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Belletristik
Buch Leseprobe Der Ventriloquist , Marco Wilhelm Linke
Marco Wilhelm Linke

Der Ventriloquist


Geschenk-Edition (Sonderformat 17x22 cm)

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“Ich bin Eli Lenau, Ventriloquist: Denn gemeinsam ist man weniger allein.” Anfangs dachte Eli, es wären ihre großen Augen gewesen. So tief. So braun. Und von dieser unbeschreiblichen Lebendigkeit. Später wusste er es besser: sie waren füreinander geschaffen. Es verband sie dieses unsichtbare Band, welches ein ganzes Leben überdauern und trotz aller Widrigkeiten niemals reißen würde. Nach all den Jahren, dachte Eli ein wenig wehmütig, während er sich mit einem Seufzen auf die schmutzigen Dielen des Dachbodens niederließ. Es kostete ihn erhebliche Mühe, den schweren Lederkoffer in den trüben Lichtkegel der Glühbirne zu ziehen, und mit jedem Zentimeter nahm das leichte Kribbeln in seinem Nacken ebenso wie die freudige Erwartung zu. Genau wie damals, als er in diesem kleinen Zauberbedarfsladen in Montparnasse stand und zum ersten Mal die Scharniere des alten Puppenspielerkoffers aufschnappen ließ. Eli schmunzelte. Dann wischte er mit der flachen Hand den Staub vom Deckel und betrachtete die unzähligen Aufkleber, die wie stumme Zeugen vergangener Tage über dem gesamten Koffer verteilt waren. Hier erinnerten Gepäcknummern des Orly-Aéroport de Paris an seine zahllosen Reisen mit Steward und seiner Frau Emma. Dort erzählte ein winziges Klebeschild von den weniger erfolgreichen Jahren des Pianisten Earl Hines, aber auch von einem zauberhaften Abend, an dem Earl zu Emmas Ehren ein Ständchen mit einem unbekannten Musiker namens Louis Armstrong intonierte. Eli zögerte, dann ließ er die Verschlüsse aufspringen und hob den Deckel langsam an. Nach und nach kam das freche Gesicht seines kleinen Holzfreundes zum Vorschein. Wieder brauchte Eli einen Moment, bis er die kleine Holzfigur aus dem roten Samt nahm. So behutsam, als fürchte er, sie könne augenblicklich unter dem Druck seiner Finger zu Staub zerfallen. „Du hast dich kaum verändert“, sagte er leise und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Und du bist noch immer von makelloser Schönheit“, stellte er zufrieden fest. „Beinahe“, musste er sich jedoch korrigieren, denn die Haare des kleinen Kerlchens standen ziemlich wirr vom Kopf ab. Auch der Tweedanzug war aus der Mode gekommen, was Eli aber weniger störte, denn um seinen eigenen war es nicht besser bestellt. „Wir werden verreisen, Stew!“, verkündete er aufgeregt und musterte das fein geschnitzte Gesicht seines Freundes, als erwarte er eine Antwort. Als diese ausblieb, hob er ein wenig enttäuscht die Schultern und legte Steward behutsam zurück in den Koffer. Ihre Reise begann bei Josh, Elis Coiffeur. Josh war nicht einer dieser modernen Frisöre, die einem bei lauter Musik die Haare vom Kopf fegten, sondern ein Künstler der alten Schule. Er beherrschte Nesslers Wellenformung und hatte bereits in den sechziger Jahren die Frisuren der Damen nach Grateaus Ondulationsmethode in Form gebracht. Eli vertraute sein Haar seit über siebzig Jahren Joshs geübten Händen an. Dabei war es ihm gleich, dass dessen Finger mit der Zeit etwas zittriger geworden waren und auch sein Umgang mit der Schere an Präzision verloren hatte. Als Eli die Stube