Suchbuch.de

Leseproben online - Schmökern in Büchern



Kategorien
> Fantasy Bücher > Stadt ohne Nacht
Belletristik
Bücher Erotik
Esoterik Bücher
Fantasy Bücher
Kinderbücher
Krimis & Thriller
Kultur Bücher
Lyrikbücher
Magazine
Politik, Gesellschaftskritik
Ratgeberbücher
regionale Bücher
Reiseberichte
Bücher Satire
Science Fiction
Technikbücher
Tierbücher
Wirtschaftbücher
Bücher Zeitzeugen

Login
Login

Newsletter
Name
eMail

Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Stadt ohne Nacht, Silke Katharina Weiler
Silke Katharina Weiler

Stadt ohne Nacht



Bewertung:
(64)Gefällt mir
Kommentare ansehen und verfassen

Aufrufe:
1117
Dieses Buch jetzt kaufen bei:
Drucken Empfehlen

Wie benommen schlich ich die Stiegen der Absteige hoch. Nicht die Tatsache, wie knapp ich der Explosion der Kette entronnen war, bereitete mir weiche Knie. Oh nein! Bolten war ein alter Bluthund, der Verrat meilenweit witterte. Was hatte er mit seiner kleinen Ansprache bezweckt? Waren es leere Worte gewesen, die mir einfach nur deutlich machen sollten, wer das Sagen hatte? Ein Tritt zwischendurch in die Flanke des Hundes, damit der sich noch einmal daran erinnerte, wer der Herr war? Oder hatte er wirklich etwas gespürt? Ich öffnete die Tür zu meiner Kammer so vorsichtig, als würde dahinter ein übellauniger Bär hausen. Die Truhe stand unangetastet an ihrem Platz. Wenigstens etwas. Nachdem ich die Tür verriegelt hatte, öffnete ich das Schloss, hob den schweren Deckel langsam an … und atmete auf.


Ala war inzwischen zu sich gekommen. Ihre dunklen Augen glühten vor Wut. Das bedeutete, sie war wohlauf.


»Ich werde jetzt deine Fesseln lösen und dir aus der Truhe helfen. Bitte, du darfst nicht schreien. Hast du gehört? Nicht schreien!«


Kein Nicken, keine Reaktion. Sie starrte mich nur an.


»In Ordnung«, antwortete ich an ihrer Stelle. Behutsam befreite ich ihre Hände und knetete die Taubheit aus ihren Fingern. Es war eine Geste, die ihr beweisen sollte, dass ich es gut meinte. Auch wenn ich sie gefesselt, entführt und mit Gallkäfern betäubt hatte. Ich ließ die Hände los. »Als Nächstes-«


Glühender Schmerz! Einer von Alas Fingern bohrte sich tief in mein Auge. Mit einem gequälten Aufschrei griff ich mir ins Gesicht. Es fühlte sich fast wie damals an, als ich mein rechtes Auge verloren hatte. Panik erfasste mich. Ala versetzte mir einen Stoß, dass ich hintenüberfiel und auf dem Rücken zu liegen kam, ein blinder Käfer, dem Tränen über die Wange rannen.


»Hilfe!« Sie hatte sich den Knebel aus dem Mund gerissen und fing an herumzuschreien. »Hilfe!« Ich spürte einen Luftzug, als sie aus der Kiste sprang. Aufs Geratewohl langte ich zu, bekam etwas zu fassen, einen Fußknöchel, und schon krachte Ala mit einem gewaltigen Rums auf den Boden. Ich zwang mich, mein brennendes Auge zu öffnen. Im gleichen Moment stieß eine Stiefelspitze gegen meine Brust. Ala trat mit dem freien Fuß nach mir aus. Bevor ich den Stiefel noch ins Gesicht bekam, gab ich sie frei und rappelte mich auf.


