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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Die Heiligen Dolche, Anna Manz
Anna Manz

Die Heiligen Dolche


Das Erbe der Krone

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                  Anna Manz


 


 


   Die Heiligen Dolche


 


       Das Erbe der Krone


 


 


 


                      Fantasy Roman


 


 


 


 


 


 


 


 


 Wer, wenn nicht wir,


                       wann, wenn nicht jetzt?


 


    Jeanne d´Arc (1412-1431)


 


 


 


 


 


   Prolog


Eleo kletterte langsam die steinerne Felswand hinauf. Sein Arm schmerzte, da sich die Wunde noch nicht vollständig geschlossen hatte. Schließlich war die Große Schlacht, in der    er selbst an der Seite seines Herrn, dem Schattenkönig, gekämpft hatte, nicht einmal eine Woche her. Ihr Heer war dem des Auserwählten Liu zahlenmäßig weit überlegen gewesen. Sie hatten sich stark gefühlt, stark und sicher. Doch alles war anders gekommen, als es hätte kommen sollen. Der Auserwählte hatte den Schattenkönig besiegt, hatte ihn ermordet. Bei dem Gedanken verkrampfte sich Eleos Hand und er musste sich fester in den nackten Stein krallen. Nachdem der Auserwählte diese grausame Tat vollbracht hatte, hatte er die Krone in die Höhe gehalten und selbst die Leute aus Eleos Heer waren wie Feiglinge auf die Knie gefallen. Nur er war stehen geblieben. Nie würde er sich Liu unterwerfen. Eleo verabscheute ihn wegen dem Mord an seinem Herrn, an seinem Vorbild, an dem, mit dem er aufgewachsen, an dessen Hof er gelebt hatte. Er sah die hellgrünen Augen Lius vor sich und ihm wurde schlecht. Eleo war zwanzig Jahre alt, etwas jünger als der Auserwählte. Erschöpft zog er sich schließlich weiter hinauf und gelangte endlich auf eine Wiese. Die Wiese, auf der der erbitterte Kampf zwischen Liu und dem Schattenkönig vor kurzem stattgefunden hatte. Nichts erinnerte mehr an die Gewalt, an den Zorn, an all das Blut, das hier oben vergossen worden war. Eleo ballte die Faust und ließ sich auf die Knie fallen. Eine Träne rann ihm über die Wange. Doch dann verharrte er, biss die Zähne zusammen und sagte sich mit einem leicht irren Lächeln: „Nein, nein, Euer Tod soll nicht umsonst gewesen sein. Ich werde Euch rächen. Ja, Rache werde ich an diesem Bastard von Halbschatten nehmen. Alle werde ich zusammentrommeln, die einst mit Euch gekämpft haben. Glaubt mir…Ich werde mich rächen!“ Mit der Beendigung dieses Satzes sprang er auf und war sich seiner Sache mehr als sicher.


