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Belletristik
Buch Leseprobe Südwärts, dann links, Katja Steffel
Katja Steffel

Südwärts, dann links



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Prolog
Das Dröhnen kam langsam näher. Träge rollte es heran wie ein schläfriges Ungeheuer, wurde plötzlich von einem Moment auf den anderen lauter, wurde zu einem ohrenbetäubenden Donnern - und war vorüber.
Mit aufgerissenen Augen sah der Junge dem emporsteigenden Flugzeug nach, während seine Hände sich in das Geflecht des Maschendrahtzauns krallten. Er stand ganz still, bis das Flugzeug in eine tief hängende weiße Wolke eintauchte. Dann drehte er sich um und rannte durch das hohe Gras zu seinem Vater.
«Wie schaffen die das?», fragte er ganz außer Puste.
«Wie schaffen die was?»
«Na, die Flugzeuge», antwortete der Junge ungeduldig. «Wie schaffen die es, in die Luft zu fliegen?»
«Sie können fliegen, weil sie Flügel haben, ganz einfach», erklärte der Vater. «Wie die Vögel, die können auch fliegen.»
«Die Vögel flattern aber», sagte der Junge und bewegte dabei seine Arme auf und ab.
«Genau. Vögel müssen flattern. Flugzeuge müssen das nicht.»
«Warum?»
«Weil es…», der Vater schob mit dem Zeige-finger seine Brille nach oben, «weil es ein anderes Prinzip ist.»
«Was für ein Prinzip?»
Hörbar atmete der Mann aus. «Es hat etwas mit der Geschwindigkeit zu tun. Ein Flugzeug ist sehr schnell, weißt du. Es rast über die Startbahn und dann hebt es ab.»
«Rennautos können aber nicht fliegen. Und die fahren auch schnell. Sehr schnell.»
Der Mann verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. «Das stimmt, Rennautos sind auch sehr schnell. Aber das ist etwas anderes. Bei Flugzeugen ist es irgendwas mit... mit Auftrieb.» Dann fuhr er dem Jungen durchs Haar. «Apropos Auftrieb, wir treiben uns hier schon viel zu lange herum. Wir müssen nach Hause. Auf geht’s.»
Der Junge sah noch einmal hinauf in den Himmel.
Das sollte das Geheimnis der Flugzeuge sein? Diese Antwort gefiel ihm nicht. Überhaupt nicht.

Kapitel 1
Der Tag an dem Marc Schilling jene seltsame Idee in die Tat umsetzte, war ein Dienstag. In den Vorgärten blühten üppig die Fliederbüsche, Rhododendren und Magnolien, und die feucht-warme Frühlingsluft, aus der die aufgehende Sonne gerade erst die Schatten der Nacht verscheucht hatte, war erfüllt vom Duft der Blüten.
Man könnte sich ein Stück Blütenduft aus der Luft herausschneiden und es mit nach Hause nehmen, für später, dachte Marc, während er mit seinem Rollkoffer zur Haltestelle der S-Bahn eilte. So wie man auch ein Stück aus einer Torte herausschneidet. Dieser Gedanke war seltsam und darüber hinaus völliger Blödsinn, das wusste Marc Schilling sehr genau, schließlich war die Luft über Hamburg kein großes Konditormeisterwerk, das man beliebig zerteilen und portionsweise in die eigene Tasche stecken konnte. Ganz zu schweigen davon, dass Luft flüchtig war. Oder war sie es etwa nicht?
Marc war froh, dass die S-Bahn nur wenige Se-kunden nach ihm die Haltestelle Hamburg-Dammtor erreichte und er auf diese Weise der Frühlingsluft und mit ihr seinen kindischen Gedanken entkam. Eingetauscht gegen den Geruch von Parfum, Aftershave und Schweiß morgendlicher Pendler, musste die Frühlingsluft vor den sich schließenden Türen der S-Bahn zurückbleiben, wohingegen Marc sich an einer Gruppe Mitfahrer vorbeidrängte, feststellte, dass es in diesem Waggon keinen freien Sitzplatz mehr gab, und dann doch noch einen ab-schließenden Gedanken an die Tortenthematik verschwendete: Torte und Luft auf die Weise miteinander zu vergleichen, wie er es gerade getan hatte, war allein schon deshalb völlig un-sinnig, da Luft für Leben stand. Und das Leben war ja nun wirklich kein Zuckerschlecken.
Die Komfortsituation in der S-Bahn änderte sich für Marc, nachdem er am Berliner Tor in die S1 umgestiegen war und einem Mann mit Vollbart im Gesicht und Rucksack auf dem Rücken den letzten freien Sitzplatz vor der Nase wegschnappte. Es fielen die Worte »unhöflich« und »Anzugfuzzi«, doch Marc hörte sie nicht, sondern seufzte nur zufrieden und schaute auf seine Uhr, den Rauschebart neben sich nicht weiter beachtend. Schließlich wandte sich der Mann ab und schlurfte weitere Worte nuschelnd in Richtung Zugende.
Marc presste seinen silberfarbenen Alukoffer mit einer Hand an den Sitz, als könne ihm das Gepäckstück jeden Moment von einem Kleinkriminellen entrissen werden, und verfolgte gleichzeitig mit den Augen die Welt, die drau-ßen vor der Scheibe vorüberzog. In der vergan-genen Nacht hatte es geregnet und der Asphalt glänzte vor Nässe. In einigen Stunden, wenn die Sonne höher am Himmel stand, würde der Dampf von den Straßen aufsteigen wie in einer Sauna.
Fünfzehn Minuten später erreichte Marc den Flughafen pünktlich wie erwartet. Er hatte eine S-Bahn früher genommen als nötig, zur Sicherheit, man wusste ja nie.


