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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Elysia, Andra Bergan
Andra Bergan

Elysia


Die Wälder von Thystria

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Vorwort


Werter Wanderer Elysias!


Landet an, in Thystria und unternehmt einen Gang durch die prächtige Hauptstadt Medialon. Durchquert nach einem Rundgang die bewachten Stadttore und findet Euch in den üppigen Wäldern Thystrias wieder. Seid jedoch achtsam, denn in den Wäldern lauern Gefahren. Wappnet Euch, um Euer Leben zu verteidigen, solltet Ihr Euch fernab der öffentlichen Wege bewegen und haltet gleichsam Eure Augen gen Himmel gerichtet.


Durchwandert das Land, von Nord bis Süd und werdet gewahr, was Thystria an Schönheit und Abenteuer für Euch bereit hält. Achtet im Norden auf Eure Schritte, denn die Widerständler habe sich dort niedergelassen. Rastet an der alten Ruine, doch seid wachsam. Man munkelt, dass sich dort bisweilen dunkle Gestalten aufhalten. Erhascht einen Blick auf den göttlichen Asunabaum, doch wahrt die Gesetze der dort ansässigen Waldhexen. Kehrt in eine der Schenken im Süden ein, um Euch an deftigem Eintopf zu laben, doch meidet das moorige Umland, wo des Nachts die Seelen der bei der Flutkatastrophe Umgekommenen ruhelos umherstreifen und dunkle Magie gewirkt werden soll.


Möge der Segen der Götter Euch begleiten…


Prolog

Unruhig wälzt sie sich auf ihrem Lager, ihre Augenlider bewegen sich flatternd und instinktiv ballen sich ihre Hände zu Fäusten. Ihr Atem geht schwerer, während sie tiefer in ihren Traum eintaucht.

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…bereits seit Stunden liegt die junge Frau auf dem Lager aus Fell und Tüchern. Ihr stark gewölbter Bauch erzählt von dem Kind, das sie in sich trägt, doch ihr selbst kommt kaum ein Laut über die Lippen. Still und geduldig erträgt sie die Wellen des Schmerzes, die von der baldigen Geburt ihres ersten Kindes sprechen. Blaue Augen mustern sie, gefüllt mit Stolz und auch Sorge. Sie versinken in den smaragdgrünen Augen seiner Gattin, die sowohl Stärke als auch Schönheit ihr Eigen nennt. Vertraulich richtet er leise Worte an sie.
„Liebste, ich bin bei dir… bleibe bei dir.“
Ein dankbares, mit Liebe angefülltes Lächeln trifft ihn, bevor sich das Gesicht seiner Gattin erneut verzieht, als eine weitere Welle des Schmerzes ihren Leib durchfährt und ihr den Schweiß auf die Stirn treibt. Unruhig gleiten ihre Augen danach zum Fenster hinaus in die frühe Nacht. Gut kann sie abends von ihrem Lager aus Mond und Sterne sehen, doch beides ist heute Nacht nicht auszumachen und so scheint es, als wolle die junge Frau die Geburt zurückhalten.
„Liebste, gib nichts auf die alten Weisen!“
Fast streng erklingen die Worte des Mannes. Er hat den Blick seiner Gattin mitverfolgt und streicht ihr beruhigend über den Arm herab zu ihrer Hand. Kühl und sicher umschließen die kräftigen Finger des Kriegers ihre Hand, fassen sie sicher und haltgebend.
Die Heilkundige tritt näher ans Lager. Offen und ohne Scheu geht deren erfahrener Blick über den Unterleib der Gebärenden. Schließlich ergreift sie das Wort.
„Es ist so weit, Lord, Ihr solltet den Raum nun verlassen!“, gibt sie kurz und knapp Anweisung.
Ein bedeutungsvolles Stirnrunzeln, die Augenbrauen ziehen sich unheilvoll zusammen und nur die Stimme der Gebärenden weiß den aufsteigenden Unmut des Mannes an ihrem Lager zu besänftigen.
„Geh, Geliebter, du wirst unser Kind später in die Arme schließen können.“
Gepresst kommen ihre Worte, jedoch vermag sie selbst jetzt und in ihrem Zustand ihren Gatten zu beruhigen. Ein langer Blick des Kriegers geht zu seiner Gemahlin, danach erhebt er sich von dem Lager und überlässt die beiden Frauen widerwillig sich selbst.
Nur kurze Zeit später tönt ein langgezogener Schrei durch das Anwesen, gefolgt von einem leiseren Wimmern, das aus dem Mund des Neugeborenen kommt, geboren unter dem Finstermond, eine Nacht die dunkler nicht sein könnte.

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Die Bilder der Vergangenheit schwinden, die Farben verblassen und die Umrisse werden unscharf. Andere Bilder drängen sich in den Vordergrund. Die Formen verfestigen sich, die Farben werden intensiver. Heftig atmend wälzt sie sich auf ihrem Lager, als wolle sie ihren Träumen entfliehen.

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…Nebel über dem weichen Boden... langsam schreitet sie darüber. Die Landschaft ist karg und nichts erinnert an die gewohnten Wälder oder die üppigen Landschaften Elysias. Kein Laut dringt an ihr Ohr. Einzig ihre Schritte sind es, die schmatzende Geräusche erzeugen, derweil sie sich über schlüpfrigen Boden bewegen. Es ist finster, abgesehen vom bläulich schimmernden Nebel um sie herum, der ein wenig Helligkeit abgibt.
″Komm zu mir, mein Kind!″
Das Flüstern durchbricht die Stille, klingt lockend und zugleich unheimlich. Sie beschleunigt ihre Schritte so lange, bis sie rennt und ihr Atem stoßweise kommt. Plötzlich teilt sich die sie umgebende Dunkelheit. Glühende Augen, die sie aus der Finsternis heraus anzustarren scheinen - anmaßend, abschätzend. Eine bleiche Hand, ein magerer Finger? Sie ist sich unsicher, was sie aus der Ferne lockend zu sich heranwinkt. Sie bleibt stehen, will dem Ruf im Grunde nicht folgen und doch zieht es sie magisch an, lässt sie unweigerlich Fuß vor Fuß setzen. Je näher sie jedoch tritt, desto mehr verflüchtigen, entfernen sich sowohl die Augen, als auch die Hand. Sie hebt ihren Arm, will das, was immer sie zu sich ruft vom Weggehen hindern, als sich die Landschaft um sie herum verändert.
Sie steht inmitten von Dornengestrüpp, das gierig nach ihrer Kleidung, nach ihr selbst greift. Leicht sinken ihre Füße im Boden ein, als wolle der Boden selbst sie am Weitergehen hindern, sie festhalten.
″Es ist noch nicht an der Zeit″, vernimmt sie ein weiteres Flüstern, nun jedoch direkt hinter sich.
Die Stimme lässt sie erschaudern und hört sich zugleich vertraut an. Ihr stockt der Atem, als eine kalte Hand sich von hinten seitlich an ihren Hals legt. Fast sanft streifen die Finger darüber, schieben ihr langes Haar zur Seite. Kühler Atem, den sie an ihrer Halsbeuge spürt, jagt ihr einen Schauer des Grauens über den Körper.
„Du gehörst nicht hierher, doch gehörst du zu mir!“
Ihre Lider fallen über ihre Augen, während ein kalter Finger in zärtlicher Geste über ihr Gesicht fährt, es forschend betastet. Nahtlos geht er über, auf ihren Körper. Dort, wo er sie berührt, verspürt sie ein Prickeln, als würden sich im gleichen Moment Zeichnungen in ihre Haut fressen. Sie öffnet die Augen, verfolgt gebannt, wie die entstandenen Zeichen auf ihrer Haut zu glühen beginnen, das Dunkel der mondlosen Nacht durchschneidend.

