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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Der Ruf des Totenbeschwörers, Klaus Frank
Klaus Frank

Der Ruf des Totenbeschwörers


Phenomena Band 1

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Eva Kaulmann erwachte von einer Sekunde zur anderen aus ihrem tiefen Schlaf. Wie weggewischt war der belanglose Traum – Gärten, in der Sonne blitzende Seen, Kindergelächter –, der durch ihren Kopf gezogen war. Sie riss die Augen auf und blickte verstört in die Dunkelheit, welche sie umgab. Einen beängstigenden Augenblick lang fühlte sie sich vollkommen desorientiert und wusste nicht, wo sie war. Vielleicht doch noch im Traum gefangen, der ihr nun seine dunkle Seite präsentierte, wo es kein Gelächter mehr gab? Sie blickte umher, doch sie sah lediglich vage konturlose Schemen. Es waren die ihr ansonsten verhassten Schnarchgeräusche ihres Mannes Georg, die Eva halfen, Ordnung in ihre verwirrten Sinne zu bekommen. Ganz klar, jetzt wusste sie es wieder: Sie befand sich in ihrem eigenen Bett; ihre linke Hand war in das Laken verkrallt, als wäre es das Übel des Schreckens, den sie empfand.


 


Sie atmete auf, aber das Gefühl der Erleichterung verpuffte sofort wieder. Mit ihrem Kopf schien etwas nicht zu stimmen; es fühlte sich an, als sei er von rostigem Draht umfasst, dessen Schlingen immer enger gezogen wurden. Genau in der Mitte ihres pochenden Hirns hockte ein schlimmer Schmerz, der ihren Körper fühllos für alle anderen Reize zu machen schien.


 


Manchmal litt sie unter Migräne, aber das hier war eine gänzlich andere Erfahrung.


 


Und plötzlich hörte Eva Kaulmann die Stimme. Sie saß in ihrem Kopf, stellte sie fest; vermutlich war sie bereits die ganze Zeit dort gewesen, nur hatte sie das in dem Wust ihrer schmerzhaften Empfindungen nicht erkannt. Nicht nur Worte, sondern nun auch Bilder, die sich hinzugesellten. Bilder aus der Hölle, so schien es ihr. Sie sah Blut und Leiber, die es voller Ergebenheit verspritzten. Sie sah offene Münder, die gellende Schreie ausstießen, sah zerschlitzte Körper und tote Augen. Nichts als Verderbnis, Tod und Zorn.


 


Eva Kaulmann atmete heftig. Sie blickte hinüber zu Georg, der von alldem nichts mitbekam. Sie wollte ihn wecken, als ihr noch etwas klar wurde. In ihrer rechten Hand, die unter der Bettdecke verborgen war, befand sich ein Gegenstand. Zaudernd lupfte sie die Bettdecke an und wagte einen scheuen Blick. Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle, als sie vage das Messer erkannte, das sie fest umpackt hielt. Wie kam es dorthin? Diese Frage war genauso unerlässlich wie jene nach der bösartigen Stimme in ihrem Schädel. Beides hing miteinander zusammen.


 


Und als hätte die Stimme nur darauf gewartet, dass Eva das Messer entdeckte, wurde sie lauter und drängender. Sie spürte, wie ihr eigener Wille in die Ecke gedrängt wurde, als sei er ein Kaninchen im Käfig voller Schlangen. Jetzt war nur noch Raum für diese brutal klingende, leicht näselnde Stimme, die ihr nun Befehle erteilte, welche nicht zu missverstehen waren.


 


Töte!, sagte sie. Immer wieder: Töte!


 


Eva blickte auf das Messer, dessen Klinge unheilvoll und unglaublich scharf wirkte; das erkannte sie selbst in der Dunkelheit.


 


Der Horror, den sie empfand, überstieg die Grenze des Erträglichen. Ihre rechte Hand zitterte leicht, die Klinge des Messers darin vibrierte, und Eva fügte sich unbeabsichtigt eine kleine Schnittwunde am Oberschenkel zu. Sie sah das Blut nicht, aber ihre verstörenden Gedanken reagierten sofort darauf und brüllten und tobten in ihrem Schädel, der zu platzen drohte. Eva schloss die Augen, aus denen Tränen rannen, und schüttelte den Kopf. Sie glaubte, den Verstand zu verlieren. Ein leises Wimmern entfuhr ihr.


 


Neben ihr regte sich Georg und fuhr stöhnend in die Höhe. »Was ist denn?«, fragte er mit verschlafener Stimme. »Hattest du einen Alptraum?« Er streckte seine Hand aus und berührte die Schulter von Eva, die erschrocken zusammenzuckte, als sei ihr Mann der Feind, den es zu fürchten galt.


 


»Ich …«, stieß sie aus, doch mehr als ein Krächzen wollte ihr nicht gelingen. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, ihre Lippen bebten. Sie räusperte sich und setzte nochmals an. »Er sagt, ich muss dich töten.«


 


2


 


Einige Sekunden lang herrschte Schweigen im behaglich-dunklen Schlafzimmer der Kaulmanns. Von fern hörten sie zwei Kirchen, die beinah gleichzeitig die volle Stunde schlugen. Mechanisch zählte Georg Kaulmann die Glockentöne mit, während er mit verwirrter Miene zu seiner Frau hinüberblickte. Es war drei Uhr morgens; eine Zeit, in der er sich lieber mit schöneren Träumen beschäftigen wollte.


