Suchbuch.de

Leseproben online - Schmökern in Büchern



Kategorien
> Fantasy Bücher > Die Prinzessin von Kyrth
Belletristik
Bücher Erotik
Esoterik Bücher
Fantasy Bücher
Kinderbücher
Krimis & Thriller
Kultur Bücher
Lyrikbücher
Magazine
Politik, Gesellschaftskritik
Ratgeberbücher
regionale Bücher
Reiseberichte
Bücher Satire
Science Fiction
Technikbücher
Tierbücher
Wirtschaftbücher
Bücher Zeitzeugen

Login
Login

Newsletter
Name
eMail

Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Die Prinzessin von Kyrth, Lazarus Pi
Lazarus Pi

Die Prinzessin von Kyrth



Bewertung:
(69)Gefällt mir
Kommentare ansehen und verfassen

Aufrufe:
870
Dieses Buch jetzt kaufen bei:

oder bei:
epubli (Taschenbuch: https://tinyurl.com/kyrth-epubli-tb , Hardcover: https://tinyurl.com/kyrth-epubli-hc)
Drucken Empfehlen

Prolog


 


„Die Pharo! Die Pharo kommt!“


Lylana konnte die enthusiastischen Rufe vom Kai schon hören, obwohl der Hafen von Ogun noch viele Schiffslängen entfernt war. Glücklich und ein wenig stolz stand sie auf der Brücke und blickte, die Stirn mit der Hand beschattend, zum Ufer. Ihr dunkelrotes Kamvar – das Gewand war so rot wie ihr Haar – glänzte in der Sonne, als sie den Arm hob und in Richtung der Menschenmenge grüßte. All die Leute, sie wirkten auf diese Entfernung so winzig! Lylana wusste nicht, ob irgendjemand dort hinten auf dem Festland sie sah, aber sie konnte nicht anders, es musste aus ihr heraus! Laut lachend winkte sie in weiten Bögen mit beiden Armen.


Während die Stadt immer näher kam, dachte sie daran, wie sich ihr Leben mit dieser Ladung verändern würde. Sechs Monate war sie auf See gewesen, Kapitänin der Pharo, die mehr als einmal im Sturm dem Untergang nahe gewesen war. Aber sie hatte ihre eigenen Fähigkeiten richtig eingeschätzt, hatte allen Stürmen die Stirn geboten. Das Ergebnis war eine eindrucksvolle Abfolge gewinnbringender Geschäfte entlang des westlichen Großen Meeres. Und nun, als deren krönender Abschluss, war der Laderaum der alten Kogge bis zum Rand voll mit schillernden Taryks. Die unglaublich feinen, aber fast unzerreißbaren Stoffe aus Mon­qaro würden ihren Vater zu einem der reichsten Händler von ganz Adayon, wenn nicht von ganz Gaia machen. Und, wer konnte das schon sagen, vielleicht blieb auch etwas davon für sie übrig. Nähen konnte sie, ihr Vater hatte es sie gelehrt. Ein Kamvar aus echtem Taryk? Sie würde aussehen wie eine Prinzessin!


Ein Kamvar anzufertigen war nicht viel Arbeit. Genau genommen musste man nach dem Zuschneiden nur noch die Borten umnähen, denn die Hauptbestandteile bildeten zwei lange Streifen aus Stoff oder, wie ihr jetziges, aus Leder. Diese wiesen in etwa die Form einer Sanduhr auf, schmal in der Mitte und nach außen hin breiter werdend. Um ein Kamvar anzuziehen, warf man jeden dieser Streifen über eine Schulter, sodass sie an Brust und Rücken herabfielen. Dann überkreuzte man sie ab der Gürtellinie, bis sie vorn wie hinten Entscheidendes bedeckten. Zu diesem Zweck erreichten sie zum Ende hin bisweilen eine großzügige Weite, während sie auf der Schulter, an ihrer schmalsten Stelle, oft nicht breiter waren als eine Hand. Was die genauen Maße betraf, gab es zahllose Varianten, je nach Anlass und persönlichem Geschmack: Wollte man Freund oder Feind beeindrucken und hatte den Körperbau dazu, dann konnte die Breite der Streifen im Bereich des Torsos recht knapp ausfallen.


