Die rotweißen Bänder wehten im Herbstwind. Manche waren zerrissen, andere nicht mehr so straff wie noch gestern. Inzwischen waren auch schon viele Gespanne abgefahren. Kerstin kam gerade mit ihrem Berittpferd Liberty einen Feldweg entlang. Die beiden hatten an diesem Wochenende hier ein Turnier bestritten. Neben ihr ritt ihr Freund Tobias auf dessen Rappschimmelstute Mary Lou. Beide Pferde trotteten langsam vor sich hin. Sie waren müde nach den Anstrengungen der Wettkämpfe. Auch Tobias gähnte. „Jetzt freue ich mich dann nur noch auf eine Badewanne und ein gutes Abendessen. Hoffentlich wollen Frau Allenfels und dein Vater bald fahren.“ „Ja, das hoffe ich auch“, entgegnete Kerstin. „Das mit der Badewanne ist eine gute Idee, wenn ich zu Hause meine Rasselbande versorgt habe.“ Seit Kurzem gab es im Haus des Hauptmanns, der Kerstins Vater war, nämlich Hundenachwuchs. Fünf Welpen ihres Jack Russel Terriers Fine tapsten inzwischen unternehmungslustig durch die Wohnung. Tobias lachte. „Dein Vater sieht eigentlich immer gleich aus. Er zeigt nie irgendwelche Regungen oder ob es ihm gut- oder schlechtgeht. Jetzt habe ich ihn das erste Mal müde gesehen.“ „Du kannst dir nicht vorstellen, wo diese kleinen Rabauken überall auftauchen. Fine kümmert sich zwar wirklich toll, aber sie kann ihre Augen ja auch nicht im ganzen Haus gleichzeitig haben.“ „Die können doch noch keine Treppen hoch!“, rief Tobias aus. „Nicht wirklich können und auch nicht dürfen, weil es zu gefährlich ist. Das hat ihnen nur keiner gesagt. Der größte Frechdachs hat seinem Ruf wieder einmal alle Ehre gemacht und es trotzdem versucht. Tante Frieda hat gleich eine alte Schaltafel aus dem Keller geholt und unten notdürftig befestigt. Du kannst dir vorstellen, wie begeistert der Hauptmann ist, dass er da jetzt immer drübersteigen muss.“ „Irgendwie tut er mir sogar ein bisschen leid“, gestand Tobias. „Deine Welpen sind ja wirklich süß, aber ich möchte gerade nicht mit dir tauschen.“ „Liegt das nicht viel eher daran, dass ich noch zur Schule gehe?“, neckte Kerstin ihren Freund. Plötzlich legte sich ein Schatten über das Gesicht von Tobias. Das entging Kerstin nicht. Sofort hakte sie nach: „Was ist denn los?“ „Ach, ich weiß auch nicht so recht.“ Tobias ordnete umständlich seine Zügel neu. „Irgendwie habe ich im Moment das Gefühl, dass das mit der Ausbildung zum Rettungssanitäter doch nicht das Richtige für mich ist.“ „Aber das wolltest du doch unbedingt machen!“ „Ich weiß. Das Problem ist, dass man die Schattenseiten eines Jobs halt erst so richtig zu sehen bekommt, wenn man arbeitet und nicht schon beim Informieren oder einem Praktikum.“ Nach einer kurzen Pause wagte Kerstin zu fragen: „Ist etwas passiert?“ Auch Tobias antwortete nicht sofort. Schließlich meinte er: „Am Freitag wäre uns fast jemand im RTW gestorben. Die Frau liegt jetzt auf der Intensivstation und ist immer noch nicht über den Berg.“ „Hast du das mit angesehen?“ Rasch schüttelte Tobias den Kopf. „Nein, zurzeit bin ich ja nur so eine Art Handlanger und fahre vorne mit, wenn wir einen Patienten drin haben. Der Notarzt dachte, die Frau wäre stabil, als wir losgefahren sind. Plötzlich hat er uns anhalten lassen. Sie mussten wiederbeleben. Wenn wir es so nicht mehr ins Krankenhaus geschafft hätten …“ Er brach ab. Man merkte deutlich, wie sehr ihm die Sache an die Nieren ging. Kerstin wusste auch nicht so recht, was sie nun sagen sollte. Schließlich murmelte sie: „Das tut mir sehr leid. Warum hast du denn nicht früher etwas erzählt? Warst du deshalb heute so unkonzentriert?