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


Teil 1


         Blut, Stahl und Feuer


   1


22 Jahre später


Tod. Verdammnis. Verderben. Mehr als diese Worte gab es nicht mehr in ihrem Kopf. Es waren die letzten Worte des Buches. Sie beendeten alles, nicht nur die Zeilen eines alten, verfallenen Schmökers. Ihr Herz raste und hämmerte gegen ihren Brustkorb. Ihr eigener Herzschlag kam ihr so laut wie ein Donnerschlag vor und ihr ganzer Körper begann unangenehm zu zittern. Die Blätter der fast kahlen Bäume begannen gemeinsam mit den knochigen Ästen ein Lied anzustimmen, als ein Windstoß durch den Wald fegte. Ein lautes Pfeifen war zu hören, die dürren Äste begannen lautstark aneinander zu schlagen und die verbliebenen Blätter raschelten unheilverkündend. Sie hatte ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle, wusste nicht mehr, wer sie war, wo sie war. Ihre Gedanken spielten verrückt und froren ein. Für logische Überlegungen war kein Platz mehr in ihrem Kopf. Da waren nur noch diese drei Worte. Tod. Verdammnis. Verderben. Wieder durchfuhr ein Schauer ihren schlanken Leib. Die Kälte war einfach unerträglich. Sie warf einen Blick nach oben. Die Wolken zogen sich immer dichter zusammen und verdrängten den Himmel voll und ganz. Bedrohlich sahen sie aus, schwarz und bedrohlich. In diesem Moment zuckten Blitze über den Himmel, Donner rollte übers Land und ein starker Wind erfasste den Wald, riss an ihren Kleidern, an ihrem Haar. Schutzlos war sie nun diesem Unwetter ausgeliefert. Da waren nur ihr wollener Umhang und sie. Alles Leben hatte sie schon vor Tagen verlassen, als sie beschlossen hatte, diese Gegend zu betreten. Sie wusste, weshalb sie hier war, doch es erschien ihr nur noch nebensächlich, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich vernahm. Langsam senkten sich Pfoten auf der dünnen Laubschicht im Schutze des Gewitters. Doch sie hörte sie, wusste, welche Art von Gefahr ihr drohte, dennoch war sie wie eingefroren, unfähig sich zu bewegen, klar zu denken. Da hatten die Wesen sie auch schon eingeholt und begannen sie zu umkreisen. In der völligen Dunkelheit konnte sie nur die hellgelb leuchtenden Augen der Tiere sehen und das furchterregende Knurren aus ihren Kehlen hören. Sie fuhr herum, als eine der Bestien sich mit ihren durchgedrückten, kräftigen Beinen vom Waldboden abstieß und sich auf sie stürzte. Da war niemand, der ihr helfen konnte. Da waren nur Tod, Verdammnis und Verderben…


