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Belletristik
Buch Leseprobe Lost Control, Melanie Rush
Melanie Rush

Lost Control



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Prolog: Die Hitze des Tages hatte sich langsam verflüchtigt und eine laue Brise blies vom Wasser herauf. Der wolkenlose Nachthimmel über dem Lake Michigan zeigte ein Meer voll strahlender Sterne, die zusammen mit dem leuchten-den Mond den Strand erhellten. Das Lachen einer Grup-pe von feiernden Teenagern zerstörte jedoch diese an-sonsten idyllische Nacht. Sie hatten ein Lagerfeuer ent-facht und sich darum versammelt, um allem Anschein nach ihren Abschluss zu feiern. Es wurde viel Alkohol umhergereicht und zu der lauten Musik, die aus einer mitgebrachten Box dröhnte, getanzt. Niemand von ihnen schien zu ahnen, dass er sie schon seit Stunden beobachtete. Es war zwar für ihn ärgerlich, dass diese dummen Kinder gerade heute an dieser Stelle ihre Party feierten, aber er würde mit dieser Situation schon zurechtkommen. Er war nicht dumm. »Ich vertraue darauf, dass du die Geschäfte in Chicago in meinem Sinne führst. Entledige dich Personen, auf die du nicht mehr angewiesen bist, aber lass nichts auf dich zurückführen. Ich erwarte, dass du dich meldest, sollte etwas schieflaufen«, klang die Stimme seines Bosses durch sein Handy an sein Ohr. »Natürlich. Es wird alles nach Plan laufen, keine Sorge.« Auf der anderen Seite der Telefonleitung erklangen einige harsche Befehle, die nicht an ihn gerichtet waren. Dann klackte es einmal, eine Tür wurde geschlossen und die Hintergrundgeräusche verstummten. »Das hoffe ich für dich. Ich will nicht bereuen, dir die Geschäfte überlassen zu haben. Melde dich, ich habe jetzt zu tun.« Keine Abschiedsworte. Sein Boss legte einfach auf, aber das war nichts Neues. Wenigstens musste er hier nicht länger nach der Pfeife eines anderen tanzen. Seine Zeit in Chicago war gekommen. Die Geschäfte würden nun nach seinen Regeln laufen. Er steckte sein Handy zurück in seine Hosentasche und ließ seinen Blick zurück zu der feiernden Gruppe schweifen, von der sich gerade zwei Personen trennten. Neugierig und gleichzeitig zur Sicherheit für sein eigenes Vorhaben schlich er ihnen hinterher in das dichte Gestrüpp des angrenzenden Waldes. »Ich will dich«, hörte er den Jungen zu dem Mädchen raunen. Das Kichern der Kleinen hörte er noch in seinen Ohren, als er sich wieder von den experimentierfreudigen Teen¬agern abwandte. Es war primitiv, wie sie übereinander herfielen, aber es waren nun einmal Kinder. Heutzutage waren sie alle so und in den letzten Jahren waren sie sogar immer jünger geworden. Zwar gefielen ihm diese unwissenden Zuschauer nicht, aber er würde es überleben, im Gegensatz zu manch anderen. Er musste lächeln, als er eine Stelle im Wald aufsuchte, die für ihn in dieser Nacht von großer Bedeutung sein würde. Sein Plan war geschmiedet, nun musste er ihn nur noch umsetzen. Ganz in der Nähe der Teenager, deren lustvollen Stim-men zwischen den Bäumen noch zu hören waren, traf er auf den Mann, auf den er gewartet hatte. Endlich war die Zeit gekommen, um abzurechnen. Zu lange hatte er sich herumkommandieren lassen, nun war Schluss damit. Er brauchte ihn nicht länger. »Es freut mich, dass du meiner Einladung gefolgt bist.« Sein Gegenüber verzog missmutig das Gesicht, während er selbst langsam seine Hand auf die Waffe legte, die er unter seinem dunklen Shirt versteckt hielt. »Was soll das hier werden?«, fragte der andere und blickte sich um. »Ich habe keine Zeit für deine Spiel-chen.« »Die wirst du dir wohl nehmen müssen«, murmelte er als Antwort und zog seine Pistole hervor, um sie auf den anderen Mann zu richten. Dieser starrte ihn im ersten Moment schockiert an, riss sich aber schnell wieder zu-sammen und blickte ihn aus zusammengekniffenen Au-gen an. »Lass den Scheiß, du weißt nicht, was du tust.