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Belletristik
Buch Leseprobe Mia und Niklas, Jenna Stean
Jenna Stean

Mia und Niklas


Keine Liebe ist auch keine Lösung

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1.  Kapitel Wer ist Nick?

Der Klappstuhl knarzte. Hibbelig rutschte Mia auf ihrem Platz vor und zurück. Seit zehn Minuten war die Vorlesung vorbei, aber der Prof wollte mit seinem Thema Kriterien zur Abgrenzung von Flexion und Derivation nicht enden. Himmel, warum wurde er nicht fertig?
Eigentlich mochte Mia das Modul, aber jetzt hatte sie kein Ohr mehr für Reimanns Vortrag. Sie war mit ihrer Freundin Toni und den anderen Mitbewohnern der WG verabredet, um die Zimmer in der noch nicht bezogenen, aber angemieteten Wohnung zu streichen. Seit den Morgenstunden war Mia deshalb aufgeregt.
Warum musste der Prof unbedingt heute länger machen? Hatte er seine Uhr vergessen? Sie wollte pünktlich sein, nicht mit der Zeit auf Kriegsfuß stehen. Was sollten die Mitbewohner für einen Eindruck von ihr haben? Nicht gut, nein, das war überhaupt nicht gut. Mia stöhnte. Reimann, verflucht, würden Sie endlich mal fertig werden!
Uff, geschafft. Schluss für heute. Mia schaute ungeduldig auf die Uhr, in vier Minuten kam schon der Bus. Hastig schnappte sie Block, Buch und Stift, stopfte ihre Utensilien in den Rucksack, quetschte sich an den Kommilitonen vorbei und raste aus dem Saal.
So schnell es ihre Beine zuließen, rannte sie zur Haltestelle, den herannahenden Bus im Blick.
Vom unfreiwilligen Sprint keuchend, ließ sich Mia auf den Sitz hinter dem Fahrer fallen, legte den Rucksack auf die Beine und atmete tief durch.
Heute war ein besonderer Tag, selten in letzter Zeit, dass sie sich freute, in Berlin zu sein. Sie lehnte sich in den Sitz zurück, holte ein Päckchen Kaugummi aus dem vorderen Fach des Rucksacks hervor, nahm sich eins der kleinen Teile und steckte es in den Mund. Langsam kaute sie und der Gedanke an die Verabredung mit Toni entlockte ihr ein Lächeln.
Der Bus war erfüllt von leisem Stimmengewirr, ein Handy piepte schräg hinter ihr. Der Duft von Frühling und Schweiß hing in der Luft. Sie wandte sich dem Fenster zu und sah hinaus.
Ein Zischen, das Klacken der Türen ließen Mia den Blick für einen Moment zum Fahrer wenden. Der setzte den Blinker und der Bus fuhr los.
Mia sah wieder hinaus. Das Unigebäude zog vorbei. Und sie erinnerte sich, wie sie gejubelt hatte, als sie im Februar erfuhr, dass es doch noch geklappt hatte, einen Studienplatz für das beginnende Sommersemester in Berlin zu ergattern. Ihr größter Wunsch, Deutsch und Geschichte auf Lehramt zu studieren, hatte sich erfüllt.
Seit März lebte sie in der Stadt. Denn zum Glück war ein Kommilitone abgesprungen, sodass sie sein Zimmer im naheliegenden Wohnheim schon vor Studienbeginn beziehen konnte, wobei sie beim Einzug tief durchgeatmet hatte; der Mietpreis war recht happig.
Ohne den mit dem Studienplatz gleichzeitig erhaltenen Job als Kellnerin in einer Szenekneipe wäre das teure Leben in dieser Großstadt für sie nicht bezahlbar und ihre Ersparnisse schnell aufgebraucht. Sie müsste die Eltern um Unterstützung bitten, aber das wollte sie nicht. Unabhängig sein, lautete ihr Prinzip. Nichtsdestotrotz blieb das Geld bei Mia knapp. Mit einer günstigeren Bleibe wäre ihr geholfen.
Deshalb fand sie den Vorschlag, den ihr vor drei Tagen Antonia gemacht hatte, in gewisser Weise als besonderes Geschenk. Toni hatte Mia gefragt, was sie darüber dachte, mit ihr, Luca und Nick in eine WG zu ziehen.
Zunächst war Mia skeptisch gewesen. Sie kannte die Jungs nicht. Antonia war erst seit einigen Wochen mit Luca zusammen. Der hatte ursprünglich geplant, mit zwei Kumpeln die WG zu gründen. Sie hatten eine Wohnung in Berlin gefunden: Altberliner Wohnhaus, hohe Fenster, riesige Zimmer, mit nahem Anschluss an die öffentlichen Verkehrsmittel.
Doch als einer von ihnen, Tobias, abgesprungen war, um doch lieber mit seiner neuen Flamme eine günstige Bleibe zu suchen, hatten Nick und Luca vor einem gewaltigen Problem gestanden. Alleine war es ihnen nicht möglich, die horrenden Mietkosten zu tragen, deshalb musste eine schnelle Lösung her.
Die hatte nach kurzer Überlegung zunächst Antonia geheißen. Und als diese gefragt wurde, ob sie nicht mit den Jungs zusammenziehen wollte, hatte Toni die Entscheidung an eine Bedingung geknüpft: nur mit Mia. Das hatte auch seinen berechtigten Grund. Die Freundinnen waren genervt, dass sie sich kaum sahen. Während Mia im Zentrum wohnte, lebte Antonia weit außerhalb.
Was war demzufolge naheliegend und half, die Situation der Freundinnen zu ändern?
»Wir sollten die Not der Jungs für uns nutzen«, hatte Toni vorgeschlagen, und Mia war nach Abwägung des Für und Widers mit dem Vorschlag einverstanden gewesen.
Mia seufzte, kaute auf der Unterlippe.
Ob das Luca und Nick tatsächlich gefiel, sie in die WG mit aufzunehmen?
Hoffentlich.
Mulmig war ihr im Bauch. Doch Luca hatte der Bedingung immerhin zugestimmt. Nick war derweil nicht in Berlin, aber würde aus Sicht von Luca kaum ablehnen, hatte Toni versichert.
Und mit der Wohnung bräuchten sie sich nicht sorgen, dass ihre Mädchenfreundschaft noch am Ende einschlafen könnte. Spontane Treffen aufgrund von Mias Kneipenjob waren selten geworden, weil Toni sich zu anderen Zeiten an der Universität aufhielt als Mia.
Die Freundin besuchte mittlerweile das dritte Semester, Mia dagegen hatte erst begonnen, weil sie nach dem Abitur zunächst ein Jahr als Au-pair in Neuseeland gelebt hatte. Antonia studierte wie Mia Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Beide kämpften mit dem immensen Stoffpensum, den Facharbeiten und Referaten. Gespräche und Textnachrichten verliefen vorrangig über WhatsApp.
Und dann kam für Mia hinzu, dass sie mit dem Zimmer unzufrieden war. Ständig gab es Musikgedröhne um sie herum, weil im Wohnheim das Feiern von Partys ein ungeschriebenes Gesetz war, sie stattdessen aufgrund des anstrengenden Nebenjobs ausreichend Schlaf benötigte.
Sie wagte daher den Sprung ins kalte Wasser und hatte ihre Unterkunft gekündigt. Spätestens Samstag musste sie raus, denn ein Nachmieter wartete bereits, um das Zimmer zu übernehmen. Drei Tage blieben ihr noch.
Mia klopfte das Herz bis zum Hals, nur noch eine Station mit dem Bus, dann der Wechsel in die Straßenbahn. Es muss perfekt sein … Es muss, wiederholte sie gedanklich wie ein Mantra.
Denn einen Punkt gab es, der sie noch ziemlich verunsicherte, ob das alles tatsächlich so reibungslos klappen würde, wie sie es sich vorstellte: Wer war dieser Nick? Ein angenehmer Typ oder ein Widerling?
Antonia kannte ihn nicht.