betrat, begrüßte ihn der alte Coiffeur mit einem breiten Lächeln und eilte ihm hastig entgegen, um Velourshut und Wintermantel abzunehmen. Eli stellte seinen Koffer ab, klopfte den Schnee von Ärmeln und Hutkrempe und überreichte Josh dann Mantel samt Kopfbedeckung. Eli war der einzige Kunde, was ihm nur recht sein konnte. Er ging schnurstracks zu dem linken der beiden Frisörstühle, holte seine noch immer schweigsame Begleitung aus dem Koffer und platzierte Stew auf die durchgesessene Ledersitzfläche, die sonst unter seinem eigenen Gewicht zu leiden hatte. Als Josh neben ihn trat, blieben seine Augen eine Weile auf Elis ganzem Stolz ruhen, dann wandte er sich verblüfft an Eli. „Steward ist keinen Tag gealtert, Mr. Lenau.“ Eli lächelte. „Wie geht es ihm?“, fragte Josh und Eli hob resigniert die Schultern. „Keine Ahnung. Er redet nicht mit mir.“ Ein Schweigen legte sich über die Stube. Schließlich ergriff Josh erneut das Wort. „Womöglich ist er eingeschnappt?“ „Das denke ich auch.“ „Aber das gibt sich“, stellte Josh mit einem aufmunternden Lächeln fest und begann seine Schere zu schärfen. Eli nickte zustimmend und erklärte ihm, wie das ungestüme Haar des Burschen zu zähmen sei. Der Coiffeur gab sich besonders große Mühe und als er nach zwanzig Minuten den weißen Kabinettumhang beiseite nahm, machte Elis Herz einen gewaltigen Sprung. Josh hatte sich einmal mehr selbst übertroffen. Die beiden standen stumm vor dem Bedienstuhl und begutachteten Joshs Kunstwerk. Eli, mit einem überwältigenden Glücksgefühl, Josh, mit tiefster Befriedigung und einem nicht unerheblichen Stolz. Es war bereits dunkel, als Eli in seinem 39er Ford gemächlich stadtauswärts fuhr. Zufrieden ließ er die Stadt mit ihren hektischen Lichtern, blinkenden Reklametafeln und der ewigen Kakophonie aus Hupen, Motorenlärm und Sirenen hinter sich. Er summte »All the Things You Are« aus dem Musical »Very Warm For May«. Seine Frau hatte dieses Musical geliebt. Er selbst hatte es gemocht, dessen besonderen Reiz aber erst nach Emmas Tod entdeckt. [...] Anfangs dachte Eli, es wären ihre großen Augen gewesen. So tief. So braun. Und von dieser unbeschreiblichen Lebendigkeit. Später wusste er es besser: sie waren füreinan-der geschaffen. Es verband sie dieses unsichtbare Band, welches ein ganzes Leben überdauern und trotz aller Widrigkeiten niemals reißen würde. Nach all den Jahren, dachte Eli ein wenig wehmütig, während er sich mit einem Seuf-zen auf die schmutzigen Dielen des Dachbodens niederließ. Es kostete ihn erhebliche Mühe, den schweren Lederkoffer in den trüben Lichtkegel der Glühbirne zu ziehen, und mit jedem Zentimeter nahm das leichte Kribbeln in seinem Nacken ebenso wie die freudige Erwartung zu. Genau wie damals, als er in diesem kleinen Zauberbedarfsladen in Montparnasse stand und zum ersten Mal die Scharniere des alten Puppenspielerkoffers aufschnappen ließ. Eli schmunzelte. Dann wischte er mit der fla-chen Hand den Staub vom Deckel und betrachtete die unzähligen Aufkleber, die wie stumme Zeugen vergangener Tage über dem gesamten Koffer verteilt waren. Hier erinnerten Gepäcknummern des Orly-Aéroport de Paris an seine zahllosen Reisen mit Steward und seiner Frau Emma. Dort erzählte ein winziges Klebeschild von den weniger erfolgreichen Jahren des Pianisten Earl Hines, aber auch von einem zauberhaften Abend an dem Earl zu