Lag alles wie gewünscht, dann fixierte man das Arrangement mit einem Ledergürtel um die Taille. Es war die traditionelle adayonische Gewandung für Männer und Frauen.


Dazu trug man, zumindest auf gefährlichen Reisen wie dieser, meist hohe Stiefel. Lylanas Schuhwerk wurde nach ogunischer Mode in der Wade geschnürt, der Schaft reichte bis über das Knie. Das Kamvar fiel normalerweise nicht weiter als bis zur Mitte der Oberschenkel, ein längeres Gewand hätte den Träger im Kampf zu sehr behindert. Wenn man nie wusste, wann man das nächste Mal seine Waffe erheben musste – sei es gegen Piraten, wilde Tiere oder Wegelagerer –, kam es auf Bewegungsfreiheit an. So fiel die Funktion des Beinschutzes den Stiefeln zu.


Jetzt waren sie dem sicheren Hafen schon viel näher. Lylanas Blicke schweiften über die vertrauten Häuser und Hütten ihrer Heimatstadt Ogun, aus Holz die meisten, doch einige Steinbauten waren auch darunter. Die Farben bewegten sich zwischen blau, grau und weiß, was ein angemessen maritimes Ambiente für eine Hafenstadt schuf. Einige ihrer Besitzer hatten sich aus Platznot oder Überzeugung noch näher ans Wasser gewagt als der Durchschnitt dieses an Seeleuten reichen Landstrichs. Diese Bauwerke ruhten auf Stelzen aus massiven Baumstämmen.


Die Mehrzahl der Dächer stach mit einer Spitze in den Himmel, deren Länge die Höhe der bewohnten Stockwerke überstieg – und wenn diese Nadeln sich im Lauf der Jahre mit dem Seewind neigten oder durch ungleichmäßige Trocknung des Holzes ein wenig zur Seite bogen, dann betrachteten das die Adayoniten als Ausdruck von Charakter, der schließlich nicht nur den Menschen eignete, sondern auch ihren Heimstätten.


In Lylanas hellgrünen Augen glänzten Freudentränen, als sie am Kai den blonden jungen Mann im dunklen Kamvar erblickte, nach dem sie schon die ganze Zeit Ausschau gehalten hatte.


„Iavo!“, rief sie erfreut aus und winkte noch schneller. „Mein Iavo! Ich komme!“


Bald darauf glaubte sie seine Stimme aus dem leisen Rauschen der Hafengeräusche herauszuhören, die ihren Namen rief – als Iavo auch schon zurückzuwinken begann. Sie war zu Hause!


Das Schiff hatte kaum angelegt, da sprang sie behende von Bord, und einen Atemzug später lagen sie sich in den Armen. Äußerlich waren beide recht unterschiedlichen Typs: Im Gegensatz zu Lylana, deren schulterlanges Haar glatt und gerade fiel, trug Iavo üppige blonde Locken. Seine Augen waren dunkelbraun, fast schwarz, während ihre Augenfarbe eher dem Grashalm einer Frühlingswiese glich. Wer das Paar ansah, erkannte in der Regel nur zwei Gemeinsamkeiten: die braunen Augenbrauen, die sich bei beiden von der Haarfarbe absetzten – und ihre bei aller Verschiedenheit gleichermaßen unstrittige Schönheit. Sie war es auch, die keinen einzigen der umstehenden Zeugen dieser Wiedersehensszene zweifeln ließ, wie sich zwei so unterschiedlich aussehende Menschen gefunden hatten. Als sie sich küssten, begannen einige Passanten spontan zu klatschen, und bald hatten die zwei ein jubelndes Publikum um sich.


„Ich hatte wirklich Angst, ihr schafft es nicht rechzeitig“, rief er lachend und drückte sie erneut an sich.


„Ich kann ja schlecht zu meiner eigenen Hochzeit zu spät kommen“, flüsterte Lylana in sein Ohr und biss ihn sanft ins Ohrläppchen.