Er wollte nach Aussage von Tonis Freund im kommenden Semester sein Mathematikstudium in Berlin fortsetzen, Potsdam verlassen, weil er hier größere Chancen für sich sah, zu promovieren. Und außerdem war er ein Buddelkastenfreund von Luca. Die Kumpel hatten sich vor einem Jahr auf einer Studentenparty wiedergesehen. Heute sollte dieser Nick von seinem Ibiza-Trip zurückkehren.
Mit ihm also zog sie in die WG. Am Ende käme es zu seltenen Begegnungen, glaubte Mia zumindest. Entweder würde sie an der Uni oder in der Kneipe sein, dazwischen wollte sie Zeit mit Toni verbringen, wenn sich die Freundin ab und zu von Luca loseisen könnte. Das galt bekanntermaßen als schwierig bei Verliebten.
Während der Bus sich der Haltestelle näherte, erhob sich Mia vom Platz, umschiffte die stehenden Passagiere im Gang und wartete. Der Bus ruckelte beim Halten, es zischte, und die Doppeltüren klappten auf.
Eilig sprang Mia ins Freie, spuckte den Kaugummi in einen Abfallbehälter und hastete zur Straßenbahn, die gerade quietschend einfuhr. Nur kurze Augenblicke später ertönte das Signal zur Abfahrt.
Zügig schwang sich Mia in das Innere der Bahn, nur noch sechs Stationen von ihrem bevorstehenden neuen Leben entfernt.
Als Mia die Straße zur Wohnung einbog, sah sie den geöffneten Transporter von Luca vor dem Haus stehen.
Er zerrte einen Karton heraus, wuchtete ihn vor die Brust. Sein blondes Haar stand wirr nach allen Seiten ab; sein graues Shirt war durchgeschwitzt.
»Hallo, Luca!« Mia strahlte.
Der drehte den Kopf in ihre Richtung, brummte eine Begrüßung zurück. Mias Mundwinkel sanken schlagartig nach unten. Freude über ihr Erscheinen sah anders aus.
Luca deutete mit dem Kinn zum Wagen. »Kannst gleich die Pinsel und Stangen mitnehmen.«
Er musterte sie von Kopf bis Fuß aus blauen Augen und verzog den Mund. »Willst du so aufgetakelt malern? Typisch Mädchen …«
Hä?
Wie meinte er das?
Sie zog die Augenbrauen zusammen. Aus ihrer Sicht sah sie ganz normal aus. Ihr schulterlanges schwarzes Haar trug sie glatt und offen, die haselnussbraunen Augen waren nicht geschminkt. Künstliche Farbe mied sie im Gesicht, benötigte sie nicht, weil ihre Haut immer sanft gebräunt wirkte. Außerdem trug sie nur Jeans, Pulli und Turnschuhe.
Was bitte hatte der Kerl an ihr auszusetzen? Und überhaupt … Mia strich eine Strähne hinter das Ohr und schüttelte den Kopf.
»Wie kommst du darauf, dass ich so malern will? Ich habe alte Klamotten im Rucksack.«
Bevor Luca eine Antwort entgegnen konnte, wurden sie von herannahenden Schritten unterbrochen.
»Mia!«, jubelte eine bekannte Stimme. Zwei Pack Wasserflaschen knallten auf den Boden, und ehe sie sich versah, warf sich Toni an ihre Brust und schlang die Arme um Mias Hals.
»Mia, Mia, Mia«, jauchzte sie. »Ich bin so aufgeregt! Es ist so wunderbar, dich jetzt immer um mich zu haben!«
Mit einem Lachen und einer innigen Umarmung antwortete Mia, ignorierte den genervten Blick von Luca, der am geöffneten Hauseingang wartete. »Ich freue mich ebenso, Süße!« Theatralisch japste Mia nach Luft. »Aber wenn du mich hier zu Tode drückst, dann wird wohl nichts mit unserer WG.«
»Oh, verzeih mir, habe ich dich zu sehr gequetscht?«
Mia schmunzelte beim Anblick ihrer zierlichen Freundin, die ein außergewöhnliches Energiebündel war.
»Nun ja, deine Freude war heftig zu spüren.«
»Ach was«, sagte Toni, angelte sich die Pakete mit Wasserflaschen und zwinkerte mit ihren veilchenblauen Augen.
»Du bist nicht aus Zucker.«
Ihr mahagoniroter Zopf wippte, als sie zu Luca spazierte.     »Na, endlich kommst du«, bemerkte der, gab seiner Freundin einen Kuss auf den Mund und stupste sie mit dem Knie in den Allerwertesten in Richtung Hausflur. Antonias Lachen schallte nach draußen, als sie zur Treppe verschwanden.
Mia sah den beiden hinterher, sie passten gut zusammen, gestand sie sich ein.
Luca, der Sportstudent, ein Mädchentraum, groß und muskulös, Toni dagegen, schmal, ihm bis zur Schulter reichend, mit einem hübschen Gesicht.
Mia freute sich für die Freundin. Wochen hatte diese dem Kerl aus der Ferne hinterhergeschmachtet, hatte ihn bis in das unieigene Fitnessstudio verfolgt, wo er als Trainer arbeitete, bis er sie dann endlich auf einer Fete wahrgenommen und angesprochen hatte.
Mia hatte das Kennenlernen nur am iPhone begleitet, daher war ihr Luca fremd geblieben. Ob er sie mögen würde, so grummelig, wie er sich eben benahm?
»Ach egal, von dem lass ich mir nicht die Laune verderben«, murmelte sie, holte Pinsel und Stangen aus dem Auto und marschierte zum Haus.
Vier Stockwerke schleppte Mia sich die ausgetretenen Stufen hoch, drei Etagen definitiv zu viel, keuchte sie innerlich. Da kam noch was auf sie zu, wenn die Möbel in die Wohnung geschleppt werden müssten.
Obwohl. Für was hatten sie zwei Männer als Mitbewohner? Das starke Geschlecht sollte ruhig die schweren Teile tragen, dafür könnten Antonia und sie die beiden zum Dank bekochen.
Als Mia oben ankam, schnappte sie erst einmal nach Atem. Das waren gefühlt mehr Etagen, eher ein zwölfstöckiges Hochhaus, das sie zu Fuß erklimmen musste. Es wurde für sie höchste Zeit, sich einer sportlichen Betätigung zu widmen. Sie schnaufte wie eine alte Frau, als ob sie nicht 21 Jahre alt wäre, sondern bereits die 90 überschritten hätte.
Doch welcher Sport würde ihr liegen? Sinnend kaute sie auf ihrer Unterlippe, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war oder Entscheidungen überdenken musste.
Laufen? Sie hasste es, dem Bus und der Bahn hinterherzujagen.
Radfahren? In der Großstadt zwischen den stinkenden Abgasen? Dann wäre sie ständig am Husten.
Wenn sie so überlegte, fiel ihr keine geeignete Sportart ein. Vielleicht sollte sie es Antonia gleichtun und sich im Fitnessstudio anmelden, denn leider, sie zog den Bauch ein, hatte sie sich etwas Speck vom Unistress angefuttert.
»Fitnessstudio, ich komme, und dann werde ich mir unter Anleitung von Luca einen Traumbody antrainieren!«, sagte sie leise zu sich, in Gedanken die Finger zum Schwur erhoben.
Sie legte die Pinsel auf den Boden ihres neuen Zuhauses ab und lehnte die Stangen an die Wand. Den Rucksack ließ sie von den Schultern gleiten und stellte ihn zu den Malersachen. Irgendwo vernahm sie das Quieken von Toni, ein Stöhnen von Luca.
Zufrieden ließ Mia die Augen schweifen.
Der Anblick der Wohnung entschädigte sie für die frostige Begrüßung von Luca.
Gleich neben der Eingangstür befanden sich links das Bad und rechts die Wohnküche, vom langen Flur gingen beidseitig je zwei Zimmer ab. Der Schnitt der neuen Behausung war ein Traum, geräumige 130 qm.
Mia lächelte. »Wahnsinn! Noch schöner, als ich es mir beim Ansehen des Exposés vorgestellt habe.«
Einen guten Geschmack bewiesen die Jungs, da war der Mietpreis angemessen.
