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Belletristik
Buch Leseprobe Eine Bayerische Hochzeit, Josefa vom Jaaga
Josefa vom Jaaga

Eine Bayerische Hochzeit


Band 1: Karoline

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1. Liberté, Égalité, Maternité


 


Markgräfin Amalie verheiratet ihre Töchter


 


 


Zu gewissen Zeiten, so wird uns erzählt, habe eine neue Spitze an einem Kleid, eine neue Feder an einem Hut, eine achtlos fallengelassene Bemerkung beim Tee oder ein ab­gelehnter Tanz auf einem Ball mehr Aufmerksamkeit er­regt als das Vorrücken von Armeen. Weit davon entfernt, die Erkenntnisse weiserer Schreiber in Abrede zu stellen, können wir doch nicht umhin, festzuhalten, was der tätige Gebrauch des Verstandes dem Leser bereits eingegeben ha­ben wird: dass solches in erster Linie galt für Gegenden, in die gerade keine feindlichen Armeen vorrückten.


Wahr ist: In friedlichen und weniger friedlichen Regio­nen verlangte die Eitelkeit in jenen Tagen nach goldenen Knöpfen und blitzenden Tressen – an militärischen Unifor­men, der Kleidung des Tötens, vielleicht mehr als anders­wo. Die kleinen und großen Fürsten des Heiligen Römi­schen Reichs Deutscher Nation hatten in den letzten Jahr­hunderten viel Übung darin entwickelt, den Klang von Ka­nonen und den Geruch von Schießpulver von der unmittel­baren Umgebung ihrer überschuldeten Höfe fernzuhalten. Ihre Damen konnten das Augenmerk daher tatsächlich ganz auf jene schmucken Offiziere und unterhaltsamen Skandale richten, hinter denen die Bedeutung der Schlachtfelder so sehr in den Hintergrund trat.


Man hatte sich in diesen Verhältnissen eingerichtet und verstand gut damit zu leben: Während die Fürsten, schwitzend unter ihren gepuderten Perücken, mit den Ministern über Landkarten brüteten, die zu veraltet waren, als dass man auf ihrer Basis einen wirklichen Feldzug hätte planen können, und die Offiziere sich damit beschäftigten, jene Bauernburschen, die man in eine Uniform gepresst hatte, am Desertieren zu hindern, schrieben die Damen Briefe, planten Empfänge und Verwandtenbesuche und be­mühten sich, ihre Töchter möglichst zügig unter die Haube zu bringen.


Die Große Landgräfin von Hessen-Darmstadt, Karoline von Pfalz-Zweibrücken, hatte nicht weniger als fünf Töch­ter zu verheiraten. Sitte und Familientradition hatten die Namen, die bei der Taufe einer Prinzessin zur Auswahl standen, in beklagenswerter Weise eingeschränkt: Karoli­ne, Friederike, Amalie, Wilhelmine, Luise. Die stolze Mutter schöpfte dieses Kontingent in besagter Reihenfolge aus; dazu gesellten sich drei Söhne. Dass sich keine weiteren Töchter einstellten, machte den Gebrauch der noch zur Verfügung stehenden Namen »Marie«, »Charlotte« und »Auguste« unnötig und sparte sie für kommende Genera­tionen auf.


Man muss gestehen, nicht alle Töchter der Landgräfin verheirateten sich gleichermaßen gut; die älteste hatte sich mit dem Spross einer Nebenlinie des hessischen Hauses zu bescheiden, während ihrer viel beneideten Schwester Friederike die Ehre zuteilwurde, vom Neffen und Erben des Preußenkönigs Friedrich vor den Altar ge­führt und in ihrer Ehe mit zahllosen Geliebten und Mätres­sen betrogen zu werden. Für die kleine Luise fiel immerhin der Großherzog von Sachsen-Weimar ab. Doch die beste Partie machte unzweifelhaft Wilhelmine, die zweitjüngste Tochter: Katharina die Große gestattete ihr die Ehe mit ih­rem Sohn, dem Zarewitsch Paul, was Wilhelmine einen neuen Namen (Natalja) und drei Jahre später den frühen Tod im Wochenbett eintrug.