« Er selbst lachte und schwenkte die Waffe mit Schall-dämpfer ein bisschen hin und her, den Lauf immer auf den Kopf seines Gegenübers gerichtet. »Ich weiß es sehr wohl. Deine Zeit ist abgelaufen, du alter und dummer Mann«, sagte er und drückte ab, bevor sein Opfer wegspringen konnte. Die Kugel traf die Stirn und tötete, noch bevor der Körper auf dem Boden auf-schlug. Stolz auf sich grinste er und lief zu der Leiche, während er gleichzeitig seine Pistole sicherte und sie zurück in den Hosenbund steckte. Er griff dem toten Mann unter die schlaffen Arme und zog ihn dichter ins Gebüsch, wohl wissend, dass sich dort die Teenager befanden, die sich ihrer Lust hingaben. Ihre keuchenden Atemzüge waren laut zu hören, während er die Leiche so platzierte, dass die dummen Kinder sprichwörtlich darüber stolpern würden. Dann wartete er versteckt darauf, dass das Ergebnis seines Plans entdeckt wurde. Es bereitete ihm eine dunkle Vorfreude, als er hörte, wie das Pärchen sich durch das Dickicht kämpfte, um zurück zum Strand zu gelangen. Keiner von ihnen hatte mitbekommen, wie er seinen Komplizen beseitigt hatte, was bewies, wie gut sein Plan war. Kaum einen Augenblick später vernahm er das laute und hysterische Kreischen, was ihn dazu veranlasste, zufrieden lächelnd tiefer im Wald zu verschwinden. Sein Weg führte ihn zu seinem Wagen, der ihn über den Highway zurück nach Chicago brachte. Kapitel 1 Ria McKenn duckte sich unter das schwarz-gelbe Ab-sperrband, das die Schaulustigen vom Tatort fernhalten und den Fundort der Leiche absichern sollte. Es gab sicher bessere Orte, an denen man seinen Abend verbrachte, aber für Ria war dies ganz normal. Es war ihr Job als Detective beim CPD, wenn in Chicago jemand umgebracht wurde, herauszufinden, was passiert war und wer hinter dem Verbrechen steckte. Die Leiche des Mannes lag noch immer auf dem moo-sigen Walduntergrund, nur dass er nun von mehreren Leuten der Spurensicherung umringt und von Strahlern beleuchtet wurde. Zum Abschirmen der neugierigen Blicke hatte man ein weißes Zelt vor der Leiche aufgebaut, das Ria umrundet hatte, um sich neben ihren Partner Wesley Garroll zu stellen. »Was haben wir?« »Hi Ria. Unser Opfer heißt Simon Wester, 45 Jahre alt, ledig und Chef einer Bank im Loop. Laut erster Schluss-folgerung führte ein glatter Kopfschuss zum Tod. Die beiden da hinten haben ihn vor ungefähr einer Stunde gefunden. Cara schätzt, dass der Mann ungefähr eine halbe Stunde vorher getötet wurde. Alles Weitere kann sie uns aber erst sagen, wenn sie ihn in ihrer Höhle genauestens untersucht hat.« Ria nickte, während sie den Ausführungen ihres Part-ners folgte und dabei in die Richtung sah, in die er gezeigt hatte. Ein junges Mädchen, sie schätzte sie auf nicht einmal achtzehn Jahre, saß verstört auf der Liege des Krankenwagens und wurde von einem der Kollegen verhört. Neben ihr stand ein nicht viel älterer Junge, der tapfer ihre Hand hielt, aber auch ihm war anzusehen, dass ihn dieser Fund nicht kaltließ. Sie wandte den Blick von dem jungen Pärchen ab und ging zusammen mit Wesley zur Leiche. Rechtsmedizinerin Cara Hale packte gerade ihre Sachen in eine kleine schwarze Tasche und erhob sich. Dabei wies sie die umliegenden Polizisten an, die Leiche vorsichtig abzutransportieren, sobald alle notwendigen Fotos gemacht wurden und sie sich niemand mehr näher ansehen wollte. »Wesley hat dir schon alles erzählt?