»Na, zu viel versprochen?«, fragte Antonia mit glänzenden Augen aus der Küche kommend. »Ich wette, du hast noch nie so ein großes Zimmer besessen. Das musst du dir ansehen!« Ehe sich Mia versah, wurde sie von Toni am Handgelenk gepackt und in den letzten Raum zur Hofseite gezogen.
Ohne Widerrede stolperte Mia hinterher.
»Ich dachte, es ist besser, du bekommst das Zimmer hier, weil du doch nach den Nachtschichten in der Kneipe Ruhe benötigst«, erklärte Toni. »Die Straßenseite ist wegen der Pflastersteine zu laut, wenn da die Autos rüberkacheln.«
»Sehr rücksichtsvoll!« Mia grinste, riss dann ihre Augen überrascht auf. »Heilige Scheiße, ist das toll!«
Nach einem langen Moment des stillen Betrachtens des riesigen Raumes wandte sich Mia ihrer Freundin zu. »Und welches Zimmer bezieht der Freund von Luca, dieser Nick?«
Antonia deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Gleich gegenüber. Deins sollte ursprünglich ein Fitnessraum werden.«
»Ach wirklich?«
Toni hob die Schultern. »Muss Nick halt seine Hantelbank in den Keller räumen.«
»Und da hat er nicht protestiert?«
»Nun ja. Doch! Er war wohl etwas lauter am Handy geworden, als er das von Tobias’ Absage erfuhr und dass wir stattdessen einziehen«, gestand Antonia, winkte dann aber ab. »Der kriegt sich schon wieder ein, mach dir keine Sorgen. Die Kerle sollen froh sein, dass wir mit der Miete einspringen. Alleine hätten sie die Kosten nicht stemmen können, hat selbst Luca gesagt.«
Mia hielt den Kopf schief. »Na Hauptsache, Nick ist jetzt nicht auf mich sauer. Wann kommt er überhaupt?«
Toni runzelte die Stirn, warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr am Handgelenk. »Hm, er und seine Freundin müssten eigentlich gleich eintreffen.«
»Seine … Seine was? Ich ziehe mit zwei Pärchen hier ein?« Mia starrte entsetzt auf Antonia, die verlegen den Kopf senkte und ihre Schuhe betrachtete, als ob es da etwas zu entdecken gab. Achselzuckend blickte sie auf. »Nein, sie zieht nicht ein, wird aber öfters zu Besuch kommen.«
»Na wunderbar!« Mia seufzte, und wie auf Kommando waren Geräusche an der Eingangstür zu vernehmen. Das musste dieser Nick mit der Freundin sein, überlegte Mia.
Der Gedanke, ihm gleich gegenüberzustehen, erfüllte sie mit einem komischen Geschmack im Mund. Wenn das mal gut ginge, nach dem, was ihr Antonia eben eröffnet hatte!
»Und du bist ihm wirklich noch nie begegnet?«, vergewisserte sich Mia, als sie sich dem Flur zuwandten. Ihre Beine fühlten sich mittlerweile wie Pudding an, unsicher folgte sie Toni aus dem Zimmer.
»Nein, wirklich nicht, ich lerne ihn wie du heute erst kennen.«
Super. Mia rollte mit den Augen. Das würde eine spannende Begegnung mit einem Kerl, der nun für sie sein Sportgerät in den Keller verfrachten musste.
Sie traten auf den Flur – und schlagartig wusste Mia, ihr Mantra hatte sie umsonst gesprochen. Es würde nicht perfekt werden, nicht einmal einen Hauch von perfekt.
Übelkeit stieg bis in ihren Rachen auf, sie schluckte schwer.
War doch klar, es musste einen Haken geben. Die ganzen Überredungskünste von Antonia … Alles Quatsch … Das Zusammenleben in der WG war von ihr viel zu himmlisch beschrieben worden.
Und sie war so dumm und machte mit. Ein fürchterlicher Albtraum wartete auf sie.
Verdammt, und es gab keinen Weg zurück, keine Möglichkeit zur Flucht!
Warum hatte sie so leichtsinnig das Zimmer im Studentenwohnheim gekündigt?!
»O Gott!«, flüsterte Antonia, klang selbst überrumpelt. »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
Niklas Berger, der letzte Kerl auf dieser Welt, dem Mia begegnen wollte, stand am Eingang, stellte zwei Koffer ab und strich sich durch sein kinnlanges kastanienbraunes Haar.
Mia zuckte zusammen, als ob ihr jemand einen kalten, nassen Lappen ins Gesicht geschleudert hätte. Aber das reichte nicht.
Ihre Augen schweiften vom urlaubsgebräunten Niklas zu seiner Begleitung.
Wer kramte in der Handtasche neben ihm, suchte irgendetwas in diesem Luxusteil?
Rebecca, das größte Miststück unter der Sonne, das sich früher Freundin schimpfte, gemeinsame Freundin von Niklas und Mia.
Und ohne es zu wollen, brach Mias Herz auseinander, quollen die Erinnerungen wie zäher Schleim hervor und nahmen ihr die Luft zum Atmen.
Sie keuchte, der Anblick der Ankömmlinge war zu viel, einfach zu viel. Sie schwankte, stütze sich mit der Hand an der Wand ab. Nur nicht umfallen!
Niklas’ braune Augen wanderten zu ihrem Gesicht. Nun starrte auch er sie für Sekunden an und wurde blass. Er schien ebenso überrascht zu sein. Du?, formten tonlos seine Lippen.
Es fühlte sich schrecklich an, ihn und Rebecca wiederzusehen. Das blonde Gift wirkte nicht weniger geschockt, wickelte eine ihrer hellen, langen Strähnen um den rechten Zeigefinger auf und ab.
Wie lange hatte sie Niklas nicht mehr gesehen? Es müssten bald eindreiviertel Jahre sein. Äußerlich hatte er sich kaum verändert. Das Gesicht war markant, mit hohen Wangenknochen, einer geraden Nase und schön geschwungenen Lippen.
Mia musste sich eingestehen, er war mit seinen 21 Jahren ein attraktiver Kerl, viel zu gutaussehend, sodass ihr bei Niklas’ Anblick das Herz ungewollt gegen die Rippen hämmerte.
Ihr Blick glitt über seinen Körper. Groß war er, mit breiten Schultern, definierten Muskeln, kein Gramm Fett am Bauch – Mia zog ihren hastig ein.
Und auch Rebecca, die bereits in der Gymnasialzeit zu den hübschesten Mädchen der Schule gezählt hatte, mit Mia und Antonia im gleichen Jahrgang gewesen war, hatte sich mittlerweile zu einer Modelschönheit entwickelt, top gestylt, schlank, mit graugrünen Augen.
Sie hatte schon damals jeden haben können. Und Niklas hatte sich ihr schnell zugewandt.
Wie Mia aus verschiedenen Richtungen zu hören bekommen hatte, hatte er eine Beziehung mit ihr begonnen, als sie ihre Zeit als Au-pair antrat. Dieses Weib war demnach der Trennungsgrund gewesen.
Mia dachte, der Schmerz sei überwunden, doch die ungewollte Begegnung riss alte Wunden auf.
Es tat weh, höllisch weh.
Und nun sollte sie ihn und Rebecca fast täglich ertragen?
Mit zusammengepressten Lippen schluckte sie ihren aufsteigenden Zorn herunter. Ein Teil von ihr wollte fliehen, doch sie war in dieser Situation gefangen.
Ruhig bleiben, nichts anmerken lassen, Haltung bewahren, beschwor sie sich, drückte sich von der Wand ab und straffte den Rücken.
Einen Moment lang sahen sie sich an, keiner wagte zu sprechen, sich zu nähern. Die Wohnungstür stand offen, unten bellte ein Hund, Stimmen hallten nach oben.
Etwas Kaltes rührte sich in Niklas’ Augen, als er mit dem Fuß gegen das Türblatt stieß. Das darauffolgende Krachen ließ Mia blinzeln. Früher hatte ihr sein Anblick ein freudiges Kribbeln verursacht, nun lag da ein Stein in ihrem Magen.
Niklas hatte als erster Fassung errungen.
Er löste sich aus der Starre, legte den Arm um die Schultern von Rebecca und verzog die Lippen zu einem Grinsen, während er mit ihr auf sie und Toni zukam.
