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Fantasy Bücher
Buch Leseprobe Das Erbe Bereliens, Silke Katharina Weiler
Silke Katharina Weiler

Das Erbe Bereliens


Die Pforte

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Sie erlebte einen jener seltenen und kostbaren Augenblicke: Es schlief!


Langsam, wie schmelzendes Eis, lösten sich die Fesseln um ihren Geist. Es bedurfte keiner regelmäßigen Regeneration, manchmal kam es wochenlang ohne Schlaf aus und wenn, dann währte dieser so kurz, dass ihr kaum Zeit zum Durchatmen blieb. Heute allerdings hatte die Umtriebigkeit der vergangenen Tage ihren Tribut von ihm gefordert. Schon am Morgen hatte sie gespürt, wie seine Aufmerksamkeit schwand, sich wie Nebel lichtete, bis ihr Selbst sie von einem Moment auf den anderen mit brutaler Klarheit traf.


Sie fand sich in einem Sessel in ihrem Gemach wieder, eingehüllt in die eigenen ekelerregenden Ausdünstungen. Als Erstes fiel ihr Blick auf ihre Hände. Die einst schlanken Finger glichen bläulichen Wurstpellen, in die man Wurstbrät gestopft hatte, bis sie zu reißen drohten. Ein Wirrwarr aus purpurnen Adern überzog die glänzende Haut. Dort, wo sie dem Druck des Gewebes nicht standgehalten hatten, breiteten sich Blutergüsse wie schwarze Tintenflecke aus. Der Bund ihres Ärmels schnitt tief in ihr gequältes Fleisch ein. Kurz war sie versucht, ihn nach oben zu streifen, um ihren Arm zu betrachten, dann ließ sie es bleiben. Mit beiden Händen auf die Lehnen gestützt, wuchtete sie sich vom Polster in den Stand. Das Blut sackte ihr in die Beine und ihr wurde schwarz vor Augen, doch sie widerstand der drohenden Ohnmacht.


Der Spiegel an der gegenüberliegenden Wand war mit einem Tuch verhängt; nicht ohne Grund. Heute aber wollte sie es sehen. Sie wollte sehen, was aus ihr geworden war. Es war ihr ein eigenartig drängendes Bedürfnis. Vielleicht würde sie verstehen, Aug in Aug mit ihrem Spiegelbild. Oder endlich aufwachen, denn in jedem Albtraum gab es den einen Moment, in dem man begriff, dass nichts real war. Gar nichts! Der Moment, in dem die Traumbilder, die einem so große Angst eingejagt hatten, im Licht der aufgehenden Sonne verbrannten, bis noch nicht einmal mehr Asche zurückblieb.


Jeder Schritt kostete Mühe. Unmengen Wasser hatten sich in den Beinen angesammelt, dieser Körper war nicht ausgelegt für zwei und reagierte auf den Eindringling mit gewissem Unmut. Wo sein Leib sich Platz verschaffte, verdrängte es das, was sie brauchte, um als Mensch zu existieren; als bewegliche Hülle mit Herz, Lungen, Nieren. Manchmal dachte sie an den Tag zurück, an dem sie es gefunden hatte, eine schwarze Stelle im Berg, schwärzer als die Dunkelheit. Schwärzer als die Lücken in ihrem eigenen Innern. Und es hatte sich genauso angefühlt: einsam. Es war die Essenz der Einsamkeit. Das Extrakt der Leere. Als wären all ihre Ängste zu einer schwärenden Seelengalle zusammengeflossen. Sie hatte sich ihm nahe gefühlt. Ihr Vorfahr hatte es seiner Welt entrissen. Es war heimatlos wie sie selbst. Fast hatte sie es als Pflicht betrachtet, es in sich aufzunehmen. Doch jetzt trug es Ioarín wie einen leichten Umhang, den es abstreifen würde, wenn die Zeit zum Aufbruch gekommen war. Sie hatte sich narren lassen; wieder einmal. Es schien ihre Bestimmung zu sein, sich narren lassen zu müssen. Tiefe Bitterkeit stieg in ihr auf, als sie dabei an Galen dachte, und sie schluckte den sauren Klumpen herunter, bis er ihr wie ein Stein im Magen lag.


Das Tuch rutschte vom Spiegel und fiel zu Boden ‒ leise und leicht. Sie starrte das Ding an, das aus dem Spiegel zurückglotzte. Sie würde nicht schreien, sie hatte es sich früh abgewöhnt zu schreien. Doch ein Versprechen, das sie sich in ihrem dreizehnten Lebensjahr gegeben hatte, musste sie nun brechen: ihre Angst zu unterdrücken. Sie zu beherrschen. Angst überwältigte sie, als sie in den Spiegel sah ‒ höllische Angst.