“ Bei den Wettkämpfen, welche Tobias bestritten hatte, hatte er so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor. Von einer Platzierung war er in den vier Prüfungen, die er geritten war, weit entfernt gewesen. „Ja klar! Das geht mir nach, seit es passiert ist. Ich habe auch die letzten beiden Nächte nicht geschlafen. Wenn ich das nicht in den Griff bekomme, dann bin ich für den Job absolut ungeeignet.“ Wieder entstand eine Pause mit unangenehmem Schweigen. Sie hatten den Parkplatz erreicht. Der Hauptmann stand gerade am Lkw von Gut Birkenfeld, auf dem auch die Pferde von Kerstin und Tobias lebten. Er war dort Trainer und Mitbesitzer und hatte heute gemeinsam mit Tanja Allenfels, seiner Lebensgefährtin, die Auszubildenden bei ihren Starts betreut. Da keiner von den Lehrlingen den nötigen Führerschein besaß, hatte er auch den Laster mit den Pferden fahren müssen. „Ich glaube, die verladen schon“, machte Kerstin ihren Freund aufmerksam. „Dann geht es bestimmt bald los.“ „Hoffentlich.“ „Was willst du denn jetzt machen?“, kam Kerstin noch einmal auf das Gespräch von gerade eben zurück. Tobias winkte ab. „Lass uns wann anders darüber reden!“ Die beiden lenkten ihre Pferde direkt zu dem Gespann bestehend aus Tanjas Auto und auch ihrem eigenen Anhänger. Dort saßen sie ab. Kerstin rutschte ziemlich schlapp aus dem Sattel. Das Turnier hatte sie ganz schön Kraft gekostet. Es war das erste Wochenende der Herbstferien. Sie befand sich nun im Abschlussjahr, und die Schule verlangte ihr viel ab. Dazu kamen die Hundewelpen, die Vorbereitung auf das Turnier und dann auch noch ihr Training mit der Showtruppe Magic Riders. Mit denen hatte sie nächstes Wochenende wieder einen Auftritt. Diesmal sollte sie zum ersten Mal die neue Nummer vorführen, welche sie seit dem Sommer einstudiert hatten. Dabei musste sie mit Tobias zusammen in der ersten Hälfte einen langsamen Walzer tanzen und anschließend ein Pass de deux reiten. „Da seid ihr ja!“, rief Tanja, die gerade des Weges kam. „Wenn die Azubis verladen haben und ihr auch, dann könnten wir eigentlich direkt durchstarten.“ „Nichts dagegen einzuwenden“, entgegnete Kerstin. „Hoffentlich war Tante Frieda mit den Hunden nicht überfordert.“ Müde gingen Liberty und Mary Lou die Rampe hoch. Drinnen begannen sie dennoch gleich, an dem Heunetz, welches vorne befestigt war, zu zupfen. Der Hunger schien noch größer zu sein als die Erschöpfung. Fünfundvierzig Minuten Fahrt lagen nun noch vor ihnen. Der Hauptmann führte die Schlange der Birkenfelder an. „Na, zufrieden mit dem Wochenende?“, erkundigte Tanja sich, als sie auf der Landstraße waren. „Kann man so sagen“, antwortete Kerstin. Immerhin hatte sie einen zweiten und einen dritten Platz erringen können. Tobias grummelte: „Wie könnte ich?“ Daraufhin grinste Tanja. „Man kann nicht immer nur gute Tage bei Turnieren haben. Dieses Wochenende war halt nicht deines. Sieh es so! Du hast bei beiden Springen nicht das letzte Hindernis gerissen.“ Das war so eine Eigenart von Tobias. Wenn es gut lief und er große Chancen auf ein mögliches Stechen oder gar gleich eine Platzierung hatte, dann war er bei der letzten Hürde oft unkonzentriert. Nun antwortete er: „Dafür genügend andere vorher.“ „Es kommen auch wieder bessere Tage“, winkte Tanja ab. „Ich war nicht viel älter als ihr, als ich auch einmal eine Prüfung total vergeigt habe. Den Ablauf der Dressur hatte ich so gut auswendig gelernt, dass ich sogar davon geträumt habe. Und dann habe ich mich während des Wettkampfs mal richtig verritten. Eigentlich wäre es auf den Zirkel im versammelten Galopp gegangen. Ich bin in der Verstärkung durch die ganze Bahn gewechselt.