Ala war den entscheidenden Moment schneller als ich und erreichte die Tür vor mir. Sie berührte schon den Riegel, da griff ich ihr ins lange Haar und riss sie zurück. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen prallte sie gegen mich und ich schlang meine Arme um sie. Ala holte tief Luft. Gerade noch rechtzeitig presste ich ihr eine Hand auf den Mund und erstickte ihren Schrei zu einem dumpfen Grunzen. Jemand hämmerte gegen die Tür.


»Dextaa?«


Meine Wirtin! Was hatte die hier verloren?


»Dextaa?« Ihre unangenehm nörgelige Stimme bohrte sich durch das wurmstichige Holz. Sie hatte nicht nur die enervierende Angewohnheit, die letzte Silbe meines Namens wie ein »a« auszusprechen, sondern sie auch noch unnötig in die Länge zu ziehen.


»Ich bin beschäftigt!«, rief ich.


»Dextaa, ich habe Lärm gehört! Was ist denn nur los bei Euch?«


Ala wand sich in meinem Arm, bekam den Mund halb frei ‒ und biss zu. Ihre Zähne gruben sich in meine linke Hand, tief in das empfindliche Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein ziehender Schmerz schoss über mein Handgelenk in den Unterarm hinein. Ich sog Luft ein. »Eine Katze!«, keuchte ich. »Kam durchs Fenster rein.«


»Eine Katze?«


Ala versuchte mir mit den Fersen ans Schienbein zu treten. Ich zog sie fest an mich heran. Der Schmerz in meiner Hand war kaum noch auszuhalten.


»Aber ich habe doch ein Mädchen um Hilfe rufen hören.«


»Das war die Katze. Sie ist tollwütig.«


»Tollwütig, sagt Ihr?«


Dem Schmerz trotzend umklammerte ich Alas Unterkiefer und versuchte, ihn nach unten zu ziehen. »Lass mich los, du Biest«, zischte ich. Und an meine Wirtin gewandt brüllte ich: »Ja, tollwütig! Wollt Ihr mir helfen, sie einzufangen?«


»Tollwütig!« Die Wirtin schnappte hörbar erschrocken nach Luft. »Ihr macht das schon. Viel Glück!« Schon verzog sie sich, ich hörte die Stiegen unter ihren eiligen Schritten knarzen.


»Und ob ich das mache«, knurrte ich und hob Ala hoch, dass ihre Füße nur noch harmlos durch die Luft strampelten. »Ich werde dem Biest den Hals umdrehen.«


Da schüttelte Ala meine Hand ab, warf den Kopf einmal nach vorne und dann zurück. Sie traf genau. Mit einem Knirschen brach meine Nase. Ich ließ das Mädchen los. Warmes Blut lief mir über den Mund. Kleine Lichtpunkte zerplatzten vor meinem Auge. Ich sackte gegen die Tür. Wieder verschwamm mein Zimmer hinter einem Tränenfilm.


Ala rannte in den Raum hinein, zu den beiden halbblinden Fenstern, riss sie auf und beugte sich weit hinaus. Unter ihr ging es mehrere Stockwerke tief in einen winzigen Innenhof hinab. Sie setzte zu einem Schrei an, den sie sofort wieder verschluckte. Ihr musste eingefallen sein, wo sie sich befand, und dass es durchaus gute Gründe gegeben hatte, sie beim Passieren des Stadttores in einem Fass zu verstecken. Wie ein in die Enge getriebenes Tier lief sie hin und her, von einer Wand zur anderen, bis sie sich vor mir aufbaute. »Du verfluchter, doppelzüngiger, einäugiger Bastard einer verwanzten, verlausten, räudigen Ziege!«, stieß sie atemlos hervor, die Hände zu Fäusten geballt. »Wenn du nicht so erbärmlich wärst, würde ich dir das Auge ausstechen, oh ja, ich würde es dir ausstechen, das schwöre ich dir, und ich würde dich zurück in die Wildnis bringen, dorthin, wo ich dich gefunden habe, und dich auslachen, wenn du blind herumstolperst, bis du entweder in ein Wasserloch fällst oder die Järvale dich zerfetzen oder du verdurstest und die Geier deinen verdammten Kadaver aufreißen und sich um deine stinkenden, verfaulten Eingeweide streiten. Aber du bist so erbärmlich und schäbig und verachtenswert, dass es eine schlimmere Strafe ist, dich am Leben zu lassen, einfach weil du bist, wie du bist, und … und … ich hasse dich!«, spie sie voller Inbrunst und mit letzter Kraft aus. »Ich hasse dich dafür, dass du mich hierher verschleppt hast! Wie du mich hierher verschleppt hast! Gefesselt und geknebelt und ... ich hätte ersticken können, hörst du? Ich könnte jetzt tot sein! Ich hasse dich!« Schluchzend schlug Ala die Hände vors Gesicht, sackte in die Hocke und fing an zu weinen.


