hatte sie verfolgt, seit sie denken konnte, hatte ihre Tagträume bestimmt und war doch immer knapp außerhalb ihrer bewussten Reichweite geblieben, doch zum Greifen nahe und hatte sich immer wieder als Prophezeiung in ihr Leben geschlichen. In Büchern, Filmen oder Serien war er aufgetaucht, immer nur für den Bruchteil einer Sekunde, eine gesichtslose Andeutung ihrer eigenen Fantasie; nie hatte sie sich wirklich erinnern können, nie ihn identifizieren.


Wieder konnte sie seine Zähne an ihrem Hals spüren, dieses Mal genau an der Stelle, an der das Blut in Synkopen durch ihre Halsschlagader klopfte, und dieses Mal wusste sie trotz ihrer Libido, dass es nicht das unwillkommene Verlangen war oder der penetrante anhaltende Fluchttrieb, die sie wirklich störten. Der nagende Fakt war viel realer und führte zu einer simplen Erkenntnis: Es war Traum!


 


***


 


Sie schreckte aus dem fremden Traum und ihrer liegenden Position hoch in eine sitzende, mit geöffneten Augen, nahm ihre Umgebung wahr, Gerüche, Geräusche, Bilder und blinzelte verwirrt … und blinzelte noch einmal. Doch der Anblick änderte sich nicht. Ein Terminal voller Menschen, die geschäftig oder beschäftigt hin und her liefen; Koffer wurden geschoben, gezogen, oder abgegeben, Aufzüge fuhren nach oben oder unten, Besucher wimmelten in kleinen Ladengeschäften oder nutzten Rolltreppen, um an den gewünschten Ort zu gelangen. Eine große Schautafel vor ihr änderte just in diesem Moment seine Anzeige, blätterte den Flugplan in die aktuelle Position und erstarrte anschließend.


Abermals blinzelte die Frau und abermals änderte sich … nichts. Sie war und blieb in einem Flughafengebäude.


Trotzdem sah sie an sich herab, nur um sicher zu gehen, dass sie kein Nachthemd trug und nicht in ihrem Bett lag. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie saß, sich schlaftrunken auf einer Stuhlreihe aufgerichtet haben musste. Dankbar registrierte sie, dass sie Jeans und Schuhe trug, und eine blaue Jacke, die ihr gänzlich unbekannt war. Einen Moment später erwischte sie sich dabei, wie sie irritiert ihre eigenen Hände ansah und sich fragte, wann sie die Fingernägel rot lackiert hatte und wer ihr diesen grässlichen, silbernen Ring geschenkt haben mochte, der ganz sicher nicht ihrem Geschmack entsprach. Erst dann fiel ihr auf, dass sie diese Fragen nicht beantworten konnte. Nicht nur die Jacke war ihr unbekannt, auch die roten Fingernägel und der Ring. Dass sie sich auch noch mitten in einem belebten Flughafengebäude aufhielt, nicht wusste, wie sie dorthin gekommen war, oder was sie an diesem Ort sollte, rundeten nur das Gesamtbild ab. Hauptfakt Nummer eins war: Sie hatte keine Ahnung, wer sie überhaupt war!


Schockiert hob sie die Hände mit den viel zu roten Nägeln und dem grässlichen Ring vor ihr Gesicht und versuchte die Fakten auszublenden. Unbewusst massierten ihre Finger ihre Schläfen und schienen so eine Erinnerung erzwingen zu wollen. Vergebens.


Sie hatte keine Ahnung! Obwohl sie wirklich und wahrhaftig wach war, wusste sie immer noch nichts über sich oder ihre Situation, erinnerte sich nur an ihren Traum und daran, dass er einer anderen, geliebten Person gehört hatte. Bei dem Gedanken sah sie auf; es musste doch jemanden geben, mit dem sie hier war? Doch niemand war in ihrer Nähe und niemand schien sich übermäßig für sie zu interessieren. Ein zweiter prüfender Blick ergab, dass sie auch keinen Koffer besaß. Keinen Rucksack und kein andersartiges Gepäckstück. Aber was mache ich an einem Flughafen, wenn ich nicht verreise? Sie stand auf, als könne ihr bereits ihre Größe einen besseren Überblick über die gesamte Situation geben, und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Nichts. Nur der allgemeine Flughafenbetrieb. Sie musste eingeschlafen sein. Vielleicht hatte sie sogar ihren Flug verpasst – und den Koffer längst abgegeben?


Wie von selbst gruben sich ihre Hände in die Taschen der fremden Jacke und beförderten eine Kaugummipackung hervor, ein Bonbon und ein einzelnes, benutztes Taschentuch, das sie achtlos in den Papierkorb neben sich warf. Die Innentasche war gänzlich leer und nie benutzt worden. Sie war sogar noch zugenäht. In ihrer Hosentasche fand sie ein Handy.