»Was für eine Freude! Wer hätte gedacht, dass du diese Mia bist, von der mir Luca erzählte, die Singlefreundin von Antonia, wegen der ich auf mein Fitnesszimmer verzichten musste.«
Er neigte den Kopf zu seiner Begleitung. »Becky kennst du ja gewiss noch.«
Und ob! Klatsch. Das hatte gesessen.
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr beiden Süßen dahinter steckt. Aber Luca weigerte sich, mir ein Bild von euch zu senden, als Überraschung, wenn ich aus Ibiza zurück bin, mit welchen netten Mäusen wir statt Tobias zusammenleben. Schade eigentlich, dass ich nicht schon vorher Bescheid wusste. Wow …« Seine Augen suchten sie, waren voller Gift.
Klatsch, zum zweiten Mal. Was er sagte, das saß.
Es schüttelte Mia, ihre Wangen glühten.
Verursachten imaginäre Ohrfeigen tatsächlich solche Schmerzen?
Ja, taten sie, wie sie am eigenen Leibe spürte. Der Kerl war schon damals fies gewesen.
Mia räusperte sich, bemühte sich um eine feste Stimme. »Ich nehme an, dann würdest du nicht hier einziehen?«
»Hättest du gewusst, dass ich es bin, wärst du hier eingezogen?«
»Nein«, erwiderte Mia mit Kopfschütteln und reckte das Kinn. Tränen brannten in ihren Augen, zweimal kniff sie die Lider zusammen, hielt sie unter Kontrolle. »Ich wäre im Studentenwohnheim geblieben.«
Mit gemeinem Lächeln streckte er Mia die rechte Hand entgegen, mit der linken die Schultern Rebeccas weiterhin umklammernd.
Ja, mach du nur auf verliebtes Pärchen, arroganter Mistkerl, fluchte eine Stimme in Mias Kopf.
Sie zwang sich ebenso zu einem Lächeln, als sie zu ihm aufblickte; er überragte sie um Kopflänge. Unsicher legte sie ihre Hand in seine.
Er zog eine Augenbraue hoch, ihr Zittern konnte sie nicht verbergen. »Keine Panik, ich bin harmlos«, kam auch prompt Niklas’ Antwort mit sarkastischem Unterton. »Okay, hoffen wir mal auf ein friedliches Zusammenleben, Mia!«
Gemeiner hätte er das unvermeidbar Kommende wahrhaftig nicht ausdrücken können. Mias Kiefer mahlten aufeinander. »Das wünsche ich uns!«
Hastig zog sie die Hand weg und wendete sich ab, als er sie noch einmal ansprach. »Mia«, sagte er.
Sie hätte sich nicht umdrehen dürfen, doch es war eher ein Reflex. Sie sah über die Schulter, und er blickte ihr ins Gesicht, mit so viel Verachtung, die sie nicht verstand.
»Warum musstest du nach Berlin kommen? Gibt es nicht genug Universitäten in anderen Städten?«
Zu spät wandte sie sich ab, sah nun, wie er sich zu Rebecca beugte und dem Weib seine Zunge in den Mund steckte.
Boah, ein Schauer lief Mia über den Rücken, das war einfach nur widerlich!
Hals über Kopf stürzte sie aus dem Flur in ihr Zimmer zurück, gefolgt von Antonia, die unerwartet sprachlos die Szenerie beobachtet hatte.
Mia schaffte es nicht, die Tränen zurückzuhalten. Sie trat an das Fenster und sah auf den Hof. Das eben auf dem Flur war mehr, als sie ertragen konnte.
Wie sollte das hier jemals funktionieren?
So sehr sie sich auf ein Zusammenleben mit Antonia gefreut hatte, aber ihr blieb keine Wahl, sie musste alles Erdenkliche versuchen, um für sich eine neue kostengünstige Bleibe zu finden.
Toni legte den Arm um Mia, zog sie dicht zu sich heran.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie.
Mia wischte mit den Handballen die Tränen fort, wendete den Blick vom Fenster ab und drückte ihrer Freundin einen Kuss auf die Stirn. »Ich weiß, Liebes, mir auch.«

2.  Kapitel Das fängt ja gut an

Stumm beobachtete Mia, wie Niklas über dem Schreibtisch gebeugt stand und ihren Computer mit Drucker und Scanner verkabelte. Ihre Augen wanderten über seinen Rücken, ein Streifen Haut zeigte sich unter dem hochgerutschten T-Shirt, sie schweiften weiter abwärts, blieben an der tiefsitzenden Jeans hängen, den knackigen Hintern darunter erahnend.
»So, müsste alles funktionieren«, bemerkte Niklas, klang wie mit sich selbst zufrieden und richtete sich auf, sah über die Schulter zu Mia. »Nee, oder? Du hast jetzt nicht die ganze Zeit meinen Arsch betrachtet? Bist du in den Club der Voyeurinnen eingetreten?«
Mia schrak zusammen. Idiot! Was erzählte er da für einen Unsinn?
»Sag mal, spinnst du?«, regte sie sich auf. »Wie kommst du dazu, solch einen Schwachsinn zu behaupten?« Sie schnappte nach Luft. »Ich … Ich …«
»Ich?« Niklas grinste, ohne sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Nun los, Mia, hat dir wohl gefallen, was du gesehen hast?«
»Nein, hat es nicht!«, widersprach sie mit Nachdruck in der Stimme, eine Spur zu viel Nachdruck, wie sie fand, um nicht ertappt zu wirken. »Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass unser Essen geliefert wurde.«
Na super, tolle Ausrede, obwohl es der Wahrheit entsprach, aber der Lieferservice war schon vor einigen Minuten mit der Bestellung angekommen.
Niklas’ Augen wanderten von Mias Gesicht zu ihren Röllchen, blieben dort hängen. Er schmunzelte.
Verflucht nochmal, musste der Kerl da hinstarren? Mal wieder zog sie in Niklas’ Gegenwart den Bauch ein.
Fitnessstudio, da führte kein Weg vorbei!
Warum war es ihr nicht gleichgültig, ob er sie attraktiv fand oder nicht?
Der Mistkerl war der Freund von Rebecca, wollte sie nicht mehr, also konnte es ihr egal sein, was er über ihre Figur dachte.
»Ich mag es, wenn man etwas zum Anpacken hat«, sagte er zwinkernd.
Klar doch, deshalb war er mit 90-60-90 zusammen. An Niklas’ amüsiertem Grinsen erkannte sie, dass es ihm Spaß machte, sie zu foppen, und dass er ihr ansah, wie hervorragend es ihm gelang.
Doch das durfte Mia nicht zulassen, keine Emotionen an diesen Mann verschwenden, weder Zuneigung noch Groll.
Nach seiner Ansicht war ihre Beziehung es nicht wert gewesen, auf sie zu warten, bis sie aus Neuseeland zurückkam. Und das hatte sie verdammt viele schlaflose und verweinte Nächte gekostet.
Dabei hatte er sie in ihrem Vorhaben bestärkt, die Au-pair-Stelle anzunehmen. So ein Heuchler, von wegen, starke Liebe und so, die solch eine Trennung auf Zeit aushalten würde  … Nie wieder würde Niklas Berger es schaffen, ihr derart wehzutun!
Eine Strähne aus dem Gesicht pustend, deutete Mia zum Flur. »Kommst du oder glaubst du, mir mit deinem magischen Blick den Speck wegzulasern?«
Die Augen rollend, trat er auf Mia zu, neigte sich dicht zu ihrem Gesicht. Fast berührten seine Lippen ihre Wange. Gänsehaut wanderte Mias Wirbelsäule hinab, der Kerl roch so gut, nach Eternity, sie mochte den herben Duft.
»Gott, bist du empfindlich!« Er stöhnte, schob sich an ihr vorbei und verließ das Zimmer.
Empfindlich? Blödsinn. Er hatte doch angefangen! Dumme Gänsehaut. Sagte sie nicht gerade ausdrücklich: Gefühle unterdrücken, Hirn?