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Keuchend kämpft sie gegen die Schatten der Nacht, nähert sich dem Licht. Einer Ertrinkenden gleich, schnappt sie nach Luft und öffnet heftig atmend die Augen. Sie liegt noch immer auf ihrem Lager. Ihre Haut hingegen pocht und pulsiert. Noch immer meint sie, den sie zeichnenden Finger zu spüren. Im aufsteigenden Licht des Tages erhebt sie ihre Hand, muss sich davon überzeugen, dass dies nur ein Traum war. Nur sehr langsam beruhigt sich ihr rasender Herzschlag und es braucht einiges an Zeit, bis sie erneut in einen Schlaf gleitet, der sie traumlos dem neuen Tag entgegen zu tragen vermag.


1 - Zwischen Leben und Tod

Geschäftiges Treiben herrscht im weitläufigen Hafengebiet von Medialon, der eindrucksvollen weißen Stadt am Meer, die von massiven Gebirgsausläufern eingerahmt und zugleich beschützt liegt. Die weitreichenden Ausläufer der Kaimauern, mit denen die großflächige Hafeneinfahrt abgesichert wurde, umrahmen diese gleich einer steinernen Umarmung. Vervollständigt wird die Hafeneinfahrt von zwei Wachtürmen rechts und links. Deren Wächter haben den Bug des eindrucksvollen, vikischen Schiffs mit dem unübersehbaren Drachenkopf am Bug bereits in weiterer Ferne ausgemacht. Dennoch wird kein Alarm ausgerufen.
An dem anreisenden Schiff ist keine bereit gemachte Bewaffnung erkennbar. Die Flagge, unter der Kapitän und Besatzung segeln, wurde hingegen gehisst und ist gut auszumachen. Das Schiff, samt Mannschaft, wird dem durchaus bekannten Jarltum Norium zugeordnet, denn überdeutlich ist der Wolf darauf zu erkennen, der in seinen Fängen die Morgensterne als Waffen mit sich trägt. Daher werden bereitwillig die Schleppschiffe ausgesandt, die das nordische Schiff von der Hafeneinfahrt an und bis zu den Docks von Medialon in den Hafen ziehen werden. Des Öfteren, regelmäßig landen Güter und Ladungen aus dem Norden Elysias hier an, tragen zur florierenden Wirtschaft und zum regen Handelsaustausch zwischen Syrania und Thystria bei. Wenig später ziehen die entsandten Schlepper das Nordschiff an die Docks von Medialon, der Haupt- und Hafenstadt Thystrias. Kaum sind die mächtigen Taue am Steg festgemacht, geht eine kleine Delegation von Viking, drei an der Zahl von Bord. Ihre Gewänder erzählen von kürzlich ausgefochtenen Kämpfen auf See, wurden recht notdürftig geflickt, Rüstungen behelfsmäßig ausgebeult. Groß sind die Männer, allesamt über sechs Fuß hoch. Eine breite Brust und ein ebenso breiter Rücken lässt ihre Gestalten wuchtig wirken und dass, obwohl die Männer wahrhaftig nicht als stämmig zu bezeichnen sind. Ihre Rüstungen sind von auserlesener Qualität. Hochwertige Lederunterbekleidung, darüber eisenbewährte Oberkörperrüstung. Der Schulterschutz ist mit prächtigem Fell abgesetzt, ebenso wie die Einfassung der eisenbewährten Handschuhe. Mehrfach gehämmertes, verstärktes Metall schützt ebenfalls die Oberseite der muskulösen Unterarme der Krieger.
Zwei der Viking führen Schilde mit sich, die sie friedvoll am Rücken tragen. Jeder der Männer ist dazu mit Schwertern ausgestattet, deren Knäufe aufwändig gearbeitet sind und die Prägung eines Bärenkopfes auf der Oberseite tragen. Sie alle gehören ein und demselben Clan an, dienen demselben Jarl in Syrania. Bis auf den jüngeren Viking, der einzig die Schatten eines dunkelblonden Dreitagebarts auf seiner unteren Gesichtspartie trägt, weisen die beiden anderen Männer dichte Vollbärte auf. Auffällig auch die kantigen Gesichter, die dichten Augenbrauen, die Zeugnis über die Herkunft der Männer ablegen, dass es sich bei ihnen um vikische Krieger aus Syrania handelt. Selbst das Schiff, der Dreimaster namens Nordstern, weist erst kürzlich durchgeführte Reparaturen auf. Die Krieger sind um gut zwei Köpfe größer, als die hier ansässigen Landor, die Bewohner der hiesigen, westlichen Ländereien von Elysia, weshalb so einige Augen deren Ankunft verfolgen. Eilends richtet der Älteste unter den Männern, er zählt bereits mehr als fünfzig Lenze, seine Fragen an den erstbesten Arbeiter am Hafen, während ein anderer aus der Gruppe der Angelandeten, sich mit dem Hafenaufseher auseinander setzt und ihm die sie ausweisenden Papiere unter die Nase hält, um den unplanmäßigen Aufenthalt in diesen Ländereien absegnen zu lassen.
„Ein Medicus! Sagt guter Mann, wo ist ein Medicus in dieser Stadt zu finden?“