Gott sei Dank! Gekonnt flogen ihre Finger über die Tasten, prüften das Adressbuch und die Anrufliste – beides war leer. War entweder nie benutzt worden oder musste vor kurzem gelöscht worden sein. Sie musste sich zusammenreißen, das Stück Technik nicht in ein Stück Schrott zu verwandeln, indem sie es auf den Boden warf.


Abermals drehte sie sich um ihre eigene Achse und versuchte die aufkeimende Panik in ihrem Inneren niederzukämpfen. Mit beinahe schmerzlicher Sicherheit wusste sie, dass sie solch eine Situation bereits erlebt, sie überlebt hatte und sich auch dieses Mal wieder erinnern würde. Früher oder später. Und passieren konnte ihr nichts. Sie war in Sicherheit, auf einem Flughafen.


Düsseldorf! Das Wissen war da, plötzlich und ungefragt. Ebenso das Wissen um das aktuelle Datum, um Jahreszeiten, politische Ereignisse und – wieder wanderten ihre Hände zu ihren Schläfen – im Prinzip um alles, außer sich selbst.


Die Toilette! Das Schild schräg vor ihr wurde plötzlich heller und einladender, versprach zumindest einen Spiegel und einen optischen Erinnerungsanreiz. Trotz ihrer aufmunternden Gedanken waren ihre Beine wackelig, als sie aufstand, und bei jedem Schritt drohten sie ihr ihren Dienst zu versagen. Einzig ihre Willenskraft zwang ihre Füße dazu weiterzugehen, ihre ungelenken, fremden Finger dazu, die Tür zu öffnen und sich selbst vor die Spiegel des Waschraumes zu stellen.


Ein sehr bleiches, unbekanntes Gesicht mit Augen, die viel zu groß und starr waren, sah ihr entgegen. Dasselbe junge Gesicht wie aus dem Traum – und doch nicht das gleiche –, mit einer etwas zu großen Nase, einem kleinen Puppenmund, dessen Lippen im Moment zusammengepresst waren. Sie strich sich die halblangen Haare, schwarz gefärbt und zu einem schrägen, flotten Bob geschnitten, zurück, legte zwei Ohren mit kleinen, silbernen Kreuzanhängern frei, und versuchte, sich an sich selbst zu erinnern. Doch da war nichts, nur die Ähnlichkeit mit der Frau aus dem Traum. Wo eigentlich die Erinnerung an ihre Person sein sollte, klaffte eine Lücke in ihrem Geist; instinktiv schreckte sie zurück, sicher, wenn sie sich zu nahe an den Rand dieses schwarzen Lochs wagen würde, könnte es sie aufsaugen – und dann würde nichts mehr bleiben, nicht einmal mehr die Erinnerung an die gängigen Werte, Normen und Gesetze. Nichts von dem allgemeinen Wissen, das sie zurzeit in sich trug, aber nicht verwerten konnte, weil ihr jegliche Bezugsgröße in ihrer Realität fehlte.


Eine einzelne Träne trat aus ihrem rechten Auge und rollte ihre Wange hinab. Im Spiegel konnte sie sehen, wie der Tropfen eine feuchte Spur auf ihrer bleichen Haut hinterließ und an ihrem Mundwinkel hängen blieb. Entschlossen wischte sie die Träne weg und verharrte mitten in der Bewegung. Durch das Hochheben ihres Armes war die Jacke verrutscht und die Ärmel hatten ihr Handgelenk freigegeben – zusammen mit einem dünnen, weißen Plastikband.


Eine Sekunde lang starrte sie ungläubig auf das unerklärliche Ding an ihrem Arm, doch gerade als sie die Jacke hochkrempeln wollte, ging die Tür auf; erschrocken verbarg sie ihr Handgelenk zwischen sich und dem Waschbecken, beugte sich gen Spiegel, bewegte das ihr fremde Gesicht und tat, als prüfe sie ihr Make-up.


Der Mann, der hinter ihr den Raum betrat, sah sie einen Moment lang an, lächelte, sein Blick merkwürdig intensiv, seine Augen seltsam dunkel, nickte ihr zu und ging dann Richtung Toilettenraum. An der Tür warf er einen Blick zurück, der sie mitten in der Drehbewegung verharren ließ, obwohl sie ganz offensichtlich das falsche WC erwischt haben musste. Einen Moment lang setzte ihr Herzschlag aus, ihre Atmung, dann ging er durch die Öffnung, die Tür fiel hinter ihm zu und nahezu augenblicklich vergaß sie, dass sie hatte gehen wollen. Es gab kein Urinal, nur Toilettenkabinen, eindeutig war sie richtig, er falsch.


Bei dem zweiten Blick in den Spiegel wurde der kurze Augenblick der Erleichterung unterbrochen von einer weitaus wichtigeren Feststellung, der sich im Vordergrund der Realität manifestierte: Nichts war in Ordnung.


