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Belletristik
Buch Leseprobe Rote Zitrone, Marco Wilhelm Linke, Barbara Schilling
Marco Wilhelm Linke, Barbara Schilling

Rote Zitrone


Süß-saure Erzählungen von Liebe und Strümpfen

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Mittwoch Marco W. Linke Nun ist es also soweit. Vor kurzem fasste ich den tollkühnen Entschluss, mit meiner Freundin eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Da wir nicht nur unseren natürlichen Lebensraum wechseln, sondern mit einem Menschen eigener Wahl eine Wohnung teilen wollten, sollte dieser Umzug alle bisherigen Wohnungswechsel in den Schatten stellen. Besonders für mich als Langzeitalleinlebender war unser Vorhaben eine außerordentliche Heraus-forderung und verlangte nicht nur großen Mut, sondern vor allem schier endloses Vertrauen in die angestrebte Zweisamkeit. Aus Gründen der Fairness bekundete ich offen meine Bedenken, dass mein bisheriges Leben in Isolation gewiss die eine oder andere Spur hinterlassen hätte und ich mich sicher trotz reger Bemühungen nicht 100 % ändern könnte. Aber die liebste Person an meiner Seite redete mir gut zu und versicherte mir nachhaltig, dass ich mich gar nicht ändern sollte. So standen wir unserem gemeinsamen Vorhaben näher denn je. Immerhin hatten wir den Ernstfall über Jahre sukzessiv geprobt. Ursprünglich trafen wir uns nur einmal die Woche. Dienstags. Auf neutralem Gebiet. Zum Beispiel beim kleinen Italiener »Alberto Grande«. Alberto hatte neben einer üppigen Salatbar zahlreiche verträumte Nischen in seinem Restaurant und gewährte auf diese Weise den Liebespärchen der Stadt Unterschlupf. Nachdem sich bei Alberto ausschließlich die Liebenden trafen und diese sich über Stunden an einem Glas Wein festhielten, musste Alberto mangels Umsatz schließen. (Den Liebenden sei an dieser Stelle kein Vorwurf zu machen. Immerhin verging die Zeit bei Alberto wie im Fluge und rasch war die Pizza vor dem ersten Bissen kalt, weil man sich nicht von dem reflektierenden Kerzenschein in den Augen der Angebeteten zu lösen vermochte.) So blieb uns nichts anderes übrig, als unsere diensttägliche Gewohnheit zu ändern. Und wenn man gezwungen wird, seine Gewohnheiten zu ändern, steht das halbe Leben auf dem Kopf. Was richtig war, wird plötzlich falsch und anders herum. Im nicht vermeidbaren Durcheinander unserer Partnerschaft entschlossen wir uns, gleich einen Schritt weiter zu gehen, und uns neben dienstags auch donnerstags zu treffen. Den Mittwoch wollten wir uns frei halten. Wir hielten dies für eine gute Idee, um uns nicht zu eingeengt zu fühlen. Die Dinge nahmen ihren Lauf und rasch war der Freitag mit Bowling, Montag mit Kino (in unserem Stadtkino ist montags Kinotag), Samstag mit Clubbing oder wahlweise Café und der Sonntag mit einem kleinen Spaziergang verplant. Was ich eigentlich sagen will: wir haben uns nicht nur kennen gelernt, wir verbringen jede Minute der Woche zusammen - die 1440 mittwöchlichen einmal ausgenommen. Der Mittwoch war das Symbol unserer Freiheit. Sicherlich waren wir gewillt, uns für den Partner aufzugeben. Aber bei all der Trausamkeit: der Mittwoch war heilig. Unantastbar. Unser Sonntag der Katholiken. Dabei war es völlig egal, ob wir uns daheim langweilten oder versuchten an unserem längst aufgegebenen Freundeskreis anzuknüpfen (was natürlich fehlschlagen musste, weil der Frauenzirkel meiner Freundin sich dienstags zu treffen pflegte und mein letzter Freund nunmehr mittwochs Spätschicht hatte). Der Mittwoch war partnerfrei. Warum ich all dies erzähle? Nun, der Mittwoch stellte unser Projekt »Gemeinsam wohnen« auf eine harte Probe. So musste unser neues Heim mindestens fünf Zimmer haben. Nur so bliebe mittwochs genug Freiraum, uns aus dem Wege gehen zu können. Auf dieser Basis - und unter Berücksichtigung unseres schmalen Budgets (welches vor allem durch die Bemühungen schrumpfte, unsere letzten Freunde bei Laune zu halten) - wurde unsere Suche komplizierter, als anfangs gedacht. Erschwerend kam hinzu, dass unser beschauliches Heim unbedingt Parkett (hell und pflegeleicht), einen Balkon (mit Südseite und von Wohnzimmer wie Schlafzimmer aus begehbar), eine regelbare Fußbodenheizung, einen Fahrstuhl (zumindest ab dem dritten Stock), einen Parkplatz vor dem Haus (der Umstand, dass wir uns derzeit kein Auto leisten konnten, sollte die Zukunftsplanung nicht negativ beeinflussen), nette Nachbarn (ohne oder mit leisen Kindern) - die jedoch unseren Lärm dulden (es sei darauf hingewiesen, dass ich in mittlerer Güte musiziere, aber fleißig an meinen Fähigkeiten arbeite) und