Suchbuch.de

Leseproben online - Schmökern in Büchern



Kategorien
> Fantasy Bücher > Die Einherjer
Belletristik
Bücher Erotik
Esoterik Bücher
Fantasy Bücher
Kinderbücher
Krimis & Thriller
Kultur Bücher
Lyrikbücher
Magazine
Politik, Gesellschaftskritik
Ratgeberbücher
regionale Bücher
Reiseberichte
Bücher Satire
Science Fiction
Technikbücher
Tierbücher
Wirtschaftbücher
Bücher Zeitzeugen

Login
Login

Newsletter
Name
eMail

Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Die Einherjer, Pascal Wokan
Pascal Wokan

Die Einherjer


Rache der Götter

Bewertung:
(51)Gefällt mir
Kommentare ansehen und verfassen

Aufrufe:
704
Dieses Buch jetzt kaufen bei:
Drucken Empfehlen

»Iss!« Eine dreckige Schüssel knallte vor mein Gesicht und verspritzte den größten Teil des matschigen Breis auf dem staubigen Boden. Ich verzog keine Miene, als ich mich in eine aufrechte Position hievte, darauf bedacht, mein rechtes Bein möglichst wenig zu belasten, und mich wie ein ausgehungerter Bettler auf den ekelhaften Brei stürzte. Für jemand anderen bot ich bestimmt einen Anblick des Elends, aber wenn man nicht viele Optionen hatte, konnte man sich keine Zurückhaltung leisten. Zu meinem Glück hatte mich noch nie interessiert, was andere über mich dachten. »Der Hunger treibt′s rein.« Der alte Knacker ging vor mir in die Hocke. Wieland, wenn ich mich richtig erinnerte. Seine verhornten und mit aufgeplatzten Blasen übersäten Finger krallten sich wie zwei Stahlklammern um mein Kinn und drehten es hin und her. Ich ließ es einfach geschehen. »Rost! Ich sollte dich sterben lassen. Ja, das sollte ich wirklich tun.« Da konnte ich ihm kaum widersprechen. Wenn ich es mir hätte aussuchen können, hätte ich den Weg wahrscheinlich gewählt. »Warum lässt du es nicht einfach zu?« Die Worte verfingen sich halb zwischen meinen tauben Lippen. »Hä? Musst schon lauter sprechen, Nordmann.« Ich krächzte und keuchte, sabberte und spuckte, um das trockene Kratzen in meinem Rachen zu vertreiben. »Bring es zu Ende.« Wielands Augen musterten mich vom Scheitel bis zur Sohle. »Vielleicht sollte ich das tun.« »Tue es!« Meine Hand schloss sich um sein dürres Handgelenk. Wenn ich nicht so schwach gewesen wäre, hätte ich es wie einen morschen Zweig brechen können. »Bring es endlich zu Ende!« »Du bist erbärmlich, Nordmann. Man sagt, euer Atem sei der Winter, eure Muskeln der Fels, auf dem ihr wandert, und euer Wille so unnachgiebig wie die Berge, in denen ihr haust.« »Man sagt? Du hast doch ganz stolz verkündet, du wärst schon in Skaldheim gewesen.« Ich ließ mich gegen die Felswand sinken. Das zerfurchte Gesicht des alten Mannes, das im unruhigen Fackelschein harte Linien annahm, wirkte unnachgiebig. Die heiße Luft und der Staub, der überall umherschwirrte, kratzten in der Lunge. An die Wärme hatte ich mich längst gewöhnt, aber das machte wohl kaum einen Unterschied, wenn der Rest meines Körpers seit dem Sturz versagte. Eben war ich noch an der Oberfläche gewesen und hatte Tristans verräterischen Worten gelauscht, der mehr gewesen war, als er zu sein vorgegeben hatte. Dann war ich durch einen Schacht in die Finsternis gestürzt und hatte mich hier wiedergefunden. Und hier – wo auch immer das war – gab es nur mich, den alten Sack und die Esse, die irgendwo