Nach erhaltener Auskunft zieht die Gruppe tiefer in die Stadt, folgt im Gleichschritt dem ihnen gewiesenen Weg. So manch erstaunter und auch ehrfürchtiger Blick folgt auch hier den hochgewachsenen Männern, deren wettergegerbten und teils finster dreinschauenden Gesichter von raueren Gefilden Elysias sprechen. Die Krieger haben keinen Blick für die prachtvolle und geschäftige Stadt hier im Westen Elysias. Sie folgen einzig ihrem Ansinnen und das, mit eiligen, weit ausholenden Schritten.
Alltägliche Aktivität herrscht indessen auch tiefer in der Stadt am Meer vor, dem Dreh- und Angelpunkt von Thystria. Gekalkte Steinmauern zieren die hiesigen Häuser mit deren roten Ziegeldächern, säumen die Stadt und vermitteln dem Besucher einen ersten Eindruck, der imposanten Hauptstadt Thystrias. Die Stadt ist groß, wie auch weit verzweigt. Ringförmig ziehen sich die Kopfsteinpflasterstraßen und -gassen um den Mittelpunkt der Stadt, weshalb aufgestellte Wegweiser den Besuchern die Orientierung innerhalb Medialons erleichtern sollen.


Der Handelsbezirk befindet sich im nördlichen Teil der Stadt, wo sich zugleich der gut besuchte, öffentliche Markt befindet. Die Handwerker sind dagegen im Süden der Stadt zu finden, nicht weit von den eindrucksvollen Stadttoren, die aus Medialon herausführen. Im östlichen Bereich ist hingegen das herrschaftliche Kastell des hier regierenden Premierbarons angesiedelt, zudem ist gleichfalls der Sitz der Gerichtsbarkeit dort zu finden.
Eindrucksvoll erheben sich Türme weit in den Himmel, mittig über der Stadt, sind von jedem Punkt in Medialon aus zu sehen. Die hier beheimatete Wächterschaft des Wassers ist hier zu finden, gut beschützt durch hohe Mauern und streng bewachten Zugang. Auf dem höchsten der Türme prangt ein riesiger Kristall, der bereits die ersten Sonnenstrahlen des frühen Tages auffängt, die ihn in sattem Dunkelblau erstrahlen lassen.
Köstliche Aromen von Kräutern, Blumen, Leder und Holz mischen sich unter die Morgenluft, untermalen das pulsierende Leben der Händler, Handwerker und Bewohner. Es ist frisch an diesem Morgen, doch schon zur jetzigen achten Stunde des Tages, verspricht es ein herrlicher Tag zu werden, im späten B‘Alhe, dem Mittsommer.

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Eine Faust donnert gegen die massive Holztür, die kurze Zeit später von einem schmächtigen, älteren Mann im Arbeitskittel geöffnet wird. Aus dem Inneren des Hauses zieht der intensive Duft von Kräutern, Tinkturen und Essenzen durch den nun leicht geöffneten Türspalt.
„…was zum Henker…“, setzt der Medicus an und verstummt, angesichts des eindrucksvollen Kriegers vor ihm, der das Wort an ihn richtet.
Die spärlichen, wild gewachsenen grauen Augenbrauen des Stadtmediziners werden in die Höhe gezogen, musternd wandern dagegen die kleinen, müden Augen des Medicus über den Besucher. Er selbst ist deutlich kleiner, schmächtiger als der Krieger vor sich und tiefe Falten durchziehen sein hageres Gesicht.
„Wir benötigen Eure Fertigkeiten und… ein Wunder“, erklärt sich der Besucher gegenüber dem Medicus. Die Worte werden von dem älteren vikischen Kriegers vorgetragen, Wortführer der kleinen Delegation. Sorge steht in den Augen des Viking geschrieben, dessen Braun so dunkel ist, dass es eher schon einem Schwarz gleicht.
Eingereiht in die Gruppe der Krieger wird der schmächtige Medicus nur wenig später zum Schiff geleitet. Eile treibt die Männer an, die ihn begleiten und so hat der Landor Mühe, den ausgreifenden Schritten der syranischen Männer gerecht zu werden. Daher schnauft er deutlich, als er schließlich die Planken überquert, die Schiff und Landesteg verbinden. Unverzüglich wird er in die Kapitänskajüte geführt, deren Tür sich kurz hinter ihm schließt.

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„Mehr kann ich nicht tun“, kommt es mit Bedauern seitens des Medicus, als er einige Zeit später die Kajüte wieder verlässt.
Seine Hände sind nur notdürftig gereinigt, schimmern noch immer rötlich, wohl von einer oder gar mehreren, notdürftig versorgten Wunden seines Patienten. Ein wenig umständlich verstaut er die letzten Utensilien wieder in seinem Lederkasten, den er bei sich trägt.
„Ihr könnt nur für ihn beten, dass sein letzter Gang recht schnell und schmerzfrei stattfinden möge“, richtet er seine vorläufig abschließenden Worte an den Hünen neben sich, der daraufhin schmerzvoll das Gesicht verzieht, dann jedoch vehement den Kopf schüttelt.
„Nein, es muss noch eine Möglichkeit geben. Er ist ein guter Junge, versteht Ihr? Mein Freund und fast wie ein Sohn für mich. Das kann und wird hier nicht enden. Nicht so“, begehrt der Älteste unter den Viking auf, während sein Blick auf der Kajütentür seitlich von ihm liegt.
Der Blick des Medicus folgt ihm, nachdenklich reibt dieser sein Kinn.
„Nun, vielleicht gäbe es… doch nein. Es ist ein Wagnis und wer weiß, ob Euch dort wirklich Hilfe zuteilwerden würde“, fasst er seine Gedanken flüchtig in Worte, senkt zaudernd und mit zweifelndem Blick sein Haupt.
„Was? Wer? Wovon redet Ihr“, hakt der Viking nach und sein Gesichtsausdruck macht deutlich, dass er nicht eher Ruhe geben wird, ehe er nicht die gewünschte Auskunft erhält.
Das wird auch dem Medicus klar, der seinen Blick auf das entschlossene Gesicht des Kriegers legt. Sichtlich zuckt der Mediziner zusammen, wischt seine freie Hand abermals an seinem Arbeitsgewand ab, ohne dadurch wirklich das restliche Blut an seinen Händen zu entfernen. Seine andere Hand umfasst den Tragegurt seines Kastens derweil so fest, dass seine Fingerknöchel spitz hervorstechen. Es scheint eine Geste des Nachdenkens, oder auch der Furcht zu sein, ehe er sich vertraulich zu dem Viking beugt, sich vorab in alle Richtungen umblickend, als wolle er Lauscher ausschließen.
„Man erzählt sich von mächtigen, wie auch heilkundigen Frauen in den Wäldern von Thystria, die der Heilkunst frönen und zweifelhafte Rituale wirken sollen… des Nachts und im Geheimen“, flüstert er dem Viking entgegen. Zeitgleich erfasst ein Schaudern seine Gestalt, lässt ihn erzittern, ehe er sich wieder beruhigt und mit flüsternder Stimme fortfährt. „…sie sind und bleiben für sich, nennen sich selbst die Vixen. Bezeichnen und sehen sich als Wächter und Hüter des Asunabaums. Doch…“
„Wo können wir sie finden, guter Mann?“ Hoffnung regt sich in dem vikischen Krieger, er will jede noch so kleine Möglichkeit in Betracht ziehen, um dem Mann, der schwer verletzt in der Kajüte weilt, zu helfen und dessen Leben zu retten.

