Sofie ist erwachsen geworden. Ihre Streifzüge in die Philosphiegeschichte der Jahrhunderte liegen Jahre zurück. Ganz so verwundert war sie nicht mehr wie als kleines Mädchen. Damals hatte sie vieles in Frage gestellt. Jetzt waren ihre Fragen weniger geworden. Ihr Streifzug durch die Philosophie als Mädchen hatte sie nicht wirklich weiter gebracht. Sie war nicht weise geworden dadurch und die wirklich brennenden Fragen des Daseins waren nach wie vor ungelöst.
Sofie war jetzt auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens. Hatte sie sich in der Vergangenheit für die unterschiedlichsten philosophischen Fragen interessiert, wie „Woraus besteht die Welt", „Gibt es ein Schicksal" oder ähnliches, so hat sie nun den Eindruck, vor ganz anderen Fragen zu stehen, Fragen, die sie wirklich berühren. Wer bin ich?, fragt sie sich, und: Was ist der Sinn meines Lebens? Was passiert nach dem Tod? - Sie hat erkannt, dass die Religionen diesbezüglich keine Gewissheit haben und man nur die Wahl hatte, diese Vielzahl von theologischen Lehrsätzen zu glauben oder nicht zu glauben.
Auch mit dem Gottesbild der Religion, die ihr von ihren Eltern überliefert wurde, hatte sie Probleme. Da scheint es Menschen zu geben (Priester), die wissen angeblich genau, was Gott will und was nicht, sie werden ja auch als die „Stellvertreter Gottes auf Erden" bezeichnet. So sollte man zum Beispiel möglichst oft in die Kirche gehen, das würde Gott gefallen. Doch diesbezüglich hatte Sofie schon früher Bedenken und innerlich rebelliert. An diesen Gott würde sie kurzerhand gar nicht glauben, beschloss sie, denn so einen Kuhhandel ließ sie nicht mit sich veranstalten. Ein Gott, der Menschen danach beurteilt, wie oft sie in diese Kirchen gehen, ließ Sofie kalt. Dieser Gott war Sofies Verständnis von „Gott" nicht angemessen. - Und Nonnen sind schließlich auch nur Menschen, denkt sie, wenn sie an ihre Internatszeit denkt.
Deshalb war Sofie auf der Suche nach Menschen, die mehr wussten als die normalen Bürger, die die Straßen auf und ab liefen. Immer geschäftig. Sofie schaute diesen Menschen ins Gesicht: Sie sahen nicht besonders glücklich aus, sie konnten also nicht mehr wissen über den Sinn des Lebens als ihre Eltern oder als sie selbst. Gibt es glückliche Menschen?, denkt Sofie. Doch was ist Glück! Ist Glück, wenn man reich ist oder eine Familie hat und einen Job? Ist das Glück? Nein, Sofie stellte sich etwas anderes vor. Glückliche Menschen mussten besondere Menschen sein, die den wahren Sinn des Lebens gefunden hatten. Man musste sie an ihrer Ausstrahlung kennen. Sie mussten Kraft haben und weise sein. - Genau wusste Sofie nicht, was oder wen sie suchte, sie spürte nur ein unklares Drängen.
Unschlüssig tippte sie in die Suchmaschine ihres Computers die Worte ein:
Echte Weisheit, Sinn des Lebens
Und erhält ein ansehnliches Resultat: Der erste Link führt sie auf die Buchhandelsseite eines Verlages, wo es das Buch mit dem Titel „Der Sinn des Lebens" zu kaufen gab. Sofie sah sich das Bild des Autors an und klickte weiter. So stellte sie sich den Menschen nicht vor, der den Sinn des Lebens gefunden hatte, ein selbstgefälliges Lächeln und ein ungepflegter Bart. Nein danke. - Sofie klickte weiter. Jetzt war sie auf einer kirchlichen Homepage gelandet, aber auch von den bekannten Kirchen konnte sie keine echte Weisheit erwarten. Unschlüssig klickte sie noch ein paar Fundstellen an und war jetzt auf der Seite einer christlichen Mysterienschule. Sofie hatte diese Bezeichnung noch nie gehört, im Philosophieunterricht war davon nicht die Rede! Sie las einige Zeilen:
„Geheimnisvolle Erzählungen ranken sich um Hermes Trismegistos, die Mysterienschulen des Altertums, um Gralsritter, Katharer und Rosenkreuzer." Sofie schaute auf, von Gralsrittern hatte sie gehört, die übrigen Gruppen aber waren ihr unbekannt. Ihr Blick fiel auf eine Passage: „... allen Menschen, die in sich spüren, dass es außer der uns bekannten Welt noch etwas anderes geben muss, und die sich nach diesem Anderen, Göttlichen sehnen."
