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Belletristik
Buch Leseprobe LOST LOVE, Melanie Rush
Melanie Rush

LOST LOVE


Navy Teams 02

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Prolog
Mit einem Lächeln begrüßte Leyla Grace die Türsteher vom derzeit wohl angesagtesten Club in Los Angeles. Seit das Monroe Nights vor zwei Monaten eröffnet worden war, kam sie bei jedem Besuch ohne langes Anstehen hinein. Das verdankte sie Jason Monroe, einem der Teilhaber, der zufällig auch ihr Freund war. Sobald sie sich im dichten Gedränge des Clubs befand, sah sie sich nach ihm um. Mit seiner Körpergröße von fast zwei Metern überragte er viele seiner Mitmenschen und war für sie leicht in der Menschenmasse zu erspähen. Sie wusste, dass er für viele Frauen ein Hingucker war. Das merkte sie jedes Mal, wenn sie hier war, aufs Neue. Verdenken konnte sie es all den Frauen nicht. Seine breiten Schultern und trainierten Arme zeichneten sich unter seinem Shirt deutlich ab und weckten in jeder Frau den Wunsch, von ihm gehalten zu werden. Und seine hellbraunen, fast schulterlangen Haare waren dazu geschaffen, die Finger darin zu vergraben. Es war also nicht überraschend, dass er die weibliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie sah, wie er auf sie zukam und dabei nur Augen für sie hatte. Sofort fing ihr Herz an zu rasen und sie beschleunigte ihre Schritte, um schneller zu ihm zu gelangen. Die laute Musik des Clubs wurde zum Hintergrundrauschen. Als sie vor ihm stand, musste sie ihren Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen. Grübchen bildeten sich um das Lächeln, das er ihr schenkte, während sie sich einen langen Augenblick einfach nur gegenüberstanden und ansahen. »Hi«, brach sie als Erste das Schweigen zwischen ihnen. Obwohl die Musik laut war und sicherlich das einzelne Wort aus ihrem Mund verschluckte, wusste sie, dass Jason sie verstanden hatte. Seine Grübchen wurden tiefer, und er legte seinen Arm um ihre Hüfte, um sie an sich zu ziehen. Sobald ihr Körper auf seinen traf, wurde sie von der Kraft ihrer Empfindungen überwältigt. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und lächelte noch breiter, als sie in seine meeresgrünen Augen blickte, die durch die flackernden Lichter einen irrealen Glanz besaßen. Dieser Mann war für sie ein wandelndes Wunder. Er war so plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht und hatte danach alles für sie verändert. Sie hatte sich nie bei einem Mann so gefühlt. Er gab ihrem Leben einen weiteren Sinn. Einen, der nichts mit ihrer Arbeit als Krankenschwester zu tun hatte. Bei Jason war sie nicht einfach nur Schwester Leyla, sondern seine Liebste. »Ebenfalls hi, meine Schöne.« Seine raue Stimme schlich sich in ihr Ohr und riss sie aus ihren Gedanken. Sie grinste und drängte sich noch enger an ihn. Es war eine weitere Nacht mit ihm und sie genoss jede Sekunde, die sie mit ihm verbrachte. »Willst du etwas trinken?« Jason wartete erst gar nicht auf ihre Antwort, sondern rief jemanden von den Kellnern, die im VIP–Bereich umherliefen, ihre übliche Bestellung zu. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sie den Tumult der normalen Gäste hinter sich gelassen hatten und nun dem Bereich der Schönen und Steinreichen nah waren. Es kümmerte sie kaum. Mit Jason konnte sie überall hin. Jeder wusste, dass sie zu ihm gehörte. Sie war bereits einige Male mit ihm im VIP–Bereich gewesen, aber es war einfach nichts für sie. Viel lieber genoss sie die Dichte der Tanzfläche, die für jeden Gast zu erreichen war. Dort lief die Musik dröhnend laut und ließ jeden vergessen, welche Sorgen er hatte. Es wurde einfach nur getanzt und sich im Rhythmus der Lieder verloren. Das tat sie oft und sie genoss diese Augenblicke. Natürlich konnten diese Augenblicke nicht gegen die mit Jason ankommen. Er war um Längen die bessere Methode, um dem Alltagsstress zu entkommen. »Ihr Gin Tonic.