Ich sank langsam an der Tür entlang zu Boden. Meine linke Hand wies einen perfekten Abdruck von Alas oberer Zahnreihe auf. Die Bissmale hatten sich mit Blut gefüllt und pochten dumpf. In meinem Gesicht hingegen wühlte sich der Schmerz tiefer hinein. Ich musste durch den Mund atmen. Wie Gunder, dachte ich.


»Ich hätte die Järvale machen lassen sollen«, hörte ich Ala ein letztes Mal murmeln. Sie kroch in die Zimmerecke, die am weitesten von mir entfernt war, und fuhr fort zu schluchzen.


So saßen wir sehr lange auf dem Boden. Die Wirtin war fürs Erste bedient und ließ sich nicht mehr blicken. Es war so still, ich hörte das Ticken und Knistern der Holzwürmer im Gebälk. Die Sonne ging unter und Faaraahs Licht begann den Himmel mit seinen Ausdünstungen zu überziehen. »Ich liebe sie«, erklärte ich irgendwann leise, »verstehst du? Sie hat mein Leben gerettet. Und jetzt muss ich ihres retten. Aber ich weiß nicht wie. Ich kann es nicht alleine. Ich brauche Hilfe.«


Ala reagierte nicht. Mittlerweile hatte sie aufgehört zu weinen und kauerte stumm in der Ecke.


Trotz der Schmerzen nickte ich kurz ein. Ich hatte seit Tagen nicht geschlafen und die Schwäche überkam mich mit Macht. Als der Fußboden knarrte, war ich allerdings hellwach. Ala stand vor mir und sah auf mich herab. Ich zuckte zusammen und hob abwehrend die Arme. Zuerst hatte ich geglaubt, sie wollte mich niederschlagen. Doch ihre Hände waren leer. Mich beschlich der Verdacht, dass sie schon lange so da stand und mich beobachtete. Die Diele hatte nur geknarrt, weil sie es so gewollt hatte.


»Wie heißt sie?«, blaffte sie. »Die Frau, wegen der du mich verschleppt hast.«


»Gilla«, antwortete ich matt.


»Gilla«, wiederholte sie. Ihre Kiefer mahlten. Sie schien etwas mit sich auszufechten. Schließlich kniete sie sich hin und berührte meine linke Hand. Ein kurzes, blaues Aufleuchten und das bohrende Pochen war wie abgeschnitten. Sie strich über mein Gesicht und ich konnte wieder durch die Nase atmen. Ächzend ließ sie sich neben mir gegen die Tür fallen. »Ich sterbe vor Hunger. Mach mir etwas zu essen und erzähl mir von ihr.«


»Von Gilla?«


»Nein, von deiner Ziegenmutter, du Hohlkopf. Und bete, dass mich ihre Geschichte rührt. Dass ich auch nur einen Funken Mitleid für euch beide empfinde. Sonst steche ich dir dein blödes Auge doch noch aus.«


Für den Inhalt dieser Seite ist der jeweilige Inserent verantwortlich! Missbrauch melden



© 2008 - 2024 suchbuch.de - Leseproben online kostenlos!


ExecutionTime: 2 secs