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Buch Leseprobe Ohne Umweg, Ursula Dossier
Ursula Dossier

Ohne Umweg



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Vom Verschwinden der Dinge

Nein, so ist das falsch formuliert. Dinge können nicht in eigener Regie verschwinden. Sie werden verloren, verlegt, oder sie werden uns von anderen weggenommen.

Herr Doktor Goldstein wurde ein Meister in der Erfahrung vom Verschwinden der Dinge. Das ist nun fünfundsechzig Jahre her, und wir alle kennen seine Geschichte.

Zuerst verschwand seine Praxis. Auch sie verschwand nicht selbstständig, obgleich es Herrn Doktor Goldstein fast so vorkam. Er durfte von einem Tag auf den anderen keine Arier mehr betreuen, sondern nur noch Juden, wie er selber einer war; aber auch von denen sah er immer weniger. Langsam verschwanden sie, wurden weggeschafft aus der großen Stadt. Und ein paar Monate später wurde ihm mitgeteilt, dass seine Praxis nun von einem arischen Arzt übernommen worden war.

Dann verschwanden alle die Dinge, für die er sein halbes Leben lang hart gearbeitet hatte. Das Klavier der Tochter, die Gemälde seiner Frau, seine Münzsammlung, die Möbel und dann, als er und seine Familie abgeholt wurden, auch sein Haus.

Herr Doktor Goldstein litt unter dem Gedanken, seine gesamten Besitztümer verloren zu haben. Alles war verschwunden. Er bekam kein Geld dafür. Er wusste auch nicht, wer der neue Eigentümer seiner Habe war.

Beim Abtransport durfte jeder einen kleinen Handkoffer mit persönlichen Sachen mitnehmen. Etwas Wäsche, etwas Kleidung. Aber kaum im Lager angekommen, wurden Herrn Doktor Goldstein und den anderen auch diese letzten Dinge genommen. Sie verschwanden.

Nun besaß er nur noch das, was er am Leib trug. Und ganz zum Schluss nicht einmal mehr das. Sogar die Haare wurden ihm geschoren. Man würde sie für Matratzenfüllungen benutzen, aber das wusste Herr Doktor Goldstein nicht, und er würde es auch nie erfahren.

Zum Schluss dachte Herr Doktor Goldstein nur noch über die allerwichtigsten Dinge nach, wie das wohl am dem Menschen bewussten Ende eines Lebens üblich ist.

Herr Doktor Goldstein, der ein Meister in der Erfahrung vom Verschwinden der Dinge war, vergeudete nun keinen einzigen Gedanken mehr an diese Verluste. Er dachte darüber nach, dass der Begriff des Menschen wohl neu definiert werden müsse.
"Der Verlust des Begriffs des Menschen" - wie Hannah Arendt es später so treffend formuliert hat.

Er dachte über das Gefühl seiner Scham nach, das man wohl als den Verlust der Würde bezeichnen konnte.
Und er dachte nach über den Verlust aller Menschen, die er liebte.

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