“ „Ups.“ Kerstin musste grinsen. Das Gespräch schlief bald ein. So ging es auch Kerstin. Mit einem Mal fielen ihr die Augen zu. Sie lehnte sich gegen die Beifahrertüre und döste vor sich hin. Erst in Schneverdingen, als Tanja das Tempo an der großen Kreuzung mit der Ampel deutlich verringerte, wachte sie wieder auf. „Oh, wir sind ja schon fast da.“ Kerstin drehte sich nach hinten. Auch Tobias schlief. Das konnte man ihm nach diesem Wochenende nun wirklich nicht verübeln. Als der Lkw über die birkengesäumte Zufahrt rollte, kamen aus dem Stall die jüngeren Lehrlinge und Frau Anders. Das Gut gehörte ihr seit dem Frühjahr gemeinsam mit dem Hauptmann und Tanja. Die drei wechselten sich immer damit ab, dass mindestens einer auf dem Gut blieb, während auch jemand die Betreuung beim Turnier übernahm. Nun wollte sie natürlich, nachdem der Hauptmann und Tanja ausgestiegen waren, wissen: „Wie ist es denn gelaufen?“ Tanja antwortete: „Herr Wollmart hat einen dritten und einen fünften Platz geschafft.“ „Das ist gut“, freute Frau Anders sich. Grinsend fuhr Tanja fort: „Dann wird es dir gefallen, was ich dir über Frau Dimmerstorf berichten kann.“ Dazu hatte Tanja jedoch keine Gelegenheit mehr, denn Polly selbst kam angesprungen. „Ich hab gewonnen!“ „Und auch noch einen zweiten Platz gemacht“, ergänzte Tanja. „Das klingt sehr gut. Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke.“ Schon war Polly wieder weg, um Topspin und Komet auszuladen. Sonst hätte es mit Sicherheit auch Ärger mit dem Hauptmann gegeben, der bereits gemeinsam mit Stefan den Lkw geöffnet hatte. Tobias stand nun neben dem Wagen von Tanja und streckte sich, dass es in den Gliedern knackte. „Das hat jetzt gut getan.“ Schon machte er sich gemeinsam mit Kerstin an der Heckklappe zu schaffen. Auch Mary Lou und Liberty wollten nicht länger im Hänger stehen müssen, als das nötig war. Zuerst stieg die Stute aus. Dann forderte Kerstin ihren Rappen auf, das Gefährt zu verlassen. „Wir laufen zum Stall“, meinte sie. „Ist gut“, antwortete Tanja kurz. „Ich bringe dir Libertys Sachen gleich nach.“ Im Gegensatz zu Mary Lou, die hier in dem riesigen u-förmigen Stallgebäude untergebracht war, wohnte Liberty bei Carsten Stroo, dem weltweit erfolgreichen Vielseitigkeitsreiter. Sein Reich lag auf der anderen Seite der Anlage. Kerstin tat es nun gut, dass sie sich nach der Autofahrt ein wenig die Beine vertreten konnte. Liberty ging es da bestimmt nicht anders. „Ah, da kommt ja unsere Amazone“, begrüßte Karl, Carstens Pferdepfleger, Kerstin. „Waren wir erfolgreich?“ „Keine Ahnung, ob du das warst, aber Liberty und ich können nicht klagen“, entgegnete Kerstin schlagfertig. „Hast du etwas von Carsten gehört?“ Der Profireiter war an diesem Wochenende ebenfalls auf einem Turnier. Allerdings hatte er bis in die Schweiz fahren müssen. Daher würde er auch heute noch nicht zurückkommen. Karl nickte. „Bei dem ist es erwartungsgemäß gelaufen. Otto von und zu hat wieder einmal auf Stur geschaltet. Cognac gibt ja meistens sein Bestes, ist aber in seinem Potenzial begrenzt. Zum Glück hat Libelle es ja hier gut gemacht gehabt.