Iavo schloss lächelnd die Augen und genoss einen Moment lang. Dann bemerkte er in ernsterem Ton: „Der Priester fing schon an, zu Tzorim zu beten, dass ihr bald nach Hause kommen möget!“


Sie unterdrückte ein Lachen. „Er ist manchmal etwas panisch, nicht?“


„Er macht sich eben Sorgen. Du weißt ja, man erzählt sich, er könne manchmal in die Zukunft blicken, wenn er den Rauch eines seiner Kräuter einatmet.“


„Und was hat er bei unserer Hochzeit gesehen?“


„Nichts.“


Eine unbehagliche Stille senkte sich zwischen sie.


„Er hatte“, fuhr dann Iavo unsicher fort, „wohl erwartet, unsere Hochzeit zu sehen, weil sie schon so bald stattfindet und er selbst beteiligt ist. Aber da war einfach nichts! Als er mir das sagte, habe ich mich ebenfalls gesorgt. Ich dachte die ganze Zeit, es kommt noch etwas dazwischen! Ich …“


Sie unterbrach ihn mit einem langen Kuss, in dem sich ihre Zungen umspielten und liebkosten wie alte Freunde, die sich sehr lange nicht gesehen haben.


„Jetzt bin ich ja da“, raunte sie lächelnd.


„Ja, jetzt bist du da!“ Er strahlte. „Und du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich war, als ich eure Segel sah und endlich wusste: Es wird passieren! Die Hochzeit wird stattfinden!“


„Ich denke, du solltest dich von einem Priester mit Kräuterqualm in den Lungen nicht in solche Grübeleien stürzen lassen.“


„Es kann nie schaden, einen Vertrauten der Götter auf seiner Seite zu haben. Immerhin werden wir einen Schwur leisten. Die Götter hören jeden Schwur!“


„Eben. Sie würden ihn auch ohne den Priester hören.“


„Ich weiß nicht … vielleicht haben Priester doch die bessere Verbindung zum Verbotenen Berg. Er hat schließlich auch den idealen Tag für unsere Hochzeit berechnet! Das … wie hieß es noch …“


„Äquinoktium.“


„Genau! Wie hat er es ausgedrückt? Wenn Tag und Nacht zu gleichem Teil geschieden, blühʼn Liebʼ und Leidenschaft dem Paar – und Frieden! Da darf er schon mal ein wenig unruhig werden, wenn die Braut am Morgen davor noch nicht wieder eingetroffen ist.“


„Iavo, ich würde dich an jedem Tag des Jahres heiraten, in jedem Jahr des Zyklus, und es würde sich immer richtig anfühlen!“


Er legte seinen Finger auf ihre Lippen. „Lass uns jetzt nicht über Götter und Priester diskutieren! Lass uns schnell nach Hause gehen! Du warst so lange weg.“


„Aber nur kurz. Du weißt, ich muss zu meinem Vater.“


Wie zwei Kinder, die einen deftigen Streich planen, fassten sie sich bei den Händen und rannten ohne Pause bis zu Iavos kleinem Häuschen am Rande des Hafenviertels.


Sein Heim war nicht mehr als eine Holzhütte, eingeschossig wie die meisten hier, einräumig wie nicht wenige. Immerhin konnte man die Tür abschließen und musste sich zum Schutz nicht gänzlich auf den darin eingelassenen Glücksbringer verlassen: eine rote stilisierte Hand mit mehreren gelben Symbolen darauf. Die Götterhand.


Iavo lebte gerne hier, er war einfache Verhältnisse gewohnt. Es war sein Zuhause, weit mehr als der winzige Weiler am Westwall, wo er zur Welt gekommen war. Und die wahren Freuden des Lebens hatten in seinen Augen ohnehin wenig mit Zahl oder Größe der Zimmer zu tun …


Lylana hatte kaum die Tür hinter sich verriegelt, als er mit schnellen, entschlossenen Bewegungen die Vorhänge zuzog. Sobald er die Außenwelt ausgesperrt hatte, öffnete er seinen Gürtel und ließ sein Kamvar zu Boden gleiten. Sie sah sein erregtes Geschlecht, schritt auf ihn zu und umfasste es mit ihrer Rechten. Er stieß geräuschvoll die Luft aus.