Nachdem er eingecheckt hatte, wartete Marc am Gate und vertrieb sich die Zeit damit, die Leute zu beobachten. Milde lächelnd schüttelte er den Kopf über all jene, die, als der Beginn des Boardings über Lautsprecher ausgerufen wurde, hektisch nach Jacke und Handgepäck griffen und sofort in Richtung Flugzeug stürzten, anscheinend ohne zu wissen, dass sie die Zeit, die sie gleich im Mittelgang der Maschine auf ein Vorankommen wartend würden stehen müssen, ebenso gut bequem draußen am Gate hät-ten sitzen können. Aber was soll man es ihnen übelnehmen, dachte Marc, so sind die Leute nun einmal. Seufzend zog er «Wolke 11», das Buch über den Mann, der in einem Heißluftbal-lon die halbe Welt umrundete, aus der Tasche und begann zu lesen.
Als das Flugzeug in der Luft war und ein minimalistisches Frühstück serviert worden war, knöpfte Marc sich die Frankfurter Allgemeine vor. An diesem Morgen ärgerte er sich ausnahmsweise einmal nicht über die täglichen Dramen der Innen- und Außenpolitik und auch der Finanzteil konnte ihn nicht schocken. Dafür widmete Marc dem Sportteil, den er eigentlich seit längerem aus seinen Leseaktivitäten ausgeschlossen hatte, eine gewisse Aufmerksamkeit, legte dann einen kurzen Stopp beim Thema Wissen ein und erlaubte sich am Ende sogar, noch einen Blick auf die Seiten über Reisen zu werfen.
Marc war zufrieden. Bis er den Hund sah.
Genau genommen war es das Foto eines Hundes, aufgedruckt auf die Rückseite eines Sweat-shirts, getragen von einer Frau, die gerade im Mittelgang des Flugzeugs stand. Das Tier hatte den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt und seine schwarzen Glasmurmelaugen klagend gen Himmel gerichtet. Na, hast du Kummer, armer Wauzi?, fragte Marc den Foto-Hund im Stillen. Bekommst du nicht genug zu fressen? Oder wirst du etwa verprügelt? Nein, Letzteres war ausgeschlossen. Menschen, die sich das Foto ihres vierbeinigen Lieblings in Farbe und von Blumenranken umrahmt aufs Sweatshirt drucken ließen, schlugen ihre Tiere nicht. Wahrscheinlich »redeten« sie lieber mit ihrem Hund, wenn dieser unartig war, so wie Marc es schon öfter auf der Straße beobachtet hatte, und zwar in einer Sprache, die an die Kommunikation mit einem Sechsjährigen erinnerte. Solche Erziehungsversuche waren schlimm genug, aber wer bitte ließ sich ein Hundefoto auf den Rücken drucken?
In diesem Augenblick lachte die dicke Hunde-besitzerin kurz und schrill auf und warf dabei ihren Kopf so ruckartig in den Nacken, dass sich ihr hin und her wedelnder Pferdeschwanz gar nicht mehr beruhigen wollte. Na, da scheint ihr Gesprächspartner wohl einen guten Witz gemacht zu haben, dachte Marc genervt. Während die Frau selbst mitten im engen Gang des Flugzeugs stand, saß der andere tief versunken im Sitz neben ihr. Der sonoren Stimme nach musste es sich um einen Mann handeln, doch Marc konnte lediglich dessen wild gestikulierende Hände sehen. Anscheinend versuchte er, die Pointe des gerade Erzählten noch einmal zu unterstreichen, denn die Frau musste sich an seiner Rückenlehne festhalten vor Lachen.