“ Erst vor Kurzem war das jährliche Vielseitigkeitsturnier auf Birkenfeld gewesen. Dabei ritt Carsten meistens sein bestes Pferd im Stall. Momentan war das eben Libelle. Es hatte in diesem Jahr zwar nicht zum Sieg gereicht, aber über einen dritten Platz zu Hause konnte man sich durchaus auch freuen. Eben Libelle geriet wie immer ganz aus dem Häuschen, da Liberty wieder zurück war. Die beiden waren einfach unzertrennlich. Kerstin versorgte den Wallach und lud den Hänger aus, als Tanja ihn - wie versprochen - brachte. Nach einem kurzen Besuch bei Kerstins eigenen Pferden, dem Fellpony Bounty und deren Mix-Tochter Buffy, ging es an diesem langen, anstrengenden Tag endlich nach Hause. Schon an der Türe stolperte der Hauptmann beinahe über einen Welpen. „Wie kommt der denn schon wieder hierher?“ Kerstin bückte sich rasch und hob das Hundebaby hoch. „Hallo Franzi, na, bist du auf Erkundungstour?“ Schon tapste der Nächste Kerstin auf seinen viel zu großen Pfoten entgegen. „Harry, mein Schatz!“ Auch der kleine Rüde durfte mit auf den Arm. Er war Kerstins Liebling, obwohl sie natürlich alle kleinen Hunde sehr gern hatte. Diesen hier wollte sie aber nach Möglichkeit behalten. Der Hauptmann hatte so etwas angedeutet, dass einer bleiben durfte. Deshalb hatte Kerstin ihn auch nach seinem Vater benannt, der Harald hieß und auf Birkenfeld lebte. Dort war es zu dem Unfall gekommen, der Fines Trächtigkeit zur Folge gehabt hatte. Tante Frieda kam aus der Küche. „Ist wohl nicht gut gelaufen“, stellte sie bei einem Blick in das Gesicht ihres Bruders fest. „Wie kommst du nur darauf?“ „Weil du schlechte Laune hast.“ „Ich habe glänzende Laune“, korrigierte der Hauptmann miesepetrig. Tanja, die ebenfalls mitgekommen war, erklärte: „Diese beiden Tage waren einfach sehr anstrengend. Ich bin auch total kaputt.“ „Dann ist es ja gut, dass ich euch eine anständige Stärkung gemacht habe. Ich hoffe, ihr habt einen guten Hunger mitgebracht“, entgegnete Tante Frieda lachend. „Was gibt’s denn?“, wollte Kerstin wissen. „Chili con Carne“, antwortete Tante Frieda. „Ich habe ein neues Rezept ausprobiert, bei dem kein Fleisch reinkommt. Dazu habe ich selber Baguette gebacken.“ Zwar wollte Tante Frieda nicht ganz auf vegetarisch oder gar vegan umstellen, hatte jedoch den Fleischkonsum in der letzten Zeit deutlich reduziert. „Das ist jetzt genau das Richtige“, freute Kerstin sich. Sie setzte die Welpen in ihrem Körbchen ab und ging sich die Hände waschen.
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5,0 von 5 Sternen Eine spannende und faszinierende Serie Rezension aus Deutschland vom 25. Januar 2022 Verifizierter Kauf Diese Serie ist einfach spannend, faszinierend und auch sehr lehrreich. Man bekommt ein besseres Verständnis für Pferde und den Umgang mit ihnen. Ebenso kann man sehr gute Einblicke in den Pferdesport bekommen, ob es nur das Reiten ist oder Dressur- und Springsport. Zudem ist die Serie sehr familiär und wunderschön geschrieben. Man kann diese Serie immer wieder lesen und es wird nie langweilig. Wenn ich mir die Kommentare der vergangenen Bücher so anschaue, drängt sich mir leider der Verdacht auf, dass diese Funktion leider zu einem persönlichen Rachefeldzug missbraucht wird. Ein Kommentar wurde in allen bisher erschienen Bänden gepostet. Wenn man von Anfang an dabei ist, kann man sich nicht gerade als Quereinsteiger bezeichnen. Abgesehen von dieser Reihe: Warum liest man so viele Bücher einer Autorin, um dann immer denselben schlechten Kommentar abzugeben? Wem der Schreibstil wirklich nicht gefällt, sollte sich dann vielleicht anderweitig orientieren. Für solche Befindlichkeiten steckt einfach auch viel zu viel Arbeit in einem derartigen Buch.
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