« Leyla zuckte kurz zusammen, als sich eine andere männliche Stimme in ihre Gedanken drängte. Sie wandte sich der Stimme zu und sah, dass sie zu einem Kellner gehörte, der ihr ein Glas hinhielt. Leise lachend lächelte sie ihm zu und nahm ihr Getränk entgegen, bevor er wieder zurück in seinen Zuständigkeitsbereich ging. »Von was träumst du immer, wenn du mich ansiehst? Jeden Abend, wenn wir uns treffen, siehst du mich an, lächelst glücklich und sagst nichts, bis dich irgendetwas oder jemand aus deinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt bringt.« Jason strich zärtlich über ihre Wange, während sie sich seine Frage durch den Kopf gehen ließ. Er hatte tatsächlich recht. Ihr war es vorher nur nie aufgefallen. Zufrieden schmiegte sie sich in seine Berührung und sah zu ihm auf. »Ich genieße die Augenblicke mit dir. Es ist nicht wirklich träumen, eher das Realisieren, dass Träume wahr werden, wenn ich bei dir bin«, antwortete sie und nickte, weil sie mit ihrer Antwort zufrieden war, auch wenn sie kitschig klang. Aber sie enthielt dieses unbeschreibliche Gefühl in ihr und verdeutlichte es, obwohl es schwer in Worte zu fassen war. »Und was sind das genau für Träume?«, fragte er grinsend und ließ die Hand, die nicht an ihrer Wange lag, über ihren Rücken gleiten. »Sie handeln von dir und mir, wie wir uns küssen, miteinander schlafen oder auch einfach nur tanzen«, erwiderte sie mit einem Grinsen und drängte sich noch enger an ihn. Sie war süchtig nach seiner Nähe. Am liebsten wollte sie ewig mit ihm zusammen sein. Für immer, wenn es nach ihr ginge. Sie war noch nie so glücklich gewesen. Mit ihm fühlte sie sich komplett und das wollte sie ihr Leben lang genießen. »Soso. Dann werde ich wohl wieder einen dieser Träume wahr werden lassen.« Seine tiefe Stimme brachte ihren Körper zum Vibrieren, und sie blickte auf seine schmalen Lippen, als er sich zu ihr beugte. Sein kantiges Gesicht kam ihrem immer näher. Bevor sie seinen Mund auf ihrem spürte, kratzten die Haare seines Drei–Tage–Bartes auf ihrer Haut. Sie mochte dieses Gefühl und schloss ihre Augen, sobald seine Lippen auf ihrem Mund lagen und Jason sie küsste. Doch der Augenblick der Zweisamkeit war ihnen nicht vergönnt. Bevor Leyla den Kuss richtig genießen konnte, löste Jason sich schon wieder von ihr. Widerwillig hob sie ihre Lider und sah zu ihm auf. Sein Gesichtsausdruck war genauso verärgert, wie sie sich fühlte. Er hielt eine Hand an sein Ohr und schien jemandem aufmerksam zuzuhören. Leyla wusste, dass er durch einen Kopfhörer mit jedem Türsteher und Mitglied der Security verbunden war. Falls etwas Wichtiges im Club los war, unterrichtete man ihn über diesen sofort. Wie es aussah, war dies gerade der Fall. Es war das erste Mal, dass sie dabei war. Sie hatte vorher nie eine Schlägerei oder Ähnliches mitbekommen, weshalb der Club auch so angesagt war. Neben dem außergewöhnlichen Ambiente hatte es bisher keine gewalttätigen Auseinandersetzungen gegeben. Jeder hatte seinen Spaß, und niemand kam zu schaden. Oder das alles wurde hier hinter geschlossenen Türen geregelt, bevor die Gäste überhaupt etwas davon mitbekamen. So sah es zumindest im Moment aus. Jason nickte grimmig, dann sagte er etwas, was Leyla nicht verstand, bevor er sich wieder ihr zuwandte. »Es tut mir leid, Liebes. Ich muss gehen, aber ich komme sofort zu dir, wenn alles geregelt ist, okay?