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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Die Stimme der Toten, Pascal Wokan
Pascal Wokan

Die Stimme der Toten


Nekromanten-Zyklus III/III

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Der Turm kam näher. Das Licht wurde heller und ein verwirrter Kopf er-schien im Fenster, während Taar in der Luft herumwirbelte und sich auf den Aufprall vorbereitete. Mit den Füßen voran traf er auf die Mauer. Es hätte ihm die Knie zertrümmert, wenn nicht die langen Quasten an seinem Nekromantenmantel vorgezuckt wären, um den Aufschlag abzufedern. Sie bohrten sich in den brüchigen Stein und hielten ihn fest, damit er nicht den trudelnden Splittern in die Tiefe folgte. Ruhig, ermahnte er sich und hielt das Gleichgewicht. Der Mantel war mit Seelen verwoben, die er aus dem Totenreich heraufbeschworen hatte. Als Nekromant gebot er über die Gabe des Todes, doch es benötigte Talent und Geschick, um sich nicht darin zu verlieren. Er stieß sich vom Stein ab, drehte sich leicht und drückte gegen den Fensterriegel. Glas splitterte und er schoss in die Nacht, bevor die Schwer-kraft ihn für sich beanspruchen konnte. Taar flog durch den Nebel und hatte die Augen weit aufgerissen, damit er die Orientierung nicht verlor. Ein breites Grinsen belebte sein Gesicht, der Wind trieb ihm Tränen in die Augen, die aufsteigende Feuchtigkeit durchtränkte seine Kleider und sein Herz donnerte vor wilder Freude in der Brust. Er fühlte sich mächtig, grenzenlos und … frei. »Verdammter Nebel«, brummte er und umfasste vorsichtig seinen Anker, einen kleinen, unscheinbaren Holzwürfel, in dem ein Teil seiner Seele steckte. Jeder Nekromant verfügte über einen Anker, um zu erkennen, dass er auf der Seite der Lebenden wandelte. Der Holzwürfel vibrierte sanft. Taar steckte ihn in die Tasche zwischen all den anderen Plunder zurück und schoss auf eine Querstrebe zu. Erneut federte der Mantel seinen Sturz ab, hinzu kam seine verschlissene Hose, die seine Beine um ein Vielfaches verstärkte. Er ging in die Hocke, atmete tief durch und ließ seinen Blick schweifen. Jolnsfried. Dichter Dunst umhüllte die Burg, die am Rande des Nie-mandslandes lag. Der Mond drang schwach durch die graue Suppe, um die Stadt mit seinem silbernen Licht zu beleuchten. Wachen patrouillierten durch verwaiste Straßen, Herumtreiber drückten sich in dunkle Schatten und hier und da sah man verstohlene Gesichter aus Fenstern spähen. Der Turm, auf dem er sich befand, bildete das Zentrum der Burg – nicht grund-los. Taar kniff die Augen zusammen und beobachtete den Eingang zum Turm. Niemand außer dem Kaiser durfte ihn betreten – einem der achtzehn Kriegsherren im Niemandsland, die den Thron beanspruchten. Wer den-noch auf die Idee kam, einen Fuß hineinzusetzen, wurde von mehreren Dutzenden Wachen empfangen. Taar wusste das aus eigener Erfahrung. Die waren ganz schön überrascht. Er sah zur Spitze. Hunderte Meter hoch, erbaut aus fugenlosem, grauem Backstein, jedes Stockwerk gesichert, ganz zu schweigen von der Fassade, die mit Stacheln bestückt war. Hier und da steckten verschrumpelte Köpfe auf Pfählen, an den Mauern hingen sich sanft im Wind wiegende Käfige, in denen die Gerippe derer ruhten, die gewagt hatten, den Zorn des selbster-nannten Kaisers auf sich zu ziehen. Jolnsfried vermittelte keinen Will-kommen heißenden Eindruck und das sollte auch so bleiben. Seit den gro-ßen Nekromantenkriegen war die Burg nicht einmal eingenommen worden und nie war es jemandem gelungen, unentdeckt einzudringen und den größten Schatz des Kaisers zu stehlen, der seit Generationen im Familien-besitz war. »Von wegen«, schnaubte er. »Jeder Dummkopf hätte einbrechen kön-nen.