Emmas Ehren ein Ständchen mit einem unbekannten Musiker namens Louis Armstrong intonierte. Eli zögerte, dann ließ er die Verschlüsse aufspringen und hob den Deckel langsam an. Nach und nach kam das freche Gesicht seines kleinen Holzfreundes zum Vorschein. Wieder brauchte Eli einen Moment, bis er die kleine Holzfigur aus dem roten Samt nahm. So behutsam, als fürchte er, sie könne augenblicklich unter dem Druck seiner Finger zu Staub zerfallen. „Du hast dich kaum verändert“, sagte er leise und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Und du bist noch immer von makelloser Schönheit“, stellte er zufrieden fest. „Beinahe“, musste er sich jedoch korrigieren, denn die Haare des kleinen Kerlchens standen ziemlich wirr vom Kopf ab. Auch der Tweedanzug war aus der Mode gekom-men, was Eli aber weniger störte, denn um seinen eigenen war es nicht besser bestellt. „Wir werden verreisen, Stew!“, verkündete er aufgeregt und musterte das fein geschnitzte Gesicht seines Freundes, als erwarte er eine Antwort. Als diese ausblieb, hob er ein wenig enttäuscht die Schultern und legte Steward behutsam zurück den Koffer. Ihre Reise begann bei Josh, Elis Coiffeur. Josh war nicht einer dieser modernen Frisöre, die einem bei lauter Musik die Haare vom Kopf fegten, sondern ein Künstler der alten Schule. Er beherrschte Nesslers Wellenformung und hatte bereits in den sechziger Jahren die Frisuren der Damen nach Grateaus Ondulationsmethode in Form gebracht. Eli vertraute sein Haar seit über siebzig Jahren Joshs geübten Händen an. Da-bei es war ihm gleich, dass dessen Finger mit der Zeit zittriger wurden und auch sein Umgang mit der Schere an Präzision verloren hatte. Als Eli die Stube betrat, begrüßte ihn der Coiffeur mit einem breiten Lächeln und eilte ihm hastig entgegen, um Velourshut und Wintermantel abzunehmen. Eli stellte seinen Koffer ab, klopfte den Schnee von Ärmeln und Hutkrempe und überreichte Josh dann Mantel samt Kopfbedeckung. Eli war der einzige Kunde, was ihm nur recht sein konnte. Er ging schnurstracks zu dem linken der beiden Frisörstühle, holte seine noch immer schweigsame Begleitung aus dem Koffer und platzierte Stew auf die durchgesessene Ledersitzfläche, die sonst unter seinem eigenen Gewicht zu leiden hatte. Als Josh neben ihn trat, blieben seine Augen eine Weile auf Elis ganzem Stolz ruhen, dann wandte er sich verblüfft an Eli. „Steward ist keinen Tag gealtert, Mr. Lenau.“ Eli lächelte. „Wie geht es ihm?“, fragte Josh und Eli hob resigniert die Schultern. „Keine Ahnung. Er redet nicht mit mir.“ Ein Schweigen legte sich über die Stube. Schließlich ergriff Josh erneut das Wort. „Womöglich ist er eingeschnappt?“ „Das denke ich auch.“ „Aber das gibt sich“, stellte Josh mit einem aufmunternden Lächeln fest und begann seine Schere zu schärfen. Eli nickte zustimmend und erklärte ihm, wie das ungestüme Haar des Burschen zu zähmen sei. Der alte Coiffeur gab sich besonders große Mühe und als er nach zwanzig Minuten den weißen Kabinettumhang beiseite nahm, machte Elis Herz einen gewaltigen Sprung. Josh hatte sich einmal mehr selbst übertroffen. Die beiden standen stumm vor dem Bedienstuhl und begutachteten Joshs Kunstwerk. Eli, mit einem überwältigenden Glücksgefühl, Josh, mit tiefster Befriedigung und einem nicht unerheblichen Stolz.


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