hinter der nächsten Biegung stand und dauerhaft in Betrieb war. Seitdem waren mindestens zwei Wochen vergangen, in denen ich wie Abfall in einer Ecke dahinvegetierte. Ich hatte auch schon mal mehr Glück gehabt. »Ich war überall, Nordmann«, sagte Wieland, während er mich begutachtete, als wäre ich ein rohes Stück Eisen, bei dem er noch nicht sicher war, ob es etwas taugte. »Ich habe Dinge gesehen, die du dir nicht einmal in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst. Deshalb kenne ich auch dich und deine Art.« »Meine Art?« Ich wurde von einem trockenen Husten unterbrochen, der wie glühende Nägel in der Lunge stach. Als ich wieder richtig atmen konnte, setzte ich erneut an. »Du hast das schon mal gesagt. Bist du etwa kein Mensch?« »Ich bin Wieland der Schmied. Das sollte dir vorerst genügen.« Er schnappte die leere Schüssel und schlurfte davon. Das Lied, das er pfiff, berührte etwas in mir. Gedankenverloren nahm ich zwei Dinge aus meiner Brusttasche und hielt sie ins flackernde Licht. Links ein Bronzeschlüssel mit vielen Windungen und Verzahnungen. Das Symbol Lásabrjótur prangte in der Mitte, wodurch der Schlüssel jede Tür öffnen konnte. Rechts ein schimmerndes, goldenes Haar, das Erinnerungen weckte. Es war wie ein flüchtiger Gedanke, der sich mir entzog. Hart presste ich die Hände zusammen, bis es schmerzte. Ich hasste mich, dass ich den falschen Menschen vertraut hatte. Sowohl Håkon als auch Hrothgar und Tristan. Ich hasste mich, dass ich nicht stark genug gewesen war, um Siegfried zu beschützen oder alle anderen Recken. Und ich hasste mich, dass ich nicht den Mut aufbrachte, wieder aufzustehen und dort weiterzumachen, wo ich gescheitert war. Es war schon verdammt viel Hass, den ich auf mich empfand. Das Licht der Fackeln im angrenzenden Gang schickte unruhige Schatten über die Wände und reichte kaum aus, die Höhle, in der ich saß, vollständig zu beleuchten. Die Schatten verschwammen vor meinen Augen, formten sich zu ausgemergelten Gestalten, die mich musterten, bis auch sie sich von mir abwandten. Offenbar hatten sogar die Schatten entschieden, dass ich es nicht wert war, ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Ganze zwei Tage lag ich da, lauschte dem Plätschern eines fernen Bachs, der nicht weit von mir durch die Gesteinsschichten sickerte, hörte Wielands Fluchen, während er mit seinem Hammer auf den Amboss schlug, und schmeckte den rauchigen Ruß und den beißenden Qualm der Esse. Erst dann fasste ich den Entschluss, dieses jämmerliche Dasein hinter mir zu lassen. Ich war nie jemand gewesen, der allzu lange Vergangenem hinterhertrauerte – sowas stand einem Söldner nicht gut zu Gesicht –, aber ich war jemand, der sich nicht gerne übers Ohr hauen ließ. »Håkon«, murmelte ich, während ich mich auf meine Füße wuchtete. Meine Beine zitterten unter der plötzlichen Last und ich bemerkte, wie schwach ich geworden war. Der angeknackste Knöchel, die geprellten Rippen und die Schürfwunden, die sich über meinen gesamten Rücken zogen, waren einigermaßen verheilt. Ein heißer Schmerz zuckte durch meine Seite und ich wusste, dass das Narbengeflecht wieder brannte, aber daran hatte ich mich schon lange gewöhnt. Mir ging es jedenfalls nicht so dreckig wie nach der Folter in Ubrias Kerkern. »Hrothgar. Trond. Tristan.