« Aus einer Eingebung kontrollierte er die verwobenen Seelen in seinen Kleidern. Es war eine Weile her, seit er die Beschwörung gewirkt hatte und er war lieber vorbereitet als auf dem Arsch zu landen. Er schloss die Au-gen, konzentrierte sich und begann eine Beschwörung. Wie jedes Mal, wenn er die Seelen der Toten anrief, ihren Stimmen lauschte, die seit ge-raumer Zeit verzweifelter und lauter waren, zerrte etwas an seinem Be-wusstsein, bis sich ein grünlicher Schimmer um ihn bildete, der wie Öl auf einer Wasseroberfläche glitzerte. Der Schimmer griff mit nebelartigen Fin-gern nach ihm und begehrte mit jeder verstreichenden Sekunde stärker ge-gen die Beschwörung auf. Es brauchte nur einen Gedanken bis er die See-len der Toten unter seine Kontrolle brachte und zusah, wie sie sich mit den langen Stoffbahnen seiner Kleidung verwoben. Auf seinen Nekromanten-mantel war er verdammt stolz, auch wenn der einem gewöhnlichen Men-schen kaum etwas wert gewesen wäre. Verschlissen und dreckig, lange Quasten, viele kleine Fetzen und mehrere Stofftücher, die um seine Brust geschlungen waren. Er sprang in die Tiefe und hielt auf den nächsten Balken zu. Jetzt! Die Quasten peitschten hoch, wickelten sich um einen metallischen Sta-chel, der aus dem Stein ragte, und fingen Taars Sturz ab. Durch den plötz-lichen Widerstand bekam er enormen Auftrieb, wirbelte nach oben und landete sicher auf dem Auswuchs, wobei er leicht in die Knie ging, um das Gleichgewicht zu wahren. Seine Knie zitterten und die Aufregung steigerte seine Freude noch mehr. Es bedurfte einiger Kontrolle, um in dieser Per-fektion die Todesgabe zu nutzen, aber er war nicht irgendwer. Er war Taar Wax der Vagabund und sowas von verdammt stolz darauf! Ein Bolzen klackerte neben ihn auf den Auswuchs. Grinsend vollführte er eine weit ausholende Verbeugung. »War mir wie immer ein außerordentliches Vergnügen!«, rief er und winkte zum Ab-schied. »Grüßt den Kaiser von mir. Und natürlich auch seine liebreizende Frau Gemahlin. Hatte selten so viel Spaß.« Weit entfernte Stimmen riefen durcheinander, Hälse ragten aus dem obersten Fenster, kaum auszumachen gegen den blassen Nebel, Fäuste wurden geschwenkt und weitere Bolzen gingen nieder. Ein Geschoss hätte ihm gefährlich werden können, wenn das nicht eine Quaste im richtigen Augenblick abgefangen hätte. »Brav«, gurrte er und glaubte, Bestätigung in der Quaste zu spüren. Er wusste, dass das Unsinn war, zumal die Seelen über kein Bewusstsein ver-fügten, aber es war ihm wichtig, Respekt zu zeigen. Nun, da das Schicksal aller Lebenden auf dem Spiel stand, war ihm das wichtiger denn je. Behutsam fühlte er nach dem kleinen Gegenstand in seiner Tasche, den er soeben geborgt hatte. Unscheinbar, aber von enormer Wichtigkeit für seine Mission. Er nickte zufrieden, sog in einem langen Atemzug die Luft ein und lächelte in freudiger Erwartung. Dann sprang er in die Tiefe. Ein Lachen schwoll in seiner Magengegend an, kämpfte sich empor, bis es aus ihm brach. Er lachte und lachte, bis er nicht mehr lachen konnte. Der Nervenkitzel erfüllte ihn. Er war frei und ohne Verpflichtungen, aber leider war das eine Lüge. Vor allem das mit den Verpflichtungen. Seitdem sich die Todesgötter von ihren Fesseln befreit hatten, war die Welt ein Stück kleiner geworden. Sein Sturz endete abrupt, als sich alle Quasten an seinem Mantel leicht nach unten bogen und den Aufprall auf dem harten Kopfsteinpflaster ab-fingen. Ein Staubring wurde aufgewirbelt. Er ging in die Knie, stöhnte, als seine Beine wegen der