 


Was hatte Eva da gesagt? Das war doch verrückt. Nichts deutete daraufhin, dass sie sich einen Scherz erlaubt hatte, der auch allzu geschmacklos gewesen wäre. Somit konnte der Grund nur sein, dass sie immer noch in einem Alptraum gefangen war, der nicht weichen wollte. Es konnte nicht anders sein; ein Traum, aus dem es kein Entrinnen gab. Er lachte unsicher auf; es klang wie ein ersticktes Husten.


 


»He, Mädchen«, sagte er betont sanft und berührte sie erneut an der Schulter. »Komm zu dir. Du träumst ja noch.« Seine Worte klangen in seinen Ohren wie dummes Zeug; er musste zugeben, dass diese Situation ihn maßlos überforderte. Konnten Menschen von einer Sekunde zur anderen den Verstand verlieren?, überlegte er plötzlich.


 


»Da ist diese Stimme in meinem Kopf«, sagte sie mit bebender Stimme. Sie schüttelte den Kopf und schaute ihn angstvoll an. »Diese Stimme … sie sagt es mir, Georg. Sie befiehlt es mir. Was soll ich denn dagegen tun? Sag es mir!« Sie rückte näher. Ihre Stimme wurde lauter: »Sag es mir! Ich kann ihn nicht aufhalten. Er sagt …« Mit einer Wucht, die Zähne zermalmen konnte, schnappte ihr Mund plötzlich mitten im Satz zu, und sie stieß ein gequältes, irr klingendes Stöhnen aus. Dann hob sie ihre Hand, und in der Dunkelheit wurde die unheilvolle Silhouette des Messers sichtbar.


 


Bevor Georg Kaulmann seine Frau fragen konnte, wie sie mitten in der Nacht an dieses grauenhafte Messer gelangt war, fuhr sie herum und stieß mit dem Messer zu. Georg Kaulmann hatte sich in seinem Leben einige schlimme Verletzungen zugezogen, unter anderem einen schweren Motorradunfall, aber all diese Erinnerungen verblassten angesichts der Schmerzwelle, die nun in ihm aufbrandete. Echter Schmerz fühlte sich kalt an, bemerkte Georg, er war kalt wie der Tod. Das Messer war bis zum Griff seitlich in seinen Hals eingedrungen; er spürte, wie die beidseitig geschliffene Klinge Fleisch und Sehnen zerschlitzte und Blut aus der Wunde schoss. Überall schien Blut zu sein; es besudelte das Bett, den Boden, die Wand hinter ihm. Es war in seinem Hals und seinem Mund, und er bekam keine Luft mehr.


 


Er stieß ein blubberndes Krächzen aus. Beinah schlimmer als der Tod, der immer näher heranpirschte, war für ihn die Ungewissheit, von wem Eva da gesprochen hatte. Die Zeit, das zu erfahren, würde ihm kaum mehr bleiben, das wusste er. Das Bett, auf dem er lag, war zu einem Meer aus Blut geronnen.


 


Wieder blitzte das Messer auf, er sah es schemenhaft von oben nach unten fahren, und er bäumte sich auf, als es in seine Bauchhöhle fuhr, dann schlitzte Eva, seine liebe, treue Eva, ihn bis zum Hals auf. Etwas Heißes fiel auf seine Hand, aber er war zu schwach, sie zu heben, um zu sehen, worum es sich handelte. Die Kälte, die er spürte, war nun allumfassend.


 


Er hörte jemanden schreien, aber der Schrei kam aus weiter Ferne, aus einem anderen Land, wie es schien, und erreichte ihn kaum.


 


Meine ungute Frau, dachte er, sie ist doch verrückt geworden.


 


Er rutschte seitlich vom Bett und stieß gegen den kleinen Nachttisch, der laut polternd umstürzte.


 


Das jedoch hörte Georg Kaulmann bereits nicht mehr. Die Finger seiner rechten Hand, die noch auf dem besudelten Bett lag, streckten sich wie zu einem Gruß, den er seiner Frau oder dem Haus widmete.


 


Eva Kaulmann lag quer auf dem blutüberströmten Bett und blickte auf den Leichnam ihres Mannes. Sie schluchzte und schrie. Sie nahm seine erschlaffte Hand und hielt und drückte sie. Sie hatte ihren Mann umgebracht, ihr rechter Arm hatte sich ihrem Willen widersetzt und immer wieder zugestochen, bis er sich nicht mehr regte. Sie hatte keine Chance, sich gegen den Einfluss der unheimlichen Stimme zur Wehr zu setzen, die immer wieder Worte der Aufstachlung ausgespien hatte. Wie war so etwas nur möglich? Eva Kaulmann bebte vor Panik und Entsetzen.


 


Nach einigen Sekunden stand sie langsam auf und ließ die erkaltende Hand der Leiche los, auch dies war auf den fremden Einfluss zurückzuführen. Die Stimme sorgte dafür, dass sie tapsig wie eine Schlafwandlerin das Schlafzimmer verließ. Unter ihren nackten Füßen schmatzte das Blut. Auf dem dunklen Flur wandte sie ihren Kopf hin zu einer geschlossenen Tür im ersten Stock des Einfamilienhauses, wo ein kleines Licht brannte, und setzte sich in Bewegung.


 


Nicht noch einmal!, dachte sie voller Panik. Nicht noch einmal!


 


Doch ohne zu zögern steuerte sie weiter auf diesen Raum zu, hinter dessen Tür sie ihren achtjährigen Sohn Clemens wähnte.


 


Die Stimme feuerte sie an, auch ihn zu töten.


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