„Wie lange warst du schon nicht mehr in meiner Hand“, sinnierte sie, während ihre Finger rundherum darüberstrichen, jedes Detail und jedes Äderchen erforschten und wiedererkannten, kurz zudrückten und dann wieder kaum spürbar darüber schwebten.


Da trat er einen Schritt zurück, und als er langsam nach hinten kippte, dachte sie einen kurzen Augenblick lang, er habe vor Wonne das Bewusstsein verloren. Er aber hatte seinen Fall geplant, und während er noch fiel, reckte er die Arme weit von sich und sank genüsslich in die Decke aus Gremek-Daunen, die auf seinem Bett lag.


„Binde mich!“


Lylana lächelte. Langsam, ohne Hast, öffnete auch sie ihren Gürtel, und die beiden dunkelroten Lederstreifen fielen herab. Sie konnte seine Blicke auf ihrem Körper förmlich spüren. Wie auf einer Bühne schritt sie bedächtig zu der Kommode neben der Eingangstür, einem kleinen Schmuckstück aus dem zweifarbigen Holz des Mo-Baumes. Lylana hatte sie ihm im Frühling zum Geburtstag geschenkt, kurz vor ihrer langen Fahrt auf der Pharo. Sie öffnete die unterste Schublade und holte drei aufgerollte Seile heraus.


„Du weißt“, flüsterte er, „du machst mich wahnsinnig, wenn du nichts als diese Stiefel trägst.“


Ohne eine Antwort, aber immer noch mit ihrem hintergründigen Lächeln auf den Lippen kam sie zum Bett, griff nach seinem rechten Handgelenk und legte eine Schlinge darum. Mit wenigen, schnellen Bewegungen hatte sie auch schon einen Harvinsknoten geschlossen: eine Schlinge, die sich nicht weiter zuziehen konnte, die Iavo aber durch seine Befreiungsversuche niemals würde lösen können. Es zahlte sich aus, auf See erfahren zu sein!


Langsam zog sie seine Hand am Seil in Richtung des elegant gedrechselten Bettpfostens, bis sein Arm langgestreckt vor ihr lag. Mit einem weiteren Knoten befestigte sie den Strick an dem hölzernen Pfeiler. Iavo zog testweise daran, spürte, dass er gefangen war, und gab einen leisen Seufzer von sich.


Lylana setzte sich rittlings auf ihn – aber gerade als sie seine linke Hand packen wollte, entzog er sich ihrem Griff und fasste in Richtung seiner gefesselten Rechten. Indes war sie schneller: Mit einem raschen Ruck platzierte sie ihr Knie auf seinem Oberarm und presste ihn in die Kissen.


„Du glaubst, du kannst mich austricksen?“, flüsterte sie kopfschüttelnd, während sie in aller Ruhe das zweite Seil um seine Linke schlang und fest verknotete.


Sie hockte nun mitten auf seiner Brust, er konnte sie riechen, wollte sie berühren – jetzt war der letzte Augenblick, da er noch die Möglichkeit hatte, sich zu befreien! Körperlich war er der Stärkere, mit einem Knuff seiner Knie hätte er sie aus der Balance bringen und den Arm, auf dem sie kniete, unter ihr hervorziehen können. Doch er blieb ruhig, schloss die Augen und fühlte mehr, als dass er es hörte, wie sie den Knoten um den zweiten Bettpfosten knüpfte. Der Moment zog vorüber.


Da spürte er, wie sie sich auf seinen Schultern abstützte, und als er die Augen wieder öffnete, sah er ihre vollen Brüste direkt über sich.


Lylana wusste genau, wie sehr er es liebte, diese Brüste zu berühren, zu streicheln, zu massieren – und was für eine lustvolle Qual es ihm sein musste, dass ihm all das jetzt verwehrt blieb! Zufrieden registrierte sie seine gierigen Augen und verharrte einen auskostenden Moment lang über ihm. Dann stieg sie von ihm herunter, griff nach dem Gürtel ihres Kamvars und wandte sich seinen Beinen zu.


Mit ruhigen Bewegungen, die fast etwas Sakrales hatten, schlang sie den Riemen einige Male um Iavos Fußgelenke, führte sodann das Ende durch die eiserne Schnalle und zurrte ihn fest.