Belastung protestierten, und wartete, bis das unan-genehme Kribbeln verschwand. Dann richtete er sich auf und genoss den steifen Wind, der über den Innenhof der Burg wehte und einen Geruch nach Abenteuer brachte. Jolnsfried war nicht bekannt, ein Ort für Vagabunden zu sein, aber es gab einige Dinge, die keinen Aufschub duldeten. Immerhin war er ein Held, zumindest hatte das die Kaiserin von Amdra behauptet. Und Helden taten das, was Helden eben taten, auch wenn er keine Ahnung hatte, was das war. Er legte den Kopf in den Nacken, sah zur Turmspitze, die hell er-leuchtet war, und stieß einen Pfiff aus. »Nicht schlecht, Mann! Das sollte ich wiederholen.« »Halt!«, rief eine Stimme hinter ihm. Taar unterdrückte einen Seufzer und wandte sich den Wachen zu, die aus einer seitlichen Gasse gestürmt kamen. Die buschigen Federn auf ihren Hüten wippten auf und ab, die strähnigen, blutroten Schnauzer in ihren gräulichen Gesichtern waren geringelt und die Degen in ihren dicken Handschuhen sahen kampfbereit aus. »Einen Schritt weiter und wir werden Gewalt anwenden!«, bellte der vorderste, der mit drei anstatt einer Feder bestückt war. Taar vermutete, dass es sich bei den Federn um einen Vergleich ihrer Männlichkeit handel-te. »Wenn ich mich nicht bewege, werdet ihr also keine Gewalt anwen-den?«, wollte er wissen. »Natürlich! Wir werden …« »Welchen Unterschied macht das dann, ob ich mich bewege oder nicht?« Der Anführer runzelte die Stirn. »Es ist vollkommen egal, ob Ihr Euch bewegt!« »Aha!« Taar riss einen Finger hoch. Eine Quaste ahmte seine Geste nach. »Wie kann ich also wissen, was solch tapfere und pflichtbewusste Soldaten wie ihr von mir wollt, wenn ich mich weder bewegen noch nicht bewegen darf?« »Nein, Ihr sollt …« »Was ist mit meinem Mund? Gilt der auch als Bewegung?« »Euer Mund ist doch völlig …« Der Soldat stockte. »Schluss damit! Keine weitere Bewegung!« »Doch nicht? Jetzt bin ich verwirrt. Du musst dich schon entscheiden, mein Guter.« »Stehen bleiben und wehrt Euch nicht länger! Ihr seid umzingelt.« »Umzingelt?« Taar tippte gegen seine Schläfe. »Da kommt mir doch glatt ein Gedanke. Wie wäre es, wenn ihr mich einfach gehen lasst und wir vergessen das alles hier? So kommt niemand zu Schaden und ich kann meiner Wege ziehen.« Der Anführer nickte seinen Nebenmännern zu, die sich vorsichtig näher-ten. »Sicher, dass ihr das wollt?«, fragte Taar, während er die Tücher um seine Brust lockerte und leicht in die Knie ging. »Schnauze, elender Dieb!«, grollte der linke. »Genau genommen habe ich den Gegenstand nur geborgt, mit der festen Absicht, ihn eines fernen Tages zurückzugeben. Aber das mag für euch kaum von Bedeutung sein, nehme ich an.« »Ich sagte, Schnauze!« »Bedenkt, ihr habt es so gewollt. Beschwert euch nachher nicht.« Die Soldaten zögerten. »Versteht mich nicht falsch, ich will euch nichts tun. Tatsächlich bin ich sogar sowas wie ein Held.« Das Gelächter, das folgte, fand er nicht sonderlich nett. »Wie auch immer, ich bin in offiziellem Auftrag hier. Klar soweit?« Die Soldaten gingen wieder auf ihn zu. Mittlerweile war der Innenhof zum Leben erwacht. Überall lugten Gestalten aus Fenstern oder halb ge-öffneten Türen. Es wurde getuschelt und geflüstert. Manch einer zeigte auf Taar. Vermutlich hatten ihn einige als den Vagabunden erkannt. »Also, meine Herren, das war ja wirklich ein höchst interessantes Ge-spräch, aber leider, leider habe ich noch so viel zu tun. Man sieht sich.