Mia wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte, dass er sie beim Starren auf seinen perfekten Hintern erwischt hatte, sich seine frechen Bemerkungen nicht verkneifen konnte, oder dass Niklas’ Nähe sie nicht kalt ließ?
Sie durfte sich zukünftig nicht mehr von dem Kerl provozieren lassen, entschied sie.
Entschlossen drehte sich Mia um, bereit, eine dicke Schutzmauer gegen Niklas’ Aura aufzurichten, und marschierte ihm in Richtung Küche hinterher, wo Antonia und Luca zwischenzeitlich die Aluschalen auf dem Tisch drapiert hatten, Plastikbesteck und Gläser inbegriffen. Geschirr und Besteck waren aus den Kisten noch nicht in die Küchenschränke eingeräumt.
Mia seufzte. Nach dem Malern der vergangenen zwei Tage, dem Ein- und Auspacken etlicher Kartons, die Tausenden Treppenstufen auf und ab, war es ein wunderbares Gefühl, hier am Tisch zu sitzen und die Beine auszustrecken. Das Curryhähnchen mit Cashewnüssen war herrlich.
»Toni, du hast genau meinen Geschmack getroffen«, sagte Mia genießerisch kauend, schob sich eine Gabel Reis hinterher. »Hm, ist das gut«, nuschelte sie.
»Nick hat für uns alle bestellt«, bemerkte Luca.
Wie jetzt, Niklas?
Mia verschluckte sich, hustete und japste nach Luft, spuckte Reiskörner auf den Tisch, obwohl sie sich bemühte, die Lippen geschlossen zu halten. Hastig kippte sie Cola nach.
Fürsorglich klopfte ihr Niklas auf den Rücken.
»Du darfst ruhig langsam essen, Mia. Keiner von uns hat vor, dir etwas vom Curryhähnchen zu stehlen.«
Haha, wie spaßig er doch war!
Noch einmal schluckte sie kräftig und räusperte sich. »Niklas Berger, du bist echt ein Witzbold!« Mia rückte ab, warf ihm einen giftigen Blick zu.
Betretenes Schweigen, leises Schaben der Plastikgabeln auf Alu, verhaltenes Schlürfen von Cola aus den Gläsern.
»Hat jemand Lust auf Wein?«, fragte Antonia in die Runde, als alles Essbare verputzt war.
Niklas schüttelte den Kopf und erhob sich.
»Ich muss in den Keller, die Hantelbank reinigen … Obwohl …«
Er ließ sich auf seinen Platz zurückfallen, legte den Kopf schief und grinste abwechselnd Mia und Toni an.
»Warum eigentlich ich? Ihr Süßen müsstet das für mich erledigen.«
»Was?«, protestierten Mia und Toni gleichzeitig wie aus einem Munde.
»Na, meine Bank mit dem Hantelset vom Staub befreien und abdecken, damit sie nicht rostet, oder anderweitig Schaden nimmt. Immerhin habe ich es euch zu verdanken, dass sie nun im Keller lagern muss … Stimmt doch, Luca, oder etwa nicht?« Der Freund kassierte einen scharfen Blick.
Oh, und der saß! Niklas’ Kumpel nahm schlagartig Zwerggestalt an, als er halb unter den Tisch rutschte, wie ein Kind, das bei etwas Unerlaubtem wie Schokolade stibitzen erwischt wurde.
Niklas schien immer noch sauer auf Luca zu sein, dass der sich auf den Deal mit Antonia eingelassen hatte.
Mia verzog das Gesicht. »Warum müssen wir die Hantelbank kellerfest machen, sie gehört doch dir?«
»Vergessen, dass du dich in meinem Fitnesszimmer eingenistet hast?«
»Weil du mit deinem Superkumpel nicht in der Lage bist, die Miete alleine zu bezahlen. Ich war eure letzte Rettung!«
»Mia, nun mach mal halblang!«, mischte sich Luca ein. »Ich wollte dich hier nicht wohnen haben, sondern Antonia. Sie hat darauf bestanden.«
»Ach, und jetzt bin ich etwa schuld!« Toni verzog beleidigt den Mund.
Mia sprang wütend auf. »Wisst ihr was, ich ziehe aus, dann seht zu, wie ihr alleine klarkommt!«
Erschrocken richteten sich drei Augenpaare auf Mia.
»So war das doch auch nicht gemeint«, versuchte Luca, schnell einzulenken, warf einen Blick auf Antonia, deren Gesicht die Frage für alle sichtbar widerspiegelte, ob sie ihrer Freundin folgen sollte.
»Pass mal auf, Mia!«, mischte sich nun Niklas ein, sah Mia mit ernster Miene an. »Wir arrangieren uns, unterstützen einander, teilen die Aufgaben auf.«
Er hob die rechte Hand und zählte mit einzelnen Fingern ab, begann mit dem gestreckten Daumen. »Ich habe mich dem Aufbau des Bettgestells, der Regale, des Schreibtischs und dem Anschluss der Technik in deinem Zimmer gewidmet.« Er legte die Stirn in Falten und ließ die Hand wieder sinken. »Dann kannst du doch bitte so freundlich sein und dich um meine Hantelbank kümmern. Oder ist das zu viel von unserer Prinzessin auf der Erbse verlangt?«
»Das nimmst du zurück!«
»Warum? So benimmst du dich!«
»Schon gut, schon gut«, warf Antonia ein, hob und senkte ihre Hände als beschwichtigende Geste. »Wir kümmern uns um dein Goldstück, einverstanden, Niklas? Aber dafür erledigen du und Luca den Einkauf. Der Kühlschrank gähnt uns leer entgegen und sämtliche Drogerieartikel fehlen noch.«
»Ich kann nicht.« Luca schüttelte den Kopf. »Meine Nachmittagsschicht im Fitnessstudio fängt in einer halben Stunde an.«
Mit gespielter Freundlichkeit lächelte Mia zu Niklas. »Magst du dann nicht lieber deine geliebte Hantelbank säubern und abdecken?«
Sie wusste, dass er den Einkauf aus Trotz übernehmen würde, nur, um seinen Dickschädel durchzusetzen.
Er knurrte, antwortete wie erwartet. »Nein, ich erledige das mit dem Supermarkt, ihr würdet ja die wichtigsten Dinge vergessen.«
»Ach wirklich?« Mia grinste breit. »Ich vermute, du spielst auf die obligatorischen Kästen Bier an.«
»Unter anderem.«
Um weiteren spitzen Bemerkungen offensichtlich zu entgehen, stand Niklas von seinem Platz auf, wandte den Mitbewohnern den Rücken zu und verschwand durch die Tür.
Als er schon mit dem Autoschlüssel in der linken Hand die Klinke zum Hausflur drückte, rief ihm Mia hinterher: »Ach, Niklas, denk an Taschentücher und vergiss das Klopapier nicht! Wir haben nur noch eine halbe Rolle.«
Er steckte den Kopf zur Küche ein letztes Mal herein, warf Mia ein verführerisches Lächeln zu. »Werde ich nicht. Du sollst natürlich aufs Klo für …«, mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand deutete er Gänsefüßchen für die ersten zwei kommenden Worte an, »große Mädchen gehen können.«
Der Blödmann konnte es nicht lassen! Mia schnaubte, Niklas’ Kopf verschwand und die Tür fiel krachend ins Schloss.
Schritte entfernten sich im Treppenhaus, bald hörten sie einen Motor laut aufheulen. Mia schmunzelte in sich hinein. Da war jemand eindeutig angepisst.

***

Zwei Stunden später war Mia alleine zu Hause. Antonia hatte nach den Jungs nun auch die Wohnung verlassen, weil sie zur Ausarbeitung eines Referats mit zwei Kommilitoninnen aus ihrem Studienjahr in der Bibliothek verabredet war.
Mia lag auf dem gemachten Bett und las, als es plötzlich klingelte. Kurz runzelte sie verwundert die Stirn, klappte dann das Buch zu. Sie rappelte sich auf, um zur Tür zu gehen und nachzusehen, welcher Besuch unangemeldet erschien.
Obwohl sich Rebecca ihr gegenüber noch nicht besonders unangenehm verhalten hatte, fand Mia ihr Eintreffen wenig begeisternd.