« Sie nickte, als er sich zu ihr beugte und ihr einen hauchzarten Kuss auf ihre Lippen gab. Dann lächelte er ihr zu und verschwand in den hinteren Bereichen, in die niemand außer dem Personal hineindurfte. Seufzend drehte sie sich der Tanzfläche zu. Sie trank von ihrem Gin Tonic und lief dann in die Menschenmassen, um sich selbst von der Musik ablenken zu lassen. Jason würde sie in dieser Nacht noch besuchen kommen, daran zweifelte sie nicht. Er hielt seine Versprechen ihr gegenüber immer, egal was war. Bis er zurückkam, würde sie einfach tanzen und die Atmosphäre des Clubs genießen. Genau das tat sie auch, stundenlang. Sie bekam nicht mit, wie schnell die Zeit verging, während sie auf der Tanzfläche alles von sich abfallen ließ, was sie bekümmerte. Zum Takt der Musik bewegte sie ihren Körper, bis sie jemand aus ihrer kleinen Welt riss, die sie um sich herum aufgebaut hatte. Verwundert und überrascht blieb sie stehen und drehte sich zu demjenigen um, der ihr eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, bis sie in die meeresgrünen Augen blickte, die sofort ein Lächeln auf ihre Lippen zauberten. »Jason.« Sie wollte gerade ihre Arme um ihn legen und gemeinsam mit ihm weitertanzen, da bemerkte sie, wie düster sein Gesichtsausdruck war. Sofort ließ sie ihre Arme sinken und sah verwirrt zu ihm auf. Was war hinter den geschlossenen Türen passiert, dass er mit dieser Laune zu ihr kam? Es schien, als wäre noch nichts nach seiner Zufriedenheit geklärt worden. Aber weshalb war er dann wieder bei ihr? Leyla öffnete ihren Mund, um ihm genau diese Fragen zu stellen, doch sie kam nicht dazu. Jason legte seinen Arm um ihre Taille und dirigierte sie von der Tanzfläche, die noch immer brechend voll war. Sie hatten keine Probleme, durch die tanzende Menge zu gelangen. Jeder kannte Jason und niemand stellte sich ihm in den Weg. Allein schon weil er in diesem Augenblick wie eine tödliche Maschine aussah, die jeden umbrachte, der es wagte, ihm den Weg zu versperren. Leyla wusste nicht, was in ihn gefahren war. Noch nie hatte er sich so benommen. Hatte sie etwas falsch gemacht? Langsam stieg Panik in ihr auf, die sie nicht unterdrücken konnte, so sehr sie es auch versuchte. Er machte ihr mit seinem Schweigen Angst. Was war bloß los? So kannte sie ihn gar nicht. »Liebes, sieh mich an.« Jasons Stimme veranlasste sie dazu, ihren Blick zu heben. Sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten, die auch ihm nicht entgingen. Sein Ausdruck wurde milder und er strich zärtlich mit seinem Daumen über ihre Wange. »Es tut mir leid, dass ich dich so plötzlich weggebracht habe. Es ist … kompliziert, aber ich möchte, dass du nach Hause gehst. Es ist schon spät, und ich will nicht … Leyla, bitte, geh einfach nach Hause. Mir zuliebe.« Seine Worte ergaben überhaupt keinen Sinn. Sie waren völlig zusammenhangslos und bedeuteten nichts, außer dass sie gehen sollte. »Warum?«, fragte sie mit klammer Stimme. Die Angst, dass er sie möglicherweise nicht mehr sehen wollte, schnürte ihr die Kehle zu. »Keine Sorge, es ist nur heute Nacht. Ich habe noch einiges zu erledigen und ich möchte wissen, dass du sicher zu Hause ankommst, bevor zu viele Betrunkene unterwegs sind und ich dich nicht begleiten kann«, antwortete er, was in ihren Ohren schon wesentlich plausibler klang als sein Gestotter zuvor. Langsam verschwand ihre Panik, und sie blinzelte ihre Tränen weg. »Dann verlässt du mich nicht?« Jason lächelte mitfühlend und schüttelte den Kopf. Er hob ihr Kinn an und beugte sich zu ihr. »Nein. Ich will dich nicht verlassen, Leyla.« Sie konnte sich ein glückliches Lächeln nicht verkneifen, als er seine Lippen auf ihren Mund drückte, um ihr einen Kuss zu geben. Es lag so viel Zärtlichkeit in seiner Geste, dass sie von ihren Emotionen überwältigt wurde. Sie klammerte sich an seine Schultern, um ihn noch etwas länger zu spüren, was er ihr gewährte. Er zog ihren Kuss in die Länge, fast als wolle er sich bei ihr entschuldigen, bevor er sich von ihr trennte. »Ich liebe dich, vergiss das nie.