« Die Liste der Menschen, die die Rache des Schwarzfels‘ verdienten, wurde immer länger. Immer wieder murmelte ich die Namen vor mich hin, als ich die Höhle verließ und mich mehr stolpernd als laufend in den angrenzenden Gang schob, der direkt mit einem weiten Gewölbe verbunden war. Die Wände waren mit wunderschönen Steinmetzarbeiten versehen, wie ich es auch in Svartalfheim gesehen hatte, allerdings waren die hier weicher und gingen in andere Muster und Symbole über, die vor meinen Augen verschwammen, wenn ich länger hinsah. Außerdem waren Wände und Decke rund abgetragen, während die Schwarzalben eckige Formen bevorzugten. Eine wuchtige Esse befand sich am anderen Ende, davor ein ebenso wuchtiger Amboss, dessen Aufprallfläche sich unter den Schlägen derart verformt hatte, dass er wie ein unförmiger Block wirkte. Reihen an Waffen in allen möglichen Formen und Längen hingen an den Wänden, manche so abstrus, dass sich mir deren Zweck verschloss. Es gab aber auch andere Dinge, die manch einer für Gerümpel gehalten hätte. Rechteckige Ringe, Zahnräder, gebogene Stangen, Rohre und ein Gestell, das an das Gefieder eines Adlers erinnerte. Dazwischen türmten sich allerlei Werkzeuge, darunter Hämmer, Meißel, Zangen, Feilen und Handbohrer. Die meisten waren verbogen oder kaputt, aber es gab auch einige, die noch einigermaßen funktionstüchtig aussahen. Am meisten erstaunte mich die Trophäensammlung, die achtlos in einer Ecke lag, als wäre sie einst von Bedeutung gewesen, nun aber eher lästig. Ich sah in Gold gefasste Knochen, gebogene Hauer, die zu einem Tier gehörten, das so groß wie ein Haus sein musste, Münzen in allen Farben, einen großen blauen Zeh, so breit wie meine Handfläche, und viele weitere Dinge. »Und, was gefunden?« Ich schnappte den Zeh und betrachtete ihn von allen Seiten. »Hübsch.« »Solltest mal den Fleischberg sehen, zu dem der gehört.« Ich warf den Zeh auf den Haufen. »Hat er sich gewehrt?« »Was glaubst du denn?«, gackerte Wieland. »Hat gebrüllt, als wäre Hel persönlich hinter ihm her. Dabei war es nur ich.« »Zu wem gehört der Zeh?« Wieland schenkte mir ein irres Grinsen. »Was denkst du?« »Was denkst du?« »Nein, was denkst du?« »Keine Ahnung.« »Hab ich auch nicht.« Ich stutzte. War ich an einen Verrückten geraten? Wobei, verrückter als ich konnte er kaum sein. »Wo bin ich hier?«, stellte ich die Frage, die mir seit geraumer Zeit auf der Zunge brannte. »In meinem Reich.« Wieland schnappte sich eine Stange aus rohem Eisen und näherte sich der Esse, in der ein Feuer auf kleiner Glut knisterte. Daneben stand ein riesiger Blasebalg und unwillkürlich fragte ich mich, wer die Kraft aufbringen konnte, ein solches Monster zu bedienen. Die Wärme war kaum auszuhalten, aber ihn schien das nicht weiter zu stören. Ich folgte ihm und sah zu, wie er einen großen Kübel in der Esse abstellte. Anschließend legte er die Eisenstange hinein und griff nach mehreren Metallblöcken, die golden schimmerten, und reihte sie an den Rändern des Kübels auf. Er zog sein Hemd aus, das überraschend sauber war, faltete es penibel zusammen und legte es auf einen Stuhl, der kaum unter einem Stapel Pergamentblätter zu erkennen war. Überraschenderweise wirkte Wieland nicht so dürr und abgemagert, wie ich erwartet hätte, stattdessen wölbten sich drahtige Muskeln an Armen, Brust und Bauch, die man nur bekam, wenn man jahrelang körperliche Arbeit verrichtete, und er besaß Hände wie Pfannen. Auffällig waren die wulstigen Narben, die zwischen den weißen Brusthaaren hervorlugten, aber ich sprach ihn nicht darauf an. Jeder Mensch, so alt er auch sein mochte, besaß Narben. Manche waren sichtbar, andere reichten tiefer. »Leg das Holz in den Schacht, Nordmann!