Als dann ein zweiter Mann auf der Bildfläche auftauchte, wurde es im wahrsten Sinne des Wortes eng. Der Zweite, spindeldürr, blass und mit Rundbrille auf der Nase, versuchte sich zunächst durch schüchternes Gemurmel und dann, als dieses nicht gehört wurde, durch immer lauter werdendes Bitten seinen Weg durch den Gang hin zur Bordtoilette zu bahnen. Als die Frau mit dem Foto auf dem Rücken die Bemühungen des Dürren bemerkte, versuchte sie, ihren massigen Körper zu verschmälern. Auf Marc wirkte es, als wolle sie den Bauch einziehen, um den Mann passieren zu lassen. Da dies aber keinen wirklichen Zuwachs an Freiraum zur Folge hatte, versuchte sie das Problem noch einmal in seitlicher Stellung anzugehen, was die Platzsituation jedoch nur noch prekärer werden ließ. Inzwischen war Marc nicht mehr der einzige Passagier, der sich den Ausgang dieser Raum-Zeit-Problematik nicht entgehen lassen wollte. Beide Seiten begannen, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten, bis die Frau schließlich entnervt einige Schritte in Richtung Cockpit watschelte, um sich dort in eine freie Sitzreihe zu zwängen. Eilig schlüpfte der blasse Mann durch den plötzlich entstandenen Freiraum hindurch. Marc war sich sicher, dass der Dürre auf dem Rückweg den Gang auf der anderen Seite des Flugzeugs nehmen würde. Gegen den kleinen Kerl hatte die Dicke wie eine Walküre gewirkt.
Als die Frau ihren alten Platz im Gang wieder eingenommen hatte, konnte Marc direkt unter dem Foto des Hundes den Namen »Gandhi« entziffern. Und noch weiter unten, in blassblauen Lettern: »Hunde sind wie wir – nur edler.«
Unter anderen Umständen hätte sich Marc Schilling in diesem Augenblick gefühlt, als müsse er sich augenblicklich in den Gang über-geben. Sein Atem hätte gestockt, und seine Zehen hätten sich in den Lederschuhen verkrampft. Äußerlich wäre Marc nichts anzumerken gewesen, aber innerlich hätte er gekocht. Sei es wegen dieses vollkommen bescheuerten Hundenamens oder wegen der fast noch dämlicheren pseudophilosophischen Aussage über Menschen und Hunde im Allgemei-nen. Oder, und das hätte Marcs Zehen schon viel früher verkrampfen lassen, wegen der Fett-leibigkeit dieser Person, die sich ungeniert in sein Blickfeld geschoben hatte.
Aber heute war alles anders. Marc stöhnte nur kurz, und das auch nur sehr leise. Er ließ Milde walten und den Blick an seinem Sitznachbarn vorbei durch das Fenster gleiten. Versonnen betrachtete er den Wolkenteppich, über den das Flugzeug gen Süden schoss. Unfassbar, mit welcher Geschwindigkeit sich Flugzeuge fort-bewegen, sinnierte Marc vor sich hin. Und dann konnte er nicht anders, als breit zu grinsen. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Er saß tat-sächlich hier in diesem Flieger. Und schon in ein bis zwei Stunden würden seine bisher kaum getragenen Schuhe aus Pferdeleder mit ihren harten Absätzen, deren arrogantes Klacken Marc liebte, spanischen Boden berühren.
Vor drei Wochen hätte Marc diese Reise noch für vollkommen unmöglich gehalten. Vor genau drei Wochen im Fishbowl, in Hamburg.


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