« »Ich liebe dich auch.« Rückwärts ging er zurück in den Club. Die ganze Zeit hielt er ihren Blick gefangen, bis er im Inneren verschwand. Erst dann bemerkte sie, dass sie vor dem Club auf dem Bürgersteig stand. Er hatte sie rausgebracht, ohne dass sie es bewusst mitbekommen hatte. Nun strich ihr die kühle Luft der Nacht über die erhitzte Haut und verursachte eine Gänsehaut auf den Armen. Leyla rieb sie mit ihren Händen wieder warm und drehte sich um, um zur nächsten U–Bahn–Station zu laufen. Es vergingen nur wenige Sekunden, da erhellte plötzlich ein riesiger Feuerball die nächtliche Straße und die Druckwelle warf Leyla zu Boden. Erschrocken zog sie die Luft ein und starrte nach hinten, auf das Gebäude, aus dem sie gerade gekommen war und das jetzt lichterloh in Flammen stand. »O mein Gott! Jason!«, schrie sie und rappelte sich sofort auf, um zum Club zu rennen. Doch sie war nicht die Einzige, die die Explosion mitbekommen hatte, und wurde von irgendjemandem aufgehalten, bevor sie sich dem Gebäude auch nur ansatzweise nähern konnte. »Nein! Jason! Nein!« * »Uns erreichte soeben die schreckliche Nachricht, dass es in dem neuen angesagten Nachtclub Monroe Nights im Herzen Downtowns eine Explosion gegeben hat. Feuerwehrkräfte sind vor Ort, um das Feuer zu löschen. Nach ersten Schätzungen hat niemand der Gäste, die sich im Gebäude befunden haben, überlebt. Unter ihnen sollen sich auch die Besitzer des Clubs befunden haben. Wie es genau zu der Explosion kommen konnte, steht noch nicht fest. Man geht bisher von einer defekten Gasleitung aus. Genaueres erfahren Sie natürlich zuerst bei uns. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.« Er schaltete den Fernseher aus und lehnte sich zurück. Es war alles wie geplant gelaufen. Monroe und seine Leute waren tot. Der Rest war Kollateral-schaden, um sein Ziel zu erreichen. Niemand wusste, dass er die Explosion in die Wege geleitet hatte. Für jeden sah es wie ein schrecklicher Unfall aus. Seine Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Grinsen, dann nahm er sich sein Cognacglas und trank auf seinen Erfolg. Kapitel 1 Über 4 Jahre später Ray seufzte, als der Abspann des Actionfilms einsetzte. Hollywood. Diese Schönmacher. Im wahren Leben war es nicht immer so einfach wie in Filmen. Der Held war nicht immer so gut, wie er dargestellt wurde, und ein Happy End gab es auch nicht sehr oft. Das wusste er aus eigener Erfahrung. Außerdem kam es selten vor, dass man ohne großartige Blessuren solch einen Fall beendete, wie Ray ihn gerade in der Flimmerkiste gesehen hatte. Augenverdrehend schaltete er um und stand von der Couch auf. Er nahm die leeren Bierflaschen vom Couchtisch mit in die angrenzende offene Küche, die aus nicht mehr als einer Kochnische mit zwei Herdplatten und einem Waschbecken bestand, das mit wochenaltem, dreckigen Geschirr vollgepackt war, und stellte sie in eine Kiste zu den anderen leeren Flaschen. Je näher er dem Chaos kam, umso intensiver wurde der penetrante Geruch. Doch er hatte gelernt, den Mief einigermaßen auszublenden. Er hatte keine Zeit und erst recht keine Lust, aufzuräumen. Vielleicht wäre es angebracht, sich eine Putzkraft zu leisten, um wenigstens etwas Klarschiff zu schaffen, obwohl sowieso niemand außer ihm selbst seine Wohnung betrat. Dafür hatte er gesorgt. Außerhalb seines Jobs hatte er niemanden. Er konnte sich keine Freunde leisten, die eine gefundene Schwachstelle für seine Feinde wären. Das konnte er nicht zulassen. Nicht noch einmal. Ray fuhr sich mit der Hand durch sein fettiges Haar, das in alle Richtungen abstand, und berührte dabei die Narbe, die sich über seine rechte Wange nach unten zog und in seiner Oberlippe