Demgegenüber fiel die Hochzeit der mittleren Tochter Amalie bescheiden aus. Ihre Mutter hatte diese junge Dame sicherheitshalber mitgenommen nach Sankt Petersburg, obwohl wenig Hoffnung bestand, Amalie könne am russi­schen Hof Gnade finden. Selbst die wohlwollendsten Freun­de mussten zugeben, die äußerlichen Reize dieser jungen Dame stünden ein wenig hinter denen ihrer Schwestern zurück: das dunkle Haar zu strohig, die Lippen zu schmal, die Züge zu kantig. Doch mit gewissen Eigenheiten ihres Charakters, namentlich Zielstrebigkeit und Willensstärke, glich Amalie aus, was die Natur versäumt hatte, ihr an Vor­zügen mitzugeben.


»Meine Tochter Amalie mag nicht den besten Kopf ha­ben«, seufzte die Mutter gelegentlich, wenn sie die Berich­te der Gouvernanten über die Fortschritte ihrer Kinder entgegennahm, »doch zweifellos den härtesten.«


In der Familie wusste man gut, was es bedeutete, wenn Amalies kantiges Kinn sich ruckartig anhob, woraufhin Amalie mit bebenden Nasenflügeln hörbar einatmete und dazu die Schultern straffte. Wer konnte, suchte in solchen Momenten gern das Weite, ehe das Gewitter losbrach.


Wider Erwarten war es gerade dieser Wesenszug, der Amalie in Sankt Petersburg beinahe zu einem grandiosen Erfolg verholfen hätte. Der junge Zarewitsch Paul, an do­minierende Frauen in seinem Leben gewöhnt, schien von ihr ausgesprochen beeindruckt. Eine Weile sah alles da­nach aus, als ziehe er Amalie gegenüber ihrer Schwester als künftige Braut vor. Leider wurde der junge Mann nicht wirklich nach seinen Wünschen befragt. Zarin Katharina, weise Herrscherin der Reussen, die sie war, entschied sich für die sanfte Wilhelmine; ihrer Ansicht nach genügte es, wenn eine Frau in Sankt Petersburg den Männern die Rich­tung wies.


Statt in der prunkvollen Residenz zu Sankt Petersburg tanzten Amalies Hochzeitsgäste letztlich im sehr viel en­geren Saal des Schlosses von Karlsruhe. Die Familie der Zähringer, in die Amalie einheiratete, mochte nicht so mächtig sein wie die Romanows, doch sie gehörte zu den ältesten Fürstenhäusern Europas. Ihre Anfänge verloren sich im Halbdunkel des elften Jahrhunderts, als die deut­schen Kaiser noch Otto oder Heinrich geheißen hatten und nicht wie in neuerer Zeit Joseph, Franz oder Leopold. Die Zähringer regierten die Markgrafschaft Baden seit Men­schengedenken und hatten als Nachweis ihrer makellosen adligen Abstammung in den letzten Generationen jeweils mindestens ein Familienmitglied vorzuweisen gehabt, des­sen Absonderlichkeit weit genug ging, um es hinter Schloss und Riegel zu halten.


Wie Amalie nach ihrem Einzug erfreut feststellte, wa­ren die Männer der Familie willig, ihren Ehefrauen das Re­giment weitgehend zu überlassen – und wo sie nicht willig waren, brachte Amalie es ihnen bei. Erbprinz Karl Ludwig von Baden, zur Unterscheidung von seinem Vater Karl Friedrich meist »Charles« gerufen, lernte bereits im Ver­lauf der ersten Wochen seiner Ehe, dass er von nun an ganz ebenso die Meinung seiner Ehefrau einzuholen habe, ehe er eine Entscheidung träfe, wie er es bis dahin mit der sei­ner Mutter getan hatte. Seine Ergebenheit war zweifellos, was Amalie an ihrem Gemahl am besten gefiel.


Amalies Einfluss musste naturgemäß erst den Wider­stand der bisherigen Ratgeberin überwinden, die sich auf ihre doppelte Funktion als Markgräfin und Schwiegermut­ter berief, um ihre älteren Rechte geltend zu machen. Bei­de markgräflichen Ehemänner, Vater und Sohn, flüchteten sich angesichts des Drachenkampfes in den Salons des Karlsruher Schlosses in ihre Ratssitzungen und taten so, als überhörten sie, was an Gekeife und Gezänk aus dem oberen Stockwerk herunter drang.