Sie trug eines ihrer durchscheinenden Kleider, lediglich an den Ärmeln, der Brust und am Unterleib mit kostbarer Spitze verstärkt und mit Perlen bestickt. Diese Partien waren blickdicht, der Rest des Körpers jedoch, ihre Schultern, der Rücken, der Bauch, die Beine pressten sich an den dünnen Stoff. Ihre Garderobe passte ihr schon lange nicht mehr. Doch wer sollte ihr neue schneidern? Kaum eine der Bediensteten traute sich in ihre Nähe.


Es versuchte, seinen eigenen Leib günstiger in dem ihren zu positionieren. Verständlich, nachdem es gewachsen war, wurde der Platz in ihr knapp. Die Lageveränderung aber hatte zur Folge, dass es ihren Körper auf groteske Weise ausbeulte und verzog. Sie sah aus, als habe sich ein betrunkener Bildhauer an einer Tonfigur versucht, sei gescheitert und habe das missratene Werk hernach bis zur Unkenntlichkeit mit Fausthieben traktiert. Allerdings war es nicht nur ein Verziehen, das von seinem Wirken im Innern hervorgerufen wurde ‒ es gedachte sich ebenso nach außen auszubreiten. Auf Höhe ihrer Schulterblätter machte sie auf beiden Seiten je zwei Höcker aus. An diesen Stellen bohrte es sich langsam durch die Haut. Mühsam schob sie den Stoff ein Stück zur Seite und betastete die Schwellungen. Das Fleisch fühlte sich prall und heiß an. In der Mitte spürte sie ein leichtes Pulsieren, dort, wo seine Auswüchse bald durchbrechen würden. Zu beiden Seiten des Halses verliefen dicht unter der Haut zwei Stränge, dick wie der Leib einer Ringelnatter und von vergleichbarem Aussehen. Sie strich vorsichtig darüber. Der Hals war entlang der Stränge wie taub. Sie spürte die eigene Haut unter ihren Fingerspitzen, den Gegenpart der Berührung jedoch, die Finger, wie sie über ihren Hals glitten, spürte sie nicht. Das eine Ende dieser Tentakel entsprang an irgendeiner Stelle des Wesens in ihr. Das andere mündete in ihrem Hirn. Sie nahm an, dass es über diese beiden Auswüchse seinen Einfluss auf sie nahm; sie steuerte wie ein Boot.


Nein, wie ein Kutschpferd! Das waren seine Zügel.


Ganz unvermittelt stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, die beiden Stränge zu kappen. Sie einfach durchzuschneiden. Die Augen ihres Spiegelbildes weiteten sich. Erregung glomm auf und brach sich wie ein Lichtstrahl.


Es durchschneiden. Ganz einfach durchschneiden.


Scheinbar ohne Ziel wanderte ihr Blick umher, bis er auf einem Dolch zu liegen kam, der neben einigen anderen kostbaren Waffen an der Wand des Königsgemachs dekorative Zwecke erfüllte. Ob die Klinge scharf genug war? Sie starrte auf das matte Metall. Während sie es anblickte, hatte sie das Gefühl, die Wand wich ihr zusehends aus.


Und dann vollführte ihr Fuß einen kleinen Schritt. Der Oberkörper drehte sich und ein zweiter Schritt folgte. Sie streckte die rechte Hand aus. Vier Schritte später schmiegte sich das Heft an ihre Handfläche. Plötzlich fühlte sie sich lebendig. Sie fühlte sich so unsagbar lebendig und konnte es kaum erwarten, die Klinge endlich gegen ihr Fleisch zu pressen und zu schneiden, es zu durchtrennen und weiterzuschneiden.


Ioarín!


Ein Donnerschlag in ihrem Kopf. Eine geistige Ohrfeige, die ihr Hirn in eiskaltes Wasser tauchte. Sie riss die Finger regelrecht auseinander. Der Dolch fiel zu Boden.


Ioarín, tu so etwas nie wieder! Sonst kann ich dich nicht mehr allein lassen.


Und während es sie mit ruckartigen Bewegungen zu ihrem Sessel zurückführte und weitere Fesseln um ihren Geist legte, spürte sie warme Tränen über ihre aufgequollenen Wangen rinnen.


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