»Ach du. Hallo!«, grüßte sie und trat beiseite. »Niklas ist zum Supermarkt. Wochenendeinkauf erledigen.«
»Du lässt mich rein?«, Rebecca zog die Augenbrauen hoch, nahm aber das Angebot wahr, in die Wohnung zu schlüpfen.
Mia zuckte mit den Schultern. »Zukünftig wirst du wohl fast hier wohnen.«
Das blonde Gift lächelte. »Stimmt, zumindest am Wochenende, wenn ich Zeit habe, nach Berlin zu kommen, um Nicky zu besuchen.«
Auf der Unterlippe kauend, machte Niklas’ Freundin ein Gesicht, als ob sie überlegte, das Gespräch mit Mia fortzuführen, dafür nun angestrengt in ihrem Hirn nach einem passenden Thema kramte.
Doch Mia verspürte keine Lust auf Smalltalk und schlenderte, ohne die Ziege weiter zu beachten, zu ihrem Zimmer zurück.
Rebecca schnappte hörbar nach Luft. »Lässt du mich echt hier im Flur stehen?«, rief sie Mia hinterher.
»Weiß ich, ob du in Niklas’ Heiligtum darfst?«
»Ja, aber etwas zu trinken, könntest du mir anbieten!«
Mia stöhnte. »Du weißt doch selbst, wo die Küche ist.«
»Weiß ich, danke.«
Na also, halte den Mund und verkrümle dich, antwortete Mia im Stillen.
»Ähm, du, Mia?«
Blieb ihr mit dem Mädel aber auch wirklich nichts erspart! Mia holte mit geschlossenen Augen tief Luft, sah dann über die Schulter. »Was willst du denn noch?«
Ihre Ader hinter der linken Schläfe pochte rebellisch. Rebecca war einfach nur nervend. Schon ihr Anblick in den schwarzen, hautengen Jeans, der weißen Rüschenbluse und den roten Stilettos war unangenehm. Mia würde sich in solchen Teilen die Füße brechen. Niklas’ Geschmack hatte sich mächtig gewandelt.
»Ich wollte noch fragen, ob du eine Ahnung hast, wann mein Nicky zurückkommt? Du musst ihn doch gefragt haben, wie lange er für den Einkauf benötigt?«
Schon wieder Nicky? Wieso sagte sie ständig Nicky? Mia schüttelte fassungslos den Kopf.
Nannte das blonde Gift Niklas echt immer nur ihren Nicky, wie einen putzigen Schoßhund? O Gott, das klang so was von bescheuert!
Stirnrunzelnd drehte sich Mia um, spazierte zu Rebecca zurück, um sich noch einmal zu vergewissern, dass sie sich tatsächlich nicht verhört hatte.
Das Mädel stand wie von Mutti bei Ikea vergessen im Flur, spielte mit einer Haarsträhne und blinzelte unschuldig.
»Also … Dein Nicky, der ist, wie ich schon sagte, einkaufen. Und wann dein Nicky zurückkommt? Keine Ahnung! Er darf sich ohne An- und Abmeldung bei mir frei bewegen … Becky, weil dein Nicky schon ein paar Jährchen volljährig ist.«
So, das hatte gesessen. Das blonde Gift schaute irritiert.
Mia grinste böse.
»Haha, sehr lustig. Du findest deine Sprüche toll, oder?«
»Nein«, antwortete Mia. »Es interessiert mich nicht, was dein Superkerl treibt. Ob er dir seine Aufenthaltsorte verrät oder nicht, das ist ganz allein euer Ding.«
Offensichtlich missfiel Niklas’ Freundin immer mehr Mias gleichgültige Haltung ihr gegenüber, wie der rotgeschminkte, zusammengekniffene Mund verriet.
Mia gab sich einen Ruck, zu unhöflich wollte sie nicht sein. Das verbat ihr die jahrelange Erziehung ihrer Eltern. »Ach, nun komm, Rebecca«, beschwichtigte sie daher. »Bediene dich vom Wasserhahn, Getränke sind eh alle, und setz dich an den Küchentisch. Niklas müsste bald zurück sein. Ewigkeiten kann es nicht mehr dauern.«
Abwartend, den Blick skeptisch zwischen Flur und Küche hin und her wandernd, willigte Rebecca schließlich ein. »Na gut«, seufzte sie. »Ich werde dein Angebot annehmen, mir ein Glas Wasser nehmen und auf ihn warten.«
»Geht doch«, murmelte Mia, wandte sich ab und spazierte kopfschüttelnd zu ihrem Zimmer.
Für einige Minuten war Ruhe, kein Geräusch von draußen zu vernehmen, als es plötzlich leise klopfte, langsam die Tür ein Stück aufging.
Und wahrhaftig, da zwang doch Rebecca ihren Kopf durch die Öffnung. »Du … Du, Mia?«
Das war doch nicht ihr Ernst!
Mia hob den Kopf. Was wollte das blonde Gift von ihr? Sie sollte auf ihren Nicky warten, aber an keinem anderen Ort als in der Küche. War das Mädel begriffsstutzig?
»Was denn noch? Falls du Hunger hast, sorry, Trauer im Kühlschrank!«
»Nein, nein«, wehrte Rebecca ab. »Ich wollte mit dir nur kurz reden.«
Diese Person war echt dreist!
Mia schnaubte. Worüber sollte sie bitte mit Niklas’ Freundin reden? Vielleicht, wie es sich anfühlte, mit dem Exfreund in einer WG zusammenzuleben? Wie wunderbar sie es fand, dass er mit dem Luder seit Monaten auf Beziehung machte? Mia weiterhin Single war, weil ihr die Sache von damals immer noch zusetzte? Sie es nicht schaffte, über die Trennung hinwegzukommen?
Niklas hatte sie in den Wind geschossen, für Rebecca. Da gab es absolut keine Basis, um mit dem Weib zu reden. Basta!
»Pass auf …«, säuselte Mia zuckersüß.
»Ja, Mia?«
»Schiebe dein Köpfchen auf den Flur, wenn du nicht möchtest, dass ich die Tür zuschlage und es ganz böse gequetscht wird. Hast du meine Botschaft verstanden?«
»Aber … Aber wir drei waren doch früher Freunde?«
»Richtig, kluges Mädchen, Betonung liegt auf früher. Doch lassen wir das Thema. Sei du glücklich mit Niklas, aber lasst mich gefälligst in Ruhe …« In Gedanken hing sie noch ein Wort an den letzten Satz: Bitch.
Der blonde Schopf verschwand, leise schloss sich die Tür.
Mit einem erleichterten Seufzer wandte sich Mia ihrem Buch zu, als erneut die Tür geöffnet wurde.
Mia verzog genervt das Gesicht. Welchen Teil ihrer Forderung hatte das Luder nicht verstanden?
Unschuldig lächelnd, lugten erst blonde Haare, dann graugrüne klimpernde Augen und schließlich noch ein roter Mund herein. »Nur eine Frage!«
»Mach kurz!« Mia sah ungehalten vom Buch auf.
»Natürlich …«, Rebecca räusperte sich, sammelte sich kurz. »Wegen damals, die Geschichte zwischen dir und Niklas …«
»… ist Geschichte, bleibt Geschichte«, unterbrach Mia, den Satz für Rebecca beendend.
»Ihr redet nicht miteinander darüber, wie das mit euch kam – ich meine –, das mit eurer Trennung? Es tat mir wirklich leid, dass das mit euch in die Brüche ging, Mia, ehrlich.«
Klar, und deshalb hatte sie sich Niklas geangelt. Es war nicht zu fassen, was das blonde Gift da gerade mit ihr abzog. Doch dann stutzte Mia …
»Sag mal, Rebecca, kann es sein, dass du wusstest, dass dein Freund nicht zu Hause ist, und wolltest mich hier alleine antreffen?«
Rebeccas Gesicht wurde noch röter als ihr rotgeschminkter Mund.
Zugegeben, Mia war baff. Das blonde Gift war noch hinterhältiger, als sie zunächst annahm.
»Wow, Rebecca, du übertriffst dich immer wieder«, zischte Mia und überlegte, wen sie mehr verabscheute, ihren Ex oder das blonde Gift? Die beiden hatten einander wirklich verdient!