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Vier kräftige, große Hengste durchqueren samt deren Reitern das Stadttor von Medialon stadtauswärts. In der Mitte ein fünfter, der vor einen groben Karren geschirrt ist, auf den ein Mann weich und sicher gebettet im Dämmerschlaf liegt. Er ist kaum auszumachen, so dicht schließt sich die Reiterschaft um ihn herum. Starke Rösser, die Nüstern aufmerksam und auch neugierig gebläht, der Schweif bewegt sich temperamentvoll. Die Pferde wirken, als wären sie allesamt kriegserprobt, gleich ihren Herren, die wohl bereits mehr gesehen haben, als so manch unbedarftes Auge. Die Hengste geben sich gefügig unter ihren Reitern, folgen selbst der kleinsten Anweisung, während die syranischen Krieger den Weg in die üppigen Wälder von Thystria einschlagen.

Die Nacht kündigt sich mittlerweile über den Wäldern Thystrias an und selbst das Rascheln der Bäume scheint leiser geworden zu sein. Dichte Wälder, mannigfaltige Baumarten, Sträucher und Blumenmeere – all das liegt nun im Silber des fahlen Mondes, der langsam höher steigt und seine Herrschaft über die Nacht beansprucht. Sogar die Bäche, die sich hier und da ihren Weg durch die Landschaft gebahnt haben, fließen leiser. So wandelt sich das fröhliche Plätschern über Tag, während der Nächte hin zu einem Flüstern. Feuerflügler, Irrlichter und andere, hier beheimatete Leuchtinsekten und –tiere sind zu dieser Zeit hingegen gut auszumachen und tauchen die dunklen Gräser, Farne und Blumenmeere inmitten der Flora Thystrias in ein magisch anmutendes Lichterspiel.
Abseits der Wege, der Reiserouten, die quer durch das Land führen und die hiesigen Städte und Dörfer miteinander verbinden, weit tiefer inmitten dieser Wälder, Wiesen und Felder, ist in der Ferne ein übergroßer Baum auszumachen, dessen Blätterwerk eindrucksvoll dem Dunkel der aufsteigenden Nacht trotzt und das Mondlicht auf seinen Blättern widerzuspiegeln scheint, was dem mächtigen Baum dadurch den Anschein einer magisch-silbernen Aura verleiht. Emsiges Treiben herrscht am und im Baum, inmitten des mächtigen, weitreichenden Geästs. Hängebrücken verbinden die weiter auseinander liegenden Vergabelungen, hölzerne Plattformen wurden in luftigen Höhen errichtet, auf denen gut sichtbare Unterkünfte und Lager als praktische, schlichte Behausungen errichtet wurden, die sich harmonisch mit dem Baum verbinden. Fackeln erhellen die luftigen Wege und geben zugleich preis, wie immens und weitläufig die Gemeinschaft ist, die sich hier niedergelassen hat und wahrhaft im Baum ansässig geworden ist. Doch scheint der Gemeinschaft der hier lebenden Landor etwas zu fehlen. So sieht man einzig weibliche Bewohner, dafür jedoch in jeglicher Altersklasse. Schlicht gekleidete Mädchen und Frauen, die sich behände und sicher über die Hängebrücken bewegen und selbst zu dieser späten Stunde noch emsig und beschäftigt wirken. Grob wollene Roben in den Farben der Natur verhüllen ihre Körper. Ihr Haupt und Haar wird bedeckt von weiten Kapuzen und nur wenige Frauen haben diese in den Nacken geschoben. Alt und Jung leben hier beisammen, scheinen einander im Austausch von Kraft, Erfahrung und Lehren zu ergänzen. Und obwohl eine große Anzahl von Bewohnern hier lebt, herrscht inmitten des Baumes nur ein Flüstern vor, durch das sich die hier Lebenden verständigen, als wollten sie die nächtliche Ruhe der Natur keinesfalls stören.

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Fiebrig und zitternd liegt Aidhan auf einem schlichten Lager aus Fellen und Decken. Seine nackte, breite Brust, gezeichnet von Narben und Wunden, von denen einige frisch, andere schon älter sind, hebt sich schwer und stockend im fahlen Mondlicht. Mit letzter Kraft scheint er am Leben festzuhalten. Nur kurz öffnen sich seine blauen Augen. Glänzend und unruhig treffen sie auf die smaragdgrünen Augen einer jungen Frau, die aufmerksam auf seinem Gesicht ruhen. Schmale, zarte und leicht kühle Hände machen sich an seinem Kopf zu schaffen. Eine tiefe und gezackte Wunde findet sich dort, die den mächtig ausgeführten Schlag eines Streitkolbens rückschließen lässt und wohl aus nur einem Grund nicht tödlich endete, weil vermutlich ein Helm das Haupt des Mannes schützte. Aidhans kohlschwarzes Haar ist verfilzt und blutverklebt. Am Oberarm des Verletzten klafft eine weitere, lange und eitrige Wunde, die hingegen von einem Schwert stammen dürfte, wie auch der tiefe Einschnitt an der rückseitigen Wade des Kriegers.
„Bleibt ruhig, Ihr macht es nur schlimmer, wenn Ihr Euch viel bewegt“, richtet sich die leise, melodische Frauenstimme an Aidhan.
Sein Kopf wird sachte angehoben, ein grober Tonbecher an seine Lippen geführt, aus dem der Geruch von faulig riechendem Heiltrank aufsteigt.
„Trinkt!“
Eine knappe Anweisung, die jedoch einem Befehl gleicht. Folgsam, nur verhalten zögernd, folgt der Krieger der Aufforderung, zwingt das eklig stinkende und faulig schmeckende Gebräu durch seine raue, trockene Kehle. Seine Mundwinkel verziehen sich angewidert nach unten, kurzweilig scheint er gegen einen Würgereiz anzukämpfen, ehe die Bewusstlosigkeit ihn wieder heimsucht. Kraftlos sinkt sein Kopf zurück in die stützende Hand des Mädchens, das an seinem Lager wacht. Aidhan zugleich vom Schmerz erlösend, der in seinem Körper tobt, umarmt erneut die Dunkelheit.