Das dritte und letzte ihrer Seile zog sie zwischen den gefesselten Beinen hindurch, und von dort aus zum Fußende des Bettes. Hier verlief, wie am Kopfteil auch, eine verzierte Querleiste. Iavo hatte sie seinerzeit just zu diesem Zweck angebracht – doch auch als unschuldiges Möbel­ornament wirkte sie sehr hübsch, sodass Besucher nicht unbedingt den tieferen Sinn errieten.


Lylana konnte einen Harvin binnen eines Atemzuges knüpfen, wenn es darauf ankam – aber mit diesem, der Iavo endgültig immobilisieren sollte, ließ sie sich Zeit, setzte jede Bewegung mit Bedacht und ohne Eile. Schließlich führte sie das Ende des Seils durch die letzte Schlaufe und vollendete ihr Werk mit einem finalen Ruck.


Er war nun wehrlos – und sichtlich erregter denn je. Sie fuhr ihm lachend durch die blonden Haare. Dann setzte sie sich wieder auf ihn und rieb ihr Geschlecht einige Male genussvoll an seinem. Und wie gut und richtig und wundervoll sich seine Härte anfühlte! Ruhig, fast andächtig führte sie ihn in sich ein.


Anfangs bewegte sie sich extrem langsam, genießerisch, vor und zurück, wie der Horizont verlief, das liebte sie. Währenddessen betrachtete sie sein Gesicht: die selig geschlossenen Augen, den leicht geöffneten Mund, die hohen Wangenknochen, über die sie so gern mit dem Finger fuhr, am liebsten jeden Tag.


Plötzlich hielt sie inne und beugte ihren Oberkörper nach vorn, bis ihre Nippel seine Brust berührten. Als sie ein wenig nach links und rechts strich, spürte sie, wie sie sich härteten, und wusste, dass auch er es fühlte. Seine Hände zuckten in den Stricken. Er genoss diese Berührungen, doch machten sie ihm gleichzeitig umso bewusster, dass ihre Brüste für seine verlangenden Hände außer Reichweite blieben.


All das konnte sie in ihm lesen wie in einem Buch, als sie sich wieder aufrichtete und ihre rhythmischen Bewegungen erneut begann, rascher diesmal. Iavo nahm ihren Takt auf und wippte seine Hüfte in ihrem Tempo.


„Lylana“, wisperte er.


Sie hielt ihm den Mund zu – nicht, weil sie seine Stimme nicht hören wollte, sondern weil sie sich in dieser Macht sonnte, die sie über ihn ausübte, in dieser Entscheidungsgewalt über all seine Äußerungen, solange er gefesselt war.


Aber er lag nur in Fesseln, weil er selbst sie dazu aufgefordert hatte, nicht wahr? Wer also übte die wirkliche Macht aus? Lylana fiel es schwer, sich darauf eine Antwort zu geben. Sie ließ den Gedanken ziehen und versuchte stattdessen, ganz in diesem Moment zu sein, Iavo in sich zu spüren, und die Vorfreude auf ein gemeinsames Leben mit ihm ließ sie laut aufschreien, als sie kam.


 


Erster Teil




„Und Tzorim sprach zu Natala: Wir sind Macht und Geist und Wort und Tat, sind Gedanke, sind Kraft, sind Ursache und Wirkung. Doch ich spüre die Präsenz eines Anderen, das wir nicht sind.“ – Baba Arefi, Tzorims Welt


 


1. Heimkehr


 


„Lylana! Wie überaus wundervoll, Euch wohlbehalten wiederzusehen!“


„Ich freue mich ebenfalls sehr, leʼRomm.“


Lylana umarmte den dunkelhäutigen Mann mittleren Alters. LeʼRomm war im Unternehmen ihres Vaters dessen rechte Hand, sie kannte ihn seit Kindheitstagen und hatte ihn auf eine familiäre Art lieben gelernt. Auf leʼRomm war immer Verlass gewesen, selbst in düstersten Zeiten.