eine zentrale Lage mit Autobahnanbindung haben sollte. Waren die Wochenzeitungen geradezu überfüllt von Wohnungsangeboten, wurde dennoch kein Angebot unseren Vorstellungen auch nur annähernd gerecht. Wir waren schon am Rande der Verzweiflung und gewillt den unbarmherzigen Gesetzen des Wohnungs-marktes nachzugeben, da erblickte meine Freundin im Internet eine winzig kleine Anzeige, die verblüffend genau unseren Traum der gemeinsamen Zukunft beschrieb. Als ich gerade in der Küche die letzten Teebeutel in das siedende Wasser stülpte, hörte ich aus dem Wohnzimmer die Laute eines erschrockenen Wesens. Und was ich zu sehen bekam, war das bleiche Gesicht meiner womöglich baldigen Wohngefährten. Mit zittriger Stimme sagte sie, „Ich hab sie gefunden... unsere Wohnung.˝ Misstrauisch fragte ich: „Bist du sicher?˝ Dabei musste ich mich ganz und gar auf die Fähigkeiten meiner Freundin verlassen, da ich zu dieser Zeit ein wenig unbedarft im Umgang mit dem Computer war und mich nur auf Drängen meiner Oma zwangsweise mit dem PC auseinandersetzte. „Mein Schatz˝, begann sie „siehst du. Wenn man etwas wirklich will, dann klappt es auch. Zwar fehlt der Balkon. Aber bei den zwei Sommerwochen im Jahr ist das ja nicht so tragisch. Und anstelle des Parketts liegt ein Teppich. Das ist aber auch gar nicht so schlecht. Da die Wohnung keine Bodenheizung hat, ist es schön fußwarm. Okay, der Fahrstuhl zum 12. Stock fehlt. Aber daran gewöhnen wir uns sicher - und sparen uns das Fitnessstudio. Dafür ist die Wohnung in einem modernen Neubau am Rande der Stadt - und die Miete ist erschwinglich - »u-und« der Blick zum Stadtkern, als auch zur nahe liegenden Autobahn ist frei!˝ Es schien sich ein Traum zu erfüllen. Bei der Wohnungsbesichtigung ließen wir uns weder von der Nachbarin, die kreischend ihrem verdutzten Hund die »Notdurftregeln im Hause« erklärte, noch von dem in die Wand zementierten Heizungsknopf beeindrucken. Auch vermochte die offensichtliche Leichtbauweise unsere Freude nicht zu trüben - gleichwohl es nicht möglich sein würde, ein Bild aufzuhängen. Tapfer hielten wir uns in den Armen und meine Freundin meinte: „Heute ist es modern, keine Bilder aufzuhängen.˝ Ich trug es mit Fassung, dass ich meine 1 x 2 Meter große handgemalte Landkarte aus dem Jahre 1845 nicht aufhängen würde. Zweckoptimistisch fügte ich hinzu: „Man kann die Wände auch anderweitig hübsch gestalten. Vielleicht Deckenfresken? Auf der Raufasertapete sehen die kleinen Engelchen aus, als hätten sie Akne.˝ Die kurzzeitig anschwellende Freude wurde von dem ernsten Blick des Vermieters unterbunden. „Ich denke, Sie werden sich hier auch so wohl fühlen˝, meinte dieser. „Jedenfalls ist mir noch nicht zu Ohren gekommen, dass sich ein Mieter nicht wohl gefühlt hätte - den Selbstmordspinner mal ausgenommen.˝ Unfähig gegen meine neurotische Angst anzukämpfen, meiner baldigen Wohngefährtin die Vorfreude auf eine gemeinsame Zukunft zu nehmen, lächelte ich und meinte: „Es ist alles wunderbar. So überraschend anders.˝ Dabei presste ich meine Freundin als Boje der Hoffnung »das zu glauben, was ich sagte« fest an mich. In Sekunden zog mein Leben an meinen Augen vorbei. Ich sah mich mit Rippenshirt und dickem Bierbauch vor dem Fernseher sitzen, eine Sportsendung schauen und verständnislos den Kopf schütteln, warum meine Frau nur so unglücklich aus dem Fenster schaue. Sie könne doch bis zur Stadt - und zur Autobahn schauen! „Na gut˝, sagte der Vermieter, „da ich in den Urlaub fahre, können wir uns nur noch kommende Woche zur Vertragsunterschrift treffen.˝ Ich versuchte meinen Kopf zu fixieren, dennoch nickte ich widerwillig. Jetzt fehlte ein Wunder, welches die Last von meinen Schultern nehmen und uns vor dieser Unterschrift zum Unglück bewahren würde. Der Vermieter blätterte in seinem dicken Kalender und schnaufte im Rhythmus des Blätterns. „Sieht schlecht aus˝, grunzte er in seinen Stift. Mein Herz raste quer durch meinen Leib und wenn ich nicht so gewissenhaft meine Freundin gehalten hätte, wäre ich vor Freude an die Decke geflogen. „Aha, da ist ja doch noch ein Termin frei.˝ Nun schien sich mein Herz in den absoluten Stillstand zu versetzen. Teils überrascht von der Flexibilität meines Organs, teils schockiert, stand ich dort ohne einen Ton von mir zu geben. Der Vermieter ergriff das Wort „Tja˝, sagte der dickliche Mann, „dann sehen wir uns nächsten Mittwoch!˝ Nun. Dass wir diesen Termin nicht „gemeinsam˝ einhalten konnten, erübrigt sich wohl zu sagen. Wir erklärten unsere missliche Lage und vertagten uns auf unbestimmte Zeit.


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