Es war ein Tag wie jeder andere. Tarik war bereits in den frühen Morgenstunden aufgestanden und hatte sich auf den Tag vorbereitet. Trocken und etwas warm fühlte sich das Hühnerfutter in seiner Hand an. Langsam ließ er es durch die Fingerzwischenräume rieseln und beobachtete gespannt, wie sich eine Horde von aufgeregt gackernden Hühnern vor seine Füße warf und sich um die Körner stritt. Noch ein paarmal griff er in den mit Futter gefüllten Eimer und streute den Tieren, die sich durch ihre Eigenartigkeit seine tiefe Bewunderung verdient hatten, etwas mehr davon hin. Als schließlich jedes der Hühner glücklich ein paar Körner vom Boden pickte und der Streit größtenteils abgeklungen war, machte sich Tarik wieder in den Schuppen, wo er dann den Eimer abstellte. Er war seit ein paar Monaten endlich zwanzig Jahre alt, womit er nun offiziell als Erwachsener galt. Er wohnte bei seinem Vater und half ihm bei der Arbeit aus. Jantar war Schafhirte und Tarik musste ihm oft dabei helfen, da er schon sehr alt war. Seine Mutter war leider vor drei Jahren gestorben. Manchmal war Tarik sogar ganz alleine für die ganze Herde verantwortlich. Ihm gefiel das Hüten. Es war eine ruhige Beschäftigung, die aber trotzdem viel Konzentration erforderte. Als er jünger gewesen war, hatte er sich immer vorgestellt, die Schafe seien irgendeine Prinzessin und er sei dazu auserwählt worden, sie vor den Gefahren der Außenwelt zu schützen. Als Ritter. Das war sein Traum von klein auf. Ritter werden. Es gab nichts in seinem Leben, das diesem Verlangen auch nur halbwegs nachkam. Seit er ein kleiner Junge war, hatte er es sich immer gewünscht, eines Tages auch ein prächtiges Schwert und eine wunderschöne Rüstung zu bekommen, so wie es in all seinen Kinderbüchern dargestellt worden war. Außerdem wollte er einem gerechten und guten König die Treue schwören und somit dem Land helfen. Ja, er wollte der Schattenwelt helfen so wie es einst sein großes Vorbild getan hatte. Liu, oberster König der Schattenwelt, von den Göttern auserwählt zu dieser Aufgabe und mit Abstand einer der besten Kämpfer der gesamten Welt. Schon immer hatte Tarik genauso wie er sein wollen, hatte als kleiner Junge Rollenspiele gespielt und sich mit den anderen Jungen mit Stöcken bekriegt. Doch in seiner Vorstellung war das alles real gewesen. Die krummen Stöcke waren zu prächtigen Schwertern geworden und seine Gegner zu gefährlichen Dämonen, die das Land bedrohten. Heute noch lächelte er über diese lebhafte Vorstellung. Tarik verließ den Schuppen und begab sich in das kleine Haus, das er gemeinsam mit seinem Vater Jantar bewohnte. Ein kleiner Stall, aus dem Tag und Nacht aufgeregtes Blöken drang, war nur ein paar Ellen vom eigentlichen Haus entfernt. Jantar hatte wirklich sein ganzes Leben diesen zwanzig wollenen Tierchen gewidmet und sich voller Fürsorge um sie gekümmert. Tarik jedoch, der immer wieder mit seinem Traum, Ritter zu werden und eines Tages einmal dem König zu dienen, angekommen war, hatte er keineswegs Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgelacht hatte er seinen Sohn sogar, behauptet, zu solch einer Aufgabe tauge er nicht und sei nicht edel genug dafür. Tarik ballte die Faust, als diese Worte wieder in ihm aufkeimten. Noch nie hatte irgendjemand hinter ihm gestanden. Auch die anderen Jungen im Dorf hatten nur selten etwas mit ihm unternehmen wollen. Wenn sie ihn wieder einmal von einem ihrer Spiele ausgeschlossen hatten, war er heimgekehrt und hatte sich in seinem kleinen Zimmer traurig in ein ganz bestimmtes Buch vertieft. Es handelte von der Geschichte des Auserwählten, legte alle Lebensstationen von Liu dar und erzählte, wie ein unbedeutender armer Rebell zum angesehensten und mächtigsten König einer ganzen Welt wurde. Genau dieses Buch zeigte Tarik immer wieder, dass es nichts gab, was unmöglich war. Und genau deshalb hielt er an seinem Traum fest. Würde er je lockerlassen, so würde er nie in Erfüllung gehen. Er würde gerne einmal den König sehen, ihn treffen, sich mit ihm unterhalten, doch das würde wahrscheinlich nie Wahrheit werden. Gefesselt war er an dieses verfluchte kleine Dorf, würde hier nie im Leben wegkommen. Er lebte in Lavia, einem nicht sonderlich einflussreichen Königreich mit einem selbstgefälligen König, welcher einen nicht gerade prächtigen Palast sein Eigen nennen konnte. Dieser war eigentlich gar nicht so weit entfernt. Manchmal gingen er und sein Vater sogar dorthin zum Markt, um die Wolle der Schafe und die Eier der Hühner zu verkaufen. Als kleiner Junge hatte er diese Ausflüge geliebt, doch mittlerweile waren sie zur Qual geworden. Sein Vater wurde immer älter und mit seinem Alter wuchs auch seine Unausstehlichkeit. Ein alter mürrischer Greis war er. Nicht mehr und nicht weniger. Tarik ging durch die Küche und begab sich in sein Zimmer. Es war nicht sonderlich groß und umfasste auch nicht sehr viele Gegenstände, die er sein Eigentum nennen durfte, aber dennoch war es sein Rückzugsort. Er ließ sich auf das einfache und etwas zu harte Bett sinken und griff fast schon automatisch nach einem Buch auf einem niedrigen Schrank. Die Geschichte des Auserwählten stand in goldenen, großen Lettern auf dem Einband und zauberte ein Lächeln auf Tariks Gesicht. Ganz vorne war das Wappen der Königsfamilie von Antaria abgebildet. Ein schwarzer, schlanker Wolf, der sich heulend gen Himmel reckte, befand sich auf hellgrünem Grund. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Umrisse des stolzen Tieres nach und legte das Buch dann wieder fort. Es war schon spät und für morgen hatte er mit seinem Vater vereinbart, das Hüten zu übernehmen. Also musste er gut ausgeschlafen sein, um diese eigentlich recht anstrengende Aufgabe bewältigen zu können. Er zog sich sein Hemd aus, warf es achtlos in eine Zimmerecke und schlüpfte in einer fließenden Bewegung aus seinen schwarzen Stiefeln. Dann legte er sich ausgestreckt aufs Bett und zog sich die wollene Decke über den Körper. Sie wärmte angenehm in dieser eiskalten Herbstnacht. Bald würde der Winter kommen. Mit jedem Tag wurde es kälter. Der junge Mann schloss die Augen und schlief dann friedlich ein. Hätte er gewusst, was ihn in den nächsten Tagen erwarten würde, er hätte nicht derart gut und erholsam schlafen können…