Sofie schluckte. Da war sie gemeint. SIE hoffte, dass es außer der ihr bekannten Welt noch eine Welt der Erfüllung gab. Zweifellos! Sie las weiter: „Das Ziel der Mysterienschule ist jedoch nicht allein philosophische Unterrichtung über das Wesen des Menschen und seines Kosmos, über sein Woher und Wohin, sondern seine strukturelle Erneuerung dem Geiste, der Seele und dem Körper nach. Diesen Weg der Erneuerung versuchen wir in aller Welt in die Tat umzusetzen."
Jetzt war Sofie beruhigt und angespannt zugleich. Beruhigt, weil hier stand, dass in der Mysterienschule nicht nur reine Philosophie gelehrt wurde. Denn was brachten diese jahrhundertelangen Auseinandersetzungen und Denkmanöver denn wirklich, wozu war dieser endlose Disput gut? Ist es nicht vielmehr viel wichtiger, die wirklich bohrenden existentiellen Fragen zu stellen, wie die Frage nach dem Sinn all dessen, was sie tagtäglich mit ihren Sinnen wahrnahm? Und angespannt war sie, weil sie fühlte, dass sie mit dieser Mysterienschule unbedingt in Kontakt kommen wollte. Ganz unten auf der Seite fand sie eine Emailadresse, die wollte sie jetzt gleich mal benutzen, um ihnen mitzuteilen, dass sie unbedingt mehr wissen wollte. Sie schreibt folgende Email an:
Info [at] mysterienschule.org
Ich bin Sofie, 20 Jahre alt, und wohne in Österreich. - Ich habe mich in der Vergangenheit viel mit Philosophie beschäftigt, jetzt aber frage ich mich, wozu man Philosophie studieren soll, wenn man davon auch nicht glücklich wird. Was nützen einem alle diese verschiedenen Denker und ihre Theorien?
Und: Schauen Sie sich doch die Menschen an, denen sie täglich begegnen. Haben Sie da vielleicht einen entdeckt, der wirklich glücklich ist? Ich nicht. Aber ich hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können, ich bin nämlich auf der Suche nach echter Weisheit und dem Sinn meines Lebens.
Bitte antworten Sie.
Ihre Sofie
Email: sofie [at] yahoo.at
PS1: Was ist eine Mysterienschule?
PS2: Sind Sie glücklich?
Erleichtert lehnte sie sich nun in ihrem Stuhl zurück.
Endlich ein Lichtschimmer am Horizont! Doch nun hieß es warten. Sofie wusste nicht, wo diese Mysterienschule war und ob sie überhaupt eine Antwort bekommen würde. Auf jeden Fall würde sie nun täglich in ihre Mailbox schauen, ob Post gekommen war. Doch heute war Samstag und Sofie war sich nicht sicher, ob Mysterienschulen auch am Wochenende arbeiten.
Nach zwei Tagen Wartezeit hielt Sofie endlich die ersehnte Mail in ihren Händen. Sofie hatte am Wochenende nachgedacht, was wohl eine „Mysterienschule" sein könnte und kam zum Ergebnis, dass es irgendwas mit „Geheimnis" zu tun haben müsste. „Mysteriös" bedeutet doch „geheimnisvoll". Doch nun schloss sie die Tür ihres Zimmers hinter sich zu, um sich ganz auf die Antwort zu konzentrieren, die sie bekommen hatte.
„Liebe Sofie", stand da ...
danke für deinen Brief. Es ist sehr interessant, was du da schreibst, wozu man Philosophie studieren soll. In der Tat hast du erkannt, dass Philosophen auch nicht wirklich weise sind. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Fast alle Menschen lassen sich nämlich von sogenannten „großen Denkern" beeindrucken. Und seien wir ehrlich, oft haben diese Menschen gar nicht verstanden, was diese „großen Denker" für komplizierte Sachen gedacht haben. Das ist auch nicht wichtig, denn in Wahrheit sind diese großen Denker oft nur Gehirnphilosophen, keine Weisheitsphilosphen. Man muss sehr vorsichtig sein mit dieser sogenannten „Philosphiegeschichte", wie man es in der Schule oder aus Büchern lernen kann. Man muss sehr genau schauen, ob da wirklich auch weise Menschen dabei sind. Wahre Weisheit gibt nämlich echte Antworten auf die wichtigsten Fragen, die jeder Mensch im Leben irgendwann stellt und vielleicht denn wieder vergisst. Man „muss" sich ja auch darum kümmern, eine Existenz aufzubauen, einen Partner zu finden, die Kinder zu versorgen, mit den Arbeitskollegen klarzukommen. Deshalb sind echte philosophische Fragen auch nicht wirklich „in". Unsere ganze Umwelt stimuliert uns dazu, solche Fragen zu vergessen, nicht zu stellen und tut so, als ob diese Welt schon an sich sinnvoll wäre.