Für einen Moment starrte Rebecca mit tellergroßen Augen Mia an und schwieg, als ob sie nicht in der Lage sei, jetzt noch etwas dagegenzusetzen.
Aber plötzlich vernahmen sie ein Geräusch von draußen kommend. Das Schloss der Wohnungstür knackte, und beide atmeten hörbar auf, dass dieses Gespräch durch glückliche, äußere Umstände ein Ende gefunden hatte, bevor es zwischen ihnen noch eskalieren konnte.
Rebecca setzte wie auf Kommando ein unschuldiges Lächeln auf. Sie zwinkerte. »Dann lass ich dich mal alleine, das muss mein Nicky sein.«

***

Antonia deckte den Tisch mit Geschirr ein, während Mia Aufschnitt, Butter und Marmelade dazustellte.
Gähnend sah Mia auf die Küchenuhr, gleich zehn Uhr verrieten die Zeiger, dann könnten sich die anderen langsam zu ihnen gesellen, der Kaffee war bereits durch die Maschine gelaufen.
Milch fehlte noch, fiel Mia ein. Aus dem Unterschrank schnappte sie sich einen Karton mit Blick auf die drei Kästen Bier, die gleich neben der Tür übereinandergestapelt standen. War klar, den unentbehrlichen Gerstensaft hatte Niklas nicht vergessen.
Still betrachtete Toni ihre Freundin.
»Was ist?« Mia zog die Augenbrauen hoch. Es war für sie ungewohnt, das ständig plappernde Energiebündel so ruhig am Morgen zu erleben.
»Ach Süße«, seufzte Antonia. Mia hielt mit der Milchpackung in der Hand für einen Moment inne, betrachtete skeptisch das Gesicht der Freundin. »Was ist denn?«
»Geht es dir gut? Ich meine, weil Niklas hier wohnt, und nun marschiert auch noch Rebecca hier ein und aus … Das ist doch total doof für dich!«
»So schlimm ist es nicht. Ich bin froh, dass wir gemeinsam die WG gegründet haben und ich nicht mehr diesem ständigen Krach im Wohnheim ausgeliefert bin.« Abgesehen von den Bettkonzerten aus Niklas’ Zimmer, aber den Kommentar behielt Mia lieber für sich.
Toni nickte, fuhr mit ernster Miene fort: »Du und Niklas seid ziemlich lange getrennt, und es ist auch nicht verwunderlich, dass er Rebecca an den Wochenenden in seinem Zimmer wohnen lässt. Aber ich finde es dir gegenüber nicht fair, wenn er sie uns bei den Mahlzeiten vor die Nase setzt. Das ist von ihm einfach nur rücksichtslos!«
Mia hob die Schultern, stellte die Milch auf den Tisch. »Das kann ihm niemand verbieten. Über die Wohnung verfügen wir mit gemeinschaftlichem Stimmrecht, da muss ich Rebeccas Anwesenheit akzeptieren.«
Obwohl Mia versuchte, eine vernünftige Antwort zu geben, teilte sie die Gedanken ihrer Freundin. Ihr missfiel es ebenso, dass Rebecca bei ihrem Freund schlief. Noch ekelhafter fand sie es, dass in der vergangenen Nacht diese eindeutigen Laute aus Niklas’ Zimmer durch die Türen bis zu ihrem Bett gedrungen waren, sogar noch einmal morgens. Die beiden Turteltauben mochten es anscheinend heftiger. Wenn sie sich an früher erinnerte, hatte sich Niklas’ Geschmack auch dahingehend mächtig gewandelt.
Oder hatte er sie damals im Bett langweilig gefunden?
Musste ja so sein. Mit Rebecca schien er eine Menge Spaß zu haben. Und das Gestöhne der beiden hatte derart an Mias Nerven gezerrt, dass sie kaum geschlafen hatte.
Warum übernachtete er nicht bei seiner blöden Becky? Allen wäre damit geholfen.
Verflixt nochmal! Wieso fand sie keine preiswerte Unterkunft? Es musste doch in einer Großstadt wie Berlin Tausende freie Wohnungen geben? Aber es sah danach aus, dass kaum eine mit erschwinglicher Miete dabei war, was zumindest die Anzeigen in den einschlägigen Tageszeitungen verrieten. Und ein Zimmer im Studentenwohnheim – im Moment Fehlanzeige. Sie hatte hier einziehen müssen.
Irgendwie kam sich Mia wie ein Eindringling in dieser WG vor, was vermutlich auch daran lag, dass sie der einzige Single in der Runde war. Und nun regelmäßig ihren Ex anzutreffen, war nicht unbedingt förderlich, um Abstand von ihm zu gewinnen. Seinen Duft einzuatmen, den in der Nase zu behalten, selbst, wenn er sich nicht in der Wohnung aufhielt, überforderte Mia. Dummes Herz! Warum hing es noch immer an ihm?
»Guten Morgen!«
Niklas spazierte in T-Shirt und Jogginghose barfuß in die Küche, das braune Haar noch feucht. Verflucht, der Kerl strahlte zu viel Mann, zu viel Sex aus, was Mia zu schaffen machte. Ihr war elend zu Mute.
Niklas’ Augen trafen ihren Blick. Schnell drehte sie sich weg, damit er nicht erkannte, welche unanständigen Gedanken sich bei seinem Anblick in ihr Hirn schlichen.
So ungezwungen wie möglich setzte sie sich auf ihren Platz.
Ihr Ex wandte sich derweil dem Tisch zu, deutete auf den leeren Korb. »Holt Luca Brötchen vom Bäcker?«
»Er ist joggen.« Toni schob ihren Gummi vom Handgelenk, band das Haar zu einem Zopf zusammen und ließ sich auf ihren Stuhl nieder. Sie zuckte mit den Achseln. »Du warst mit Rebecca anderweitig beschäftigt, einer musste am Ende gehen. Er verbindet es mit seinem Lauf.«
Ein freches Grinsen breitete sich auf Niklas’ Gesicht aus. »Ihr belauscht Becky und mich?«
Toni seufzte und rollte mit den Augen. »Nein, mein Freund, ihr habt dafür gesorgt, dass wir jede Einzelheit hören durften. Wie stöhnte sie so schön: ›Oh, Nicky, ah, du bist so hart, Nicky … Ja, ja, ja, Nicky!‹ … Oder?«
»Antonia, bitte!«, schritt Mia energisch ein, das übertriebene Gestöhne ihrer Freundin unterbindend. Das Nachäffen von Rebecca, wie diese es mit Niklas trieb, wurde nun doch in Mias Augen eine Spur zu peinlich.
Doch Niklas grinste nur und ließ sich auf seinen Platz fallen. »Gießt du mir Kaffee ein?«, fragte er Mia. Ohne auf Antonias schauspielerische Darbietung einzugehen, hielt er ihr auffordernd die Tasse über den Tisch entgegen.
Mia verzog den Mund, tippte sich dabei mit dem Finger an die Stirn. »Träum mal schön weiter, füll dir selbst ein oder warte auf deine Freundin, Pascha!«
Obwohl Mia kein Problem damit hatte, für Luca oder Toni zur Not aufzuspringen, um ihnen Gewünschtes zu reichen, bei Niklas schrie alles in ihr: nein!
Achselzuckend stellte er die Tasse auf den Tisch, quälte sich von seinem Platz auf, um die Kanne zu holen.
»Magst du auch einen Schluck, Schätzchen?«, fragte er in heiterem Ton und beugte sich zu Mia hinunter, neigte das Gesicht dicht zu ihrem Ohr. »Schön heiß und stark!«
Mia wich zurück. Verflucht nochmal, konnte er nicht das Duschgel und am besten noch das Aftershave wechseln, sich mit Gülle einschmieren und Essig an den Hals sprühen?
Mit finsterer Miene schüttelte Mia den Kopf. »Ich kann mir selbst meinen Kaffee eingießen!«
Mia hatte gehofft, ihr Ex würde sie wie Luft behandeln, keine Aufmerksamkeit an sie verschwenden. Doch irgendwie schien er daran Spaß zu haben, sie mit seinen Anzüglichkeiten zu ärgern. Na warte, mein Freund, schon bald würde er seine blöden Sprüche mit Zins zurückbekommen!