«, sagte er barsch und deutete auf einen Stapel schwarzer Holzscheite. »Ahnenholz?« Ich pfiff durch die Zähne. »Dachte, das Zeug gibt es kaum noch irgendwo zu finden.« »Rost! Wenn du zu nichts zu brauchen bist, hast du keinen Wert für mich. Halt die Klappe und hilf mir oder geh!« Ich musste grinsen. Der alte Sack war mir gleich auf Anhieb sympathisch. Die Holzscheite waren für ihre Größe seltsam schwer, was daran liegen mochte, dass sie von einem Ahnenholzbaum stammten, die, so sagte man zumindest, mit dem Weltenbaum Yggdrasil in Verbindung standen. Ich schloss den Schacht und spürte sofort, wie die Esse heißer wurde. Über einen breiten Abzug konnte der Rauch abgesogen werden, und meine Augen folgten den langen Metallrohren, die in der Decke über uns verschwanden. »Wo führen die hin?«, fragte ich und deutete darauf. »Raus.« »Und wohin genau?« Wieland sah kurz von dem Kübel auf. »Raus.« Also einer von der weniger redseligen Sorte. Damit konnte ich umgehen. Beowulf war genauso gewesen, ganz zu schweigen von Krähe. Siegfried hingegen war … ich vertrieb den Gedanken mit einem Kopfschütteln. Siegfried war tot, gefallen im Kampf gegen den Drachen Fafnir. Brachte nichts, sich weiter den Kopf zu zerbrechen, auch wenn der Junge der einzige gewesen war, der so etwas wie einen guten Menschen in mir gesehen hatte. »Kannst du pumpen?« Ich tauchte aus meinen Gedanken auf. »Joh.« Wieland machte eine knappe Geste zum Blasebalg. »Pumpe!« »Falls du willst, dass ich dir beim Schmieden helfe …« »Schmieden? Du kannst nicht schmieden. Dafür bist du noch nicht bereit, Nordmann. Ich will etwas überprüfen, also pumpe.« Da ich nicht damit rechnete, eine bessere Antwort zu erhalten, näherte ich mich dem Ungetüm, stellte mich auf die Zehenspitzen, packte den Blasebalg am langen Hebel und zog. Der Blasebalg bewegte sich nicht. »Was ist los, Nordmann? Zu schwach?« »Willst du mich verarschen?« Ich zog, hängte mich mit meinem ganzen Gewicht daran und hatte das Gefühl, mir die Schultern auszukugeln, aber das Scheißding bewegte sich keine Ale. Wieland sah mir einen Moment zu, dann stieß er ein Schnauben aus, schob mich zur Seite und packte den Hebel. Mit einem kräftigen Ruck bewegte sich der abwärts und wieder hinauf. Mir traten fast die Augen aus den Höhlen. Ich hatte den Blasebalg nicht einmal bewegen können, aber der alte Knacker bewegte ihn, als wäre es das Normalste der Welt. Scheiße, kam nicht oft vor, dass ich beeindruckt war. »Jetzt du!« »Ich kann nicht.« »Du kannst nicht? Sowas will ich nicht hören. Tue es oder lasse es. Das ist mit vielen Dingen im Leben so. Kraft«, er tippte gegen seinen muskulösen Oberarm, »Macht«, nun tippte er gegen seine Brust, »und Wissen«, zuletzt deutete er auf seine Stirn, »bringen dir gar nichts, wenn du nicht glaubst.