Die Sonne schien schwach und Tarik zog sich seinen Mantel enger um den schlanken Körper. Es hatte in der Nacht etwas geregnet und hier und da waren ein paar Pfützen gewesen, als er die Schafe auf eine höher gelegene Wiese getrieben hatte. Trotz jahrelanger Erfahrung darin war es eine mühselige Arbeit, die viel Ausdauer erforderte. Er hatte im Schatten einer mächtigen Kiefer Platz genommen und sich an den riesigen Stamm gelehnt. Die Schafe vor ihm grasten glücklich und blökten unaufhörlich. Tarik ließ seinen Blick aufmerksam über das weite Feld schweifen. Die rechte Hand ruhte automatisch auf dem Heft seines Messers. Er nahm es immer für diese Arbeit mit. Sollte einmal etwas geschehen, so war er dem nicht hilflos ausgeliefert. Von seinem Vater hatte er immer wieder Geschichten erzählt bekommen, was diesem dabei alles geschehen war. Einmal war er von Banditen angegriffen worden, die ihn mit jemand anderem verwechselt hatten, und schon oft hatte Jantar sich mit einigen wilden Tieren anlegen müssen. Tarik stellte sich seinen alten gebrechlichen Vater gerade dabei vor, wie er mit einem mächtigen Hyrera kämpfte, und musste kichern. Seine Gedanken kreisten über die verschiedensten Gebiete, während seine Finger unruhig auf dem Heft des Messers trommelten. Dies war wohl eines der letzten Male dieses Jahr, dass er die Schafe auf diese Wiese hier führen würde, überlegte er. Die Stunden vergingen und nichts regte sich. Es gab nicht viele Geräusche. Höchstens, wie die Grashalme abgerissen und in den Kiefern der Schafe zermalmt wurden oder das eintönige Blöken. Vielleicht noch Tariks ruhiger Atem, der in der kalten Luft bereits kleine Wölkchen bildete. Zum dutzendsten Mal blickte er über das Feld und fand nichts, keine Lebensform, kein gar nichts….oder? Was war das da hinten, das aus dem Wald hervorkam? Tariks Herz begann zu rasen. Da war etwas, auf die Entfernung nur ein kleiner schwarzer Punkt, aber da war etwas. Er sprang wie von der Tarantel gestochen auf und riss das Messer unter seinem Mantel hervor. Egal, was da war, es würde keine Chance haben, müsste erst an ihm vorbei. Tarik versuchte bedrohlich zu wirken. Der schwarze Punkt bewegte sich langsam, etwas zu langsam…Dann konnte man beobachten, wie das Etwas in sich zusammensackte und zu Boden glitt. Tarik war besorgt. Irgendetwas stimmte hier nicht, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er beschloss, sich dem Etwas zu nähern, und lief mit einem letzten Blick auf die Herde wie der Blitz davon, rannte auf den dunklen Fleck zu. Und je näher er kam, desto sicherer war er sich darin, was das seltsame Wesen war. Als er schließlich nur noch drei Schritte von dem Etwas entfernt war, hatte sich sein Verdacht endgültig bestätigt. Es war eine junge Frau, etwa in seinem Alter. Bäuchlings lag sie auf der nassen Wiese und regte sich nicht. War sie tot? War sie ohnmächtig? Tarik kniete sich neben das Mädchen, drehte es vorsichtig auf den Rücken und hielt es in den Armen, damit sie richtig atmen konnte. Tarik stockte der Atem. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. So schön wie eine Göttin. Aber, um sie genauer zu betrachten, hatte er jetzt keine Zeit, denn Tarik hatte sofort erkannt, weshalb sie ohnmächtig geworden war. Auf ihrer Stirn klaffte eine breite, immer noch blutende Wunde und auch ihr rabenschwarzer, dicker Mantel war blutdurchtränkt und nass. Ihre Haut war bleich und ihr Atem ging nur stockend, war befreit von jeglicher Regelmäßigkeit. Nur ein Gedanke hatte in diesem Moment in Tariks Kopf Platz: Er musste ihr helfen! Doch wie nur? Er hatte keine Ahnung vom Behandeln oder solchen Dingen. Da fiel es ihm ein: Im Dorf gab es einen Heiler, der in der kleinen Kapelle lebte, zu der jedes Dorf in der ganzen Schattenwelt verpflichtet war. Die Kapelle war der Göttin Silera geweiht und befand sich mittig des Dorfes, also nicht weit von hier. Tarik ging alle möglichen Wege durch, die ihn am schnellsten zu der Kapelle führen konnten, und als er seine Gedanken schließlich geordnet hatte, hievte er die Frau hoch. Sie war leicht, leichter als erwartet. Ihre Glieder hingen reglos von seinen starken Armen herab und er war sich nicht sicher, wie viel Leben noch in ihr steckte. So schnell er konnte, raste er durch den Wald, vergaß alles um sich herum. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich den Wald durchquert und im Dorf angelangt war. Um diese Uhrzeit waren so ziemlich alle Dorfbewohner in ihren Werkstätten, um zu arbeiten. Also gab es niemanden, der ihn in irgendeiner Weise hätte aufhalten oder ihm hätte Fragen stellen können, die er sowieso nicht hätte beantworten können. Da kam die kleine Kapelle auch schon in Sichtweite. Ein niedriges Gebilde aus Holz, an dessen Außenwänden fast überall die weiße Farbe abgeplatzt war. Tarik stieg die drei Treppenstufen bis zum Eingang hinauf und stieß die kleine Eingangstür mit dem Ellenbogen auf. „Hallo?“, rief er hektisch. „Ich brauche Hilfe! Wo ist der Heiler?“ Eine Tür rechts von ihm flog auf und ein alter, dicklicher Mann kam heraus. „Was ist denn los, Junge?“, meinte er mürrisch und erblickte dann die Frau in Tariks Armen. „Bei Silera, was ist denn mit ihr geschehen?“ Seine kleinen Schweinsäuglein waren weit aufgerissen. „Ich…ich habe keine Ahnung. Bitte hilf ihr.“ „Nun gut. Dann trag sie bitte in das Zimmer dort drüben.“ Der Mann deutete auf die Tür, aus der er soeben gekommen war. Tarik beeilte sich und kam dem Befehl nach. In dem Raum setzte er sie schließlich auf einer bettähnlichen Liege ab. „So, nun lass mich bitte in Ruhe meine Arbeit tun und geh in den Altarraum.“ Ohne weitere Fragen zu stellen, kam Tarik dem Befehl nach und schloss die Tür hinter sich, während er hinausging. Tausende Fragen schwirrten in seinem Kopf herum und vereinten sich dort zu einem bedrückenden Gefühl. Wer war diese schöne Frau? Was wollte sie hier? Warum war sie verletzt? Woher kam sie? Wer hatte ihr wehgetan? Wie hieß  sie? Tarik musste sich auf eine der Stufen vor dem Altar setzen, um von den ganzen Fragen nicht überrollt zu werden. Sein Blick fiel auf eine große Statue der Göttin in der Mitte des Raumes. Sie war wunderschön und in einem wallenden Gewand dargestellt. Ihr langes Haar schien zu wehen und ihr schönes Gesicht war kaum noch zu erkennen. Die Farbe, die es dargestellt hatte, war wohl mit der Zeit abgeplatzt. Ganz so wie im Rest des alten Gebäudes. An ein paar Stellen der hölzernen Statue war noch die ursprüngliche Bemalung zu erkennen. Ein angenehm leuchtendes Grün. Tarik stützte den Kopf in die Hände und versuchte ruhig zu bleiben, die ganzen Fragen zu verdrängen. Alles würde wieder gut werden, die Frau wieder auf die Beine kommen und er genug Zeit dazu haben, alle seine Fragen beantwortet zu bekommen.  Jetzt hieß es ausharren und abwarten.