endete, sodass sein Mund leicht verzerrt wirkte. Sie schmerzte nicht, dennoch erwachten immer wieder die Erinnerungen an den Tag, an dem er sie sich zugezogen hatte, sobald er sie sah oder berührte. Sie war die Erinnerung daran, dass er niemals das Leben führen konnte, das er sich damals dummerweise gewünscht hatte, und er niemanden zu nah an sich heranlassen durfte. Denn wer in seiner Nähe war, geriet in Gefahr. Kurzum, die Narbe würde ihn nie vergessen lassen, warum sein Leben aus Einsamkeit bestand. Ray schüttelte die düsteren Gedanken ab, nahm sich eine weitere Flasche Bier aus dem ansonsten leeren Kühlschrank und schlenderte zurück zur Couch. Er ließ sich darauf fallen, wodurch die alten Federn verdächtig knarrten, und starrte auf den schon fast schrottreifen Fernseher, der irgendwelche Trucker zeigte, die über zugefrorene Seen fuhren. Es interessierte ihn nicht. Zwar war sein Blick auf den Bildschirm gerichtet, aber seine Gedanken drifteten ab, wie so oft in den letzten Monaten und Jahren. Seit dem Abend, an dem er sich die Narbe in seinem Gesicht, und noch weitere auf seinem Körper zugezogen hatte, hatte er sich verändert. Dass es Veränderungen zum Negativen waren, wusste er selbst. Um das nicht zu erkennen, hätte man stockblind sein müssen. Er verschanzte sich in dieser Bruchbude, die er seine Wohnung nannte, obwohl er sich etwas deutlich Besseres hätte leisten können. Wozu Komfort? Der nützte ihm nicht viel und war ihm egal, wie ihm langsam auch alles andere egal wurde. Genau diese Einstellung war es, die ihn eines Tages zerstören würde. Alles nur noch eine Frage der Zeit. Ray würde sich nicht dagegen wehren. Er hatte nichts mehr, für das es sich zu leben lohnte, also brauchte er auch nicht mehr zu kämpfen. Wie dumm nur, dass es noch immer einen Teil in ihm gab, der sich nicht so leicht aufgeben wollte und sich stets meldete, wenn er wie jetzt in einem seiner depressiven Momente steckte. »Ach, verdammte Scheiße«, fluchte er und schmiss im Augenblick der Schwäche die Fernbedienung in seiner Hand gegen die nächstbeste Wand. Ein lautes Scheppern war zu hören, dann lagen die Einzelteile auf dem dreckigen Boden und eine Delle zierte die Wand. Wie tief er doch gesunken war. Es war eine Schande und ihm unendlich peinlich, sodass er sich voller Frust die Bierflasche zwischen die Lippen schob, um wenigstens etwas zu tun zu haben und gleichzeitig seine Gefühle zu dämpfen. Er wusste nicht, wie lange er bereits in seinem Selbstmitleid versank, als irgendein Telefon anfing zu klingeln. Auf wackligen Beinen erhob er sich und ging zu seinem Festnetzanschluss. Doch als er den Hörer abnahm, geschah nichts, das Klingeln war noch immer zu hören. Ray brummte etwas Unverständliches und torkelte zurück zur Couch. Irgendwo musste dieses verdammte Handy sein? Er bückte sich und sah unter dem Couchtisch nach. Nichts. Als er sich wieder aufrichtete, stieß er mit dem Kopf gegen den Tisch und fluchte lauthals. Dieser Tag entwickelte sich langsam aber stetig zu einem Pechtag. Und der unbekannte Anrufer schien sich auch nicht erbarmen zu wollen. So ein Mist. Ray blickte sich um. Sein Blick war verschwommen, aber mit einiger Anstrengung konnte er die Konturen seiner Möbel erkennen. »Wo ist dieses Scheißding?« Das Klingeln brachte seinen Kopf noch zum Bersten. Wurde das Ding immer lauter oder bildete er sich das nur ein? Er kramte im Stapel alter Zeitungen neben der Couch nach dem Telefon und endlich, da war es. Das Display leuchtete immer wieder auf, doch Ray konnte in seinem Zustand die Nummer darauf kaum erkennen. Egal. Er nahm den Anruf entgegen und hielt sich das Handy ans Ohr. »Was?