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Belletristik
Buch Leseprobe November ´89 - Erlebte Geschichte, Sven Truppel
Sven Truppel

November ´89 - Erlebte Geschichte



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September
Montag, 4. September 1989

Am Abend fand in der Leipziger Nikolaikirche das erste Friedensgebet nach den Sommerferien statt. Im Anschluß bildeten die zwölfhundert Kirchenbesucher einen Zug durch die Leipziger Innenstadt. Diese Demonstration fand dann mit stetig steigender Beteiligung jeden Montag statt. Später wird man sie daher "Montagsdemos" nennen. Die frühen, noch überschaubaren, Montagsdemonstrationen löste die Polizei regelmäßig auf, mal mehr, mal weniger brutal, mal mehr, mal weniger "Zugeführte", mal kürzere, mal längere Haftstrafen.

Nach einem der wöchentlichen Friedensgebete bildete die Polizei Sperrketten und hinderte die Kirchenbesucher, den Kirchhof zu verlassen. Aus ihrer Mitte erschallte daraufhin erstmals der wunderschön zweideutige Ruf: "Wir wollen raus!".

Der Geist der Montagsdemonstrationen springt auch auf andere Städte über. Die sich formende Bewegung, die keine Organisation hat und braucht, ist später so mächtig, daß sie die herrschende Klasse der Bonzen und Funktionäre entmachten kann. Die heute gebräuchliche Floskel der "Revolution mit den Füßen" würdigt die Teilnehmer der Demonstrationen, aber auch die, die aus der DDR flüchteten und auf diese Art das System aushöhlten und zum Umbruch zwangen.

Donnerstag, 7. September 1989

... zurück am Alexanderplatz. Ein großer Platz, mit seiner Weltzeituhr vor dem "Haus der Lehrer", ein Postkartenmotiv, ... Ich sah mir die Weltzeituhr an: Nichts elegantes, sehr technisch. Eine Säule mit einem aufgesetzten breiteren Zylinder und darüber ein Modell der Planeten. In dem breiten Zylinder liefen die Zahlen von 0 bis 23 durch eine undeutliche Weltkarte. Dann konnte man Ablesen, wie spät es gerade im befreundeten Moskau oder Hanoi ist. Aber auch Städte wie Sydney, Paris und New York waren verzeichnet. Die DDR gab sich hier versucht weltmännisch, der Platz ein Prestigeobjekt sozialistischer Architektur.

Der Platz war großformatig gepflastert, Bänke standen rundum und vereinzelte Bäume dazwischen. Ich setzte mich mit Blick auf die Weltzeituhr und den Platz auf eine freie Bank. Ich hatte mindestens noch eine Stunde Zeit und beobachtete die wenigen Wolken, die Uhrzeit, die Menschen.

Unauffällig viele männliche Zweiergruppen lungerten um den Platz. Ich war froh, als mich meine beiden Pastoren entdeckten und sich zu mir setzten. Sie waren jung, bärtig und gut gelaunt. Wir unterhielten uns bis zwei lange breitschultrige Mäntel herantraten und mich aus ihrer Mitte heraus aufforderten, mitzukommen. Ich schaute fragend zu meinen beiden Gesprächspartnern von eben und erkannte im gleichen Moment ihre eigene Hilflosigkeit.

Die Ledermäntel nahmen mich Bald-Zwanzigjährigen in ihre Mitte und brachten mich über den Platz in eine Seitenstraße. Dort standen etliche Fahrzeuge bereit: Krankenwagen des DRK, olivgrüne ROBUR-Kleinbusse und Mannschaftswagen der Polizei.

Ich wurde in solch einen ROBUR-Bus gedrängt. Drinnen gab es vier oder fünf Sitzreihen mit jeweils drei Sitzen. Links ein Sitz, dann ein Gang, rechts eine Doppelbank. Die Fensterplätze waren schon besetzt. Hier saßen noch mehr Langmäntel.

Ich mußte mich in die Mitte setzen und wurde, während einer der Stasi-Mitarbeiter protokollierte, befragt:
Von Links: "Können Sie sich ausweisen?" - Ich bejahte. Von Vorn: "Geben Sie mir Ihren Ausweis." - Ich kramte in der Brusttasche, gab ihn ab und sah, wie er in Richtung Fahrer verschwand. Von Hinten: "Ihr Name" - Mein Name. Von Rechts: "Geburtsort und -datum" - Wie im Ausweis. Von Irgendwo: "Wo arbeiten Sie?" - Leuna. Mein Nachbar: "Haben Sie heute frei?" - "Ja, ich habe Urlaub." Von Hinten, links oder rechts: "Schön, daß Sie die Hauptstadt der DDR besuchen. Was machen Sie hier?" - "Ich mache einen Tagesausflug." Von Rechts: "Sind Sie allein hier?" - "Nein, ich bin Teilnehmer einer Rüstzeit." Von Rechts: "Einer Rüstzeit? Woher?" - "Eine Rüstzeit der Kirche, in Grünheide." Von Links: "Wo sind die anderen Teilnehmer jetzt?" - "Weiß ich nicht, wir wollen uns am Alexanderplatz treffen." - Von Vorn: "Wann?" - "In einer halben Stunde." Mein Nachbar: "Auf Wiedersehen."

Von vorn wurde mir der Ausweis zurückgereicht, ich stand auf und ging zum Ausstieg. Die paar Stufen fiel ich herunter. Hinter mir hörte ich Gelächter. Ich werde das Gefühl nicht los, daß ich gestoßen wurde.

Ich lief zurück zu den beiden Pastoren, die sichtlich erleichtert waren, mich wiederzuhaben. Noch bevor wir uns über mein eben Erlebtes austauschen konnten, wurden wir ungewollt Zeugen dessen, was kommen sollte...

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