„Ich hoffe, Eure Reise verlief reibungslos und ohne unangenehme Zwischenfälle?“


„Fast. Einmal fegte der Sturm einen Matrosen über Bord. Wir konnten ihn bald wieder an Deck hieven, aber bis dahin hatte ihn ein Schmerzhai angefallen.“


„Ich kenne die Biester. Nicht länger als eine Elle, aber von ihnen erwischt zu werden ist Folter!“


„Den Armen quält die Verletzung gelegentlich bis heute. Zum Glück war das der einzige Vorfall solcher Art.“


„Seht mich höchst erfreut, dass die Piraten Euch verschonten! Wir hörten schlimme Neuigkeiten von den westlichen Gestaden des Großen Meeres.“


„Ihr dürft nicht alles glauben, was Ihr hört! In Monqaro selbst erzählt man zitternden Zungenschlags von einem gefürchteten Seeräuber, der aus seiner geheimen Zuflucht heraus ein Schiff nach dem andern überrennt. Und wisst ihr, warum man ihm so hilflos ausgeliefert ist?“


LeʼRomm schüttelte den Kopf.


„Weil er unsterblich sei!“, lachte Lylana und fuhr gespielt bedrohlich fort: „Kein Mensch! Kein natürliches Wesen! Mit einem Schiff, drei Mal so schnell wie das schnellste der monqarischen Flotte!“


Sie winkte unbeeindruckt ab. „Ihr seht, LeʼRomm, das geflügelte Untier des Gerüchts ist zuhaus nicht mehr als eine Fliege! Wenn es dort Piraten gab, dann waren sie deutlich langsamer als wir.“


„Exzellent!“ LeʼRomm legte ihr die Hand auf die Schulter. „Nun geht nur als Erstes zu Eurem Vater, der auf Euch wartet! Er hatte etwas früher mit Euch gerechnet, nachdem die Löschung Eurer wertvollen Ladung bereits zur Mittagsstunde beendet war.“


„Ich hatte … Dringendes zu erledigen.“


Sie konnte das Grinsen nicht ganz aus ihrem Gesicht vertreiben, und leʼRomm nickte lächelnd und wissend. Es war allgemein bekannt, dass Lylana und Iavo schon am nächsten Tag heiraten wollten. Eines fühlenden Menschen Verstand brauchte nicht viel, um sich die Natur jener Dringlichkeiten eines nach so langer Zeit wieder vereinten jungen Paares auszumalen.


Sie öffnete die große Doppeltür zum Büro ihres Vaters, der wie so oft an seinem schlicht gearbeiteten Stehpult mit Schreibarbeiten beschäftigt war. Als er sie sah, hellte sich seine Miene auf, und er kam freudig auf sie zu, um sie zu umarmen.


„Lylana!“, rief er aus. „Wir haben so lange auf dich gewartet!“


„Das kam dir nur so vor, Vater“, erwiderte sie liebevoll, während sie sich seiner Umarmung hingab, „wir waren ganz im Zeitplan. Bis auf ein paar Wetterkapriolen ist alles so geschehen, wie wir es geplant hatten.“


„Wunderbar! Denk nur daran, dass deine Ladung nicht zu lange in den Hafenhallen liegen sollte.“


„Wegen der Myriadenmotte, die dort manchmal umgeht, ich weiß. Keine Sorge! Ich habe schon Boten an mögliche Käufer ausgesandt. Du wirst sehen, bis morgen sind die Hallen wieder leer!“


„Ich hätte wissen müssen, dass du daran denkst, meine Kleine.“ Zärtlich strich er über ihren Hinterkopf. „Du kannst viel bewirken … ich denke, wenn die Hochzeit vorbei ist, werden wir über deinen künftigen Platz reden müssen.“


Sie runzelte die Stirn und löste sich von ihm.


„Wie meinst du das? Mein Platz ist auf der Pharo! Da habe ich mich bewährt, sie ist mein zweites Zuhause.“


Nachdenklich zwirbelte ihr Vater seinen kleinen Kinnbart.