Die Zeit und der Tod der alten Markgräfin lösten das Problem im Sinn Amalies, die nun ihre Stellung als erste Dame am Hof von Karlsruhe sicherstellte – ein Rang, der kümmerlich genug war als Trostpreis für eine Dame, die beinahe vom Zaren Paul zur Gattin erwählt worden wäre. Amalie sorgte dafür, dass ihr Schwiegervater, der alte Markgraf Karl Friedrich, sich zur linken Hand mit einer nicht ebenbürtigen Frau vermählte, die Amalie ihre Posi­tion nicht streitig machen konnte und über deren Mängel und Unverschämtheiten sie sich künftig bei allen Gelegen­heiten verbreitete, und stürzte sich auf alle Anlässe, die ihr gestatteten, das Fischbein-Korsett so eng wie möglich zu schnüren, sich in die Staatsrobe zu zwängen, das markgräf­liche Haupt mit hoch aufgetürmten Perücken, Juwelen und Federn zu schmücken und am Eingang ihres Salons die Honneurs zu machen.


Nebenher widmete sie sich der Aufgabe, ihrem Gemahl Charles einen Sohn und Erben zu schenken, der der Erfolg aber lange Zeit versagt blieb. Über die Jahre wuchs die Zahl der Töchter, die in Amalies Gemächern den Nacken über Stickrahmen und Aquarellbilder beugten, auf sechs an, auch sie versehen mit den von der Schicklichkeit vorge­schriebenen Vornamen: Amalie (die hässlichste), Karoline (die eifrigste), Luise (die hübscheste), Friederike (mit dem größten Standesbewusstsein), Marie (die freundlichste) und die kleine Wilhelmine, die nach dem lang ersehnten Erben auf die Welt gekommen war und mit der noch nie­mand so recht etwas anzufangen wusste. Dass der kleine badische Prinz, der nach fünf Töchtern endlich das Licht der Welt erblickt hatte, wiederum, wie Vater und Großva­ter, Karl hieß, verstand sich von selbst. Er war ein ruhiges, selbstgenügsames Kind, das die Mutter leichten Herzens seinen Kinderfrauen und Erziehern überlassen konnte, während sie selbst die Angelegenheiten ihrer Töchter wahrnahm.


Dazu gehörte selbstverständlich die Verpflichtung, sich zeitig nach Gatten für ihre Mädchen umzusehen, so­bald diese die ersten Kinderjahre hinter sich hatten. Doch gerade, als Amalie begonnen hatte, den Adelskalender und die ausgedehnte Verwandtschaft nach unverheirateten Herren zu durchforsten, stürmte in Paris der Pöbel Bastille und Tuilerien. Die königliche Familie von Frankreich wur­de gefangengesetzt, und Franzosen mit blau-weiß-roten Kokarden am Kragen und Bajonetten in den Händen mar­schierten plötzlich in die linksrheinischen Besitzungen deutscher Fürsten ein. Die Zahl zur Verfügung stehender Heiratskandidaten verringerte sich im selben Maße, wie die Schar der Enthaupteten, Enteigneten und Vertriebenen anstieg.


»Es ist ein Unglück, in diesen Tagen eine Tochter ver­heiraten zu müssen«, beklagte Amalie sich bei ihrem Ehe­mann Charles, zu dessen täglichen Pflichten es gehörte, ihr während der gemeinsamen Teestunde aus der Zeitung die Namen jener Adeligen vorzulesen, die sich vor dem mörde­rischen Straßenpöbel über den Rhein herüber gerettet hat­ten, deren Eigentum von den Aufrührern konfisziert wor­den war und die folglich als Heiratskandidaten ausschie­den. Amalie verfolgte diese Vorgänge sehr aufmerksam und hielt ihre Ansprache mit einer gewissen Regelmäßig­keit.


Charles, auf einem Hocker zur Rechten von Amalies Armstuhl platziert, die ›Carlsruher Zeitung auf den Knien, war sich bewusst, dass er mit seinem Jawort in der Hofka­pelle auch seine lebenslange Bereitwilligkeit erklärt hatte, den Klagen seiner Gemahlin zu lauschen. Er bemühte sich demütig, dieser ehelichen Pflicht nachzukommen, auch wenn es häufig nicht zur völligen Zufriedenheit Amalies geschah. Insgeheim empfand er stets eine gewisse Erleich­terung, sobald die Aufmerksamkeit seiner Gattin sich ande­ren Dingen zuwendete und ihm Gelegenheit gab, die Be­richte von den Kriegshandlungen an der Front zu studie­ren, die Amalie nicht weiter interessierten. Heute war es noch nicht so weit.