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Kraft durchströmt seinen Körper, kehrt in seine Glieder zurück. Vorsichtig versucht Aidhan die Hand zur Faust zu ballen, als zeitgleich ein sengender Schmerz durch seinen Arm schießt und ihn von seinem Vorhaben Abstand nehmen lässt. Erneut schlägt er die Augen auf, sein Blick fällt auf die Frauengestalt, die neben ihm auf dem Rand seines Ruhelagers sitzt, ihm derzeit den Rücken zukehrt. Die Ärmel ihres Kleides sind hochgekrempelt, geben den Blick auf junge, recht blasse Haut frei. Dennoch sind diese Arme nicht kraftlos. Feingliedrige Hände wringen ein Leinentuch über einer groben Schüssel aus. Leichter Dampf, der streng noch Kräutern riecht, steigt daraus empor, so scheint es sich um eine warme Flüssigkeit zu handeln, die Aidhan jedoch nicht sehen kann. Eine kurze Drehung von ihr, dann trifft ihr Blick den seinen, hält sie jedoch nicht von ihrem Vorhaben ab, seinen verwundeten Oberarm mit dem getränkten, nach Kräutersud riechenden Tuch zu betupfen.
„Ihr seid wach“, stellt sie erleichtert fest, den Blick hernach auf die Versorgung seiner Wunde richtend.
Sie verleitet Aidhan dazu, ebenso dorthin zu sehen. Feinster Schafdarm hält die zuvor klaffende Wunde an seinem Oberarm nun zusammen. Die Naht sticht hell ab, von seiner durchgehend sonnengegerbten Haut und erweckt zugleich den Anschein, aus der Hand eines Schneidermeisters zu stammen, so sauber und akkurat, wie die Wunde vernäht wurde. Selbst der Wundbrand ist größtenteils gewichen, sind die Ränder der Verletzung längst nicht mehr so stark angeschwollen und verfärbt.
„Seid Ihr… eine Göttin?“
Aidhans Mundwinkel zucken amüsiert, lassen seiner Frage keinen wahrlich ernsthaften Gedanken anhaften, währenddessen sein Blick erneut über die Frau geht, die an seinem Lager weilt. Aidhans sonst dunkle, angenehme Stimme klingt derzeit brüchig und heiser, weshalb er sich räuspert, um sie zu festigen. Sein Blick fällt auf ein ebenmäßiges, herzförmiges Gesicht. Jung, und doch steht Erfahrung darin. Das Mädchen mag vielleicht siebzehn oder achtzehn Sommer erlebt haben. Smaragdgrüne Augen, die neugierig und doch wissend blicken. Ein Mund, der… Aidhan räuspert sich erneut. Blickt sie an, und zeigt damit recht deutlich, dass er noch immer auf eine Antwort von ihr wartet.
„Nun, an manchen Tagen fühle ich mich durchaus wie eine Göttin, doch im Grunde bin ich eine Hexe aus den Wäldern, wenn man den Landor Glauben schenken sollte“, erklärt sie mit ernster Stimme, doch tanzen kleine Funken der Belustigung in ihren Augen mit.
Ein ungläubiges Brummen aus der Tiefe seiner Kehle macht allzu deutlich, dass ihre Gestalt für Aidhan so gar keinen Vergleich zu einer Hexe zulässt. Dennoch lässt er das Gespräch nach ihrer Anmerkung für einige Augenblicke ruhen, wohingegen seine blauen Augen noch immer auf ihr verweilen, ihre Gestalt neugierig und auch detailliert mustern.
„Wie fühlt Ihr Euch?“, nimmt sie nach einer Weile das Gespräch erneut auf.
Das Tuch liegt inzwischen wieder in der Schüssel, sie hingegen wischt sich ihre noch feuchten Hände an dem Rock ihres Kleides ab, um ihren Handrücken danach prüfend auf seine Stirn zu legen, dem ein sichtlich zufriedenes Nicken von ihr folgt.
„Stärker“, antwortet er ehrlich, versucht noch einmal mit seiner Hand eine Faust zu ballen.
„Lasst das besser noch sein. Eure Wunde hat sich noch nicht ganz geschlossen!“
Sanft und doch Einhalt gebietend, legt sich ihre Hand über seine angedeutete Faust. Rasch zieht sie ihre Rechte kurz darauf zurück, verlegen hüstelnd. Als wäre nichts gewesen, beginnt sie, seine Wunde am Oberarm mit einem zähen, grünlichen Pflanzenbrei zu bestreichen, ehe sie die versorgte Wunde im Anschluss daran mit sauberen Leinenstreifen verbindet.
„Wie bin ich hierher gelangt?“
Neugierig dreht Aidhan den Kopf, versucht seine nähere Umgebung zu erfassen und staunt nicht schlecht, als er aus einem kleinen Fenster blickt, das sich nahe zu seinem Lager befindet. Aidhan findet sich in einer kleinen Hütte, inmitten satter Natur. Jedes der kleinen Fenster seiner derzeitigen Unterkunft geben den Blick auf silbern schimmernde Blätter frei und auch auf weitere Behausungen, mitten in einem Baum. Einem Baum? Ungläubig verlässt sein Blick diese merkwürdigen Anzeichen einer Siedlung, fällt direkt aus der gerade offenstehenden Holztür hinaus. Hängebrücken kann er ausmachen, auf denen sich vereinzelt andere Frauen bewegen. Verwirrt und nachdenklich zieht Aidhan seine Brauen zusammen, hebt sein Haupt auf dem ruhenden Kissen weiter an, um besser sehen zu können, weitere Details auszumachen. Mächtige mannsbreite Äste, geschmückt mit dichtem und silbern schimmerndem Blätterwerk, die sich träge im lauen Wind des Tages bewegen, geben ein leises Singen von sich. Sie bilden ein zusätzliches, natürliches Dach über dieser Siedlung und lassen Aidhan seine Augen langsam wieder schließen. Er bezweifelt stark, dass er wirklich wachen Zustands ist, als ein leises Lachen ihn seine Lider erneut heben lässt.
„Wir sind die Vixen“, erklärt seine Pflegerin ruhig. „Eure Gefährten brachten Euch zu uns, da Ihr dem Tode näher wart als dem Leben. Ihr befindet Euch in den Wäldern von Thystria, knapp anderthalb Tagesritte von Medialon entfernt“, klärt sie ihn auf.
„Gowan, Finnigan, Torben?“, murmelt er leise, atmet tiefer aus, wobei er sie fragend anblickt.
Ihr bestätigendes Nicken, zu den Namen seiner ihn begleitenden Gefährten, nimmt er sichtlich beruhigt zur Kenntnis. Vorsichtig streckt er sich auf dem Lager aus, legt sich ein wenig bequemer hin.
„Eure Gefährten haben um Euer Leben gebangt und…“ Leise lacht sie auf, fast ein wenig stolz wirkt ihr Blick dabei. „…als der Medicus in der Stadt nicht wirklich helfen konnte, haben sie Euch hierhergebracht.“
„Wie lange bin ich bereits hier?“
„Lasst mich nachdenken… Ihr habt drei ganze Tage im Fieber verharrt, wart zwischendurch einmal kurz wach und seid, nur wenig später, erneut weggedämmert.“
„…und Ihr habt an meiner Seite gewacht, die gesamte Zeit über?“, hakt er nach, zugleich einen anerkennenden Blick auf seinen verbundenen Oberarm werfend. „Das… ist Euer Werk, …?“
Er lässt heraushören, dass er neugierig auf den Namen seiner Heilerin ist. Knapp und bescheiden nickt sie, seiner geäußerten Anerkennung hingegen kaum Beachtung schenkend.
„Fürwahr, ich habe Euch und Eure Wunden versorgt, Euch mit Laudanum im Zaum gehalten.
Nennt mich Evienna und Euer Name ist Aidhan, richtig?“
„Evienna, wo… wo sind meine Gefährten“, erkundigt Aidhan sich, auf ihre Nachfrage zu seinem Namen hingegen zustimmend nickend.
Auf seine Unterarme abgestützt, richtet der Viking seinen Oberkörper auf, seinen Blick dabei suchend über die Umgebung streifen lassend.
„Eure Euch begleitenden Männer halten die Vereinbarung mit Matrone Frederika ein, unserem Oberhaupt. Sie sorgen für die Auffüllung unserer Vorräte für den S’Alar, den Mittwinter.“
Irritiert blinzelt Aidhan auf diese Aussage hin, die für ihn derzeit keinen Sinn ergibt. Einmal, dann noch einmal. Vorerst lässt er Eviennas Anmerkung unkommentiert, während ihm jetzt erst auffällt, dass sich in der Siedlung ausschließlich Frauen aufhalten, hier… leben?
„Und eure Gefährten? Also die männlichen? Wer beschützt Euch?“, hinterfragt Aidhan seine Beobachtung, seine Heilerin unterdessen erneut musternd.
Dabei muss der Krieger sich zwingen, den Blick auf Eviennas sinnliche Lippen zu meiden, auf ihre niedlichen Mundwinkel, die den Anschein erwecken, als würde sie stets lächeln und ihre blonden, langen Locken, die den Anschein erwecken, als sei sie wahrhaftig eine Göttin.
„Wir leben ohne Gefährten, ohne Männer und schützen können wir uns sehr gut selbst. Matrone Frederika ist unsere Anführerin, unsere Älteste“, gibt sie ihm die schlichte Erklärung und es scheint für sie etwas Natürliches, Gewohntes zu sein, dass die Frauen hier unter und für sich leben.
„Trinkt das, Aidhan, und dann ruht Euch aus.“
Erneut der grobe Tonbecher an seinen Lippen. Schon wieder steigt daraus der ekelhafte Geruch von Schimmel unangenehm in seine Nase und doch trinkt er das Gebräu, den angewiderten Ausdruck auf seinem Gesicht heldenhaft niederringend. Sanft drückt Evienna seinen Oberkörper daraufhin zurück auf das Lager und er, neuerlich erschöpft und auch schläfrig, lässt es geschehen. Kaum das sein Rücken das Lager berührt, ist er bereits zurück in einen Schlaf gefallen. Nun jedoch ist es ein Schlaf der Heilung und des Lebens. Nur entfernt, tief in seinem Unterbewusstsein, nimmt er die leichte und vielleicht auch neugierige Berührung von Fingerspitzen wahr, die sanft die ihm wohlbekannten älteren Narben auf seiner Brust nachfahren und dabei ein angenehmes Kitzeln auf seinem Oberkörper hinterlassen.