« Ich lachte hohl. »Glauben? Die alten Götter sterben aus. Ich war in Lerje, habe den sterbenden Leib einer Göttin in den Händen gehalten. Sieht ganz danach aus, dass uns der Nachtstern bald alle zu Schlamm gemacht hat.« »Dann wird′s wohl Zeit, dass einer was dagegen unternimmt, oder?« »Und wer?« »Keine Ahnung. Alles, was wir brauchen, ist Glaube.« »Und woran soll ich glauben?« Wieland warf mir einen langen Blick zu und irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, dass er nicht nur mich betrachtete, sondern auch etwas in mir sah. »Na, an dich selbst. Woran sollte man sonst glauben?« »Haben wir nicht eben über die Götter gesprochen?« »Und? Macht das einen Unterschied?« Das Gespräch war so seltsam, dass ich keine Antwort fand und stattdessen den Hebel packte. Ich dachte überhaupt nicht nach, riss den Hebel herunter und ließ den Blasebalg sich wieder aufblähen. Überrascht hielt ich inne und sah zwischen ihm und Wieland hin und her. »Überrascht, Nordmann?« »Hm«, brummte ich und zog erneut. Auf einmal stellte es kein Problem mehr dar, das Ungetüm zu bedienen, auch wenn ich kräftig ins Schwitzen kam. »Vertrauen und Glaube beginnen in erster Linie bei einem selbst.« Wieland wandte sich der Esse zu und seine Züge wirkten hart im Feuerschein. »Wenn du nicht an dich glaubst, wie soll es jemand anderes tun?« »Ehrlich gesagt hab ich′s nicht so mit Vertrauen. Und glauben ist bei mir auch keine Option.« »Solltest du aber. Der Krieg hat bereits begonnen und wenn du dich nicht entscheidest, auf welcher Seite du stehst …« Er ließ das Ende des Satzes unausgesprochen. Ich zog wieder am Blasebalg. Meine Muskeln protestierten unter der Belastung und der Schweiß lief mir bereits in Strömen von der Stirn. »Auf welcher Seite stehst du denn?«, fragte ich zwischen zwei Atemzügen. »Auf keiner. Hab meine eigenen Probleme.« »Ah«, nun war es an mir, ihm einen langen Blick zuzuwerfen, »ich sehe Rache, wenn sie mir gegenübersteht.« »Nein, du siehst sie nicht nur.« Wieland schwieg, während er die Glut betrachtete, die mit jedem Gebläse stärker wurde. »Du bist die Rache.« »Woher willst du das wissen?« »Ist es denn nicht so?« Mein Gesichtsausdruck musste Antwort genug sein. Eine Weile taten wir nichts anderes. Ich betätigte den Blasebalg und schnaufte wie ein wildgewordener Ochse, während Wieland die Glut und den Kübel betrachtete. Mein Atem ging in harten Stößen, mein Rücken bog und krümmte sich bei jedem Ziehen und ich spürte bereits den vertrauten Schmerz in den Muskeln, wenn sie überbeansprucht waren. »Mehr Holz!« Ich war überrascht, dass ich seiner Anweisung widerstandslos nachkam, aber der alte Sack hatte sich zumindest um mich gekümmert und ich wurde den Eindruck nicht los, dass er mehr wusste als er vorgab. Mit geübten Griffen, als hätte ich das schon immer getan, schnappte ich mir drei weitere Scheite und legte sie in den Schacht. »Ahnenholz brennt heißer.« Wieland klang wie ein Lehrmeister, der seinen Schüler unterwies. »Außerdem ist eine Substanz enthalten, die gemeinhin eine Verbindung zur Magie herstellen kann.« »Wofür brauchen wir diese Magie?« »Zum Schmieden natürlich.« »Ah. Klar. Und was schmieden wir?« »Das weiß ich noch nicht.