« Stahl blitzte auf. Taars Mantel reagierte. Eine Quaste schlingerte vor, fing den Degen ab und riss die Waffe aus der Hand des ziemlich verdattert blickenden Solda-ten. Mit seiner verstärkten Faust verpasste Taar ihm einen kräftigen Kinn-haken und schickte ihn benommen zu Boden. Dann stürzte er vor, wirbelte um den zweiten Soldaten, wobei er dem die Füße wegzog und seinen El-lenbogen gegen dessen breiten Mund krachen ließ. Der Soldat ging schrei-end nieder, spuckte Zähne auf das Kopfsteinpflaster und krümmte sich vor Schmerz. »Da habt ihr′s«, brummte Taar kopfschüttelnd und ging langsam auf die verbliebenen Soldaten zu, die zurückwichen, als stürzte ein Koloss auf sie zu. Sein Mantel bauschte sich leicht und die Fetzen schliffen über den Bo-den. »Warum hört nie jemand auf mich?« »Stehen bleiben!«, schäumte der Anführer. »Ich sagte …« Taar drückte sich ab, schoss hoch über ihre Köpfe und landete hinter ihnen. Alle Quaste brandeten empor und umgaben ihn wie ein Wirbel aus Stoff. Seine langen Haare trieben auf und ab, seine Augen schimmerten in fahlem Licht und er bleckte die Zähne. In diesem Moment bildete er das Zentrum der beschworenen Seelen. Er war der Gebieter über Leben und Tod, erfüllt von der Todesgabe, die wie flüssiges Gestein durch seine Adern pulsierte. »Geht!«, setzte er mit Grabesstimme hinzu. Ein Soldat stolperte über seine Füße. Degen klapperten auf den Boden, Stiefel scharten. »GEHT!« Die Männer schrien panisch auf und suchten das Weite. Nur der Anfüh-rer blieb zurück und zitterte wie Espenlaub. Taar ließ die Verbindung fallen. »Besten Dank für diesen vorzüglichen Empfang. Der Tag mag kommen, da du, tapferer Soldat, anderen berichten kannst, dass du dem Vagabunden höchstpersönlich gegenübergestanden hast.« Dem Anführer blieb der Mund offen stehen. »Ihr seid … Taar Wax?« »Wie er leibt und lebt.« »Aber«, er schluckte, »was sucht Ihr so fern von Amdra?« »Ich bin hier, um die Welt zu retten.« »Hä?« »Ach, das ist erstmal unwichtig. Wichtig ist nur, dass du deinem Kaiser berichten darfst, mich fast aufgehalten zu haben. Ich hingegen werde jetzt gehen und den Gegenstand mitnehmen. Und der Kaiser wird von dir erfah-ren, dass er ihn irgendwann zurückerhält. Außerdem habe ich ihm eine So-cke von großem Wert als Tausch überlassen. So haben alle bekommen, was sie sich wünschen. Ausgenommen meine Socke.« »Ich bin unschlüssig, was ich davon halten soll.« »Das macht nichts, tapferer Soldat. Man sieht sich!« Taar ging in die Knie, verstärkte seine Beine, indem sich mehrere Ho-senfetzen darum wickelten, und stieß sich vom Boden ab. Er beschrieb ei-nen weiten Bogen, vollführte in der Luft eine Pirouette, wie sie nicht an-mutiger hätte sein können, und landete auf einer Dachrinne. Beinahe verlor er das Gleichgewicht, aber sein Mantel stützte ihn und beförderte ihn einige Meter das Schrägdach hinauf. Er schwankte, ruderte mit den Armen und wirbelte herum. Wie es der Zufall wollte, klafften in diesem Augenblick die Wolken auseinander und gaben den vollen Mond preis. Taars Mantel bauschte sich theatralisch, er stemmte die Hände in die Hüften und nahm eine Pose ein, von der er glaubte, dass sie möglichst entschlossen wirkte. Er grinste, als er bemerkte, wie heldenhaft er aussehen musste. Zumindest stellte er sich das vor, denn einem wahren Helden war er noch nie begeg-net. Ein Blinzeln später war er verschwunden. * Prustend und keuchend schwang sich Taar über die Reling und klatschte auf das knarrende Deck. Wasser rann aus seinen Kleidern, er zitterte vor Kälte und seine Muskeln brannten vor Erschöpfung. Aber all die Anstren-gungen hatten sich ausgezahlt. In seiner Tasche ruhte der Gegenstand. »Taar?