«, brummte er und ließ sich wieder auf das Sofa zurückfallen. Weitere Bierflaschen rührte er heute eindeutig nicht mehr an, er hatte genug. Es pochte zwischen seinen Augen und seine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. »Ray? Hier ist Ben, wo bist du?« Na super. Jetzt ging ihm auch noch sein werter Mister Kollege auf den Geist. »Zuhause, wo sonst.« Er konnte einen tiefen Seufzer hören, der deutlich machte, dass Ben seinen Zustand erahnte und ihn nicht guthieß. So schwer, zu erkennen, dass er im Arsch war, war es nun auch nicht. Ray lallte und brauchte eindeutig länger für seine Reaktionen als üblich. Jeder, der ihn kannte, hätte das feststellen können, dafür brauchte man keine ausgeprägte Spürnase. »Eigentlich hätte ich dir das gerne im nüchternen Zustand erzählt, aber vielleicht bewirken meine Neuigkeiten ja, deinen Kopf wieder klar werden zu lassen.« Immer diese kryptischen Umschreibungen. Aber es war ihm egal, was Ben über seinen Alkoholkonsum dachte. Er war nicht im Dienst und konnte somit tun, was immer er wollte. »Sag doch einfach, was du von mir willst. Ich habe keine Lust auf irgendwelche Spielchen.« Ray schloss seine Augen und rieb sich über die geschlossenen Lider. Sobald Ben mit der Sprache rausgerückt war, würde er sich irgendwas für die Kopfschmerzen einwerfen und sich dann ins Bett packen. Einige Stunden Schlaf waren immer noch die beste Medizin, zumindest meistens. »Namur ist wieder aufgetaucht«, durchbrach Ben seine Gedanken und erregte mit diesem einen Satz seine volle Aufmerksamkeit. Er hatte recht gehabt, Ray wurde auf der Stelle nüchtern. »Ramirez?« Allein der Name bewirkte, dass seine Narben begannen, zu ziehen, und seine schlimmsten Albträume erwachten. »Nein, sein Bruder Ramon.« Eine Last fiel von seinen Schultern, die es mit dem Mount Everest hätte aufnehmen können. Ray wusste dennoch nicht, wie er mit der Neuigkeit umgehen sollte. Die Namur–Brüder waren seit Jahren untergetaucht. Kein einziges Lebenszeichen hatte ihn oder seine Kollegen erreicht, egal, was sie getan hatten. Und Ray hatte viel Zeit in die Suche investiert, obwohl er sich mehr auf Ramirez konzentriert hatte. Warum tauchte Ramon Namur jetzt auf einmal wieder auf? Was war geschehen, und bedeutete seine Rückkehr, dass auch sein älterer Bruder Ramirez in der Nähe war? Fragen über Fragen. »Wo ist er?«, stellte Ray eine von den Fragen, die in seinem Kopf umhergeisterten. »Genaueres sollte ich dir lieber in der Einsatzzentrale erzählen und, da du eindeutig kein Auto mehr fahren kannst, hole ich dich ab. Ich bin in zwan…« »Vergiss es! Ich will sofort wissen, wo Ramon steckt«, redete er Ben dazwischen, bevor der seinen Satz beenden konnte. Es war ihm dabei egal, ob er unhöflich war. Er musste es einfach wissen. »Ray, ich werde es dir nicht am Telefon sagen, du baust bloß wieder irgendeine Scheiße und das kann ich in diesem Fall nicht durchgehen lassen. Also beruhig dich, ich bin in zwanzig Minuten bei dir.« Würde sein Kopf nicht so dröhnen, hätte er eine hitzige Diskussion angefangen, aber er wusste, wann er dabei war, eine Schlacht zu verlieren. Er stand ganz eindeutig am kürzeren Hebel und musste sich auf Bens Regeln wohl oder übel einlassen, auch wenn es ihn ankotzte. »Ich werde mich beeilen«, fügte sein Partner noch hinzu und verabschiedete sich dann. Ray blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Er hasste es, aber er hatte keine andere Wahl. Eine Viertelstunde später stand Ben Gosling vor seiner Tür und musterte ihn von oben bis unten. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm nicht gefiel, was er sah, aber Ray kümmerte es nicht. Er wusste selbst, dass er scheiße aussah. Doch darum ging es jetzt nicht. Es gab viel Wichtigeres. »Na los, oder willst du Wurzeln schlagen?