« Ich hielt kurz inne und wischte mir über die Stirn. Meine Lederrüstung war bereits zerkratzt und eingerissen, aber ich hing an dem Stück und zog sie aus. Das Hemd darunter war versaut, trotzdem kam ich Wielands Beispiel nach, zog auch das Hemd aus und legte beides beiseite. »Wenn du nicht weißt, was wir schmieden, wie kann es dann gelingen?«, wollte ich wissen, als ich den Hebel packte und daran zog. »Kennst du immer das Ziel, Nordmann? Weißt du immer, wo sich deine Reise hinbewegen wird?« »Nein«, gab ich zu. »Da hast du deine Antwort. Reise vor Ziel. Schreib dir das hinter die Ohren! Wenn wir fertig sind, wissen wir, was wir schmieden wollten.« Die Zeit verging und irgendwann befand Wieland, dass es genug sei. Er legte weitere Metallblöcke in den Kübel und vor unseren Augen zerschmolzen die und bildeten eine goldene, träge Flüssigkeit. »Ich kenne die Geschichten um den legendären Krieger.« Warum ich das sagte, verstand ich selbst nicht. »Er soll mit einem Schwarzalb …« »Brokkr«, unterbrach Wieland mich. »Der König der Schwarzalben.« »Du kennst ihn?« »Ob ich ihn kenne? Ich habe ihn unterwiesen!« »Oh.« »Ja, oh. All das, was er mit seinem Bruder Sindri bewerkstelligt hat, konnte nur gelingen, weil sie sich meiner Tricks bedient haben.« Ich betrachtete das flüssige Metall. »Und welche Tricks sollen das sein?« Ohne Vorwarnung stieß Wieland seine Hände in das prasselnde Feuer, das auf einmal einen Wechsel der Farben durchlebte. Erst wurde es Blau und knisterte, als würde ich mich im Zentrum eines Ofens befinden, dann wurde es Weiß und ließ glitzernde Funken durch die Luft tanzen, die sich wie in einem stillen Tanz um uns wanden. »Bei den Toten«, raunte ich. Wieland empfand keine Schmerzen, er verzog nicht einmal das Gesicht, als er seine Hände kurz herauszog und dann in das flüssige Metall tauchte. Er rührte darin umher, formte mit den Lippen lautlose Wörter und schloss seine Augen. »Pumpen!«, zischte er. Ich kam der Anweisung sofort nach. »Gut. Noch zweimal. Pause. Noch einmal. Pause. Kriegst du das hin?« »Joh«, sagte ich knapp und folgte der Abfolge. »Bist ja doch zu was zu brauchen. Jetzt gib mir deine Hand.« Ich zögerte. »Gib mir deine Hand, Nordmann!« »Was wird geschehen?« »Du wirst sterben.« Stille. »Rost! Gibst du mir jetzt endlich deine Hand oder muss ich dich erst verprügeln?« Vertrauen, zuckte es durch meinen Kopf. War ich dazu noch fähig, nachdem ich so oft verraten worden war? Ich konnte die Frage nicht beantworten, hielt ihm aber trotzdem meine Hand hin, die er mit überraschender Stärke packte und näher ans Feuer hielt. Ich hätte geschrien, wenn ich nicht so unter Schock gestanden hätte. »Glaub an dich!«, keifte Wieland. »Wenn du es nicht tust, tut das niemand.« Ich entzog ihm wieder die Hand. »Ich kann nicht an mich glauben. Du weißt nicht, wer ich bin.« »Natürlich weiß ich das nicht.