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Aidhan verschläft den restlichen Tag und auch den folgenden. Daher bekommt er nicht mit, dass seine Gefährten, wie jeden Abend, in das Dorf zurückkehren und Gowan unverzüglich an sein Lager eilt, um sich von Aidhans Zustand zu vergewissern. Seine drei treusten Kameraden sind gleichsam hier bei der Gemeinschaft verblieben, einzig ein Krieger, der Aidhans Transport zu den Vixen begleitet hatte, wurde zurück nach Medialon entsandt. Aufgrund des bedenklichen Zustands seiner Gesundheit wurde von Matrone Frederika, der Anführerin der Gemeinschaft der Vixen, eine Ausnahme gemacht. Den syranischen Kriegern wurde von der Matrone eine ehemalige Lagerhütte zugewiesen, die sie für die Dauer ihres Aufenthalts nutzen dürfen. Wohlüberlegt von der Matrone, befindet diese sich jedoch deutlich weiter entfernt von der hiesigen Gemeinschaft, der hier lebenden Frauen.
Während die Gemeinschaft der Vixen sich nun mit der Heilung des jungen Viking beschäftigt, sorgen seine Gefährten durch tägliche Jagd für ein Zubrot zu Gunsten der Vixenschwestern. Es war eine Bedingung, die Matrone Frederika mit Gowan ausgehandelt hat, als Entlohnung für die Unterstützung, die den Nordmännern unterdessen zuteilwird. Gowan, als ältester und langjähriger Begleiter Aidhans, hat sich sofort damit einverstanden erklärt und somit sorgen er und seine Gefährten für frisches Wild für die Vixen. Wie im Flug vergehen die Tage und Aidhan schreitet fortwährend seiner Genesung entgegen. Und auch wenn Gowan bis heute noch nicht herausgefunden hat, wer oder was die Vixen in Wirklichkeit sind, so kann er nicht umhin, ihnen ein gehöriges Maß an medizinischen Kenntnissen zuzugestehen. Zu gut weiß er, dass sein Freund und Gefährte ansonsten längst zu betrauern wäre.