« Obwohl es als Frage formuliert war, klang es wie eine Feststellung, dennoch antwortete Ria darauf, ohne auf die Eigenart der Rechtsmedizinerin einzugehen, immer zu wissen, wer hinter ihr stand. Es schien erschreckend für Neulinge, doch Ria hatte sich in den zwei Jahren, die sie nun schon beim CPD war, daran gewöhnt. »Ja, hat er. Jetzt stellt sich nur die Frage, wieso ein re-nommierter Bankunternehmer sich um diese Uhrzeit vollständig in Anzug und Krawatte an solch einen Ort begeben hat. Sicherlich hat es hier kein Geschäftsessen gegeben.« Sie ließ ihren Blick über den kleinen Waldab-schnitt gleiten, aber es gab nichts Besonderes zu sehen. Cara zuckte mit den Schultern. »Das soll mich nicht weiter kümmern, das ist eure Auf-gabe«, sagte sie, nahm ihre Tasche an sich und lief an ihnen vorbei zu ihrem Wagen ohne irgendwelche Ab-schiedsworte. »Manchmal verstehe ich nicht, wie diese Frau so kalt-herzig sein kann«, sagte Wesley neben ihr und schüttelte den Kopf. Ria fragte sich, warum ihr Partner sich Gedanken um die Rechtsmedizinerin machte und ob da vielleicht mehr dahinter steckte. Nein, innerlich schüttelte sie den Kopf. Die Frauen, die für Wesley interessant waren, waren ein vollkommen anderes Kaliber als Cara Hale. Sie zog sich Gummihandschuhe aus ihrer Hosentasche, um sie sich überzuziehen, bevor sie sich vor die Leiche hockte. Die toten Augen waren aufgerissen und man konnte in ihnen noch die Wut und Überraschung erkennen, die in ihm getobt hatten, als der Mörder die Waffe auf ihn ge-richtet hatte. Es sah ganz danach aus, dass Simon Wester ihn gekannt haben musste, da der Schuss aus nächster Nähe abgegeben worden war. Ansonsten konnte sie nichts Ungewöhnliches finden. Das Loch in der Stirn stammte eindeutig von der tödli-chen Kugel in seinem Kopf und musste von vorn einge-drungen sein. »Wurden Schleifspuren gefunden?«, fragte sie ihren Partner und begutachtete den Boden um sich herum. Moos und Kiefernnadeln bedeckten den größten Teil, was nicht eigenartig war. »Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob er hier er-schossen wurde. Die Fußabdrücke des Pärchens sind die einzigen, die man klar erkennen kann.« Noch bevor Wesley aussprach, schüttelte Ria den Kopf. Sie betastete das Moos und wunderte sich nicht, als sie es hochheben konnte. Darunter verborgen sah sie den von einer schweren Last aufgewühlten Boden. »Sieh dir das an. Er wurde nicht hier ermordet.« Sie richtete sich auf und verfolgte den Weg des Mooses, das locker auf der Erde lag. Nicht weit vom Fundort hörte die Linie auf. »Hier muss es geschehen sein.« Wesley nickte und winkte einige Leute der Spurensicherung heran, damit sie das Moos einsammeln und dann die Gegend genauer unter die Lupe nehmen würden. »Übrigens verlangt der Captain nach uns. Wir sollen, sobald wir uns den Tatort angesehen haben, zu ihm kommen. Keine Ahnung warum.« »Na gut, dann fahren wir zum Department. Ich wüsste zwar nicht, weshalb er uns sprechen will, aber man weiß ja nie«, seufzte sie und strich sich eine ihrer schwarzen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, hinters Ohr. Als sie wieder am Fundort ankamen, wurde der Körper des Toten gerade in einen schwarzen Leichensack ge-packt. Ria bezweifelte, dass sie ohne Caras Hilfe noch etwas auf der Leiche finden würden. Sie fuhren nicht lange bis zum Department, und wie Wesley gesagt hatte, erwartete man sie schon. Die An-kündigung eines Gespräches mit ihrem Vorgesetzten gefiel ihr nicht. Sie und ihr Partner waren zuverlässig und hatten bisher nichts falsch gemacht. Was konnte dann so wichtig sein, dass er mit ihnen reden wollte und warum hatte er den Grund nicht schon genannt, als er Wesley das Gespräch angekündigt hatte? »McKenn, Garroll. Da sind Sie ja. Kommen Sie doch bitte herein. Es wird Sie interessieren, was ich Ihnen zu sagen habe«, begrüßte sie ihr Vorgesetzter an seiner Bürotür und winkte sie herein. Ein seltsames Kribbeln schlich sich in ihren