»Es ist eine außerordentliche Rücksichtslosigkeit von Ihnen, Charles, meine Bemühungen so wenig zu unterstüt­zen.«


»Ich bitte Sie, meine Liebe. Wer kann dieser Tage über­haupt noch daran denken, eine Familie zu gründen?«


»Sie haben sechs Töchter in die Welt gesetzt, lieber Charles. Man kann Ihnen nur raten, möglichst bald darüber nachzudenken. Andere Väter sind möglicherweise weniger nachlässig dabei, für die Zukunft ihrer Kinder vorzusorgen. Aber ich sehe schon, ich werde mich dieser Frage wohl selbst annehmen müssen. Sie zeigen wie üblich wenig En­gagement.«


»Ganz im Gegenteil! Das Wohl meiner Töchter liegt mir sehr am Herzen! Aber Madame, wir haben einen Krieg zu führen, ach, was heißt einen - Dutzende! Die französischen Horden sind überall! Man weiß, wie schlimm es stehen muss, wenn sogar Preußen und Österreich ihre Fehde des­wegen begraben. Die ganze Welt steht in Flammen; selbst biedere Handwerksmeister stecken sich die Kokarde an den Hut. Mainz hat den Franzosen die Tore geöffnet, und die Häupter der Hydra wachsen schneller nach, als man sie abschlagen kann. Die Revolution scheint ebenso viele Ge­neräle auszuspucken, wie sie Köpfe rollen macht: Dumou­riez, Cartaux, Houchard, Desaix, Doppet, Lafayette, Beau­harnais, du Bayet, Kléber, Hoche, Kellermann, de Custine, Schauenburg, man fragt sich ja wirklich, wer sich das noch alles merken soll!«


Während die französische Revolution sich anschickte, den Despotismus deutscher Aristokraten unter der verwir­renden Vielfalt bürgerlicher Befehlshaber zu ersticken, sah Amalie sich gezwungen, ihre Eheplanungen gelegentlich vom Reisewagen aus zu führen. Amalies Schwiegervater, Markgraf Karl Friedrich, schickte die zweitausend Sol­daten, die sein Land unter Waffen halten konnte, an die Front und die Familie auf ausgedehnte Reisen nach Norden und Osten, zu Verwandten, deren Ländereien in angeneh­mer Distanz zu den blutgetränkten Schlachtfeldern am Rhein lagen.


Man traf dort manchen Verwandten wieder, den ähnli­che Umstände in die Ferne getrieben hatten. Dazu gehörte eine arme Darmstädter Kusine namens Auguste. Diese Auguste hatte nicht nur das Unglück, eine jüngste Tochter, sondern obendrein noch kränklich und schwerhörig zu sein. Wie unter solchen Voraussetzungen nicht anders zu erwarten, bestanden für sie geringe Aussichten, sich gut zu verheiraten. Auguste hatte mit einem Cousin Amalies müt­terlicherseits vorlieb nehmen müssen, dem Pfalzgrafen Maximilian Joseph, einem mittel- und bedeutungslosen jüngeren Bruder des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken. Max Joseph – oder »Prince Max«, wie man ihn in Straßburg ge­rufen hatte - war der zweite Sohn eines zweiten Sohns aus einer Nebenlinie des Hauses Wittelsbach – aus uralter fürstlicher Familie also, definitiv ebenbürtig, aber ohne Land und Vermögen und somit eine ausgesprochen schlechte Partie. Eine Anstellung im Dienst des französi­schen Königs Ludwigs XVI. als Kommandeur eines Straß­burger Regiments sowie eine Grafschaft namens Rappolts­weiler, bestehend aus ein paar Dörfern und Mühlen, das war alles, was Augustes Gatte an Versorgung vorzuweisen hatte. Selbst das hatte die französische Revolution jetzt davon gefegt.