« Ein bleiches Gesicht zeichnete sich schwarz gegen den Mond ab. In den letzten Monaten hatte der Junge versucht, seinen Bart wachsen zu lassen, aber die paar braunen Büschel konnte man kaum als Bart be-zeichnen. Das verwahrloste Aussehen und der braune Nekromantenmantel wirkten nicht so ungepflegt, wie sie sollten, denn er achtete penibel darauf, dass alles seinen Platz hatte. Mittlerweile hatte Taar aufgegeben, ihn die Bräuche eines Herumtreibers zu lehren. »Alles gut«, keuchte er und ließ sich auf die Beine helfen. Er wrang die nassen Haare aus, rief einige Seelen herbei und nutzte die Beschwörung, um die freigesetzte Energie zu nutzen. Seine Kleider trockneten innerhalb eines Wimpernschlags. Luna nannte die Methode Thermodynamik, aber das war nicht die seltsamste Bezeichnung, die die kleine Wissenschaftlerin eingeführt hatte. Kurz ließ er seinen Blick schweifen, betrachtete das Schiff, das vor An-ker lag und sah zu den zerklüfteten Felsen, über denen sich Jolnsfried er-hob. Die Fenster waren hell erleuchtet, Fackeln wurden in der Nacht ge-schwenkt und Soldaten wuselten über die Mauern. Zu langsam, dachte er grinsend. »Und was heißt, Alles gut?« Kasula, der Kapitän ihrer Mannschaft, ein schlaksiger Kerl mit breitkrempigem Hut, Augenbinde, fusseligem Bart und ledriger Haut, humpelte über das Deck. Seine Kleidung war ein bunter Haufen, darunter ein abgegriffenes, geringeltes Hemd, eine steife, zu kleine Hose und ein Paar auf Hochglanz polierte Kavalleriestiefel mit vergoldeten Verzierungen, die nicht zum Rest passten. Er sah ungefähr so aus, wie man sich einen waschechten Piraten vorstellte. Weitere Seemänner folgten und musterten Taar feindselig, er konnte ihnen nicht mal einen Vorwurf machen. In den letzten Monaten, seitdem die Kaiserin seinem Plan zugestimmt hatte, waren sie von Amdra ins Nie-mandsland und zurück gereist, ohne Erfolg. Bis heute. Die Unzufriedenheit hing wie ein leiser Furz in der Luft. Alle hatten den gehört, aber niemand wagte, darauf aufmerksam zu machen. Zu allem Übel ließ sich auch noch Tiahda blicken, die dunkelhäutige Nekromantin, die in der Zwischenzeit beträchtlich abgenommen hatte, was schon fast beängstigend war. Ihre langen schwarzen Haare waren zu kleinen Zöpfen geflochten und ihre Au-gen dunkel und schwer. Insgeheim war ihm die Nekromantin nicht ganz geheuer, was damit zusammenhing, dass er sie vor einigen Monaten hatte verfolgen müssen, nur um festzustellen, dass sie gar nicht die Übeltäterin in diesem Spiel war. »Sprich!«, zischte sie. »Also, ich muss doch sehr bitten«, erwiderte er verschnupft und sortierte seinen Plunder. Glücklicherweise war noch alles am vorgesehenen Platz. »Der Auftrag war ein Erfolg! Da staunt ihr, was?« Kasula zog den Rotz hoch und spuckte auf die Planken. »Wir sind eine verdammte Woche hier! Also, hast du, weshalb wir hier sind?« Taar grinste sie nacheinander an. »Lauscht meinen Worten, edle Damen und Herren! Ich, Taar Wax der Vagabund, Meister der Sümpfe von Cha-rasyl, Flüchtender aus den Verliesen von Nandoc, Frauenheld, verdammt guter Liebhaber, Befreier des Bastards und zweifacher Bezwinger des Schlunds, habe …« »Komm zum Punkt!« »Ich habe den Gegenstand!« Ein allgemeines, erleichtertes Seufzen folgte. »Wo?«, hakte Tiahda nach, die sich nicht so leicht überzeugen ließ. »Ho, immer schön langsam mit den jungen Vilas. Darf ein Mann sich nicht erst ein wenig akklimatisieren?« Ein tolles Wort von Luna, auch wenn er keinen Schimmer hatte, was es bedeutete. »Nein!«, riefen die Anwesenden gleichzeitig. »Aber …« Der flehende Ausdruck des Jungen war ihm zuwider, doch es brachte nichts, es länger aufzuschieben. »In Ordnung. Ich hätte gerne von meinem Abenteuer berichtet und wie ich es geschafft habe, mich in den höchsten aller hohen Türme zu schleichen. Aber wenn ihr darauf besteht?