Magen. Sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Der Captain war ein Mann der klaren und offenen Worte. Gerade deshalb verstand sie nicht, warum er so ein Geheimnis um den Grund dieses Gesprächs machte. Mit möglichst neutralem Gesichtsausdruck folgte sie der Anweisung ihres Vorgesetzten und betrat gemeinsam mit Wesley das Büro. Bis auf einen Schreibtisch, einigen Stühlen und Aktenschränken war es fast leer. Auch ein-zelne Pflanzenkübel machten den Raum nicht gemütli-cher. Doch was erwartete man schon in einem Büro eines höhergestellten Cops? Sicherlich keine rosa Tischdeckchen oder Katzenbilder an den Wänden. Ihr Boss war Ende vierzig, sein dunkles Haar war mit wenigen grauen Strähnen durchzogen, was ihn jedoch nicht alt aussehen ließ, vielmehr machte es ihn attraktiver. Trotz dem er ein Schreibtisch-Cop war, war er durchtrainiert und noch immer fit. Sie wusste, dass er seine Frau während seiner Ausbildung zum Polizisten kennengelernt hatte und seitdem glücklich mit ihr war. Sie wünschte sich auch irgendwann eine solche Liebe, die Höhen und Tiefen des Lebens überwand, doch bisher war sie nur an Männer geraten, die nicht damit klarkamen, dass sie ein Cop war. Die abschweifenden Überlegungen verdrängend kon-zentrierte sie sich wieder voll und ganz auf ihre Umge-bung. Der Captain blieb hinter seinem Bürostuhl stehen, während Wesley und sie sich hinsetzten. Es kam ihr so vor, als ob sie wieder in der Highschool wäre und im Büro des Direktors saß. Nur, dass sie sich ganz sicher war, dass sie und Wesley nichts ausgefressen hatten. Dennoch blieb ein merkwürdiges Gefühl der Vorahnung, dass dies hier kein gewöhnliches Chef/Mitarbeiter-Gespräch werden würde. »Sicherlich fragen Sie sich beide, weshalb ich Sie hierher gebeten habe. Sie müssen keine Angst haben. Sie haben nichts angestellt«, begann ihr Captain und lächelte sie an. Obwohl er versuchte, sie aufzuheitern und lockerer zu machen, führte das eher zum Gegenteil und sie verkrampfte sich. Wenn nichts passiert war, warum sollten sie dann hier sitzen und weshalb kam er nicht endlich auf den Punkt? »Geht es um den Mordfall an Simon Wester?«, fragte Wesley und meldete sich von ihnen als Erster zu Wort. Ihr Boss schüttelte jedoch den Kopf und sah kurz durch das Fenster nach draußen, bevor er seinen Blick auf Ria richtete. »Nein. Nicht unbedingt. Sie wissen sicherlich, dass Luis John Chicago verlassen hat und nun in New Orleans ist. Sein Partner Malcom Crave arbeitet allein am Talia-Fall und ich habe versprochen, ihm einen guten neuen Partner zu geben.« Ria schluckte und hielt dem Blick ihres Vorgesetzten stand. »Was hat das mit uns zu tun? Es kommt doch ein Neu-er aus San Diego, oder nicht?«, fragte sie und strich sich wieder eine verirrte Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Stimmt, wir haben heute Zuwachs aus San Diego be-kommen, aber ich werde ihn nicht an Craves Seite stellen. Garroll, Sie werden Craves neuer Partner und Sie, McKenn, bekommen den Neuen. Ich versichere Ihnen, ich habe mir das gut überlegt und so ist es das Beste. Der Talia-Fall ist heikel und braucht jemanden, der sich hier blendend auskennt.« Für einen Moment stockte ihr der Atem und sie wusste, Wesley erging es nicht anders. Sie waren nun schon seit zwei Jahren Partner und verstanden sich fast blind. Es war sogar eine gute Freundschaft daraus gewachsen, die sie sich anfangs niemals hätte erträumen können. Und nun … Nun war Wesley nicht länger ihr Partner und sie musste mit irgendeinem Cop aus San Diego klarkommen, den sie nicht kannte. »Muss das …?