»Lieber Charles«, fragte Amalie ihren Gemahl während einer der nächsten Teestunden, »sollten wir nicht etwas für unsere armen Verwandten tun?«


Erbprinz Charles blickte erstaunt von den Militärzei­tungen auf, zu denen er in Gegenwart seiner Gemahlin nach wie vor gern Zuflucht nahm. »Das sollten wir aller­dings«, nickte er bereitwillig. Er schätzte den gutmütigen, immer etwas nervösen und durchweg biederen Pfalzgrafen Maximilian Joseph und die sanfte Auguste sehr und konnte kaum glauben, dass seine Gattin ihm freiwillig derart rei­zende Gesellschaft zugestehen würde. »Es wäre zweifellos eine großzügige Geste von Ihnen, die Ärmsten hierher einzuladen. Sie haben Schreckliches durchgemacht – bei bitterer Kälte am Weihnachtsabend unter den Kugeln der Franzosen fliehen zu müssen! Unfassbar! Ihre Kinder sind noch so klein, gerade für sie wäre es nötig, sich einmal or­dentlich zu erholen.«


»Dann ist es abgemacht. Ich hoffe allerdings, Sie lassen sich vom Pfalzgrafen nicht wieder zu solch lächerlichen Amüsements verleiten wie beim letzten Mal; Inkognito-Besuche bürgerlicher Vergnügungsstätten schicken sich ab einem gewissen Alter nicht mehr. Mir ist nicht unbekannt, in welchem Ruf Max Joseph in seiner Jugend stand, dem eines Verführers und Verschwenders nämlich, und es würde mir leid tun, ähnliche Tendenzen an Ihnen zu entdecken.«


Ihr Ehemann, in der sicheren Annahme, ihm selbst würde eine solche Entdeckung noch viel mehr leid tun, versprach es. Die Einladung wurde ausgesprochen und dankbar angenommen, und man empfing die Gäste mit je­ner herablassenden Güte, wie sie gegenüber armen Ver­wandten angebracht war. Amalie fand Auguste und ihre Kinder dünner und ausgezehrter denn je, den Sohn ver­wirrt, die Töchter ängstlich und verschreckt. Den Kindern tat das Zusammensein mit ihren Verwandten gut; Max Josephs Sohn Ludwig und Amalies Sohn Karl standen fast genau im gleichen Alter, und die Mädchen spielten gern mit Amalies jüngster Tochter Wilhelmine. Lediglich für die Mutter ließ sich wenig tun. Egal, wie sehr Amalie sich be­mühte, die Verwandten herauszufüttern, Auguste blieb mager und schwächlich, und ihr Gesicht hatte eine ähnli­che Tönung wie ihre gepuderte Frisur.


Lediglich Maximilian Joseph, hochgewachsen, breit­schultrig, gleichermaßen nervös wie optimistisch veran­lagt, schien die Entbehrungen einigermaßen gut verkraftet zu haben. So war Amalies Cousin schon als Kind gewesen. Jeder zufällig vorbeiflatternde Schmetterling ließ ihn seine Pein vergessen, und so genügten auch jetzt ein paar Tage scheinbarer Ruhe, ein Jagdausflug mit Charles oder eine abendliche Partie Vingt-et-un in Amalies Salon, um ihn wie­der fröhlicher in die Zukunft blicken zu lassen.


Bei einem solchen Kartenspiel war es auch, als Max Joseph von seinen Plänen berichtete. »Toutefois, man muss zugeben«, sagte er in seinem gemächlichen Pfälzer Dialekt, den er mit zahllosen französischen Einsprengseln würzte, »derzeit gehen unsere Aussichten, jemals nach Straßburg zurückzukehren, gegen Null. Aber vielleicht löst sich alles noch in Wohlgefallen, und Auguste und ich werden den­noch ein schönes Revenu haben, das uns nicht weniger lieb sein soll als unser Rappoltsweiler und mit dem wir unsere Kinder großziehen können.«


»Mein lieber Freund, das freut mich zu hören«, sagte Charles, der bemerkt hatte, wie seine Gemahlin aufhorch­te. Auf Amalies Wink hin erkundigte er sich, ob sich für Maximilian Joseph denn ein konkreter Ausweg aus seiner derzeit so traurigen Lage aufgetan habe.