« Tiahda machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und zog ein Gesicht, als müsste sie unbedingt ganz dringend kacken gehen. »Zeig ihn!« »Ist ja gut!« Taar zog mit theatralischer Geste den Gegenstand hervor, der ihnen so viel Mühe bereitet hatte. Ein erster Schritt im Kampf gegen die Todesgötter, auch wenn die anderen das erst noch einsehen mussten. Alle Augen richteten sich darauf. Die Sekunden verstrichen, aber nie-mand sagte etwas. »Was ist das?«, durchbrach Kasula schließlich die blei-erne Stille. »Ein Hinweis«, verkündete Taar. »Das ist ein Fetzen mit Linien«, bekundete Docar. »Falsch! Das ist ein dreckiger Fetzen Leder mit verblassten Linien.« »Und wie hilft uns das weiter?« Taar wedelte mit dem labbrigen Fetzen herum, von dem Feuchtigkeit tropfte. »Ein erster Hinweis zur Waffe.« »Bei den Todesgöttern!«, fluchte Kasula und riss ihm den Fetzen aus der Hand. »Du sagtest, du hättest die Waffe gefunden. Was ist es denn nun?« »Na ja, das ist es ja auch. Es ist ein Hinweis, der zum nächsten Hinweis führen wird, der wiederum ein Hinweis ist, damit wir die Waffe finden können. Klar soweit?« Die anderen starrten ihn verwirrt an. »Das«, Taar nahm den Fetzen zurück, »ist der Teil von etwas Bedeutsa-mem. Wenn alle Hinweise an Ort und Stelle sind, haben wir eine Waffe gegen die Todesgötter. Theoretisch.« »Verzeihe mir, Taar, wenn ich nochmal nachhaken muss, aber wie soll uns das im Kampf gegen die Todesgötter helfen?«, wollte Docar wissen. »Sie fallen über unsere Felder her, verwandeln unsere Flüsse in Moore, vergiften unser Wasser und zerstören unsere Städte. Wir sind ihnen voll-kommen ausgeliefert!« Der Junge redete sich in Rage, begleitet vom zu-stimmenden Nicken der anderen. »Seitdem die Todesgötter zurückgekehrt sind, entgleitet uns die Kontrolle. Alles, was wir tun, ist, alten Mythen hin-terherzujagen. Wir müssen endlich den Kampf aufnehmen!« »Wir müssen vor allem klug sein.« »Taar!«, sagte er ungewohnt ernst. »Das ist kein Spiel. Wie hilft uns der Fetzen weiter, den du in Jolnsfried gestohlen hast?« »Erstmal: Ich habe ihn nur gemopst. Dann: Er hilft uns nicht weiter.« Stille. Es war eine seltsame, kribbelnde Stille, die sich auf Deck ausbrei-tete. Ehe die Stimmung vollends kippte, machte Taar eine nachlässige Geste und stapfte an den anderen vorbei. »Los, los!«, rief er zackig. »Packt eure Sachen! Männer in die Brassen! Löst die Leinen! Lasst die Segel fallen und vor den Wind! Wir laufen aus.« »Wohin?«, rief ihm Kasula missgestimmt hinterher. »Wohin wohl? Nach Süden! Es gibt da eine alte Freundin, der ich einen Besuch abstatten muss.« »Du willst zu ihr? Was im Namen der Todesgötter willst du ausgerechnet dort?« »Streng dein Köpfchen nicht zu sehr an und mach, wofür du bezahlt wirst.« Taar ließ ihn stehen, ging in die Kajüte, zog die Tür zu und lehnte sich dagegen. In Zeitlupe rutschte er hinunter, bis er mit angezogenen Beinen am Boden saß. Erst dann erlaubte er sich, zu seufzen und den Gegenstand genauer zu betrachten. Niemand verstand ihn, aber das war nichts Neues. Hätte er ihnen anvertraut, dass es sich bei dem Leder um Menschenhaut handelte und die Linien verdächtig einer Bannrune ähnelten, hätten sie es ihm nicht geglaubt. Häufig glaubten Menschen nur, was sie glauben woll-ten. Diese Erfahrung hatte er am eigenen Leib zu spüren bekommen. Schließlich war es seine Schuld, dass die Todesgötter frei waren. Kylanthe, dachte er und schüttelte sich unwillkürlich, sie wird hoffentlich Antworten haben.


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