« Bevor sie ihre Frage aussprechen konn-te, unterbrach der Captain sie, indem er jemanden durch die Scheibe des Büros hereinwinkte. Sie sah zu Wesley, doch dieser zuckte hilflos die Schultern. Er wusste genauso wie sie, dass es aussichtslos war, ihren Captain umzustimmen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Dennoch kam es für Ria einem Abschied gleich, der für immer war. Es war dumm, so zu denken, immerhin würde Wesley nicht aus ihrem Leben verschwinden. Sie würden sich nicht mehr ständig sehen, aber er war immer noch da. Resigniert ließ sie ihren Kopf nach vorn sinken. Normalerweise war sie nicht so melancholisch, aber sie mochte Wesley und mit Veränderungen in ihrem Leben tat sie sich nicht leicht. Aber das Leben war nun einmal kein Wunschkonzert und sie war erwachsen und hatte gelernt, damit umzuge-hen. Sie ignorierte, dass noch jemand das Büro betrat. Schon jetzt vermisste sie Wesleys Witz und Charme. Eigenschaften, die ihr immer dabei geholfen hatten, mit diesen ganzen Verrückten auf der Straße klarzukommen. »Kommen Sie rein. McKenn, das ist Camden Reeves. Ihr neuer Partner.« Sie machte keine Anstalten, ihren Blick zu heben, um den Neuen zu begutachten. Immer-hin würde sie die nächsten Tage und Wochen genug Zeit dafür haben. Es war nicht gerade höflich von ihr, aber sie musste das alles erstmal verdauen. Ein Stuhl neben ihr wurde gerückt und dann lag die schwere Hand von Wesley auf ihrer Schulter. Er beugte sich zu ihr herunter und flüsterte leise in ihr Ohr. »Ich bin nicht aus der Welt, Kleine. Wir werden uns noch oft genug über den Weg laufen, und wenn der Typ dir Probleme macht, dann musst du nur nach deinem großen, schwarzen Freund rufen.« Seine Worte sollten sie auflockern, doch seine aufmunternde Art half ihr diesmal nicht. Da sie sich nicht gegen die Entscheidung ihres Vorgesetzten sträuben konnte und wollte, fügte sie sich ihrem Schicksal und stand von ihrem Stuhl auf. Sie wandte sich ihrem neuen Partner zu und musterte den großen, durchtrainierten Mann vor sich genau. Seine kurzen braunen Haare standen in alle Richtungen ab und auch sein Dreitagebart unterstrich die verwegene Wirkung, die er ausstrahlte. Doch am meisten beeindruckten sie die zwei wachsamen grünen Augen in seinem kantigen Gesicht, die ihren Blick ungeniert erwiderten. * Camden Reeves betrachtete seine neue Partnerin. Sie war geschätzte 1,70 m groß und ihr schwarzes, gewelltes Haar war locker zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine sehr weibliche Hüfte schmiegte sich in die locker sitzende Jeans, aber ansonsten wurden ihre Reize von weiter Kleidung verhüllt. Er mochte, was er sah und natürlich war es ihm lieber, wenn Frauen ihre Reize auch zeigten. Im Polizeidienst war das jedoch zugegebenermaßen unpraktisch. Dennoch, bei ihr würde er sich über eine Ausnahme freuen. Bevor er weiter über ihre äußerst interessanten Run-dungen nachdenken konnte, ließen ihre Augen all seine Gedanken verstummen. »Sie werden sicher gut miteinander auskommen«, ertönte die Stimme seines neuen Vorgesetzten neben ihm und zerstörte damit diese seltsame Empfindung, die ihn beschlichen hatte. Er räusperte sich und hielt seiner Partnerin die Hand hin. Kurz konnte er erkennen, wie sie verwirrt blinzelte, doch dann legte sie ihre Hand in seine. Sie war klein und zierlich, sodass er sie mit seiner großen Pranke hätte brechen können, wenn er nur fester zugedrückt hätte. »Auf gute Zusammenarbeit«, sagte er. War diese raue Stimme wirklich seine? Camden ignorierte das Erschau-dern von Ria McKenn und löste ihren Händedruck. Er lächelte ihr zu und sah dann zu dem kräftigen schwarzen Hünen, der ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte und dicht neben Ria stand. »Ich werde sie mit meinem Leben beschützen«, ver-sprach er ihrem ehemaligen Partner, der ihm nun zunick-te und dann leicht die Schulter von Ria drückte. Er flüs-terte ihr erneut etwas ins Ohr, aber sie erwiderte nichts. Dann blickten Camden wieder diese hellbraunen Rehau-gen an und er konnte sich nur mit Mühe von dem An-blick losreißen. »Ich verlasse mich darauf.