„Momentan ist das so, ja. Und ich freue mich, dass du auf diesem Schiff so glücklich bist. Auf ihr war ich selbst lange Jahre Matrose, Offizier, Kapitän. Bevor ich mich geschäftlich auf eigene Füße stellte … ach, Crutok nochmal, das scheint Äonen her zu sein! Und genau das ist der Punkt, Lylana. Ich werde nicht jünger. Ich erinnere mich noch an Ereignisse, die heute von Historikern erforscht werden und wissenschaftliche Schriftrollen füllen! Es ist“, fügte er augenzwinkernd hinzu, „nur eine Frage der Zeit, bis sie in die Zuständigkeit von Archäologen fallen!“


Als er weitersprach, war sein Tonfall wieder ernst: „Ich werde meine kleine Handelsflotte nicht ewig selbst führen können. Ich brauche eine Nachfolgerin, der ich vertrauen kann! Und zwar am besten recht bald, nicht erst, wenn ich alt und klapprig bin und zu gebrechlich, meinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen.“


Lylana schluckte. Sie als Leiterin des gesamten Unternehmens?


„Wir hatten“, begann sie, „einmal über deinen möglichen Rückzug gesprochen, ich weiß. Aber ich dachte, wir sprächen von der fernen Zukunft! Und wolltest du nicht Tum-Baro zu deinem Nachfolger heranziehen, meinen Ersten Offizier?“


Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe das noch einmal durchdacht. Tum-Baro ist verlässlich, aber zeigt zu wenig Initiative. Er ist tief in seinem Innern eher eine Nummer Zwei.“


„Und leʼRomm?“


„LeʼRomm ist nun seit fünf Jahren an Land. Er hat mich inständig gebeten, ihm ein Schiff zu geben. Wenn du hier die Fäden in der Hand hältst, wird er also Kapitän der Pharo.“


„Aber ich bin erst zwanzig! Gerade mal zwei Zyklen und zwei Jahre! Ist das nicht zu jung für eine so verantwortungsvolle Stellung?“


„Deine Jugend, liebste Lylana“, lachte ihr Vater, „ist ein Problem, das sich mit der Zeit von selbst lösen wird!“


Er zwinkerte ihr zu.


„Außerdem wirst du einundzwanzig sein, noch bevor der Frühling wiederkommt.“


Sie wog in Gedanken ihre möglichen Zukünfte ab.


„Werde ich dann überhaupt noch selbst zur See fahren?“


„Mach dir darüber keine Sorgen. Wenn du eine Weile hier warst und alles in die richtigen Bahnen gelenkt hast, findest du da sicher eine Möglichkeit.“


„Das ist gut. Du weißt, ich brauche die Weite, die Unendlichkeit des Ozeans! Sonst fühle ich mich auf Dauer eingesperrt. Da geht es mir wie leʼRomm.“


„Nun, vielleicht solltest du für den Anfang nicht gerade ein weiteres halbes Jahr auf dem Großen Meer einplanen. Aber ich denke, eine Handelsfahrt nach Urakido wird dir möglich sein. Vielleicht auch nach Kury, der Seeweg dorthin ist deutlich schneller, als durch die Irrlichtsümpfe zu wandern.“


Nachdenklich setzte er hinzu: „Wenn ich es recht bedenke … momentan scheint es gewisse Spannungen zwischen dem Großfürsten von Korkur und unserem König zu geben. Die solltest du abwarten, bevor du in Kury wieder Geschäfte machst!“


Er wischte das Thema mit einer Geste beiseite und knuffte Lylana freundschaftlich mit dem Ellenbogen.


„Was ist, wollen wir zur Feier des Tages heute Abend etwas Schönes essen gehen? Oder fühlst du dich in einem Gasthaus auch eingesperrt?“


„Gerne, Vater! Ich will nur noch kurz zu Tum-Baro. Er bat mich um eine Unterredung.“


Der alte QiʼLynn runzelte die Stirn. „Ihr wart doch monatelang zusammen auf See, was kann es da jetzt schon wieder zu besprechen geben?“


Lylana zuckte die Schultern. „Das wird er mir schon sagen.“


Für den Inhalt dieser Seite ist der jeweilige Inserent verantwortlich! Missbrauch melden



© 2008 - 2023 suchbuch.de - Leseproben online kostenlos!


ExecutionTime: 1 secs