2 - Gepflegte Feindschaft

„Ihr Hunde, stützt den Hauptmast ab, ehe er uns erschlägt!“
Der lautstarke und unmissverständlich ausgerufene Befehl schallt, einem Orkan gleich, über das Deck des angeschlagenen Nordschiffes, das, nach dem überstandenen Sturm nahe Thystrias, nunmehr auf den seichten Wellen des Tysanischen Ozeans schaukelt. Die Segel der Ursus, die unversehrt geblieben sind, wurden inzwischen gerefft, die beschädigten flattern hingegen noch, teils in Fetzen, im lauen Seewind des ruhigen Ozeans. Holztrümmer liegen vereinzelt auf dem Oberdeck und dunkle Blutflecke auf den Planken sind die verbliebenen, stummen Zeugen der erst kürzlich stattgefundenen Kämpfe.
Roald Aresacen, der Kapitän und Befehlshaber des in Mitleidenschaft gezogenen Dreimasters, steht an der Reling der Ursus und stiert, nach dem an seine Mannschaft gebellten Befehl, über das Meer hinweg, ohne dabei jedoch einen bestimmten Punkt anzuvisieren. Man sieht seinem derben und von unzähligen Bissnarben entstellten Gesicht an, dass die Wut noch immer unvermindert in ihm brodelt und schon verlässt ein derber Fluch seine Lippen, bei dem er seine Pranken so fest um das Holz der Schiffsreling schließt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten.
„Dieser verfluchte Wolfskadaver! Mögen die Götter seinen Leib mit Würmern füllen und sein Blut in Lava verwandeln!“
Seinen zähen Speichel durch die Kehle hochziehend, spuckt er diesen anschließend über die Reling und verfolgt mit seinen Augen, wie er acht Fuß tiefer auf dem Meer landet und sich dort verflüchtigt. Es war nicht das erste Aufeinandertreffen zwischen Aresacen und dem jungen Kapitän aus dem Hause Morgenstern und schon gar nicht das letzte, wenn es nach Roald geht. Zu hell lodert noch immer sein Hass. Hass gegen Syrania, Hass gegen das Jarltum Norium, Heimat des Clans Morgenstern und Hass generell auf die ach so gefügigen Elysianer, die so brav und treu dem Regime folgen, das sich alle fünf Jahre über die Einwohner erhebt und sie für einen weiteren, unseligen Zeitraum einmal mehr in die Knie zwingt.

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Selbst nach all den inzwischen vergangenen Jahren kann Roald die Pechfackeln noch immer vor seinen geschlossenen Augen sehen, die seine unselige Vertreibung aus Haus und Clan begleitet hatten.
Mehr als dreizehn Jahre ist es her, dass Roald sich gezwungen sah Clan und Heim hinter sich zu lassen. Inmitten einer Clanssitzung hatte er offen aufbegehrt und die Anwesenden als blinde Narren bezeichnet, die sich der Willkür aus Kyrallia unterwerfen, ohne nachzudenken. Schon länger hatte es Unruhen innerhalb dieses und anderer Clans gegeben, als die Beträge des Goldes, die geforderten Abgaben immer höher wurden, die an Kyrallia zu übergeben waren. Die Erklärung des Regimes hingegen, worauf die angehobenen Abgaben begründen, blieb hingegen aus, was nicht anders zu erwarten war. Lautstark und auch mit Fäusten, wurden die an diesem Abend von Roald geäußerten, öffentlichen Anschuldigungen debattiert und endeten mit seinem unehrenhaften Ausschluss aus der Gemeinschaft Syranias. Ulrik Morgenstern, sein einstiger Waffenbruder, war dabei einer seiner Hauptgegner, so wurde ihm später berichtet, und noch in dieser Nacht hatte der Schakal, wie man Roald überall nennt, auf Rache geschworen.


Vertrieben und allein auf sich gestellt, hatte Roald sich am Wallischen Gebirge niedergelassen, beraubt seiner Güter und seines Goldes. Schnell sprach sich herum, was in der Feuernacht nach dem Clanstreffen geschehen war und hatte zur Folge, dass sich ihm einige andere Syraner anschlossen, die seine Meinung teilten und unter seiner Führung ihre ganz eigene Siedlung gründeten, inmitten der eisigen Gebirge des Nordens. Die Clans ließen die Ausgestoßenen in Frieden, doch Handel und auch Versorgung wurde ihnen versagt. Die Männer und Frauen waren von nun an auf sich selbst gestellt und der Gedanke an Piraterie kam unter ihnen auf, gärte und wütete so lange vor sich hin, bis der wohl härteste Mittwinter kam und zu einer folgenschweren Entscheidung führte.
Die wenigen Vorräte wurden knapp und nur zu oft blieben die Fischreusen unzureichend gefüllt. Selbst der Wildbestand war in diesem Winter spärlicher, als hätten die Tiere geahnt, dass eine Zeit der Not kommen würde und so hatten sie ihren Nachwuchs bei einem Minimum gehalten. Der wilde Clan überlebte diese Monate nur notdürftig und mit hohen Verlusten. So einige Tote waren zu beklagen, darunter auch gute Männer, standhafte Krieger.
Im darauffolgenden I’Alei, im Grafea, dem dritten Monat des Jahres, hatte der Clan der Wildfennen, wie sie sich nun nannten, schließlich mit dem Schiffsbau begonnen und ihre inzwischen recht groß gewordene Siedlung aufgeteilt, wovon die neue Siedlung näher an den Tysanischen Ozean verlegt wurde, in eine von hochoffiziellen Clans unbesiedelte Gegend. Roald, der Schakal, wurde nun auch offiziell zum Anführer der Wildfennen, zum Jarl gewählt und war fortan stetig auf der Reise zwischen den Dörfern, um sowohl die versorgenden, als auch die schiffsbauenden Bewohner anzuleiten.
Bereits im B’Alhe, dem Mittsommer, wurden die ersten Reisen auf den Meeren Elysias begonnen und brachten dem Clan neue Vorräte, Gold und Handwerksmaterialien ein, wenn auch nicht immer auf legale Art und Weise. Von dieser Zeit an wurden sie fortan von den Gesetzestreuen gejagt und ein Kopfgeld auf einen jeden Widerständler ausgesetzt.
Es war der Beginn, der offenen Kämpfe. Die Zeit, in der sich die Kunde in Elysia ausbreitete, dass es Rebellen und Aufrührer gab, die sich dem herrschenden Regime in Kyrallia entgegenstellten. In den darauffolgenden Jahren entstanden Schwarzmärkte, Umschlagplätze der Geächteten, wo eigener Handel und reger Tausch betrieben wurde. Aus allen Himmelsrichtungen mehrten sich fortan die Meldungen, dass weitere Splittergruppen von Gesetzlosen sich in unbesiedelten Gegenden Elysias zusammenfanden, die nun gleichfalls gegen die Führung und Politik aufbegehrten. Die Zeit des erzwungenen Friedens in Elysia war vorbei und die Kämpfe zogen durch die Länder, blutig und Bruder gegen ehemaligen Bruder.