« Ben schüttelte grimmig den Kopf und wandte sich dann von ihm ab. Ray zog die Tür hinter sich ins Schloss und folgte ihm zu seinem Wagen. Niemand, der sie so zusammen sah, würde vermuten, dass sie Arbeitskollegen waren. Ben hatte zwar keinen Anzug an, dennoch würde jeder deutliche soziale Unterschiede zwischen ihnen mutmaßen. Weil Ray sich immer mehr gehen ließ, sah er fast schon aus wie ein Penner. Seine Haare waren fettig und sein Bart ungepflegt. Im Gegensatz dazu war Ben gestriegelt und geputzt. Ein erfolgreicher Mann, der etwas in seinem Leben erreicht hatte. Niemand würde ahnen, dass sie den gleichen Beruf ausübten und Ray sogar schon etwas länger als sein Begleiter dabei war. Doch ihm war es schon lange egal, was andere von ihm dachten. Außerdem ging es hier um einiges mehr. Er stieg in Bens Wagen ein und wartete, bis sie die Wohngegend verlassen hatten, als er sich ihm zuwandte. »Wo ist Ramon?« Ben seufzte, er wusste, dass Ray nicht locker lassen würde, bis er es ihm erzählte, und das würde noch geschehen, bevor sie die Einsatzzentrale erreichten. »Ich beantworte dir nur diese eine Frage, auf den Rest wirst du warten, bis wir dort sind. Okay?« Ray nickte. Darauf konnte er sich einlassen. »Na gut. Ramon Namur befindet sich allem Anschein nach in San Diego.« »Willst du mich verarschen?« Damit hatte er nicht gerechnet. Waren beide Namur–Brüder die ganze Zeit vor seiner Nase herumgetanzt und er hatte es nicht bemerkt? Wenn das wirklich der Fall war, sollte er versuchen, sich selbst kräftig in den Arsch zu treten. »Leider nicht. Ich war genauso überrascht. Wir sind gleich da, dann erzähl ich dir alle Einzelheiten.« Als Ben in die nächste Straße abbog, starrte Ray wieder aus dem Fenster. Seine Gedanken schwirrten wirr in seinem Kopf umher. Durch den Alkohol war er kaum in der Lage, sie zu sortieren oder länger festzuhalten. Verdammt! Warum kam auch wieder alles auf einmal? Die Welt hatte sich gegen ihn verschworen. Dennoch würde er sich nicht davon beeinträchtigen lassen. Ramirez Namur stand seit nun schon vier Jahren ganz oben auf der Liste der Verbrecher, denen er das Handwerk legen wollte. Wegen ein paar Bier zu viel würde er es sich nicht nehmen lassen, dieses Arschloch endlich zu finden. Wenn er dabei zuerst zu dessen Bruder musste, sollte das so sein. Ray nahm alles in Kauf, um mit Ramirez abzuschließen. Vielleicht konnte er dann endlich wieder besser schlafen und der Zukunft etwas positiver entgegenblicken, auch wenn das wahrscheinlich wieder zu viele Wünsche auf einmal waren. »Wir sind da.« Ray tauchte aus seinen Gedanken auf und sah auf das Gebäude, vor dem Ben geparkt hatte. Es war schlicht, einfach, nichtssagend. Genau richtig, um nicht aufzufallen. Unauffälligkeit war für ihren Job als Special Agents des NCIS – dem Naval Criminal Investigative Service – sehr wichtig und unvermeidlich. Als Ben ausstieg, rührte sich auch Ray endlich. Gleich würde er erfahren, warum Ramon Namur auf einmal wieder auf der Bildfläche erschienen war. Sein Körper stand unter Strom und für den Moment waren seine Kopfschmerzen vergessen. Er stand so kurz davor. Er spürte es überall. So scheiße der Tag bisher auch verlaufen war, er konnte nur besser werden. Besser als die letzten vier Jahre auf jeden Fall. Sie betraten das NCIS Büro und liefen sofort weiter in Richtung Einsatzzentrale. Ob sie dabei anderen begegneten, konnte Ray nicht sagen. Er war so darauf konzentriert, gerade zu laufen und nicht einfach loszustürmen, um endlich mehr zu erfahren, dass er es schlichtweg nicht mitbekam. Selbst wenn sie jemandem begegneten, es konnte nichts wichtiger sein als die Infos über Ramon Namurs Auftauchen. Das stand für ihn an oberster Stelle. Gewissermaßen tat diese Aufregung ihm sogar gut, nachdem er sich so lange antriebslos gefühlt hatte.


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