 


Polan blieb ruhig. Auch vor diesem Mädchen hatte er schon schwere Fälle gehabt, doch er konnte nicht einmal identifizieren, woher ihre Wunden stammten. Er hatte ihr den dicken Mantel abgenommen und darin, versteckt in einem extra dafür eingenähten Fach, etwas sehr Interessantes gefunden. Es lag nun auf einem kleinen Tisch in dem sowieso schon sehr engen Raum. Die Kunst des Heilens hatte er schon von seinem Vater gelernt und der wiederum von seinem Vater. Wahre Heiler waren rar geworden seit der Großen Schlacht vor zwanzig Jahren. Das wohl berühmteste Mitglied der Gilde der Heiler war König Liu höchstpersönlich. Polan selbst beherrschte nur die einfachste Form davon, die nur bei leichten Verwundungen wirklich effektiv war, aber er bevorzugte sowieso lieber die Kräuterheilkunde. Die junge Frau trug Kleidung, die typisch für ein bestimmtes Königreich war. Neben der Wunde auf der Stirn besaß sie eine weitere lange und tiefe auf dem Rücken. Zunächst  hatte Polan die Wunde an der Stirn desinfiziert und mit seiner geringen Heilkraft die Blutung gestoppt. Entscheidender war nun die gefährlichere Wunde am Rücken. Dafür drehte er das Mädchen auf den Bauch und zerschnitt das Hemd dort an den Stellen, an denen es nötig war. Mit einem feuchten Lappen säuberte er die Wunde und desinfizierte auch diese mit einem von ihm selbst hergestellten Mittel. Der reglose Körper des Mädchens zuckte etwas zusammen, aber Polan war sich sicher, dass sie nichts spürte. Seine Heilkraft war zu gering, um bei dieser Verwundung Abhilfe zu schaffen, weshalb er sie nähen musste. Polan griff zu Nadel und Faden und wollte gerade seine Behandlung fortsetzen, als ihm etwas an ihrem Rücken auffiel, das ihn vor Schreck zusammenzucken ließ. Mittig des linken Schulterblattes war eine Tätowierung abgebildet, die dem Heiler sofort Aufschluss darüber gab, wer diese Frau war. Die Erkenntnis ließ ihn zittern und schließlich zögern. Doch er entschied, dass es seine Pflicht als Heiler war, jedem zu helfen. Da war es egal, woher dieses Mädchen stammte. Geschickt vernähte er die Wunde und hüllte die Frau in eine wärmende Decke ein, nachdem er einen Verband um Stirn und Rücken angelegt hatte. Er hob  sie in ein Bett und ließ sie die Erschöpfung durch eine ordentliche Portion Schlaf ausgleichen. Es war nicht auszudenken, was diese arme Frau alles hatte durchmachen müssen. Polan wusch sich die Hände und warf ein paar blutige Tücher in einen Korb, dessen Inhalt bei Gelegenheit immer an einem Fluss in der Nähe von ihm selbst gesäubert wurde. Während sich Polan die Hände abtrocknete, ging er aus dem kleinen Zimmer hinaus und betrachtete Tarik, der gedankenverloren an ein paar Flusen seines Mantels zupfte. Polan atmete einmal tief durch. Es war immer noch schwer für ihn, zu verkraften, wen er hier gerade behandelt hatte. Tarik bemerkte den alten Heiler erst ein paar Minuten später, sprang dann aber aufgeregt auf und postierte sich vor Polan. „Und? Geht es ihr besser? Ist sie schon wach?“, überhäufte er ihn mit tausenden Fragen. „Ich habe sie behandelt und sie schlafen gelegt. Bald müsste sie aufwachen und sich erholen. Mehr Informationen habe ich im Moment leider nicht für dich. Ich werde dir Bescheid geben, sobald es ihr besser geht. Einverstanden?“ „Danke, Heiler. Ich danke dir für deine Mühen.“ „Ach was“, Polan winkte mit der Hand ab, „das ist doch meine Arbeit.“ Der Heiler zwinkerte und Tarik verließ die Kapelle.


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