Doch unbeeindruckt goss er mit einem charmanten Lächeln die Tassen mit Kaffee voll und stellte die Kanne auf den Tisch. Als er sich setzte, drang plötzlich ein Geschrei zu ihnen herüber. »Niiiiiklas! Bring mal eine Rolle Klooooopapier!«
Totenstille.
»Niiiiiklas!«
Mia wandte sich lächelnd Niklas zu. »Ja, dann husch, husch, deine Freundin wartet auf eine Rolle!«
»Wieso, als ich im Bad war, hing doch noch ein Rest auf der Halterung?« Er zog hörbar die Luft ein. »Hast du alles aufgebraucht, Mia?«
Uups, damit hatte der liebe Niklas nicht gerechnet.
»Ich weiß nicht, was du hast«, konterte sie stattdessen, bemüht um eine sanfte Stimme. »Hol doch deiner Freundin eine Rolle. Ich weiß nicht, wo du die Einkäufe verstaut hast.«
Niklas schluckte. »Scheiße. Das Klopapier.«
»Wie jetzt? Du solltest gestern für Nachschub sorgen!«
Argwöhnisch kniff Niklas die Augen zusammen. »Was ziehst du für eine Show ab? Du hast doch gewusst, dass ich es vergessen habe. Und um mir eins auszuwischen, hast du dir den Hintern kiloweise mit Papier geschmirgelt, bis es verbraucht war?«, entgegnete er. »Wie soll sich Becky den Hintern nun abwischen?«
»Taschentücher?«
»Ta … Taschentücher … Verdammt!« Niklas lief rot an.
»Hast du die etwa auch vergessen?«, mischte sich Antonia ein, konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Mia hatte dich extra an diese Artikel erinnert, bevor du losgegangen bist. Hat unser Nicky nicht richtig zugehört?« Tonis Worte trieften vor Spott.
»Hmmm«, Mia nickte. »Das habe ich. Mich trifft keine Schuld an deinem Dilemma.« Sie winkte ab, zeigte mit dem Zeigefinger auf die Kästen. »Aber natürlich, ich vergaß, das Wichtigste, was ein Mann kaufen muss, ist sein Bier!«
Mia biss sich auf die Unterlippe, um nicht frohlockend zu schmunzeln. Sie hatte ihn in der Hand. Na warte!
Und schon sprang Antonia wie auf Kommando ein. »Kannst ja Mia fragen, ob sie dir ein Stück Klopapier von ihrem Vorrat abgibt, den sie sich für die papierlosen Uni-Toiletten aufhebt.« So unauffällig wie möglich blinzelte sie Mia zu.
Mia nickte großzügig »Stimmt, ich könnte dir in deiner Not helfen.«
»Niiiiiklas!«, ertönte es zum wiederholten Male von draußen. Rebeccas Stimme klang derart schrill, dass nicht nur Niklas zusammenzuckte. Sein Blick schoss über den Flur zum gegenüberliegenden Badezimmer, kehrte zu Mias Gesicht zurück.
»Also, Mia, was willst du?«, fragte er scharf. »Ohne Gegenleistung wirst du mir nicht einen Fetzen deines Vorrats überlassen.«
»Nein, werde ich nicht.«
Niklas runzelte die Stirn, angesichts Mias Tonfalls.
»Nach dem Haushaltsplan bin ich nächste Woche für die Müllentsorgung und das Bad zuständig. Du übernimmst also meinen Mülldienst und die Badreinigung morgen, Freitag mache ich das wieder, will dich selbstverständlich nicht ausnutzen.« Ein keckes Zwinkern durfte von Mia nicht fehlen; zu schön war sein erstarrtes Gesicht. Einfach göttlich, wie er mit entsetzter Miene auf seinem Platz saß.
Niklas schnaubte. »Hältst du mich für deinen bescheuerten Diener, der für dich die Pflichten übernimmt? Geht’s noch, Mia?«
Ohne mit einem Gesichtsmuskel zu zucken, sah ihn Mia herausfordernd an. »Du hast mich um den Gefallen gebeten, Rebecca auszuhelfen«, erklärte sie, nahm sich die Tasse und nippte am Kaffee; zwischenzeitlich war der lauwarm. »Wenn du ihr etwas Gutes tun willst, dann nimm den Deal an! Oder sie bleibt bis Montag auf der Toilette sitzen, bis die Geschäfte wieder geöffnet sind … Deine Entscheidung!«
Mia erkannte, wie Wut Niklas erfüllte, er sich nur mühsam zurückhalten konnte, nicht aufzuspringen, um den Raum fluchtartig zu verlassen. Er war verdammt sauer.
»Wenn das deine Bedingung ist, würdest du mir etwas Papier holen?«, fragte er steif.
»Ja, natürlich!«, antwortete Mia und erhob sich, verließ schweigend die Küche. Auf dem Flur wandte sie sich kurz der Badtür zu. Dahinter, auf der Toilette, saß hilflos Niklas’ Freundin. Mia spürte ein Ziehen in der Brust. Was sie mit ihm und Rebecca abzog, war nicht richtig; und sie empfand keine Siegerfreude. Eindeutig eine Erpressung …
Ob sie den Deal abblasen, Niklas ohne Gegenleistung aus dem Schlamassel helfen sollte?
Wäre das nicht fair?
Ach, was hieß schon fair?
Kümmerte es den Sack, wie es ihr ging?
Mia drückte die Klinke herunter und betrat ihr Zimmer. Sie kramte aus dem Rucksack vor ihrem Bett eine Rolle Klopapier hervor, die nicht nur für Rebecca ausreichend war, sondern die gesamte WG für heute versorgen würde.
Also, was tun?
Mia kniff die Augen zusammen und gemischte Gefühle rangen in ihrem Bauch. Nein, wenn er es selbst wäre, hätte sie ein Einsehen gehabt, aber nicht gegenüber diesem blonden Gift.
Mia sah Niklas im Flur stehen, als sie die Tür schloss und zurückging. Mit einem Blick wie gefrorenes Wasser nahm er die Rolle entgegen.
Mia räusperte sich. »Bitte«, war alles, was sie herausbrachte.
»Du wolltest es mir zeigen?« Er verzog das Gesicht verächtlich. »Das ist dir gelungen.«
»Ist nicht meine Schuld, dass du die Drogerieartikel vergessen hattest«, verteidigte sich Mia. »Du benimmst dich mir gegenüber ungerecht!«
»Ungerecht?«, höhnte er. »Rebecca kann kaum was dafür, dass du ein Problem mit mir hast.«
Für eine gefühlte Ewigkeit hielten Mia und Niklas Augenkontakt, keiner wollte als erster den Blick abwenden; und Mia überkam ein Frösteln, als ob der Flur von Sekunde zu Sekunde kälter wurde. Doch ein Geräusch an der Wohnungstür löste sie aus der Starre.
Verschwitzt und keuchend hielt Luca ihnen eine Tüte Brötchen entgegen. »Ich hoffe, der Kaffee ist fertig.«
Ohne Mia weiter zu beachten, fuhr Niklas herum. Kurz zögerte er, grinste dann. »Mensch, Luca, dich habe ich total vergessen. Tisch ist gedeckt, ich muss nur noch Becky was geben, dann können wir frühstücken.«
»Mach das«, Luca drückte Mia die Brötchentüte in die Hand. »Ich ziehe mir schnell ein neues T-Shirt über.«
Missmutig schielte Mia Niklas hinterher, der im Bad verschwand. Gesprächsfetzen, nicht unbedingt freundlich, konnte sie hören.
Spätestens jetzt, glaubte Mia, war die letzte Möglichkeit verstrichen, um sich wieder einander anzunähern.
Aber war er es wert, daran auch nur einen winzigen Gedanken zu verschwenden? Der Idiot mit seiner Becky konnte sie mal, von den beiden würde sie sich den Tag nicht verderben lassen. Es war endlich an der Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen, vielleicht auch einen neuen Mann kennenzulernen, Angebote gab es genug.


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