Wachsame Menschen wie du, Sofie, erkennen aber dieses ganze Getue und Marktgeschrei, sie spüren intuitiv, dass diese Welt nicht ihre wahre Heimat sein kann. Du frägst richtig, Sofie,
„Wer ist wirklich glücklich?"
In der Tat, die Menschen sehen nicht glücklich aus. Guck doch mal ins Gesicht eines alten Menschen. Hat er sein Glück gefunden? Strahlt er vor Freude? Nein, - das Gegenteil ist meist der Fall. Er ist abgekämpft und müde. Strahlende Gewissheit nicht sein Ding. - Nun, hier könnten wir auch schon wieder aufhören mit dem Nachdenken. Denn, wie gesagt, die Menschheit hat sich zum überwiegenden Teil mit ihrem Zustand abgefunden. Fragen nach letzten Dingen werden einfach nicht gestellt. Man hat sich damit zufrieden gestellt, nach zeitlichen Dingen wie beruflichem Erfolg und Glück in der Familie zu streben. Was nach dem Tod kommt, weiß ja ohnehin niemand, rechtfertigt man sich vor sich selbst. So kann es nur darum gehen, das Optimale aus diesem Leben rauszuholen. Die Menschen sind zu wenig anspruchsvoll, Sofie, - sie geben sich mit weniger zufrieden, als sie eigentlich haben könnten.
Andererseits gab es in der Geschichte der Menschheit immer wieder Personen, die wacher waren und die Frage nach dem Sinn all unseres täglichen Tuns immer wieder stellten. Ich werde dir diese Menschen vorstellen. Indem du dich mit ihnen auseinandersetzt, kannst du eigene Fragen beantworten und versuchen, einen Weg der Bewusstwerdung zu gehen. Du wirst Menschen finden, die dir aus der Seele sprechen und deiner Suche eine starke Richtung geben. Andere wirst du weniger ansprechend finden. Aber so wirst du langsam wacher und spürst immer mehr, worauf es ankommt.
Schließlich wirst du eine Mysterienschule finden, - dort wird die Welt dich dann langsam aus den Augen verlieren und du wirst eintauchen in dein eigenes tiefstes Geheimnis, welches wahre Freude ist und gleichzeitig der Beginn deiner Reise zurück zu deinem unsterblichen Seelenkern.
Nun, Sofie, wenn du bereit bist für diese Reise nach Innen, sag Bescheid. Weißt du, auch ich war einmal 20 und auf der Suche. Heute bin ich doppelt so alt, habe mich mit verschiedenen weisen Persönlichkeiten beschäftigt, und eine Mysterienschule von Innen kennen gelernt. Gerne zeigt ich dir den Weg.
Johannes
Sofie hatte den Text überflogen und nun noch ein zweites Mal gelesen. Jetzt spürte sie, wie das Puzzle ihres Lebens etwas an Kontur gewann.
„Ah, es gibt also Menschen, die mehr wissen als wir Normalbürger", konstatiert sie. „Habe ich es doch immer geahnt!" Sofie denkt an Erzählungen vom Dritten Auge und an Astralreisen. Davon hatte sie in der Zeitung gelesen, es war eine esoterische Zeitung, denn normale Zeitungen berichten nicht davon. Ja, in diese Richtung musste es wohl gehen. Nur wenige auserwählte tibetische Lamas sollten ein sogenanntes Drittes Auge besitzen und damit auch die feinstofflichen Körper des Menschen sehen können. Sie hatte von einem Lama gelesen, der sehen konnte, wie ein Mensch wie in Feuer eingehüllt war, weil er so zornig war. Zorn äußert sich offenbar als rote Aura. - Eigentlich hatte sie solche Erzählungen nicht immer so 100%ig ernst genommen, - doch vielleicht war ja doch was dran. Doch was hatte das mit dem Sinn des Lebens und mit Glück zu tun? „Macht das Dritte Auge glücklich?", dachte sie?
Jetzt überkam sie ein unangenehmes Gefühl: Was könnten diese besonderen Menschen wohl alles in ihrer Aura erkennen? Würde sie bloßgestellt? - Sofie hielt inne.
Fragen über Fragen. - Sie würde Johannes sofort zurückschreiben und ihn um Aufklärung bitten, wie sollte sie anfangen, sie beschloss folgende Form zu wählen:
Bester Johannes,
Ihr Brief ist sehr hilfreich. Ich frage mich jetzt, ob man in einer Mysterienschule das Dritte Auge bekommt und lernt, Astralreisen zu machen. Ich habe von einem Mann gehört, der kann gleichzeitig in seinem Stuhl im Wohnzimmer sitzen und mit seiner Seele in der naheliegenden Stadt unterwegs sein. Meinen Sie das mit Weisheit? Macht das glücklich?
Sofie
PS: Ich bin sehr glücklich, Sie gefunden zu haben und möchte Ihnen sagen, dass ich für die Reise nach Innen bereit bin.
Copyright Bild und Text: Sophia Ellis 2004