« Er nickte dem Detective zu, bevor dieser mit einem letzten Blick auf McKenn das Büro mit einigen kurzen Abschiedsworten verließ. Ihre Augen hafteten die ganze Zeit weiter auf ihm und er konnte einfach nicht wegse-hen. Sie übte eine Anziehungskraft auf ihn aus, die er nicht kannte. Ria McKenn war attraktiv, keine Frage. Aber für Camden kam keine schnelle Nummer mit seiner neuen Partnerin infrage. Mit keiner seiner Kolleginnen, deshalb war er nicht hier. »Als Erstes können Sie ihm direkt die Gerichtsmedizin zeigen. Hale kann Ihnen sicherlich schon etwas berich-ten«, unterbrach der Captain erneut Camdens Gedanken-gänge und auch Ria löste den Blick von ihm, was ein seltsames Gefühl der Leere in ihm hinterließ. Dieses Gefühl war ziemlich absurd, da er ihr eben erst zum ersten Mal begegnet war. Außerdem war er nicht so lebensmüde, um hier etwas mit einer Frau anzufangen, wo er doch eine Beziehung hinter sich gelassen hatte, auch wenn diese schon eine Zeitlang nicht mehr gut gelaufen war. »Selbstverständlich, Boss.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Ria das Büro. Camden verkniff sich ein Lächeln und nickte dem Captain zu, bevor er ihr wortlos folgte. Während der ersten Meter klärte sie ihn kurz und knapp über den Fall auf, den sie vor ihrer offiziellen Partnerschaft aufgenommen hatte, doch dann herrschte angespannte Stille. Dabei versuchte er dieses Etwas, das zwischen ihnen lag, seit sich ihre Blicke das erste Mal getroffen hatten, zu ignorieren, was gar nicht so leicht war. »Ich nehme an, Hale ist der Rechtsmediziner?«, fragte er, um die Spannung etwas zu lockern. Aber sie sah ihn immer noch nicht an, sondern lief weiter den Gang ent-lang. »Rechtsmedizinerin«, korrigierte sie ihn. »Cara ist die Beste. Sie wird immer fündig.« Das hörte sich gut an. In seinem Leben hatte er schon einige Fehler gemacht, aber der, der einen großen Teil dazu beigetragen hatte, dass er nun hier war, den wollte er unter keinen Umständen wiederholen, weshalb er froh war, dass fähige Leute um ihn herum waren und er nicht die alleinige Verantwortung tragen musste. Zwar wurde ihm hier auch eine zuteil, ganz ohne konnte und wollte er nicht leben, aber mit dieser würde er zurechtkommen. Nur seine überaus attraktive Partnerin schaffte es schon wieder, dass seine Gedanken in eine sehr anzügliche Richtung gingen, die eindeutig nicht an diesen Ort gehörten. Normalerweise hatte sich Camden ziemlich gut unter Kontrolle, wenn es um seine körperlichen Bedürfnisse ging, doch nun brachte seine neue Partnerin ihn nach nur wenigen Augenblicken schon aus dem Gleichgewicht. Hoffentlich würde sich seine Entscheidung, von der Westküste nach Chicago in den Polizeidienst zu gehen, nicht als weiterer Fehler in seinem Leben erweisen. Er konnte es sich einfach nicht noch einmal leisten, die Anforderungen, die an ihn gestellt wurden, nicht zu erfüllen. Das hatte ihm schon einmal den Boden unter den Füßen weggerissen und Leben zerstört. * Ria spürte jeden Blick von Camden Reeves wie feine Nadelstiche auf ihrem Rücken, was ein seltsames Kribbeln unter ihrer Haut verursachte. Sie bekam oft Männerblicke. Aber so wie der Neue sie ansah, das sollte er sich lieber für Frauen in Clubs aufsparen, auch wenn seine Blicke ganz neue Gefühle in ihr erregten, die sehr weiblich waren und bisher nie großartig ihr Leben beeinträchtigt hatten. Doch gerade in diesem Moment, in dem Camden hinter ihr herlief, brachen Bilder über sie herein, in einer Dringlichkeit, die vorher nie von ihr Besitz ergriffen hatte. Weshalb sollte sie diesen großen, muskulösen, durch-trainierten