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„Kapitän!“
Aus seinen Gedanken gerissen, wirbelt Roald herum und stiert den kurzbeinigen, humpelnden Berigot an, der sich in seinem Rücken Gehör zu schaffen sucht.
„Was!“, bellt Roald ihn schlechtgelaunt an und bewirkt dadurch ein erschrockenes Zusammenfahren des stämmigen Vikings, seinem ersten Maat auf dieser Reise.
„Wir müssen an Land und das Schiff in seichten Wassern wieder hochseetauglich machen. Wir konnten die Nordstern zwar hinter uns lassen, auch dank des Sturms, doch einen weiteren Raubzu… uhm… eine Erkundungsreise wird die Ursus im derzeitigen Zustand nicht bewältigen können.“
„Verflucht!“
Mit Wucht landet die Pranke des Schakals erneut auf der Reling, die er eben erst aus seinem Griff entlassen hatte. Das sind schlechte Neuigkeiten und einmal mehr verflucht er gedanklich das Haus Morgenstern und somit seinen früheren Freund und Kampfbruder Ulrik.
Dabei sah anfangs alles recht gut aus, als sie die Nordstern angriffen. Viking gegen Viking, allesamt kampferprobte und gut ausgebildete Männer, waren ungnädig aufeinandergetroffen. Zu spät wurde klar, dass die Lagerräume der Nordstern leer waren, sie ihre Reise scheinbar erst begonnen hatte. Das Blatt hatte sich gewendet, als die frischen Clans-Viking kraftvoll und berserkergleich Widerstand zu leisten begannen. Wut hatte hingegen den Blick des Schakals getrübt, als er seinen Gegner erkannte: Den Sohn Ulriks.
Zu Dritt waren sie auf den jungen Kapitän Aidhan losgegangen, hatten ihn in die Mangel genommen und doch war der junge Krieger rege bei seiner Verteidigung, hatte einen von Roalds Männern nach nur kurzer Zeit mit seinen Anderthalbhändern bereits zu den Fischen geschickt. Roald hatte ihn daraufhin mit seinem Rebellengefährten zurückgedrängt, bis Aidhan letztlich mit dem Rücken zur Bugreling stand. Gerade hatte der Schakal mit seinem Streitkolben zum tödlichen Schlag gegen den Kopf des gegnerischen Kapitäns ausgeholt, als ihm ein wie von Tollwut getriebener Viking eine lose herumliegende Planke von hinten ins Knie schleuderte und dabei so laut brüllte, dass selbst das gut vernehmliche Knarzen des Holzes beider Schiffe dabei übertönt wurde. Daher hatte sein Streitkolben den behelmten Kopf des jungen Morgensterns letztlich nur gestreift. Als hätte Aidhan den Schlag nicht einmal gespürt, versenkte er kurz darauf sein Schwert in die Rippen des an der Seite des Schakals kämpfenden Gefährten, der daraufhin blutüberströmt und wie in Zeitlupe sein Leben neben Roald aushauchte, während sein Blut sich um die Füße der beiden schnaufenden Kämpfer ausbreitete.
Danach war alles recht schnell gegangen. Einer seiner Männer hatte sich aus den Wanten herabgelassen und war zwischen den Kämpfern gelandet. Harpunen, abgeschossen von der Ursus hatten die laufenden Kämpfe gänzlich ins Chaos gestürzt und der Kapitän der Abendstern war schlussendlich doch gestrauchelt und hatte somit die Aufmerksamkeit seiner Crew erregt, was Roald und seinen Gefolgsleuten die Chance zur Flucht einräumte. Wie der Kapitän der Widerstandskämpfer nun jedoch von seinem ersten Maat berichtet bekommt, hat Roald nicht nur Verluste innerhalb seiner Schiffsmannschaft hinzunehmen, sondern selbst sein Dreimaster, die stolze Ursus, wurde arg in Mitleidenschaft gezogen. Nicht wirklich vor einer Wahl stehend, im Hinblick auf den soeben gehörten Schadensbericht über den derzeitigen Zustand des Schiffs, nickt Roald daher verdrießlich, begleitet von unverhohlener, wild flackernder, neuerlich entflammter Wut, die in seinen verengten Augen unübersehbar geschrieben steht.
„Verfluchte Höllenhunde! Dann steuern wir eben flachere Gewässer an und ihr seht zu, dass wir an einer waldreichen Küste anlanden, damit wir die Ursus notdürftig flicken und auf Vordermann bringen können.“
Sein Blick wandert an Berigot vorbei, driftet wieder in die Ferne ab und seine kräftigen Hände ballen sich zu Fäusten.
„Das hier ist noch nicht vorbei! Die Götter werden das Wolfsjunge nicht noch einmal vor meiner Rache erretten“, schwört er mit einem grimmigen und zugleich entschlossenen Gesichtsausdruck, belebt damit seine in ihm wild brodelnden Rachegedanken gegen den jungen Kapitän aus dem Hause Morgenstern. Gegen die Clanfamilie generell, mit der er sowohl die eine, als auch die andere Rechnung offen hat.


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