« Mit der Antwort hatte ich nicht gerechnet. Manchmal musste man den inneren Schweinehund überwinden, wenn man etwas erreichen wollte. Siegfried war tot. Seher, Beowulf und Lagertha waren tot. Raubein und Krähe befanden sich in Tristans Gewahrsam, der die Schwarzalben angreifen und mit ihrem Schwarzpulver Hedamark in den Boden stampfen würde. War, verdammt nochmal, endlich Zeit, dass ihn jemand ein wenig Rache schmecken ließ. Ich stellte mich neben Wieland, spürte das knisternde Feuer, das den Schweiß aus meinen Poren trieb und mir den Atem raubte. Ich war sowas von im Arsch, aber warum nicht einfach mal etwas tun, was nicht meinem Wesen entsprach? Deshalb stieß ich meinen Arm vor, tauchte in die Flüssigkeit ein und rechnete mit höllischem Schmerz. Nichts geschah. Ich ließ mir nichts anmerken, rührte im Kübel, betrachtete das weiße, verschwommene Feuer und lauschte meinem Atem, der ungewöhnlich laut klang. Mein Mund war ganz trocken und ich musste schlucken. Blut donnerte in meinen Ohren, mein Herz pochte dumpf. »Gut«, flüsterte Wieland und ich glaubte, Stolz in seiner Stimme zu hören. »Stell dir den Gegenstand vor, der entstehen soll. Du musst ihn vor dir sehen. Du musst ihn fühlen. Magie ist nicht erklärbar, sie existiert, und weil sie existiert, umgibt sie uns, wenn wir ihr Wesen verstehen. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen, selbst die Götter begreifen sie nicht gänzlich. Versuche es deshalb gar nicht, sondern lass dich einfach von ihr leiten.« Keine Ahnung, wovon der alte Mann sprach, aber ich war bereit, es darauf ankommen zu lassen, öffnete meine Hand und sah plötzlich einen Gegenstand in meinen Gedanken aufblitzen. Ich zog die Hand heraus, krümmte Daumen und Zeigefinger zusammen und näherte mich dem Amboss. Ohne nachzudenken, griff ich nach dem wuchtigen Hammer, der daran lehnte, und ließ ihn niedersausen. Mit einem hellen Pling traf er auf das heiße Metall und brachte es in Form. Mein Arm hob sich und krachte nieder. Pling. Noch einmal. Pling. Und noch einmal. Pling. So ging das weiter, ab und an hielt ich den Gegenstand ins Feuer, bis ich irgendwann das Bedürfnis verspürte, ihn in den Wasserkübel zu tauchen und ruhen zu lassen. Er war noch nicht fertig, für den letzten Schliff bedurfte es noch einiger Feinheiten, aber schon jetzt war erkennbar, was vor mir auf dem Amboss lag. Wieland trat näher. Seine Augenbrauen waren derart hochgezogen, dass ich fürchtete, sie könnten an seinem Hinterkopf verschwinden. »Warum?« Er sah auf und ich konnte Schmerz in seinen Augen erkennen. »Warum ein Ring?« »Ich weiß nicht.« Ich hielt den Ring hoch, der filigran, aber doch massiv wirkte. Ein geschwungenes Muster wand sich wie Flügel darum. Wieland nickte immer wieder. »Das ist genug für heute. Ruh dich aus. Da hinten gibt es ein paar Wurzeln und Pilze, die du essen kannst.« Er deutete ins hintere Eck, in dem eine Ablage aus dem Felsen geschlagen war. Teller und Krüge stapelten sich dort. »Ich muss nachdenken.« »Habe ich etwas falsch gemacht?« »Falsch?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, du hast nichts falsch gemacht, Einar Schwarzfels.« Irgendwie war ich nicht überrascht. »Woher kennst du mich?« »Das Feuer hat dich verraten. Die Art, wie sich die Magie um dich krümmt, wie sie sich windet und beinahe in Ohnmacht hingibt, als hätte sie Furcht vor dir.« »Wundert mich nicht. Gibt eine Menge … Dinge, die mich hassen. Wenn man erstmal akzeptiert hat, dass man ein Arschloch ist, macht das vieles leichter.« »Ruh dich aus, Einar. Wir haben noch viel vor uns.«


Für den Inhalt dieser Seite ist der jeweilige Inserent verantwortlich! Missbrauch melden



© 2008 - 2023 suchbuch.de - Leseproben online kostenlos!


ExecutionTime: 1 secs