Mann auch nackt sehen wollen? Es war ab-surd. Sie hatte schon seit vielen Jahren keine sexuelle Beziehung mehr gehabt. Vor allem hatte sie noch nie so schnell ein ähnliches Empfinden gegenüber einem ande-ren Mann als Camden Reeves verspürt. Wahrscheinlich lag es an der vielen Arbeit und dem Stress in letzter Zeit, dass ihre Hormone durchdrehten. Sie war keine Frau, die mit einem wildfremden Mann gleich ins Bett hopste. Schon gar nicht, wenn er ihr neuer Kollege und Partner war. »Da sind wir«, verkündete sie, als sie endlich die Flure der Gerichtsmedizin betraten. Caras Reich lag nah am Eingang, wodurch Ria nicht länger allein mit Reeves sein musste. Sie klopfte an die schwere Metalltür und schob sie weiter auf, als ein kurzes »Herein« ertönte. Wie erwartet hing die Rechtsmedizinerin über dem Leichnam des ermordeten Simon Wester. »Cara, darf ich dir meinen neuen Partner vorstellen. Das ist Camden Reeves.« Es war nicht leicht, auszusprechen, dass Wesley nicht mehr ihr Partner war, sondern dieses attraktive Exemplar von Mann neben ihr. Cara schien ebenfalls überrascht zu sein, denn entgegen ihrem sonstigen Benehmen drehte sie sich blitzschnell zu ihnen um, sobald die Worte Rias Mund verließen. Verwirrung und Überraschung lagen im Blick der Rechtsmedizinerin, als sie Ria und ihren neuen Partner musterte. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Reaktion auf diese Nachricht hatte Cara sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle. Ihre Augen nahmen sogleich ihren ursprünglichen teilnahmslosen, eisblauen Ton an und sie wandte sich wieder der Leiche zu, ohne Camden weiter großartig zu beachten. »Wenn ihr denkt, dass ich schon etwas habe, dann habt ihr euch getäuscht«, begann Cara und nahm ein Besteck von ihrem metallenen Beistelltisch. »Ich bin nämlich noch nicht fertig mit der Obduktion. Ihr solltet wissen, dass man dafür mindestens zwei Stunden benötigt, und sind die schon um?« Obwohl Ria nur gut ein halbes Jahr jünger als Cara war, fühlte sie sich gerade so, als wäre sie ein kleines dummes Mädchen. Sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn die Rechtsmedizinerin diese Schiene ausfuhr, aber es war ihr nicht zu verdenken, immerhin hatte sie recht. Sie könnte behaupten, dass ihr der Partnerwechsel keine Chance gegeben hatte, darüber nachzudenken, aber wem brachte diese Entschuldigung etwas. »Wir kommen morgen früh wieder«, sagte Ria schließ-lich. Die Rechtsmedizinerin nickte, arbeitete aber weiter, ohne sich nochmal umzublicken. Ria zuckte mit den Schultern und wandte sich ab, ohne Camden anzusehen. Er würde ihr auch so folgen, davon war sie überzeugt. Und ja, er tat es auch, denn sie spürte schon wieder seine Blicke in ihrem Rücken. Mit zwei vollen Kaffeetassen in der Hand kam ihnen Caras junger Kollege entgegen und blieb kurz stehen. »Hallo Joshua, wieder Spätdienst?« »Hi Ria. Ja, ich muss aber schnell wieder rein. Sie ist noch unausstehlicher, wenn sie ihren Kaffee nicht be-kommt«, mit diesen Worten zwinkerte er ihr zu und drängte sich an ihnen vorbei in den Raum, den sie gerade verlassen hatten. »Wer war das?« Die Frage kam überraschend, vor allem von dieser Stimme. Ria war sich nicht bewusst gewesen, dass sie für einen Augenblick vergessen hatte, dass nicht mehr Wesley, sondern Camden ihr Partner war. »Joshua Hamilton. Er ist Assistent in der Gerichtsmedizin und arbeitet hier während der Semesterferien.« Das sollte ihm als Antwort genügen, entschied Ria und setzte ihren Weg fort. Sie wollte unbedingt mit dem Polizisten reden, der die Teenager vernommen hatte. Vielleicht hatten sie etwas Hilfreiches gesehen oder gehört, auch wenn sie nicht wirklich davon ausging.


 


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