»Ja, sehen Sie, lieber Freund, das ist so: Wie Sie ja wissen, ist das Haus Zweibrücken eine Nebenlinie der Fa­milie Wittelsbach. Der in Bayern sitzende Hauptzweig die­ses Geschlechts ist in der vorigen Generation ausgestorben, weswegen mein Onkel Karl Theodor, der Kurfürst der Pfalz, auch den bayerischen Kurfürstenhut erbte und nun statt in Mannheim in München regiert. Seit sein einziger legitimer Sohn verstorben ist, hat mein Onkel keinen di­rekten Erben mehr. Die Würde des Kurfürsten würde also, so wenig dem jetzigen Inhaber das recht ist, an unsere Sei­te der Familie fallen.«


»An Ihren älteren Bruder, den jetzigen Herzog der Pfalz, nicht wahr?«, fiel Amalie rasch ein. Max Joseph nick­te freundlich; an seinen Ohren tanzten die kleinen golde­nen Ringe, die zu tragen er sich in seiner Straßburger Zeit angewöhnt hatte – eine überaus kuriose Marotte nach Amalies Ansicht, der obendrein etwas Frivoles anhaftete.


»An meinen Bruder Karl August, évidemment. Der in diesem Fall als Kurfürst nach München gehen und Auguste und mir Mannheim und die Pfalz überlassen würde – oder das, was unsere französischen Patrioten davon übrig gelas­sen haben«, ergänzte er seufzend. »Zwar wäre mir lieber, die Leute kämen allmählich zur Vernunft und alles könnte wieder werden wie vor der Revolution, aber auf solches Glück können wir wohl kaum mehr hoffen.«


Amalie lehnte sich zurück in die mit cremefarbenem Damast bezogenen Polster ihres Sessels, ehe sie ihre eige­nen Karten wieder aufnahm, und dachte stumm nach über jenen älteren Bruder, von dem Max Joseph gesprochen hatte. Der Herr war ihr nicht unbekannt; von ihren beiden Cousins war Karl August stets derjenige gewesen, den Amalie weniger schätzte: ein wohlbeleibter Bonvivant, der seine Gemahlin wie Luft behandelte und seine Zeit mit Mätressen, Jagden und Schlossbauten verbrachte, die ihn in horrende Schulden gestürzt hatten. Ein derartiges Sym­bol aristokratischer Überheblichkeit war er, dass die Fran­zosen ihn in Mannheim explizit hatten fangen wollen, um ihn ihrer heimlichen Gottheit, der Guillotine, zu opfern. Karl August war seinen Häschern gerade noch rechtzeitig entwischt, und sein Bruder Maximilian Joseph, der ihn, so­weit Amalie wusste, beerbt hätte, schien brav und bieder genug, das nicht einmal im hintersten Winkel seiner Seele zu bedauern.


Max Joseph war ein seltsamer Mensch.


»Wenn ich mich recht entsinne, hat Ihr Bruder Karl August keine Kinder, lieber Max?«


»Sein armer Sohn ist gestorben«, bestätigte Max Joseph betrübt. »Aber er und ma chère belle-soeur, die Her­zogin, sind ja noch nicht zu alt, um weitere Kinder zu be­kommen.«


Dazu, dachte Amalie, müsste dem Herzog der Wunsch nach einem Erben wichtiger sein als seine Sehnsucht nach Bequemlichkeit und Genuss, die sich offenbar überall bes­ser stillen ließ als an der Seite seiner Gattin. Sie dachte an das verfettete, vom Wein gerötete Gesicht des Herzogs, an das schwabbelnde Doppelkinn, das jeden Kragen sprengte, an die berüchtigten Bankette und Gelage. Und sie be­trachtete die arme Auguste, fröstelnd vor dem prasselnden Feuer im Kamin, dünn, wie sie seit ihrer Kindheit gewesen war, hustend, bleich, mager. Sie zog ihre Schlüsse.


»Vielleicht wird doch noch alles gut für Sie, mein Freund«, sagte Charles inzwischen. »Ich habe gehört, in Pa­ris schießen die Franzosen inzwischen mit Kanonen auf ihre eigenen Leute. Wenn die Österreicher in Italien die­sem General Bonaparte einmal ordentlich heimleuch­ten …« Er verstummte hastig, als ein flammender Blick aus den Augen seiner Gemahlin ihn belehrte, wie wenig sich solche blutrünstigen Themen in Gegenwart von Damen ge­hörten.


 


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