Sie runzelte die Stirn, weil sie plötzlich nicht mehr wusste, was sie eben noch gedacht hatte. Es hatte doch auf der Hand gelegen, war so offensichtlich, dass es schmerzte. Aber auch diese Information hatte sich aus ihrem Bewusstsein zurückgezogen, hatte etwas mit der Toilette zu tun und mit … sie wusste es nicht mehr, erinnerte sich nur noch an das, was sie gerade hatte tun wollen. Tief durchatmend und sich innerlich gegen alle Möglichkeiten wappnend, zog sie abermals den Jackenärmel hoch und prüfte das Band. Die Schrift war verkehrt herum, offenbar war das, was dort stand, nicht für sie bestimmt. Sie verdrehte ihren Arm und las: Joline. Daneben stand eine Nummer. Eine Telefonnummer?


Nachdenklich betrachtete sie die Zahlen, doch eine Telefonnummer war das einzige, was einen Sinn ergab. Nachdenklich starrte sie auf das Stück Plastik und die neuen Fragen brachten sie beinahe um den Verstand. Wer bist du, Joline? Und warum trägst du deinen Namen und eine Telefonnummer auf einem Plastikarmband bei dir? Die Antwort war so simpel, dass es beinahe weh tat: Weil das hier vermutlich nicht zum ersten Mal passierte! Vielleicht würde sich gleich alles aufklären!


Mit zittrigen Fingern holte sie das Handy aus der Tasche und starrte es unentschlossen an. Was, wenn alles ganz anders war? Wenn sie von dem Ort, an den die Telefonnummer führte, geflohen war? Vielleicht, weil es ein schlimmer und unerträglicher Ort war und sie jedes Mal floh und sich jedes Mal selbst wieder dorthin verfrachtete, weil sie jedes Mal gedächtnislos anrief?


Sie könnte auch die Polizei anrufen – aber dann? Hätte sie als Erinnerungslose nicht schlechte Karten? Vor allem, wenn die anderen die zwangsläufig glaubhaftere Erklärung für ihre derzeitige Situation hatten?


Vor Frust über ihre eigene Paranoia hätte Joline beinahe geschrien. Wütend auf sich selbst wählte sie die Nummer und wartete gespannt. Nach dreimaligem Läuten wurde die Verbindung hergestellt und eine Bandansage begann. Schon bei den ersten Worten hätte Joline beinahe angefangen zu weinen. Sie kannte diese Stimme. Und die Sätze, die folgen würden, ebenfalls. Sie war dabei gewesen, als sie zum ersten Mal gesprochen und aufgezeichnet worden waren. Vor einer halben Ewigkeit und in einem Leben, in dem ihr Leben beinahe normal gewesen war.


Trotz ihres Willens nicht zu weinen, traten nun erste Tränen in ihre Augen und zauberten einen trüben Schleier über die Welt. Aber sie musste sich zusammenreißen. Musste stark sein und weitergehen, tun, was die Stimme sagte. Sie hatte keine Zeit für Schwäche!


Noch bevor der Ansager ausgesprochen hatte, legte Joline entschlossen auf. Zum ersten Mal sah sie wieder Charakter und Willensstärke in den Zügen ihres Spiegelbildes. Eine Körperhaltung und ein Antlitz, das ihr wohl vertraut war. Mit einem seltsamen Hochgefühl ob des gelösten Rätsels drehte sie sich um – und wäre beinahe in den Mann hineingelaufen.


Sie hatte nicht gehört, dass er die Toilette verlassen hatte. Zum ersten Mal sah sie ihn wirklich. Alter Glanz und ein gehobener Status zeichneten sich auf seinen Zügen ab – und machten seinen optischen Verfall noch deutlicher. Und seinen Hass. Uralte Wut, der man sich niemals würde vollständig entziehen können. Sie manifestierte sich als Angst in Jolines Adern, ließ ihr Herz schneller schlagen, das Blut in ihren Adern rasen. Eine Gänsehaut lief über ihre Haut und brachte sie ebenso zum Zittern, wie der selbstgerechte Zorn des Alten, der sich in ihr festsetzte und unnachgiebig an ihren anderen Emotionen nagte. In seiner Welt gab es nur eins, den Feind. Alles drehte sich um ihn, jedes Gefühl, jeder Gedanke und jede Handlung.


Jolines Blick traf den des Mannes und die Vergangenheit holte sie ein: Gebrochene Augen, Körperteile, abgehackt, abgerissen, zerfetzt, Blut und Dreck, Asche und Feuer, ein stinkendes Kaleidoskop des Todes.


Vampirkriege! Wie zuvor kam das Wissen ungefragt und ohne Vorwarnung. Bilder der Zerstörung, der Vernichtung und des Wahnsinns riefen Übelkeit und Verzweiflung hervor. Der gesamte erste Eindruck, die Szenerie und die Geschichte hatten sich in wenigen Sekundenbruchteilen in Joline manifestiert, bohrten sich in ihre Seele und verdrängten jedes Glücksgefühl in ihr. Joline öffnete den Mund zu einem tonlosen Schrei.


Sie war weit gelaufen, aber nicht weit genug!


 


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