Es schien ein Handgemenge zu geben, meinte Inger
aus den Geräuschen zu schließen, die nun folgten. Sie
trat einen Schritt vor, um vielleicht etwas sehen zu können.
Dabei trat sie auf einen Ast, der unter ihrem Gewicht
vernehmlich knackte. Okban packte seine Keule
fester, und nach einer kurzen Stille kamen aus dem Gebüsch
zwei Männer hervor, dürre, etwas sehnige Männer
in heruntergekommener Kleidung, in deren einem
Inger den Kesselflicker zu erkennen meinte, der vor Monaten
Gutturä aufgesucht hatte.
Beide hatten lange Messer in der Hand. Der Kesselflicker
aber, als er Ingers ansichtig wurde, schien einen
hysterischen Anfall zu bekommen. Er brach in schrilles
Gelächter aus, lachte und lachte, dass er sich an dem anderen
Mann festhalten musste. Endlich jedoch gelang es
ihm, zwischen einzelnen Lachern einzelne Worte hervorzustoßen.
„Klar!", japste er. „Die Heldin kommt gar
nicht erst hierhin!", und „Die läppische Hoffnung!"
Er lachte und japste und hielt sich an dem anderen
fest, der nicht genau zu wissen schien, wie er sich nun
verhalten sollte. Schließlich jedoch machte der Kesselflicker
eine plötzliche Bewegung, schlug dem anderen die
Faust vor die Schläfe und war mit einem Mal ernst.
„Los! Lauft!", raunte er. „Gleich wacht mein Bruder
wieder auf. Und dann wird er einen Alarm auslösen. Einen
Alarm, dass hier das Tal bebt - vermutlich zumindest."
Da packte Okban Inger an der Hand. Während Inger
noch darüber nachdachte, was sie soeben gehört hatte,
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zog Okban sie weiter, immer weiter den Hang hinauf.
Es war eher ein Stürzen und Schleifen als ein Laufen.
Okban ließ Inger nicht los, sondern versuchte viel Raum
zwischen sich und die beiden Kampfhähne zu bringen.
Endlich blieb er stehen, jetzt selber keuchend.
Er schaute Inger unsicher an. „Hast du genau verstanden,
was die gesagt haben?"
Inger war verwundert. Wieso sollte sie es nicht genau
verstanden haben?
Etwas unglücklich meinte Okban: „Das ging mir zu
schnell."
Jetzt erst begriff Inger. Die Menschensprache war für
Okban eine Fremdsprache. Hastig gab sie ihm das Gespräch
wider.
Während sie noch sprach, hörte sie ein Knacken im
Gebüsch. Von oberhalb schien etwas zu kommen, eine
Gruppe von Leuten vermutlich, rennend und durch den
Wald brechend. Inger stand erstarrt. Okban stellte sich
mit erhobener Keule schützend vor sie, immer noch keuchend,
verbunden an Seite, Schulter und Bein. Aber er
stand vor ihr, wenn er auch gegen die Übermacht keine
Chance hatte.
Es war eine Übermacht, die da kam, soviel konnte
selbst Inger hören. Nun aber musste sie, die hinter Okban
stand, ihren Speer umklammernd, bemerken, dass
auch von unten etwas kam. Ja, auch von unten rannte
etwas heran. Inger drehte sich um, während sie schon
die ersten Rufe von oben hörte. „Da sind sie!", hörte sie.
Und: „Schlagt sie tot!"
Inger drehte sich um, und von unten sah sie den Kesselflicker
auf sich zurennen. Er hastete und rannte, und
in Händen schien er eine Art Knäuel zu halten. Ehe noch
einer begriff, was es mit diesem Knäuel auf sich hatte,
war das Netz schon über Okban und Inger. Inger taumelte
gegen Okban. Sie standen da, das Netz über ihnen
beiden, und Inger sah an dem breiten Rücken des Trolls
vorbei nach vorne.
Mittlerweile war vor ihnen eine ganze Gruppe aufgetaucht,
die im Lauf innehielt und reichlich verwirrt
aussah.
„Wo sind sie denn hin?", rief der Magier mit dem
Kristall.
„Eben waren sie noch da!", schrie einer der Kämpfer.
„Schlagt sie tot!", brüllte ein anderer.
Inger aber stand da, eng an Okban gedrückt, unter
dem Netz, und rührte sich nicht. Rührte sich nicht, während
die Wachen nach ihnen suchten. Rührte sich nicht,
als sie den Kesselflicker erblickten, der soeben versuchte,
im Unterholz zu verschwinden. Rührte sich nicht, als
der Kesselflicker sich ergab und unter wüsten Drohungen
gefangen genommen wurde. Rührte sich nicht, als
der Kesselflicker unter hämischem Lachen erklärte, er
selber sei die gesuchte Heldin in genialer Verkleidung.
Rührte sich nicht, als der Kesselflicker schließlich abgeführt
wurde, gefesselt, die Arme auf den Rücken gebunden.
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